Erschienen in Ausgabe: Ohne Ausgabe | Letzte Änderung: 14.01.09 |
von Stefan Groß
Johann Gottlieb Fichte
wurde lange als Kantnachfolger gehandelt, bevor er seine
Wissenschaftslehren veröffentlichte, die mit dem Dualismus der
Kantischen Vernunftkritik radikal aufräumten. Gerade in den
Wissenschaftslehren, von ihren Anfängen bis in die späten
Berliner Jahre hinein, zeigt sich deutlich seine Arbeit am Denken,
seine Genealogie des Wissens. Philosophie als Genesis – dafür
steht Fichte. Das Produkt dieses Denkens sind seine
Wissenschaftslehren in ihren unterschiedlichen Ausführungen.
Insbesondere in den Spätschriften geht es ihm immer wieder um
die Wahrheitsfrage, um eine analytische und synthetische Begründung
des Wissens, um ein Denken des Undenkbaren, um das Begreifen des
Unbegreiflichen – all dies sollte mittels des begrifflichen
Denkens aufgearbeitet und abgeleitet werden
Gerade
aber diese späten Werke sind und bleiben dunkel, wie Jürgen
Stolzenberg herausstellt, sie zu entschlüsseln eine Aufgabe, zu
der die bei Frommann-Holzboog erschienenen Studientexte zur
Spätphilosophie Fichtes wertvolle Hinweise liefern. Die
Schwierigkeit Fichtes Denkweg nachzuzeichnen, d.h. sein Werk als
einheitliches zu interpretieren, oder, wie oft versucht, einen
Paradigmawechsel in seinem Denken herauszustellen, wo nicht mehr das
Ich als Prinzip aller Philosophie im Zentrum steht, sondern das
Absolute als reines Sein, teilt die Fichteforschung in zwei Lager.
Bis heute ist umstritten, ob Fichte tatsächlich seine Theorie
des Selbstbewußtseins aufgegeben hat, um nach dem
Atheismusstreit, der ihm seine Jenaer Professur kostete, den Weg des
absoluten Theismus einzuschlagen. Während Jürgen
Stolzenberg und Christoph Asmuth (Ch. Asmuth, Das Begreifen des
Unbegreiflichen, Philosophie und Religion bei Johann Gottlieb Fichte
1800-1806, Frommann-Holzboog 1999, in: Spekulation und Erfahrung,
Texte und Untersuchungen zum Deutschen Idealismus, Abteilung II:
Untersuchungen, Band 41 erschienen) daran festhalten, daß sich
Fichte im Spätwerk nur einer anderen Terminologie bedient und
den transzendentalen Ansatz seiner Frühphilosophie nicht
aufgibt, entwickelt beispielsweise Wolfgang Janke eine Bildtheorie,
die das Ich als Bild des Absoluten vorstellt, also in ein
Ableitungsverhältnis zum Sein setzt, das nunmehr das Ich
begründet.
Der
größte Teil der Fichteforscher in Deutschland wendete sich
bislang Fichtes mittlerer und späterer Schaffensperiode zu. Und
dies aus guten Grund: Aus Fichtes frühen Studienjahren ist wenig
bekannt, Auskunft über das traditionelle Bild des jungen Fichte
liefern immer noch die von seinem Sohn, Immanuel Herrmann Fichte,
publizierten Werke „Johann Gottlieb Fichte`s Leben und
litterarischer Briefwechsel, Erster Theil, die Lebensbeschreibung
enthaltend“ (Sulzbach 1830) und „Beyträge zur
Charakteristik der neueren Philosophie oder kritische Geschichte
derselben von DesCartes und Locke bis auf Hegel“ (Sulzbach
1841), die auch für die Fichtebiographen Xavier Léon und
Fritz Medicus wegweisend waren.
Im
Unterschied zu Hegel, über dessen Jugendzeit – durch
seinen Biographen Karl Rosenkranz – die Forschung gut
informiert ist, wurde die Auseinandersetzung mit Fichtes frühen
Studienjahren bislang von der Sekundärliteratur nur gestreift.
Mit einer neuen Studie, die 2007 erschienen ist, und die dazu
zugleich die einschlägigen Texte und Dokumente aus dieser Zeit
liefert, läßt sich nunmehr ein „genaues, historisch
fundiertes Gesamtbild entwerfen, das in vielen Punkten Neues
gegenüber der communis opinio der Fichteliteratur und früherer
historisch-biographischer Studien bietet“. Während sich
die Fichteforschung in den letzten zehn Jahren überwiegend mit
Fichtes Spätphilosophie auseinandersetzte, wird nun ein Blick in
die frühe Phase seines Denkens freigegeben. So erfreut eine neue
Publikation aus dem Frommann-Holzboog-Verlag. Stefano Bacin sucht
nach Spuren fichteschen Denkens in der Jugendzeit, widmet sich
intensiv dessen Studium und Studien im sächsischen Schulpforta,
einem Elitegymnasium, das schon Klopstock und später Nietzsche
besuchten. Bacin gibt darüber hinaus tiefe Einblicke in die
Schulstruktur, analysiert den Zeit- und Gelehrtengeist, umreißt
die schulreformatorische Bewegung und stellt diejenigen Denker in den
Mittelpunkt, die das geistig-pädagogische Klima der Schule
prägten. So dokumentiert er den Werdegang des späteren
Theologieprofessors in Leipzig, Johann August Ernesti, der sich für
die Schulordnung in der Zeit von Fichtes Aufenthalt (1774-1780)
verantwortlich zeichnete. Daß Fichte in Schulpforta nicht
glücklich war, ist eine Tatsache, auf die bereits sein Sohn
hingewiesen hat.
Anhand
einer Vielzahl von bisher nicht veröffentlichen Quellen belegt
Bacin, daß das Bildungsprofil in Schulpforta besser war als
oftmals vermittelt wurde. Gleichwohl räumt er aber ein, daß
sein Forschungsbeitrag keinen unmittelbaren Einfluß auf die
Interpretation von Fichtes theoretischer Philosophie habe –
dies ist schade, sucht doch der Interessierte gerade in den frühen
Schriften nach Denkstrukturen, die für Fichtes weiteren
Werdegang ausschlaggebend waren.
Zusammenfassend:
Der Band glänzt durch einen ausführlich dokumentierten
Wissenschaftsapparat. Hier ist ein Wissenschaftler am Werk, dem es um
historische Grundlagenforschung geht. Daher verwundert es auch nicht,
daß die Hälfte des Buches mit Quellentexten versehen ist,
wozu nicht nur der Brief Fichtes an seinen Vater von 1775, sondern
auch seine berühmte „Valediktionsrede“, seine erste
öffentliche Rede, angeführt werden, die Bacin mit einem
ausführlichen Fußnotenapparat versieht, der brilliert.
Obwohl
die Studie von Bacin über eine bisher weitgehend unbeachtete
Geistesentwicklung Fichtes informiert, und damit ihren festen Platz
in der Geschichte der Philosophie bereits jetzt hat, bleibt sie aus
der Sicht des kritischen Lesers zu philologisch. Dieser hätte
sich eine dezidiertere Auseinandersetzung mit dem frühen
Denkansatz Fichtes erhofft und gewünscht, als nur über die
unterschiedlichen Schulreformen in Schulpforta informiert zu werden.
Daß Fichtes frühes Denken immer wieder aus dem
akademischen Diskurs ausgeblendet wurde, für die mittlere und
späte Philosophie also doch nicht zentral genug war, dies
bescheinigt letztendlich auch Bacin. Für weitere Forschungen zu
Fichte sind jedoch Bacins Anmerkungen zur „Valediktionsrede“
wichtig und sehr dienlich. Hieran könnten sich künftige
Forscher anschließen, wenn es beispielsweise darum geht, den
Einfluß Rousseaus und Lessings auf den jungen Fichte zu
untersuchen.
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