Erschienen in Ausgabe: No. 34 (4/2008) | Letzte Änderung: 17.01.09 |
von Constantin Graf von Hoensbroech
Im
Jahr 1946 trat Sergei Kussewitzki, der damalige Chefdirigent des
Boston Symphony Orchestra, mit einem ungewöhnlichen Auftrag an den
36-jährigen Olivier Messiaen heran: „Schreiben Sie mir ein Werk,
das Sie schreiben wollen in dem Stil, den Sie wollen, so lang wie Sie
wollen, in der Besetzung, die Sie wollen und einzureichen, wann immer
Sie wollen.“ Der Franzose ließ sich nicht lange bitten. Er schuf
eine monumentale Symphonie, ein zehnsätziges Stück für großes
Orchester und zwei Soloinstrumente, das bis heute eine tiefe Wirkung
auf das Publikum ausübt. Das war schon 1949 so, als die Uraufführung
statt des erkrankten Kussewitzki der aufstrebende Nachwuchsdirigent
Leonard Bernstein leitete. Auch das ist so eine der vielen
verschlungenen Facetten der Musikgeschichte: Einerseits Bernstein,
der später zu einem der legendärsten Dirigenten des 20.
Jahrhunderts wurde, Messiaen andererseits, dem als Komponist eine
herausragende Rolle in diesem außerordentlichen Jahrhundert der
Musikgeschichte zukommt. Am 8. Dezember jährt sich zum 100. Mal der
Geburtstag von Messiaen, dem im Laufe des Jahres aus diesem Anlass
weltweit über 600 Konzerte gewidmet wurden und noch werden.
„Messiaen
hat als Wegbereiter der seriellen Musik die Entwicklung der
Komposition im 20. Jahrhundert maßgeblich geprägt. Seine eigene
musikalische Handschrift setzt sich zusammen aus der logischen
Architektur der Tonreihen einerseits und der Verwendung teils
aperiodischer Rhythmen“ ordnet der Dirigent Markus Stenz die
musikwissenschaftliche Bedeutung von Messiaen ein und ergänzt:
„Zusätzlich zur technisch-logischen Struktur gibt es eine
bleibende Botschaft: die musikalische Verarbeitung der Natur - im
speziellen durch die Umsetzung von Vogelstimmen - sowie die
lichtartige Darstellung spiritueller, kosmischer Ideen.“
Der
Kapellmeister des renommierten Kölner Gürzenich-Orchesters hatte
vor einigen Monaten mit der Aufführung der Turangalila-Symphonie
selbst einen weit über Köln hinaus beachteten eigenen Beitrag zum
Messiaenjahr geleistet. Die begeisterte Resonanz lag nicht nur an
seinem hervorragenden Orchester, das Stenz so außerordentlich sicher
durch die enormen Schwierigkeiten der gewaltigen Partitur folgte,
sondern auch an den Interpreten der Soloinstrumente. Denn mit Valérie
Hartmann-Claverie an der Ondes Martenot – so etwas wie eine
einstimmige kleine elektronische Orgel – sowie Roger Muraro am
Klavier verliehen zwei ehemalige Messiaen-Schüler dieser Aufführung
eine besondere Note der Authentizität.
Auch
und gerade in der Turangalila-Symphonie bringt Messiaen das zum
Ausdruck, was vielleicht den inneren Kern seines Schaffens ausmacht:
Musik als Äußerung einer Humanitas. 1936 gehörte Messiaen zu den
Gründern der Gruppe „Jeune France“, junge Komponisten, die sich
dem Gedanken der Musik als Äußerung des Humanismus verpflichtet
sehen. Dabei ist es bei Messiaen, und das unterscheidet ihn von
vielen anderen, ein Humanismus, der einer tief empfundenen,
unerschütterlichen katholischen Glaubensüberzeugung entspringt.
Musik ist für Messiaen eine Möglichkeit, Gott zu loben, und der
Glaube und das Bekenntnis zu Gottes Schöpfung bilden die Klammer
seines Werks. „Es ist unbestreitbar, dass ich in den Wahrheiten des
katholischen Glaubens diese Verführung durch das Wunderbare
hundertfach, tausendfach multipliziert wieder gefunden habe, und es
handelte sich nicht mehr um eine theatralische Fiktion, sondern um
etwas Wahres“, beschrieb es Messiaen einmal mit eigenen Worten.
Seine einzige Oper „Saint Francois d’Assise“ beschäftigt sich
mit der Erfahrung der göttlichen Gnade in der Seele des Franz von
Assisi.
Gleichwohl
ist Messiaen offen für andere spirituelle Haltungen, nimmt diese
bewusst auf. Dirigent Stenz: „Messiaens
Werk hat spirituelle und zugleich meditative sowie ekstatische
Dimensionen, die sich aus seinem Glauben speisen, aber auch andere
Einflüsse erkennen lassen. Daher ist der Zugang zu seiner Musik
universell, gerade auch über Konfessionsgrenzen hinaus.“
Messiaen-Schüler Muraro ergänzt in diesem Zusammenhang: „Messiaens
Musik ist zunächst einmal Musik, aber wenn man im Herzen besonders
empfänglich ist für das Mysterium der Welt, die menschlichen
Leidenschaften und die Farben des Kosmos kann sich jeder beim Hören
auf eine Spur der Wahrheit einlassen – ob existenziell oder
religiös.“ In diesem Sinne kann auch die Musik von Interpreten
aufgeführt und Zuhörern rezipiert werden, die dem Katholizismus
eines Messiaen möglicherweise fremd, distanziert oder gar ablehnend
gegenüber stehen, denn, so Stenz: „ Die künstlerische Botschaft
Messiaens vermittelt sich über die musikalische Struktur eines
Werkes. Sensibilität für die übergeordneten Inhalte, Ideen und
geistigen Einflüsse der Partitur bereichern die Intensität der
Aufführung. Entsprechend liegt es beim Zuhörer, welche Dimension –
die spirituelle, die strukturelle oder gar die ornithologische – er
aufnimmt oder auch zulässt.“
Prägend
für den Komponisten waren einige Begebenheiten seiner Kindheit. So
wuchs der in Avignon geborene Messiaen später in Grenoble auf und
wurde von der faszinierenden Bergwelt der Alpen als Teil der - nach
seinem Verständnis - göttlichen Schöpfung stark angezogen. Durch
seinen Vater, einen Englischprofessor, der Jahre lang an einer
Shakespeare-Übersetzung arbeitete, sowie durch seine Mutter, eine
Dichterin, wurde Messiaen auch stark literarisch geprägt – den
Text fast aller seiner späteren Vokalwerke verfasste er selbst. Das
Klavierspiel erlernte er erst selbst, auch erste kompositorische
Übungen. Später konnte Messiaen am Conservatoire de Paris
studieren. Zu seinen Lehrern zählten unter anderem so berühmte
Komponisten wie Marcel Dupré und Paul Dukas. Als Messiaen Jahre
später selbst am Conservatoire de Paris unterrichtete (1941 bis
1977), zählten so herausragende Komponisten der zeitgenössische
Musik wie Karlheinz Stockhausen und Pierre Boulez zu seinen Schülern.
Messiaen
steht im Ruf eines Synästhetikers, also eines Tonsetzer, der die
Musik in Farben hört. Messiaen wörtlich: „Mein heimliches
Verlangen nach feenhafter Pracht in der Harmonie hat mich zu diesen
Feuerschwertern gedrängt, diesen jähen Sternen, diesen
blau-orangenen Lavaströmen, diesen Planeten von Türkis, diesen
Violettönen, diesem
Granatrot wuchernder Verzweigungen, dieser Wirbel von Tönen und
Farben in einem Wirrwarr von Regenbögen.“ Und sicher nicht nur für
die Turangalila-Symphonie gilt jenseits aller musikwissenschaftlichen
Strukturfragen und Interpretationsansätze, dass man sich, so wie es
Messiaen selbst gewollt hat, an dieser Musik grenzenlos freuen kann.
>> Kommentar zu diesem Artikel schreiben. <<
Um diesen Artikel zu kommentieren, melden Sie sich bitte hier an.