Erschienen in Ausgabe: No 42 (8/2009) | Letzte Änderung: 17.07.09 |
Knut Hamsun, Pan, Titel der Originalausgabe: Pan. Af Løjtnant Thomas Glahns Papirer, Aus dem Norwegischen von Ingeborg und Aldo Keel, Manesse Bibliothek der Weltliteratur, München (März 2009), 256 Seiten, Gebunden, ISBN-10: 3717521705, ISBN-13: 978-3717521709, Preis: 17,90 EURO
von Heike Geilen
"Sie sind
gespalten und bruchstückhaft, nicht gut und nicht schlecht, sondern beides,
launisch von Gemüt und unberechenbar in ihren Handlungen. [Allesamt] ohne
sogenannten Charakter.", bezeichnet der norwegische Schriftsteller
Knut Hamsun die Figuren in seinen Romanen, um im selben Atemzug hinzuzufügen: "Und so bin zweifellos auch ich."
"Pan" reiht sich in die Tradition des nervösen,
eigensinnigen Stils und der Vorliebe für exzentrisches, individualistisches
Dasein am Rande der Zivilisation des umstrittenen Literaturnobelpreisträgers
(1920) ein. "Der häufige, oft
schroffe Wechsel zwischen erzählter Gegenwart und Vergangenheit, sogar mitten
im Satz, ist ein bewusst eingesetztes Stilmittel, das Irritation und Spannung
erzeugt. Die Dialoge weisen Brüche auf: Da steht ein 'Nein', wo der Leser ein
'Ja', oder ein Fragezeichen, wo er ein Ausrufezeichen erwartet hätte.",
erläutert Aldo Keel im Nachwort des vorliegenden Romans, den er gemeinsam mit
Ingeborg Keel aus dem Norwegischen neu übersetzt und der nun Einzug in "Manesses
Bibliothek der Weltliteratur" gefunden hat.
Zusammen mit "Hunger" und "Mysterien" bildet
"Pan", das der damals 34-jährige im Januar 1894 in Angriff nahm, das
Dreigestirn, mit dem sich Hamsun von der realistischen Erzähltradition
verabschiedete und an die Spitze der skandinavischen Moderne setzte.
Der Roman nimmt den Leser mit in das Land der
Mitternachtssonne, das Hamsun zwanzigjährig verließ, um ein besseres Leben zu
finden.
Der damals in Oslo mit Herablassung betrachtete wilde Norden
Norwegens wurde mit diesem Buch salonfähig. "Was
für ein Sommer hier im Norden!", lässt Hamsun seinen Protagonisten und
Ich-Erzähler Thomas Glahn, ein dreißigjähriger Sonderling und Aussteiger, ein
Naturschwärmer und leidenschaftlicher Jäger, der einige Monate, vom Erwachen
des Frühlings bis zum Einbruch des Winters, in einer Hütte am Waldrand nahe der
fiktiven Handelsstation Sirilund lebt, jubilieren. Die Handlungszeit des Romans
verlegt der Autor ins Jahr 1855 zurück, in die Epoche der mächtigen
Handelsherren, im Volksmund "Fjordbarone" genannt.
Selbstzerstörerisches
Liebeswerben
Der seltsame Held, über dessen Herkunft und Vergangenheit im
Buch nichts erwähnt wird, ist eine eigentümliche Figur. Ein christliches
Weltbild scheint ihm nicht zugrunde zu liegen. Thomas Glahn (und gleichfalls
Hamsun) verehrt Pan, den bocksbeinigen und schalkhaften Schutzgott der Ziegen,
Hirten und Jäger aus der griechischen Mythologie, den Herrscher des Waldes und
der Natur. Der Wald steckt für den Protagonisten voller Geheimnisse und
Traumgesichte. Jeder Zweig, jedes Blatt, selbst die Steine sprechen zu ihm.
Hier spürt er Glück, Lebensfülle und tiefen Frieden.
Und liebestrunken wie Pan, als er die Nymphe Syrinx
verfolgt, lässt sich auch Glahn von Reizen und Impulsen steuern. Er geht eine
obsessive und wunderliche Liebesgeschichte mit Edvarda, der Tochter des
mächtigen "Fjordbarons" Mack, ein. Ein ständiges, beinahe wahnhaftes
Hin und Her bestimmt ihre "Beziehung". Sobald der eine glaubt, sie
erobert zu haben, zieht diese sich zurück. Sobald sie sich hingeben will,
verweigert er sich. Hinzu gesellt Hamsun zwei Nebenbuhler, die ebenso um das
hochgestellte Fräulein werben. Aber auch die selbstlose Liebe der sanften,
warmherzigen Eva tröstet ihn nicht in seinem Kummer. Ein verwirrendes, selbstzerstörerisches,
ja mörderisches Liebeswerben entspinnt sich, das Leutnant Thomas Glahn nach
vier Jahren in Indien, wo er sich letztendlich zurückzieht, erneut einzuholen
scheint.
Vor allem Hamsuns grandiose Landschaftsschilderungen spiegeln
die tiefe Naturverbundenheit des berühmten norwegischen Erzählers wieder: "Das monotone Sausen und die
altbekannten Bäume und Steine sind für mich zu viel, eine seltsame Dankbarkeit
erfüllt mich, alles lässt sich mit mir ein, vermengt sich mit mir, ich liebe
alles." Seine Sprache ist schnörkellos, unprätentiös und schlicht, gleichzeitig
aber auch kraftvoll, lyrisch und voller Empathie.
Knut Hamsun (1859 - 1952) schlug sich nach einer
ärmlichen und lieblosen Kindheit als Verkäufer, Bauarbeiter und Laienprediger
durch. Erst 1890 gelang ihm der literarische Durchbruch mit seinem Erstling
"Hunger", dem in rascher Folge die weiteren
Romane folgten und der in der Preisverleihung mit dem Literaturnobelpreis
seinen Höhepunkt finden sollte. Wegen seiner Sympathie für die
Nationalsozialisten verurteilte man ihn 1945 in Norwegen als Landesverräter.
Nur seines hohen Alters wegen wurde er nicht inhaftiert, musste jedoch eine
Geldstrafe zahlen, die ihn finanziell ruinierte. Reue über seine Verirrung
zeigte er bis zum Schluss nicht.
Am 4. August 2009 jährt sich der Geburtstag des
Nobelpreisträgers zum 150. Mal.
Fazit:
"Pan" ist ein facettenreicher, ambivalenter Roman
über den unlösbaren Gegensatz zwischen Liebe und Natur, Identitätsproblematik,
das Schwanken zwischen gegenseitiger Anziehung und Abneigung und die
zerstörerische Macht der Eifersucht bis hin zur Selbstzerstörung. Ein Buch, das
ständig zwischen Wahnsinn und Normalität, Glückseligkeit und Verderben, Natur
und Kultur changiert, kunstvoll verwebt mit teilweise mythisch-balladenhaften
Erzählsträngen.
>> Kommentar zu diesem Artikel schreiben. <<
Um diesen Artikel zu kommentieren, melden Sie sich bitte hier an.