Erschienen in Ausgabe: No 42 (8/2009) | Letzte Änderung: 17.07.09 |
Kwame Anthony Appiah: Der Kosmopolit. Philosophie des Weltbürgertums. München (C.H. Beck): 2006. 222 Seiten. EUR (D) 12,95. ISBN: 3406584888.
von Michael Lausberg
In seinem Werk wendet sich Kwame Anthony Appiah gegen den Neokonservativen
Samuel Huntington, von dem die Theorie des „Clash of Civilisation“ stammt,
das von einer homogenen Summe von Weltkulturen und deren unwandelbaren
Eigenschaften ausgehend einen „Kampf der Kulturen“ prognostiziert. Appiahs
Buch stellt die Traditionslinie einer kosmopolitischen Ethik der Flexibilität
und des kreativen Ausgleichs dar und sucht eine Balance zwischen dem Glauben an
universale Werte und dem Respekt vor der Verschiedenheit nicht-westlicher
Weltanschauung.
Der Begriff des Kosmopoliten geht bis auf die Kyniker (4 Jh. v.Chr.) zurück,
die den Ausdruck „Bürger des Kosmos“ prägten.i
Der Kosmopolitismus entwickelte sich im 18. Jahrhundert zum Ideal der
europäisch-humanistischen Bildungstradition. Die bekanntesten Werke dieser Denkrichtung
stammten von Christoph Martin Wielandii,
Gotthold Ephraim Lessingiii,
Johann Gottfried Herderiv
und Immanuel Kantv.
Zu den Merkmalen des europäischen Kosmopolitismus vor allem seit der
Aufklärung gehörte eine besondere Liebe für die Kunst und Literatur
unbekannter Kulturen und ein gesteigertes Interesse am Leben der Menschen in
anderen Gegenden der Welt. In den kommunistischen Staaten des Warschauer Paktes
wie der DDR oder der UdSSR galt der Kosmopolitismus als imperialistisches und
nationalistisches Mittel der westlichen Großmächte, um kleinere Staaten
niederzuhalten und den eigenen Nationalismus zu verschleiern.vi
Appiah geht davon aus, dass im Begriff des Kosmopolitismus offenbar zwei
Stränge ineinander verwoben sind:vii
„Der eine ist der Gedanke, dass wir Pflichten gegenüber
anderen Menschen haben, die über die Blutsverwandtschaft und über die eher
formale Bande einer gemeinsamen Staatsbürgerschaft hinausgehen. Der zweite
Strang ist die Vorstellung, dass wir nicht nur den Wert menschlichen Lebens
schlechthin, sondern des einzelnen menschlichen Lebens ernst nehmen müssen,
d.h., dass wir uns für die praktischen Tätigkeiten und Glaubensüberzeugungen
interessieren sollten, durch die das Leben des Einzelnen erst seine Bedeutung
erhält.“
Da laut Appiah so viele menschliche Möglichkeiten erkundet werden könnten,
ist der Wunsch nach der Entwicklung aller Menschen zu einer einzigen
Lebensweise nicht vorhanden.
Appiahs Theorie richtet sich gegen „preservationists“, die jede Kultur um
ihrer selbst willen bewahren wollen. Er kritisiert auch jene
„counter-cosmopolitans“, die verabsolutierte und starre kulturelle Differenzen
zum Maßstab erklären:viii
„Eine Welt, in der sich Gemeinschaften klar gegenüber
abgrenzen, scheint keine ernsthafte Option mehr zu sein, falls sie es denn
jemals war. Abtrennung und Abschließung waren in unserer ständig umherreisenden
Spezies schon immer etwas Anormales.“
Kosmopoliten sprechen sich gegen jedweden Nationalismus aus, dagegen setzen
sie sich für den Pluralismus ein. Sie gehen davon aus, dass es viele Werte und
Normen gibt, nach denen es sich zu leben lohnt, und dass man nicht nach all
diesen Belangen leben kann. Appiahs „Goldene Regel des Weltbürgertums“ findet
sich bei Terenz, der in seiner Komödie „Der Selbstpeiniger“ sagte: „Homo sum:
humani nil a me alienum puto.“ („Ich bin ein Mensch, nichts Menschliches ist
mir fremd.“)ix
Ein weiteres Merkmal ist der Fallibismus – die Idee, dass das menschliche
Wissen unvollkommen und provisorisch ist und aufgrund neuer Erkenntnisse
revidiert werden muss:x
„Unser Verständnis von Toleranz besagt, dass wir respektvoll
mit Menschen umzugehen haben, die unsere Sicht der Welt nicht teilen. Wir
Kosmopoliten glauben, dass wir selbst von jenen etwas lernen können, die
anderer Ansicht sind als wir. Wir glauben, dass die Menschen ein Recht auf ihr
eigenes Leben haben.“
Dieses teilweise brilliant geschriebene, mit viel Hintergrundwissen versehene
Buch weist jedoch zwei Mängel auf. Ein wichtiger Baustein zur Erörterung des
Kosmopolitismus wird nicht näher behandelt: die Identität. Appiah gibt weder
eine Definition an noch findet eine Besprechung über die philosophischen Auseinandersetzungen
um diesen Begriff (z.B. Aristoteles, Hobbes, Leibniz, Habermas, Mead) statt.
Außerdem wäre eine Vertiefung der schon oben erwähnten kosmopolitischen
Aufklärungswerke wünschenswert gewesen, da diese den Grundstock der
neuzeitlichen Debatte um Kosmopolitismus bilden.
i Appiah, K.A.: Der Kosmopolit. Philosophie
des Weltbürgertums, München 2006, S.12.
ii
Wieland, C. M.: Das Geheimniß des Kosmopolitenordens, in: Teutscher Merkur,
August 1788, S. 107.
iii
Lessing, G.E.: Die Erziehung des Menschengeschlechts, 4. Auflage, Köln 1978.
iv
Herder, J.G.: Auch eine Philosophie der Geschichte zur Bildung der Menschheit,
3. Auflage, Stuttgart 1973.
v
Höffe, O. (Hrsg.): Immanuel Kant, zum ewigen Frieden, 2. Auflage, Berlin 2004.
vi
Vgl. dazu Coulmas, P.: Weltbürger. Geschichte einer Menschheitssehnsucht,
Reinbek bei Hamburg 1990, S. 75ff.
vii
Appiah, Der Kosmopolit, a.a.O., S. 13.
viii
Ebd., S. 19
ix
Ebd., S. 139
x Ebd., S.
176
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