Erschienen in Ausgabe: No 42 (8/2009) | Letzte Änderung: 05.09.11 |
von Otto Löw
Immerhin war es der Thomaskantor Kurt Thomas, der 1976
anläßlich des 100. Geburtstages von Prof. Dr. Heinrich Möller die Gedenkrede im
Naumburger Rathaus hielt, und das sollte aufhorchen lassen. Thomas hatte 1954
als Assistent bei Prof. Günther Kraft am Institut für europäische
Volksliedkunde in Weimar Heinrich Möller noch persönlich kennen gelernt und war von dessen
zurückhaltendem und freundlichem Wesen, dem reichen Wissen und den menschlichen
Erfahrungen beeindruckt. Leider war es für den altgedienten Heinrich Möller ein
kurzes Intermezzo: das Institut wurde 1955
aufgelöst.
1. Die Herkunft und die
Schulzeit
Geboren
wurde Heinrich Möller 1876 in Breslau in einer bürgerlichen, wohlhabenden
Kaufmannsfamilie mit liberaler Gesinnung. In der jüngeren Vergangenheit tauchen
in der Ahnengalerie Fabrik- und
Rittergutsbesitzer auf, Konsistorialräte und ein evangelischer Theologieprofessor.
Eine Linie war bis ins 14. Jahrhundert zurück zu verfolgen. Das wurde später
wichtig. Als sich Heinrich Möller in Jena an der Universität bewarb, musste er nachweisen,
dass er arischer Abstammung war. Das gelang. Zumindest musste Möller aber einem
Verwandten zustimmen, der froh darüber war, dass wenigstens die Großeltern „arisch“
waren. Denn – bei genauerem Hinsehen war in
noch weiter zurückliegenden Generationen ein Übergang von jüdischer zu christlicher Religionszugehörigkeit zu
beobachten, was damals gar nicht selten war. Übrigens war auch die
Mutter „voll arisch“ und dasselbe galt später auch für die Ehefrau Agnes, geb. Krantzleben. Ob wirtschaftliche
Verhältnisse zu der späten Heirat mit 48 Jahren beigetragen haben,
bleibe dahingestellt.
Kunstsinnig war man zuhause auch, der Vater war
Musikliebhaber und Laiensänger und im Vorstand der Breslauer Singakademie,
außerdem übersetzte er aus dem Englischen. Und so kam der Junge
frühzeitig mit dem Konzertleben in Berührung, zumal der Bruder Geige lernte und
die Schwestern Klavier.
Aus
diesem behüteten Dasein ging der Junge 1889 vom Gymnasium „Maria Magdalena“ in
Breslau nach Schulpforta in die dortige strenge Zucht und Ordnung. Der
Geldbetrag von daheim war zwar nicht knauserig. Die Hefte mit den Eintragungen
aller Ausgaben sind erhalten, für Pension,
die Schulklasse, für Privatunterricht. Flickschneider, Schuhmacher, Uhrmacher,
Friseur, Photograph, die Krankenwärter, der Apotheker und der Arzt, alles
musste bezahlt werden, das Ballgeld. Personalgeschenke, das in ganz Deutschland
übliche Sedanfest. Nach Abgabe der Gelder für die Ausbildung blieb für private
Zwecke nicht viel übrig, allenfalls für Malutensilien und für einen Schlitten.
Der Vater hatte etwa 1600 Mark pro Jahr zu überweisen.
Fast
noch sorgfältiger wurden die Zensuren quartalsweise vermerkt, auch für das Singen. In Mathematik, Latein, Griechisch,
Französisch war Möller keine Leuchte; einmal blieb er sogar sitzen. Zudem
wurden Ranglisten nach den Zensuren ermittelt, vorne war er nicht oft zu
finden. Zu seiner Zeit war auch der später berühmte Regisseur Ernst Legal in
Schulpforta, und wie lange solche Schulfreundschaften halten können, geht aus
der Tatsache hervor, dass viel, viel später die Aufführung der Oper „Sadko“
von Nikolai Rimski-Korsakow unter Legals
Regie an der Deutschen Staatsoper in der Übersetzung von Heinrich Möller gegeben
wurde.
Schon hier in Schulpforta
hatte sich Heinrich Möller mit Schopenhauer, Nietzsche und Richard Wagner
beschäftigt.
2. Die Studienzeit
Ab
1897 wählte der junge Mann in Leipzig Germanistik und Philosophie als
Studienfach, nachdem er die Medizin bald aufgegeben hatte. Die Bierphilisterei
vieler Studenten war nicht seine Sache, doch machte er manche Bekanntschaft wie
etwa Frank Wedekind. Nach drei Semestern wechselte Möller nach Berlin zu Erich
Schmidt und promovierte bei ihm dann über „Die Bauern in der Literatur des 16.
Jahrhunderts“. Als freiwilliges Nebenfach
hatte er, obwohl ohne eigene musikalische Praxis, Musikwissenschaft gewählt.
Erst jetzt war der Knoten für den späteren Beruf geplatzt. Es ging zurück nach Leipzig
zu den bekannten Professoren Hugo Riemann und Hermann Kretzschmar zu einem Studium der Musikwissenschaft und bald wieder
zurück nach Berlin, als der letztgenannte dahin berufen wurde. Seine
Liebe zum Volkslied wurde dort durch Max Friedländer geweckt.
Bei
einer Mittelmeerreise traf er im Rom den Komponisten von „Hänse' und Gretel“, Engelbert Humperdinck. In Berlin besuchte er die
Schauspielschule von Max Reinhard. Schließlich landete Möller als
Musikschriftsteller und Korrespondent in Paris und lernte dort den
Gewandhausdirigenten Arthur Nikisch und die Chansonette Yvette Guilbert kennen.
Sein Steckenpferd wurde damals die Sammlung von Volksliedern in der
Bretagne.
Mit
Beginn des 1. Weltkrieges ging Möller nach New York, schlug sich durch und sammelte amerikanische Volkslieder. Sein Brot
verdiente er vor allem als Kritiker. Es hieß von ihm: „Erinnern Sie sich noch des kleinen Dr. Möller? Ein ganz
famoser Herr, der sich durch sein liebenswürdiges Wesen ebenso viele Freunde
wie durch seine spitze Feder ... eine beträchtliche Anzahl Feinde geschaffen ha [...]“.
Nur
wussten die „Feinde“ nur zu gut, dass die Urteile eben sehr fundiert waren,
ohne Voreingenommenheit und Böswilligkeit. Nach Ende des ersten Weltkrieges
ging es über Norwegen und Dänemark zurück nach Deutschland. Durch die Inflation
war das väterliche Erbe fast nichts mehr wert.
3. Die Lebensleistung
In
dem namhaften Verlag Schott & Söhne in Mainz hat Möller gegen manchen Widerstand und oft schwieriger Quellenbeschaffung
in den zwanziger Jahren seine große Lebensleistung herausgebracht: 13 Bände von europäischen Volksliedern, deren
Texte er aus über zwanzig Sprache rhythmisch genau ins Deutsche
übersetzte.
Bd. 1 Russische; Bd. 2 Schwedische, norwegische,
dänische und isländische; Bd. 3 Englische und nordamerikanische; Bd. 4.
Bretonische, kymrische, schottische und irische; Bd. 5. Französische; Bd. 6
Spanische, katalanische, portugiesische und baskische; Bd. 7 Italienische; Bd.
8 Slowenische, kroatische, serbische und bulgarische; Bd. 9 Griechische, albanische und rumänische
; Bd. 10 Tschechische, und slowakische; Bd. 11 Polnische und wendische; Bd. 12 Ungarische; Bd. 13 Litauische,
lettische, estnische und finnische Volkslieder.
Immerhin Thomas Mann
beglückwünschte den Verlag, „Das Lied der Völker“ „
mit herzlichem Vergnügen und Beifall“ durchgesehen zu haben. Und Romain
Rolland meinte: „Eine derartige Ausgabe verdient in der ganzen Welt
klassisch zu werden.“
Wer
„Unordnung und frühes Leid“ von Thomas Mann in die Hand nimmt, findet dort
einen Möller, noch nicht einmal den Namen hat er ausgetauscht.
Auf
einer Abendgesellschaft findet der Hausherr „dort
seine Frau im Gespräch mit Bert und zwei
anderen jungen Herren. Der eine ist Herzl, Cornelius kennt und begrüßt ihn. Der
andere heißt Möller – ein Wandervogel-Typ, der bürgerliche Festkleider offenbar
weder besitzt noch besitzen will (im Grunde gibt es das gar nicht mehr), ein
junger Mensch, der fern davon ist, den „ Herren zu spielen (das gibt es
im Grunde auch nicht mehr), - in gegürteter Bluse und kurzer Hose , mit
einer dicken Haartolle, langem Hals und einer Hornbrille. Er ist im Bankfach
tätig, wie der Professor erfährt, aber ist außerdem etwas wie ein
künstlerischer Folklorist, ein Sammler und Sänger von Volksliedern aus allen
Zonen und Zungen. Auch heute hat er auf Wunsch seine Gitarre mitgebracht. Sie
hängst noch im Wachstuchsack in der Garderobe
[...]“.
Und von dort wird sie dann
bald geholt:
Man
unterhält sich, während man Tee trinkt, von Möllers Volksliedern, von spanischen,
baskischen Volksliedern, und von da kommt man auf die Neu-Einstudierung von Schillers „Don Carlos“ im Staatstheater, eine
Aufführung, in der Herzl die Titelrolle spielt.“
Nun,
Thomas Mann lässt seinen Möller auch noch französische und schwedische Lieder singen und den Hausherrn darüber nachsinnen.
Bela Bartök, selbst einer der großen Volksliedforscher,
bemängelte allerdings, dass Möller außer den Bauernliedern auch andere
aufgenommen hatte. Aber Möller weiß sich zu wehren.
Fritz Jöde bezeichnete die Sammlung als das erste große
Werk nach Herders „Stimmen der Völker in Liedern“, und Lob kam selbst von dem
Lehrer der Zwölftonmusik Josef Rufer.
Für Möller
schloss sich eine umfangreiche Vortrags- und Konzerttätigkeit an, er trug die
Lieder selbst vor. So kam er durch Vermittlung von Frau Auerbach, die mit ihrem
Mann, dem Experimentalphysiker Felix Auerbach, in Jena in der von Gropius
erbauten Villa in der Schäfferstraße
wohnte, im „Schwarzen Bären“ zu einer Veranstaltung der von ihr dahier
geleiteten
„Internationalen Frauenliga für Frieden und Freiheit“. Bekanntlich haben beide Auerbachsl933 bei Einbruch des Nationalsozialismus den
Freitod gewählt.
Möller
nutzte zudem sehr früh den Rundfunk für die Verbreitung seiner Lieder. Von 1935
bis Kriegsende vertrat Möller in der Musikwissenschaft in Jena den Bereich
Volkslied, mit 50 Mark Honorar im Monat, selbst seine Lieder vortragend, und
ohne sich zu verbiegen. Berufen hatte ihn
der Reichs- und Preußische Minister für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung. Während der Musikwissenschaftler
Otto zur Nedden stramm zur Fahne stand, Werner Danckert bald nach Berlin ging
und dort mittels der NSDAP Karriere machte, bezog sich Rudolf Volkmann auf
musikalische Phänomene und Heinrich Möller auf das Volkslied, auch z. B.
auf das russische und das amerikanische.
Bald nach Dienstantritt genehmigt der Rektor Prof.
Meyer-Erlach die Teilnahme an einem Kongress in Paris, den Möller auch zu
Volksliedforschungen in einer Bibliothek nutzen will.
Das Reichsministerium wurde informiert, das Auswärtige Amt, die Auslandsorganisation
der NSDAP und die Zweigstelle des deutschen Austauschdienstes; er hatte sich bei der
örtlichen Auslandsorganisation der NSDAP zu melden.
1940 schreibt Möller an den Rektor, anfangs sei auch an
eine Titular- oder Honorarprofessur gedacht worden, denn die Fahrtkosten
überschritten bald die Honorarkosten. Inzwischen war Prof. Astel Rektor
geworden, und er schlägt vor, Möller für die Vorlesungszeit die bereits
genannten 50 RM zu gewähren, was vorn Ministerialrat Dr. Fridrich Stier auch
erlaubt wird. Damit nicht genug Bürokratie um die bescheidene Summe herrscht,
verlangt Dr. Schlegelmilch vom Finanzministerium eine Aufschlüsselung der
tatsächlichen Ausgaben. Eine Hin- und Rückfahrt von Naumburg nach Jena kostete
damals 4, 75 RM; der Klavierbegleiter pro Vorlesung 3 RM. Möller wagt sogar
anzufragen, ob ihm denn ein Mittagessen von 8-10 RM gewährt würde für die ja
sonst unbesoldete Arbeit. Und plötzlich wendet sich das Geschick, wenigstens
etwas : das Finanzministerium vergibt jährlich 240 RM und Dr. Stier weist das
Universitätsrentamt an, zusätzlich noch 360 RM zu zahlen, womit für das
ganze Jahr schließlich doch noch 50 RM/Monat zusammen kommen.
Nach
dem Krieg ist aus dem Briefwechsel zu entnehmen, dass durch Bombenschäden
sowohl der Hörsaal als auch das Klavier unbrauchbar geworden waren. Aber
wichtiger für den inzwischen
Siebzigjährigen ist wohl die Befürwortung, dass ihm trotz des Dienstausfalls die Lebensmittelkarte III für Hochschullehrer
zustünde. Von weiteren Vorlesungen ist seitdem aber nichts mehr zu
finden.
Wie
viele andere Vorlesungen auch, wurden die über Volkslieder von Heinrich Möller
außer für die Studierenden des Musikwissenschaftlichen Seminars auch für Hörer
aller Fakultäten angeboten.
4. Der Lebensabend
Nach dem Krieg gab Möller, wie stets noch in Naumburg
wohnend, eine russische Sprachlehre heraus und übersetzte russische Opern ins
Deutsche, z. B. „Fürst Igor“ von Alexander Borodin, „Boris Godunow“ und „Der
Jahrmarkt von Sorotschintsi“, neben „Sadko“ auch „Der goldene Hahn“ von
Rimski-Korsakow, „Eugen Onegin“ von Tschaikowsky.
Sammlungen russischer Lieder oder Negro Spirituals wurden von ihm herausgegeben.
Die Stadt Naumburg ernannte Möller zum 80. Geburtstag
zum Ehrenbürger, das Staatssekretariat für Hochschulwesen zum Professor. Eine
Bibliographie des europäischen Volksliedes blieb unvollendet.
Wie schätzte er sich selbst
ein? „Ich muß zufrieden sein, dass ich
bei mittelmäßiger Begabung doch etwas an geistigen Werken hinterließ,
was mich überleben wird.“
Bei
aller Forschung über das Volkslied in den letzten Jahrzehnten von vielen
Musikwissenschaftlern ist Möllers Ausgabe sozusagen immer noch die Grundlage
geblieben, und zwar eine, aus der man
sich doch manchmal einiges zu hören wünschte!
Der Nachlaß dieses Musikers wird im Archiv der
Franz-Liszt-Musikhochschule in Weimar bewahrt, in einer Zeit, in der manches
Wertvolle erst gar nicht den Weg in die Archive findet, ein gutes Zeichen,
lohnt es sich doch, dieses Leben der Nachwelt zu überliefern.
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