Erschienen in Ausgabe: No. 34 (4/2008) | Letzte Änderung: 17.01.09 |
von Stefan Groß
Norbert
Bolz hatte ganz recht, als er das Spiel mit den Ängsten seiner
kritischen Zeitdiagnose voranstellte. Die Konsumreligion ist in der
Krise, ihr allgegenwärtiger Gott, das Finanzkapital, entzieht sich
auf unbestimmte Zeit. Der Skandal ist riesengroß. Während man mit
dem Tod Gottes gut umgehen konnte, weil man Gott nicht brauchte, so
hat sich nunmehr der viel größere Gott, der angebetete Mammon, in
die Ferne begeben. Dieser Entzug ist nicht zu verkraften, was selbst
die säkularisierte Bundesregierung eingestehen muß. Wenn aber Gott
schon weg ist, dann muß man wenigstens seine Spuren, die
verbleibenden „Werte“, so die Argumentation von Merkel & Co,
bewahren, nur, daß man dies kann, dies glaubt ihnen auch keiner
mehr. Die ungläubigen Gläubiger werden zumindest in der Bankenwelt
nicht mehr gehört, ob sie je gehört wurden, ist eine ganz andere
Frage, ihre Rufe verhallen in der Wüste, die ins Unermeßliche
wächst.
Nun sind es nicht mehr BSE, Ozonloch oder Klimaerwärmung, sondern
die Finanzkrise, die das Horrorszenario für eine Welt am Abgrund
liefert, sie ist der reißerische Bestseller, den die Medien mit
allem apokalyptischen Messianismus in Bild und Wort setzen. Tausende
Britten klicken schon das anglikanische „Gebet für Finanzkrise“
an.
Daß es sich bei der Börse immer schon um Metaphysik handelte, die
aber nicht den lieben Gott im Herzen hatte, sondern das blanke
Nichts, zeigt sich nunmehr in aller Deutlichkeit. In diesem
Zusammenhang feiert auch der Begriff des Virtuellen Hochkonjunktur,
denn hinter dem Virtuellen ist das Reale verschwunden. Selbst die
Welt des Möglichen, in die man sich flüchten konnte, wenn man mit
dem Diesseits nicht mehr viel anfangen konnte, ist weg. Da bleiben
nur als Alternativen:
Entweder man spekuliert nicht oder man spekuliert über das Nichts,
doch auch da sollte man sich beeilen, da sich das Nichts im
Unterschied zum lieben Gott, der heutzutage wieder realer scheint als
die Börse, sich aufzulösen droht. Während der liebe Gott nicht zur
Auflösung, sondern nur zu Zweifeln an seiner Existenz führen
konnte, erweist sich der höhere Gott als momentan viel mächtiger
und präsenter, er ist radikal, nimmt sprichwörtlich das letzte
Hemd.
Der spekulative Finanzmarkt bleibt für alle seine gläubigen Anleger
weiterhin eine negative Theologie, über ihn läßt sich genauso
wenig sagen, wie über den lieben Gott. Man kann sich dieser nur
hingeben, wenn man bewußt die Rationalität ausschaltet und geradezu
an ihre Stelle den Glauben setzt. Dabei ist es schon höchst
faszinierend, wie sich die aufgeklärte Vernunft in ihr Gegenteil
verkehrt, wie die Dialektik der Aufklärung in aller Gnadenlosigkeit
zuschlägt. Nur: Während in der negativen Theologie des
Christentums, die für den Heilsweg des Christenmenschen steht, die
via negationis als Heilsziel aufscheint, ist es heute der realisierte
Verlust, der als Bedrohung der Existenz, den Menschen von seinem
Lebensweg abbringt.
Das Sich-Entziehen des höheren Gottes geht natürlich auch gegen die
Eitelkeit der Spekulanten, die doch immer gottesgleich agierten,
denen kein Himmel zu hoch und keine Klippe zu tief war. Daß sich
ihnen ihr Gott verweigert – undenkbar. Ihr Gotteswahn gerät zur
Hybris, für Selbstermächtigung und grenzenlose Willkür, Macht- und
Geldrausch zahlt man eben seinen Preis, eine Rechung, die der liebe
Gott noch offenhält. Der geldgläubige Anleger zeigt sich zurecht
enttäuscht. Wie kann Gott das zulassen? Wobei der der Erlösung
bedürftige merkwürdig schwankt: Soll er weiterhin auf den Gott
setzen, der ihn verraten hat, oder doch auf den Gott, den er verraten
hat? Die Gretchenfrage: Wie hältst Du’s mit der Religion? –
klingt auch für die Macher am Geldmarkt wie Ironie, soll es auch –
die Häme ist angebracht.
Den Bankern und Anlegern bleibt nichts anderes übrig, als das sehr
unbestimmte Prinzip Hoffung – zu hoffen, „als hätte man“. Was
alle Beteiligten aus der Misere lernen können, ist Klugheit und
Vorsicht. Der finanzielle Ruin läßt sich nur durch eine
Verantwortungsethik aufhalten, die die Folgen ihrer Handlungen mit
bedenkt. Vielleicht kann daher auch das einsetzende Engagement der
Regierenden für eine Konsolidierung des Marktes ein Halteseil für
manch eine Bank im freien Fall werden – vielleicht! Die Verlierer
jedoch bleiben immer die kleinen Leute, dies ist wohl das ewig
unveränderliche Gesetz des Kapitalismus. Daß der Kapitalismus seine
unangreifbare Sicherheit verliert – das ist aber immerhin schon
etwas, dem man auch Positives abgewinnen kann. Die alten christlichen
Werte bleiben auch wieder im Finanzsturm bestehen, eine Rückbesinnung
auf Bescheidenheit und Demut ist höchst erforderlich.
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