Erschienen in Ausgabe: No 44 (10/2009) | Letzte Änderung: 10.08.09 |
Martin Lohmann, Das Kreuz mit dem C, Wie christlich ist die Union?, Butzon & Bercker GmbH, Kevelaer 2009, 202 Seiten, ISBN: 978-3-7666-1242-7, Preis: 14.90 Euro
von Stefan Groß
Er ist einer der bekanntesten deutschen Publizisten und ein
bekennender Christ dazu. Der Katholik Martin Lohmann, der mit seinem 2008
erschienenen Buch „Etikettenschwindel Familienpolitik – Ein Zwischenruf für
mehr Bürgerfreiheit und das Ende der Bevormundung“ eine heftige Kontroverse
ausgelöste, hat nun eine neue Streitschrift vorgelegt, die sich mit dem C in
der Union beschäftigt. Wie christlich ist denn eigentlich die Union?
Für Lohmann bleibt es eine ausgemachte Tatsache, und damit
trifft er den Nagel auf den Kopf, daß das C im Wortstamm der Union in die Krise
geraten sei, in eine Krise, die nicht nur theoretisch, sondern ganz
alltagspragmatisch in die Augen fällt.
Das hohe C – einst Prinzip von Verantwortung und
Verpflichtung einer politischen Ära, die unter der Ägide von Adenauer und Kohl
noch tatsächlich dem Christlichen huldigte, es zum zentralen Agens politischer
Wirksamkeit werden ließ – ist zum bloßen Spielball reiner Verpolitisierung und
zur Selbstinszenierung einer Partei verkommen, die das C als wesensfremd
betrachtet, wenn es um Wählerstimmen und um mögliche Wahlsiege geht.
In Zeiten des anything goes, wo Relativismus, politischer
Mainsream und Lobbyismus regieren, da verkommt das hohe C eben zum hohlen C, da
verliert eine in ihren Grundfesten christlich verankerte, liberale Partei ihren
wertkonservativen Tiefgang und bietet sich frei auf den Markt der Eitelkeiten
an.
Was die CDU in den Augen Lohmanns zuviel hat, so der
kritische Befund, ist Mitte, was ihr fehlt, ein klares Profil in Krisenzeiten,
das für den Publizisten kein anderes sein kann, als eben das christliche Welt-
und Wertebild, das ja nicht nur für die bundesrepublikanische Verfassung
grundlegend gewesen ist, sondern in dem zugleich auch eine Chance steckt, die derzeitigen
Krisen zu meistern.
In der Wiedererweckung des hohen C sieht Lohmann daher die
notwendig gebotene Zeitenwende für eine Partei angebrochen, die ihre eigenen
Wurzeln zusehends verleugnet hat, die sich aber dennoch anschickt, in Zukunft politisch-moralisch
Verantwortung zu übernehmen.
Das C, dies unterstreicht Lohmann immer wieder, bürgt für
Qualität, steht für eine Qualität, die als Erweckungszeichen einer ganzen
Generation nach dem Krieg Triebkräfte verlieh.
Derzeit aber sei vom C in der Berliner Republik selbst
nichts zu spüren, es wird verdrängt, verspielt und letztendlich immer wieder
zum Spielball beim Kampf um politische Mehrheiten. Wo das C stört, wo es
unliebsame Krisen heraufbeschwört, lehnt man es ab, verschleiert es, selbst in
der Union, um bloß nicht die „Diktatur des Relativismus“ zu bedrohen, jene
künstlich aufgerichtete Grenze des Unpolitischen.
Der ausführliche Blick, den der Journalist in die Präambel,
in die Geschichte der CDU und CSU wirft, zeigt das diese Parteien bessere
Zeiten hatte, auch: daß dieses C nie im Sinne eines religiösen Fundamentalismus
verbraucht, sondern lediglich im Sinne einer Politik aus christlicher
Verantwortung gebraucht wurde.
Wer, so Lohmann, das C tilgt, der mißachtet nicht nur die
sozialen Errungenschaften, die Soziallehre, die soziale Marktwirtschaft, die
Freiheit und Eigenverantwortung, sondern der unterstützt auch den um sich
greifenden Wahn des Relativen. Letztendlich widerspricht eine derartige Politik
auch der Sehnsucht vieler Menschen nach Religiosität, dem sich immer tiefer in
der Gesellschaft verankerndem Wunsch nach verbindlichen Werten.
Was sich im Superwahljahr 2009 zeigt, ist ein
säkularisiertes und religionsfreies Land, an dessen Gottesferne die
christlichen Parteien maßgeblich mitverantwortlich sind. Das Christliche
verdunstet in der Warenkette im Supermarkt, verdampft zum bloßen
Lippenbekenntnis. Und so wissen viele in der Union, obwohl die
Grundsatzprogramme eines anderen belehren, kaum angemessen mit dem Begriff des
Christlichen umzugehen.
Wie sehr Tagespolitik und Grundsatzprogramm
auseinanderlaufen, zeigt immer wieder die Willkür der Berliner Republik, die
letztendlich auf Meinungsmache aus ist, die die politisch Schwankenden mit
ihrer Unverbindlichkeit zu gewinnen sucht.
Was aber mit einem derartigen Relativismus erzielt wird, ist
eine politische Unschärfe, die nicht nur die Wähler kritisieren. Denn: „Freiheit,
Menschenbild, Verantwortung, soziale Gerechtigkeit, Werte, Demokratie – sind
das heute (noch) exklusive Bestandteile des Profils einer C-Partei? Wo ist denn
wirklich der Unterschied zur SPD?“ „Irgendwie bleibt der schale Geschmack,
dass das ‚christliche Bild vom Menschen’ halt letztendlich eines von vielen
Angeboten und eine von vielen Sichtweisen im Pluralismus der Wirklichkeiten
ist. […] Das christliche Menschenbild hingegen ist kein Exklusiv-Sonderangebot
von Christen für Christen. Es ist vielmehr eine der menschlichen Natur und
seiner Berufung umfassend gerecht werdende Erkenntnis mit universalem Anspruch.
Wer so seine Wurzeln kappt oder zumindest austrocknen läßt, darf sich übrigens
nicht wundern, wenn in Grundsatzfragen dann konkret Kompromisse ihren Raum
beanspruchen, die es gar nicht geben kann und darf – wie zum Beispiel beim
Lebensrecht. […] Die CDU als eine Partei, die auf die Gretchenfrage ‚Wie hältst
du es mit dem C?’ eher verschwommen und ausweichend antwortet.“
Im Unterschied zur CSU zeigt sich bei der CDU eine gewisse
Ängstlichkeit zu regieren, um ja keinen „vor den Kopf zu stoßen“. Die CDU unter
Merkel bleibt eine ruhig gestellte Partei, ohne Wenn und Aber, ohne
Entweder-Oder. Daraus zieht Lohmann die Konsequenz, daß niemand so sehr für
sich und seine anpassungsfähigen Grundüberzeugungen wie die Bundeskanzlerin selbst
steht. Merkel bleibt die beste „Ich-AG aller Zeiten“, denn mehr als ihre
Vorgänger ist sie selbst die Partei, bei der sich zusehends immer weniger
findet, das auf eine tagesunabhängige Existenz und dem dazugehörenden
Wertekanon deutet. Die abendländisch-christliche Leitkultur, das traditionelle
Bild vom Menschen wird als konservatives und verhängnisvolles Klischeebild
abgeworfen, das Konservativsein zugunsten pluraler Mehrheitsfähigkeit
abgewählt.
Nicht mit diesem zur Seite gelegten Konservativismus aber kann
man die Krise meistern, so Lohmanns feste Überzeugung, sondern nur ein
Bekenntnis zum Konservativsein vermag dem Relativismus in seiner Uferlosigkeit
Einhalt zu gebieten. Wertkonservativ zu sein ist daher für Lohmann keine nach
hinten gewendete Blickrichtung, sondern deutet auf eine Weltoffenheit hin; der
Konservative ist und bleibt keineswegs der bloß Reaktionäre, Persönlichkeiten
wie Adenauer und Erhard zeigten dies deutlich, denn ihre Politik stand für ein
weltoffenes liberal-konservatives Denken und Handeln. „Konservativ – das
bedeutete eigentlich, mit stabilem Fundament keineswegs von gestern zu sein,
sondern selbstbewußt orientiert am Heute handeln zu können. Man wußte als
Konservativer nicht nur was geht und was nicht geht.“
Aber nicht nur das C ist in der Krise, auch das Bild des
Konservativen ist durch die 68er Generation deutlich beschädigt. Am Ende steht
der entmündigte Bürger, dessen Freiheit durch einen strikt verwalteten
Dirigismus eingeschränkt wird. „Statt eines common sense über das, was richtig
und falsch sei, gebe es eine ‚zunehmend repressive neue Toleranz’, die ‚nur
sich selbst kennt’“. Konservative sind, wie Lohmann mit dem Mainzer Historiker
Andreas Rödder unterstreicht: tolerant, besonnen, kämpferisch, letztendlich
pragmatisch und konsequent, denn sie wissen was auf dem Spiel steht, wenn es
auf dem Spiel steht. „’Richtlinie konservativer Politik ist nämlich nicht, ein
theoretisch vorgegebenes Modell durchzusetzen, sondern Bedingungen für ein
gelingendes Leben zu schaffen, dessen konkrete Ausgestaltung in der Hand des
Einzelnen liegt.’ Denn konservatives Denken gehe vom Einzelnen aus, von der
Freiheit und Verantwortung der Bürger. Ein besonnener und fundierter
Konservativismus – Menschen mit einer fundierten Toleranz und der daraus
erwachsenden Vision von Freiheit und Verantwortung - wird gerade heute
gebraucht. Konservative Persönlichkeiten wären so dringend notwendig.“
Kurzum: Fehlt aus Angst vor dem negativ besetzten Bild des
Konservativen und des Konservatismus das Engagement des Einzelnen für die Sache
wird statt Eigenverantwortung, gut stalinistisch, auf die Parteidoktrin in
ihrer Verschwommenheit gesetzt. Das Ergebnis eines derartigen Politisierens ist
nicht das Progressive, sondern das relativ austauschbare politische Gebilde, das
sich in nahezu allen Wahlprogrammen und politischen Reden zeigt. Diese
Standlosigkeit verkommt aber zur politischen Ortlosigkeit, die Aktivität in
politisch blinden Aktionismus, der jetzt nicht nur der Politik schadet, sondern
der bereits der Kunst immer schon geschadet hat. Denn: Wie in der modernen
Kunst auf die Ortlosigkeit die Wesenlosigkeit folgte, so auf den Aktionismus
die Lähmung.
Diesem Prozeß der Lähmung innerhalb der Union entgegenzusteuern,
darauf läuft letztendlich Lohmanns Buch mit hinaus, denn nur in der
tatkräftigen Überwindung dieses blinden Aktionismus kann die CDU „eine neue
Strahlkraft als konservativ-liberale-progressive Partei“ im modernen
Deutschland werden, was auch mit einschließt, daß die Definition des
Konservativismus nicht denen überlassen wird, die damit ein falsches Spiel
treiben.
Wie sehr sich die aktuelle CDU-Politik immer wieder von
ihren eigenen Grundsätzen verabschiedet, verdeutlicht Lohmann anhand
überzeugender Beispiele: Stammzellforschung, verbrauchende Embryonenforschung,
Spätabtreibung, Klonen, Patientenverfügung, Familienpolitik (eigentlich
Frauenerwerbsförderpolitik), Gender-Mainstreaming – bei all diesen Fragen zeigt
sich die Wankelmütigkeit der CDU, widerspricht die Tagespolitik dem
Grundsatzprogramm, gerät die Politik in eine Schieflage, die sogar selbst eine
Ethik des Tötens für eine Ethik des Lebens in Kauf nimmt.
Wird das C derart pervertiert, verliert es jedwede
Glaubhaftigkeit, wird zur bloßen Chimäre. Die Nobilitierung der Gentechnik und
die Reduktion des Menschen auf seine reine Naturgesetzlichkeit sind mit dem
christlichen Menschenbild unvereinbar. Aber auch dann verliert die Union ihre
Glaubwürdigkeit, wenn sie, statt den sozialen Kern der Gesellschaft, die
Familie, zu befördern, den familienpolitischen Gemeinsinn, das christliche
Familienbild verabschiedet. Die süße Diktatur des Relativen bewirkt, gegen die
demographische Vernunft gedacht, das glatte Gegenteil: Kinder bleiben
unerwünscht.
Als ebenso absurd kritisiert Lohmann die Stellung der Union
zum Gender Mainstreaming, die letztendlich auf eine Ideologisierung der
Gleichmacherei und Geschlechtsleugnung hinausläuft. Mit einer derartigen Politik
verleugnet die Union ihr einstiges Ideal eines sich frei entscheidenden
Menschen, ohne zu erkennen, daß Gender ein Totalangriff auf eben diese Freiheit
ist.
Für die neue Unübersichtlichkeit und Unverbindlichkeit innerhalb
des politischen Tuns und Handelns, die sich derzeit in der Union breitmacht, für
dieses Verwässern der Grenzen – dafür ist letztendlich die Bundeskanzlerin
selbst mitverantwortlich, die für alles steht, aber selten für das C. Unter
Merkel ist die CDU der Nach-Adenauer-Zeit zu einer sozialdemokratisierten
Partei mit beliebigen Wertvorstellungen geworden. Dieser Relativismus der
Kanzlerinnenpolitik und die damit einhergehende Auflösung des inneren Kerns des
christlichen Leitbildes, und darin sieht Lohmann letztendlich auch die Gefahr für
die Union, führt zu bösen Häusern. Statt die CDU zu retten, ihr ihre
Strahlkraft wieder zu geben, um die es dem politisch denkenden Publizisten mit
allem Nachdruck geht, steht Merkel letztendlich für den Ausverkauf der Partei.
Dies wird sich letztendlich im Superwahljahr 2009 zeigen. Aber auch die
unverhohlene Papst-Kritik Merkels wird Stimmen kosten, mehr aber die
Unbestimmtheit ihres politischen Denkens, das sie geschickt verbirgt, da sie
als „Gefahrenabwehr in der DDR-Diktatur“ gelernt hat, wie man gerade nicht
zeigt, was man denkt. Deutschlands Kanzlerin bleibt eine taktische Politikerin,
die vom puren Willen zur Macht getrieben wird und bei Bedarf auch ihre
politischen Grundsatzpositionen um 180 Grad dreht.
Lohmann diagnostiziert, daß Angela Merkel nicht nur einen
untrügerischen Instinkt zur Macht hat, den ihre Gegenspieler und ihr
großzügiger Gönner Helmut Kohl hartherzig zu spüren bekamen, sie hat auch einen
Instinkt und die Fähigkeit zum Populären, wenn sie die politische Position
machtpolitisch prüft und auf beeindruckende Weise zum eigenen Vorteil – wie in
der Finanzkrise geschehen – wendet. Was Merkel aber als „ideologiefreier“
Wissenschaftlerin und als „gelernter“ Christdemokratin fehlt, sind die
traditionellen Werte. Sie ist eben keine Repräsentantin liberaler,
christlich-sozialer und konservativer Werte, sondern ist durch ihre
Ideologielosigkeit gekennzeichnet, was schließlich darauf hinauslaufen wird,
daß das Karrieremodell dieser Kanzlerin letztendlich das Profil der CDU
schlucken wird.
Merkel ist – und dafür ist ihre DDR-Vergangenheit mitverantwortlich
und ausschlaggebend – keine Kanzlerin der Freiheit und der Sicherheit, sondern
lediglich eine Machtpolitikerin der Sicherheit und der Gleichheit. Was ihr
fehlt, ist der Wille zur Freiheit. Aber diese im christlichen Menschenbild
geforderte und diesem zugrundegelegte Freiheit hat die Parteifunktionärin aus
dem Kontrollstaat DDR nicht mit in die Bundesrepublik übernommen – bei ihr
regiert die blasse, aber wirkungsvolle „Anpassungsintelligenz“. „Liberal und
konservativ und christlich sozial – das macht die Einzigartigkeit der Union
aus.“ Wer wie Merkel bekennt, mal liberal, mal christlich sozial, mal
konservativ zu sein, „wer also an der Spitze meint, aus dem Und ein Oder machen
zu können, verrät nicht nur etwas über die eigene Wandlungsfähigkeit im Umgang
mit Teilprofilen, sondern offenbart auch machtvolle Defizite im
Kern-Verständnis der eigenen Partei.“ So wird Merkels Führungsstil und ihr
politisches Changieren, prophezeit Lohmann, zur Gretchenfrage der Union und deren
Zukunft.
Kurzum: Aber selbst wenn im September, wie aller Voraussicht
nach, die Union wieder gewinnt, bleibt Lohmanns Buch ein wichtiges Zeitzeugnis,
das gerade in den unionsinternen Kreisen gelesen werden sollte, denn das
Wahlvolk sucht wieder nach den sinngebenden Prämissen einer Wertegemeinschaft, die
im Zeitalter der neuen Unübersichtlichkeit verschüttet wurden. Auf dem Weg zu
dieser geistigen Neuorientierung wird das christliche Menschenbild weiterhin maßgebend
bleiben. Wer letztendlich seine Ideale verkauft, um wahlpolitisch zu punkten,
dem werden in nächster Zeit die getreuen Wähler abhanden kommen. Ein Dilemma,
das Lohmann der Union, bei aller Kritik, nicht wünscht.
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