Erschienen in Ausgabe: No 44 (10/2009) | Letzte Änderung: 13.08.09 |
Alois Schifferle, Die Pius-Brüderschaft, Informationen – Positionen – Perspektiven, Butzon & Bercker GmbH, Kevelaer 2009, ISBN: 978-3-7666-1281-6, Preis: 29.90 Euro - Eckhard Nordhofen (Hg.), Tridentinische Messe – ein Streitfall, Butzon & Bercker GmbH, Kevelaer 2009, 2. Auflage, ISBN: 978-3-7666-1305-9, Preis: 14,90 Euro
von Stefan Groß
Wie sehr der Fall der Pius-Brüderschaft nicht nur zu innerkirchlichen
Anfeindungen führte, sondern mit der Kritik der Bundeskanzlerin an Papst
Benedikt XVI. auch zu politischen, ist allerorten gegenwärtig. Eine ganze
Bibliothek läßt sich mit zu diesem Thema kontrovers und hitzig geführten Debatten
und Publikationen mittlerweile füllen.
Gleich mit zwei Neuerscheinungen, genauer: mit einer neuen
und einer zweiten und neu eingeleiteten Auflage, wartet der Verlag Butzon und
Bercker zum Thema Pius-Brüderschaft und Liturgiereform auf. Da ist zum einen
die wissenschaftlich fundierte Auseinandersetzung mit der Brüderschaft um
Erzbischof Lefebvre, die von Alois Schifferle, Professor für Pastoraltheologie
an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt, jetzt vorliegt,
andererseits der höchst kenntnisreich eingeleitete Band zur Liturgiereform von
Eckhard Nordhofen, Professor für theologische Ästhetik und Bildtheorie an der
Justus-Liebig-Universität Gießen.
In seiner glänzenden Studie zeichnet Alois Schifferle, der
über Marcel Lefebvre promoviert wurde, nicht nur dessen Vita nach, analysiert Lefebvres
Verständnis von christlicher Religion, referiert die „Ansichten“ des
exkommunizierten Erzbischofs über Liberalismus, Modernismus und
Protestantismus, sondern gibt auch profunde Einblicke in die Liturgiereform des
Zweiten Vatikanischen Konzils sowie in das Liturgieverständnis des ehemaligen
Präfekten der Glaubenskongregation, Josef Kardinal Ratzinger, dem jetzigen Benedikt
XVI.
Für alle Interessierten kommt damit ein Standardwerk zu
dieser Thematik auf den Buchmarkt, das einen glänzenden Einblick für diejenigen
bietet, die sich fundiert über die Pius-Brüder in Kenntnis setzen wollen.
Schifferle analysiert nicht nur die theologischen Positionen der Gemeinschaft,
die an den Grundfesten des Konzils von Trient festhält, er erklärt ebenso den
innerkirchlichen Konflikt und zeichnet die Entwicklung der traditionalistischen
Bewegung bis zu den jüngsten Ereignissen nach. Dabei rekonstruiert er an
zentralen Themen – Kirchenbild, Verständnis von Tradition, Einstellung zur
Religionsfreiheit, Verhältnis zu anderen Religionen und christlichen Kirchen –
die Hintergründe des aktuellen Streites, ergänzt diese durch eine Vielzahl von
Originaldokumenten, die es dem Leser erlauben, sich ein eindrucksvolles Urteil
über die derzeitige Streitsache Nummer eins in der katholischen Kirche zu
bilden.[1]
Darüber hinaus erfreut auch das neuaufgelegte Buch
„Tridentinische Messe – ein Streitfall, Reaktionen auf das Motu prorio
‚Summorum Pontificum’ Benedikts XVI.“, das sich nunmehr dem eigentlichen
Streitfall, der Tridentinischen Messe, zuwendet und diese aus dem Blickwinkel des
akademischen Diskurses beleuchtet. „Tridentinische Messe“ bündelt ein Streitgespräch
über die Liturgiereform, das aus einer Podiumsdiskussion im Frankfurter Haus am
Dom, am 20. August 2007, hervorgegangen ist. Dieses Streitgespräch ist
letztendlich auch eines, das sich vor dem Hintergrund der Thematik des Profanen
und des Sakralen lesen läßt. Gesprächspartner waren der renommierte Philosoph
Robert Spaemann, dessen letzte Publikationen „Der letzte Gottesbeweis“ und „Das
unsterbliche Gerücht“ für Aufsehen sorgten, der Büchner-Preisträger Martin
Mosebach, der mit seinem Buch „Häresie der Formlosigkeit, Die römische Liturgie
und ihr Feind“ die Diskussion über die Liturgiereform des Zweiten Vaticanums
entzündete, als auch der katholische Kirchenhistoriker Arnold Angenendt und der
Liturgiewissenschaftler Albert Gerhards. Moderiert wurde die Frankfurter
Podiumsdiskussion vom katholischen Theologen und Lehmann-Biographen Daniel
Deckers. Obgleich alle Diskurs-Partner sich zur katholischen Kirche bekennen,
entbrannte über die Liturgiereform alten oder neuen Stils eine heftige Kontroverse,
die im Buch festgehalten wurde.
Daß Benedikt XVI. mit seiner Rehabilitierung des alten Ritus
nicht nur Reformtheologen wie Hans Küng, der sich als damals junger Theologe
für das Zweite Vaticanum verantwortlich zeigte, sondern auch „gestandene“
Theologen und Liturgiewissenschaftler erneut herausforderte, zeigte sich in
aller Deutlichkeit in der Dramatik des Streitgespräches.
So spricht sich der Kirchenhistoriker Angenendt dagegen aus,
für den Kampf um die Liturgie den Seelenfrieden in der Kirche aufs Spiel setzen
zu wollen. Argumentationslogisch folgt er dabei der Devise, daß das, was
historisch gewachsen sei auch wieder verändert werden kann. Gerade das
dialogische Prinzip des neuen Ritus sei es, das der heutigen Zeit angemessener
ist, was sich deutlich darin zum Ausdruck bringt, daß nunmehr in der
Muttersprache gebetet wird, die für mehr Authentizität und Unmittelbarkeit
steht. Angenendt argumentiert daher nicht nur gegen die enthobene Zeitlosigkeit
des Ritus, sondern letztendlich auch gegen eine Überbeanspruchung der Liturgie,
ihrem überzogenen Stellenwert im Gefüge der Religion, gegen die Verdinglichung
des Göttlichen. Aus dem ersten Christengebot leitet Angenendt dann seinen
Grundsatz gegen eine Sakralsprache im Christentum ab, der darin kulminiert, daß
Gott zwar in der Muttersprache auch nicht unbedingt besser zu verstehen sei,
jedoch gelinge durch die Muttersprache der intensivere und letztendlich innigere
Zugang zum Göttlichen im persönlichen Gebet, auf das der Gläubige als seine
spezifische Form zurückgreife, um seine Herzensangelegenheit in aller
Deutlichkeit zu veranschaulichen. Kurzum: Zur Wesenhaftigkeit des Ritus gehört
ebenfalls seine Genese, seine Veränderung. Eine Sakralsprache paßt nicht mehr
ins 21. Jahrhundert, denn auf eine mystische Sprache zu rekrutieren, die man
selbst nicht versteht, dies widerspricht jeder religiösen Logik. Der Sinn des
Christentums liegt ja im Verstehbarwerden und Verstehbarmachen des Glaubens und
soll sich nicht im gebetsmühlenhaften Formelritus erschöpfen – das Gebet bleibt
der persönliche und nicht zu vermittelnde Zugang zum Göttlichen.
Demgegenüber unterstreicht Martin Mosebach den
„außergewöhnlichen Ritus“, den er der anarchischen Idee der Formlosigkeit, dem
„Freestyle Katholizismus“ gegenüberstellt. Mosebach tritt nicht nur vehement
für den alten Ritus ein, sondern beschwört dessen ästhetische Schönheit und
Zeitlosigkeit, verwehrt sich gegen die schon von Kardinal Ratzinger kritisierte
„Bastelei“ innerhalb der Liturgie, den Verselbständigungseffekt der Liturgiereform,
der einem – ebenfalls von Benedikt XVI. kritisierten – Kreativitätsschub die
Tore öffnet. Die Sehnsucht nach dem alten Stil ist für ihn die berechtigte
Sehnsucht nach einer Theologie und Liturgie, die sich von aller Banalität
verabschiedet, die das Absolute oder Göttliche dort abholt, wo sich dieses
ereignet, in der Feier der Eucharistie. Auch unterstreicht Mosebach, daß der
Trend zur Banalisierung des unendlich Erhabenen und Jenseitigen, dies geschieht
übereinstimmend mit Benedikt XVI., vielerorts durch das neue Missale geradezu
als eine Ermächtigung „oder gar als Verpflichtung zur ‚Kreativität, aufgefaßt“
wird […], die oft zu kaum erträglichen Entstellungen der Liturgie führte“. Für
Mosebach bleibt die Liturgie nur als formelhaftes Ereignis denkbar, Ausdruck
übersubjektiven Geschehens, in dem sich das Göttliche dem Ich mitteilt, das
seinerseits daran festhalten kann, daß „ich den Ritus als etwas von mir nicht
Beeinflußtes, von mir nicht Gemachtes“ erlebe.
Diese Auffassung teilt auch Robert Spaemann, der mit
Mosebach an der Zeitlosigkeit des ästhetischen Ereignisses festhält. Für den
Philosophen steht dann auch ganz klar fest, daß nicht derjenige in die
Begründungspflicht gestellt ist, der am traditionellen Ritus festhält, sondern derjenige,
der diesen erneuern will. Ungeachtet dieser Begründungspflicht aber hat der
neue Ritus die Säkularisierung auch nicht abgewendet, die neue Liturgie
keineswegs, wie einst erhofft, die Leerung der Kirchen verhindern können. Zwar
hält auch Spaemann das Nebeneinanderstehen der beiden Liturgien für nicht
ideal, aber er sieht in der vollen Anerkennung des alten Ritus eine wirkliche
Rückkehr der Kirche zur Normalität. Während der alte Ritus einem Schatz
gleichkommt, hatte die neue Liturgie nur Freiräume eröffnet, die selbst wiederum
auf dogmatische und fanatische Weise neu besetzt wurden, die aber für die
Authentizität des religiösen Erlebens völlig sekundär bleiben.
In eine ganz andere Richtung geht die Argumentation von
Albert Gerhards, der stark bezweifelt, daß es durch die Wiederzulassung des
alten Ritus zu einer tieferen Verinnerlichung und Anbetung des Heiligen kommt.
Auch verwehrt er sich rigoros dagegen, die Liturgiereform als Verrat an den
Ideen des Zweiten Vaticanums zu sehen. Immer wieder unterstreicht Gerhards, der
sich bereits frühzeitig gegen eine völlige Freigabe des alten Ritus
ausgesprochen hat, daß das zweite Vatikanische Konzil keineswegs mit der
gesamten Tradition der abendländischen Kirche gebrochen habe, vielmehr sei die
neu Liturgiereform konform zum Konzil; eine Verklärung oder Glorifizierung
„vorkonziliarer Zustände“ à la Spaemann und Mosebach lehnt er daher ab.
Kurzum: Für den interessierten Leser versammelt der kleine
Band auf höchst eindrucksvolle Weise die unterschiedlichen Reaktionen auf die
Rehabilitierung der alten Liturgiereform. Er ist ein ausgezeichnetes Beispiel
für die kultivierte Streitkultur innerhalb der katholischen Kirche. Wer dieser
vorwirft, daß sie nur univok spreche, daß sie den Geist der Kritik zugunsten
der päpstlichen Autorität eingetauscht hat, muß sich hier eines Besseren
belehren lassen.
Zum Hintergrund:
Papst Benedikt XVI., für den die Liturgie der Kirche auch im
Zentrum seines theologischen Denkens steht, rehabilitierte 2007 mit der
Veröffentlichung seines Motu proprio „Summorum Pontificum“ die lateinische
Messe nach Tridentinischem Ritus. Für viele bedeutete diese Rehabilitierung,
die lateinische Messe war nie verboten, nur ihr „Gebrauch“ eingeschränkt, ein
klerikales Abgleiten in die Vorzeit des Mittelalters, ein Schlag ins Gesicht
der liberal-aufgeklärten Theologie, die mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil
endlich den Zeitpunkt sah, wo die katholische Kirche aus ihrem dogmatischen
Schlummer erweckt wurde. Für andere, so auch für die Lefebvre-Bruderschaft, war
die unter Johannes XXIII. beginnende und durch Paul VI. verwirklichte
Liturgiereform jene Häresie der Formlosigkeit, die mit der Tradition der
Christenheit und mit der bis dato unangefochtenen lateinischen Kirchensprache
brach.
Mit seiner Schrift „Summorum Pontificum“ wollte Benedikt
XVI. eben jene Kluft schließen, die zwischen den Verfechtern der alten und der
neuen Liturgie nicht nur Priester, Bischöfe, sondern auch die Gläubigen in zwei
Lager spaltete. „Summorum Pontificum“ stand und steht als Versöhnungsangebot für
eine Kirche, die in Zeiten der Krise, ihr Fundament zu bewahren sucht und damit
auch ihre Legitimation. Im Begleitbrief zum Motu proprio, der sich ebenfalls im
Buch findet, unterstreicht der Pontifex mit aller Nachdrücklichkeit, daß die
„Wiederzulassung“ des alten Ritus die Bedeutung des Konzils und der Liturgiereform
keineswegs verletzt, denn diese „Befürchtung ist unbegründet“. Der alte Ritus sei
als Forma extraordinaria neben dem von Papst Paul VI. veröffentlichten und dann
in zwei weiteren Auflagen von Johannes Paul II. neu herausgegebenen Missale die
normale Form – die Forma ordinaria. In diesem Zusammenhang sei es auch mißverständlich
von zwei Riten zu sprechen, es handelt sich vielmehr „um einen zweifachen Usus
ein und desselben Ritus“.
[1] Eine ausführliche
Besprechung dieses Buches folgt.
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