Erschienen in Ausgabe: No. 35 (1/2009) | Letzte Änderung: 19.01.09 |
von Michael Lausberg
1. Einleitung
Samuel von Pufendorf war der führende Staatstheoretiker im Deutschland des
aufgeklärten Absolutismus. Neben staats- und völkerrechtlichen Schriften
verfasste er als Historiograph für die Regenten von Brandenburg und Schweden geschichtliche
Werke. Seine Schriften zum Vernunftsrecht haben darüber hinaus zu einem Teil
rechtsphilosophischen Charakter. Pufendorfs staatstheoretische Vorstellungen
behielten bis zum Auftreten Kants in der deutschen Aufklärung hegemonialen
Charakter.
In der Arbeit werden zunächst das Leben und die entscheidenden Werke
Pufendorfs näher untersucht. Dann werden die Grundpfeiler seiner politischen
Anthropologie vorgestellt. Die Auseinandersetzung mit seiner Staatslehre, die
durch die Begriffe des Humanen und Pragmatischen geprägt wurden, ist
Gegenstand des folgenden Kapitels. In der Schlussbemerkung wird eine
Zusammenfassung und Bewertung der Untersuchungsergebnisse durchgeführt.
2. Pufendorf - Repräsentant des Absolutismus
Samuel Pufendorf (1632-1694) war einer der klassischen Repräsentanten des
Zeitalters der absoluten Monarchie (1). Dem
besitzlosen, politisch bedeutungslosen Bürgertum entstammend, stieg er im
Fürstendienst auf und erreichte mit der Erhebung zum Freiherrn durch den
schwedischen König den Übergang in den Adelsstand. Damit eröffnete sich ihm der
Zugang zu einer politisch absteigenden, aber im Dienst der absoluten Monarchie
privilegierten Gesellschaftsschicht. Durch Karrieren dieser Art hat sich die
absolute Monarchie in Europa die Dienste einer aufsteigenden
Gesellschaftsgruppe gesichert, den Widerstand der begabtesten Menschen
innerhalb des Bürgertums ausgeschaltet und fortschrittliches Denken den eigenen
Absichten dienstbar gemacht.
Nach einem nicht abgeschlossenen Studium der protestantischen Theologie in
Leipzig studierte Pufendorf in Jena Philosophie, Rechts- und
Staatswissenschaften. Entscheidend wurde für ihn und sein Denken in Jena die
Begegnung mit Erhard Weigel, der Naturrecht und Mathematik lehrte. Weigel
erweckte in ihm das Interesse am Denken nach dem Vorbild der Mathematik. Als
Hauslehrer im Dienst des schwedischen Gesandten Coyet in Kopenhagen, kam er bei
Ausbruch des Krieges zwischen Dänemark und Schweden im Jahre 1658 in Gefangenschaft.
In dieser Zeit verfasste er die im Jahre 1660 veröffentlichten „Grundlagen
der allgemeinen Rechtslehre“ (Elementorum Jurisprudentiae Universalis Libri
Duo). Das Werk war methodisch dem Mentor Weigel verpflichtet und beruhte
gedanklich auf Hugo Grotius. Pufendorf hatte es dem Kurfürsten Karl Ludwig von
der Pfalz gewidmet, der ihn im Jahre 1661 an die Universität Heidelberg berief.
Dort veröffentlichte er im Jahre 1664 unter dem Pseudonym Severinus de
Monzambano die Schrift „Staatsverfassung des Deutschen Reiches“ (De Statu
Imperii Germanici). Sie erregte großes Aufsehen; in ihr fand sich in der ersten
Auflage der Vergleich des Deutschen Reiches mit einem Monstrum. Das Wort vom
Monstrum ist häufig nachgeredet worden; aber meist wohl ohne Einsicht in die
Staatslehre Pufendorfs, auf der dieser Ausdruck beruhte. Denn für ihn war, wie
für Jean Bodin (2) und
Thomas Hobbes (3), Staat nur der souveräne Staat, dessen Kennzeichen die ungeteilte und uneingeschränkte
Staatsgewalt war, in der Hand eines einzelnen oder einer Gruppe von Regenten.
Der Gedanke an den Bundesstaat als Staatsform lag ihm daher fern, obwohl das
Deutsche Reich sich mit diesem Begriff hätte definieren lassen.
Im Jahre 1670 nahm Pufendorf den Ruf an die schwedische Universität Lund
an. Dort erschien zwei Jahre später sein Hauptwerk „Natur- und Völkerrecht“ (De
Jure Naturae et Gentium). Im Jahre 1673 veröffentlichte er einen Auszug daraus
unter dem Titel „Die Pflicht des Menschen und Bürgers“ (De Officio Hominis et
Civis iuxta Legem Naturalem). Beide Bücher hatten große Resonanz und wurden
bald in mehrere Sprachen übersetzt. Im Jahre 1677 wurde er zum schwedischen
Historiographen ernannt. Dort setzte sich Pufendorf für religiöse Toleranz
sowie für die wissenschaftliche Trennung von Theologie und Philosophie ein, was
zu zahlreichen Anfeindungen auf seine Person führte. Aus diesem Grund wechselte
er im Jahre 1688 nach Berlin an den brandenburgischen Hof, wo er die Aufgabe
des Historiographen ausfüllte und Geheimer Rat wurde.
Insgesamt hat er für Schweden und Brandenburg Geschichtswerke geliefert, in
denen sich die persönliche Zurückhaltung des Autors mit großer Sorgfalt im
archivarischen Bereich verband. Zugleich wurde dabei das politische Interesse
der Auftraggeber erfüllt; denn Pufendorf orientierte sich seiner politischen
Theorie entsprechend an der Räson des Staates, in dessen Auftrag er schrieb.
Die Schriften Pufendorfs zeugen von seiner eingehenden Kenntnis der
traditionellen politischen Theologie und Philosophie; aber er war ein Autor,
der diese Ideen an die Interessen des souveränen Territorialstaats angepasst
hat, dessen Politik er durch seine Theorie legitimiert hat.(4)
3. Politische Anthropologie
Pufendorf hat seine politische Anthropologie zwar an Grotius (5) und
Hobbes orientiert; folgt ihnen jedoch nicht ohne Vorbehalt. Er erkannte keinen
Grundtrieb des Menschen zur Gesellung (appetitus socialis) an; wohl aber erklärte
er das Zusammenleben in der Gesellschaft (socialitas) zur Grundtatsache des
Menschseins. (6) Es
war die Antwort darauf, dass der Mensch, verglichen mit den Tieren, ein Wesen
der Schwäche (imbecillitas) war, dem Mängel anhafteten: (7)
„(…) Doch dieses für Seinesgleichen so nutzbringende
Lebewesen krankt nicht an wenigen Fehlern, und es ist mit nicht geringerer
Fähigkeit ausgestattet, Schaden zuzufügen. Das macht die Verbindung mit ihm
recht zwiespältig und nötigt zu großer Vorsicht, damit man nicht anstatt des
Guten Böses einhandelt. Vor allem trifft man im Menschen eine größere Neigung
zum Schädigen anderer an als bei irgendeinem Tier. Denn die Tiere treibt fast
nur das Verlangen nach Nahrung und Paarung an, das sich leicht befriedigen
läßt. Ist das Verlangen befriedigt, lassen sie sich nicht blindlings zu
Wutausbrüchen reizen oder dazu, andere zu verletzen, es sei denn man stachelt
sie an. Der Mensch ist jedoch ein Lebewesen, das immer zur Begierde fähig ist;
und er wird von ihr mehr getrieben, als zur Erhaltung der Art notwendig
erscheint. Sein Hunger will nicht nur gesättigt sein, sondern er verlangt auch
nach dem Gaumenkitzel. Und oft verlangt er mehr als die Natur verträgt. Die
Natur hat vorgesorgt, so daß die Tiere keine Kleidung brauchen. Dem Menschen
macht es jedoch nicht nur Freude, sich aus Notwendigkeit zu bekleiden, sondern
auch um der Schaustellung willen. Zudem findet man bei dem Menschengeschlecht
viele Gefühle und Wünsche, die den Tieren unbekannt sind: Das Verlangen nach
Überfluß, Geiz, Ruhmbegierde und Geltungssucht, Neid, Eifersucht und den
Streit der Geister. Anzeichen dessen ist die Tatsache, daß die meisten Kriege,
in denen das Menschengeschlecht sich bekämpft hat, aus Gründen geführt worden
sind, die den Tieren unbekannt sind.“
Das Zusammenleben der Menschen in der Gesellschaft war lauf Pufendorf der
einzige Weg, der natürlichen Gefährdung zu entgehen und das Menschsein zu
verwirklichen: (8)
"(…) Die stärkste Kraft aber, sich gegenseitig zu schädigen,
wohnt dem Menschen selbst inne. Denn wenn sie auch nicht durch Zähne, Klauen
oder Hörner, wie viele Tiere furchterregend sind, so besitzen sie die
Fähigkeit, die Hände zum wirksamsten Werkzeug zu machen, um anderen Schaden
zuzufügen. Und die Erfindungsgabe seines Geistes gibt ihm die Möglichkeit, mit List
und Tücke anzugreifen, wo er im offenen Kampf nicht zum Ziel kommt. So ist es
die leichteste Sache von der Welt, daß der Mensch dem Menschen das schwerste
Übel in der Natur, den Tod, zufügt.“
Der Gedanke, den Menschen als ein Wesen zu verstehen, das, seiner natürlichen
Bedürftigkeit wegen, auf die mitmenschlichen Beziehungen angewiesen ist,
entstammte der antiken und mittelalterlichen politischen Theorie. Pufendorf
übernahm ihn nicht einfach, sondern machte ihn zum Ausgangspunkt seiner
politischen Anthropologie. Dies war um so bedeutsamer, als er zugleich auch die
Geltung der sozialen und politischen Gebote und Gesetze aus dem menschlichen Zusammenleben
ableitete, wie er es deutete: (9)
„(…) So ist der Mensch ein Lebewesen, das sehr um seine
Selbsterhaltung bemüht ist, für sich allein schwach, unfähig, sich ohne die
Hilfe von Seinesgleichen zu erhalten, zu gegenseitiger Hilfeleistung aufs
höchste befähigt. Er ist jedoch daneben bösartig, anmaßend, leicht erregbar,
ebenso bereit wie imstande, anderen Schaden zuzufügen. Daraus ergibt sich: will
er heil bleiben, so muß er mit anderen gesellig zusammenleben. Also: sich mit
Seinesgleichen verbinden und sich ihnen gegenüber so verhalten, daß sie keinen
berechtigten Grund haben, ihn zu verletzen, sondern eher seinen Vorteil wahren
und fördern wollen.“
Gemäß Pufendorf hat Gott dem Menschen seine Natur und zugleich die Mittel
und Wege gegeben, ihr gerecht zu werden. (10) DieVernunft ermöglicht es dem Menschen, das Ziel zu erkennen und die Mittel zu
finden, es zu erreichen. Wer diese Aufgabe auf sich nahm, erfüllte darum
zugleich den Willen Gottes und die Gesetze der Natur, die Gott geschaffen
hatte. Das Naturrecht war für Pufendorf der Name, der den Bereich dieser
Naturgesetze bezeichnete. (11)
Pufendorf stand auch darin in der europäischen Tradition, dass er dem
Menschsein eigene Würde zusprach (humanae naturae dignitas et praestantia qua
ceteras animantes eminet). Ein Kennzeichen seines Denkens war dabei die
Verknüpfung des Humanen mit dem Pragmatischen. Er betonte, dass die Gebote und
Gesetze des menschlichen Zusammenlebens zu erfüllen, der Menschenwürde und dem
Menschsein selbst angemessen und für die Menschen zugleich von größtem Nutzen
war. (12)
4. Die Staatslehre Pufendorfs
In der Staatslehre Pufendorf druchdringen sich das Humane und das
Pragmatische. (13). Die höchste Staatsgewalt (summum imperium) und mit ihr der Staat entstand in
ausdrücklicher oder stillschweigender Vereinbarung, wenn eine große Gruppe von
Menschen sich für den Einsatz ihrer Kräfte einem Einzelnen oder einem Gremium
unterstellten. Mit dieser Übertragung war die Bereitschaft verbunden, sich zu
unterwerfen und auf Widerstand zu verzichten (obligatio non resistendi). Das
Ziel der Staatsbildung war es, die Kräfte der Einzelnen zu vervielfachen zur
Abwehr äußerer oder innerer Gefahren.
Pufendorf sprach sich zwar für den absoluten Staat aus, aber er lehnte seine
Legitimierung durch die politische Theologie des göttlichen Königtums ab. Die
sakrale Legitimierung des Monarchen, etwa mit Hinweis auf königliche Heilwunder
oder unter Berufung auf die jüdischen Könige, wies er mit Nachdruck zurück.
Den Gedanken, das Königtum zu verstehen als Teilhabe an der göttlichen
Schöpfermacht, bezeichnete er als absurd und blasphemisch. Er selbst ging von
einem Gedanken aus, den schon Franz Suárez (14), dessen naturrechtlichen Schriften bis weit in das 18. Jahrhundert sowohl im
katholischen wie auch protestantischen Europa rezipiert wurden, dem Anspruch
Jakobs I. entgegengehalten hatte: Der Staat und die Staatsgründung war für ihn
eine Menschenleistung. Da für ihn die Staatsgründung zusammenfiel mit dem
Schaffen einer höchsten Staatsgewalt, war die Staatsgewalt und nicht die
Staatsform das Kennzeichen rechtmäßiger Staatlichkeit. Da die Menschheit Ruhe,
Frieden und Sicherheit laut Pufendorf ohne Staaten, die mit höchster
Staatsgewalt ausgestattet waren, nicht finden könnte, wären sie als Tatsachen
anzusehen, die dem Naturrecht (ius naturale) entsprachen, in dem sich der der
Wille des göttlichen Schöpfers (divina voluntas) manifestierte.
Wer also, dem Gebot der Vernunft (dictamen rationis) folgend, Staat und
Staatsgewalt bejahte, erfüllte den Willen Gottes und erlangte durch seinen
Gehorsam gegen das Naturrecht Ordnung und Frieden: (15)
„Die gesunde Vernunft sagt, dass es eine außer allem Zweifel
liegende Tatsache ist, dass nach der Vermehrung des Menschengeschlechts
Ordnung, Frieden und Sicherheit nicht bestehen können, es sei denn man gründet
Staaten, die ohne die höchste Staatsgewalt nicht denkbar sind. Daher ist dafür
zu halten, dass die Staaten und die höchste Staatsgewalt von Gott herkommen als
dem Urheber des Gesetzes der Natur. Denn es stammt von Gott nicht allein das,
was er selbst unmittelbar und ohne jede Mitwirkung menschlichen Tuns hervorgebracht
hat; sondern auch, was Menschen unter der Leitung der gesunden Vernunft nach
der Lage von Zeit und Ort als zu erfüllende Verpflichtung auf sich genommen
haben, ist ihnen von Gott aufgetragen. Und da bei einer großen Menschengruppe
das natürliche Gesetz nicht wirksam gemacht werden kann ohne Staatsgewalt, ist
offenbar, dass Gott, der den Menschen das Naturgesetz auferlegt hat, auch
vorschreibt, Staaten zu gründen, damit sie als Mittel dienen, das Naturgesetz
zu verwirklichen. Daher billigt Gott auch in der Heiligen Schrift diese Gewalt
ausdrücklich und erklärt sie zu der seinen und sichert ihre Heiligung und
Anerkennung mit den strengsten Gesetzen.“
Es fallen also zusammen: Der Wille Gottes und das Gebot der Vernunft, das
Naturrecht und menschliche Daseinsfürsorge. Zu dieser Staatslehre gehört, dass
Pufendorf den Untertanen kein Widerstandsrecht zubilligte: (16)
"Da die höchste Staatsgewalt zum Schutz des Menschengeschlechts
und zur Beendigung der Bedrängnisse des Naturzustandes eingerichtet worden
ist, ist es für das Menschengeschlecht von größter Bedeutung, dass sie von
allen für heilig und unverletzlich gehalten wird. Und kein vernünftiger Mensch
wird Zweifel hegen, dass es Unrecht ist, sich einer Regierung zu widersetzen,
solange sie sich in den Grenzen ihrer Gewalt hält. Es geht aus dem Zweck und
dem Wesen der Staatsgewalt klar hervor, dass mit ihr notwendigerweise die
Verpflichtung verbunden ist, sich nicht zu widersetzen; das heißt: ohne
Widerstreben zu gehorchen, indem man das tut oder unterlässt, was von ihr
verordnet ist.“
Pufendorf sprach dem Staat, der über höchste Staatsgewalt verfügte, die
höchste Freiheit (summa libertas) zu. Die Staatsregierung handelte darum ganz
aus eigener Entscheidung; sie war niemand Rechenschaft schuldig und jeder
menschlichen Gesetzlichkeit enthoben. Ihre Richtlinien hatte sie nicht in
festen gesetzlichen Regelungen, sondern sie entschied jeweils nach der Lage
der Dinge. Pufendorf empfahl zwar, es sollten für die Ausübung der
Befehlsgewalt und für die Unterwerfung der Untertanen Regelungen getroffen
werden, die dem Naturrecht und dem rechtmäßigen Zweck der Staaten entsprachen.
Naturrechtlicher Zweck der Staaten aber war ihre Sicherheit, uns so wurde
dieses Ziel als naturrechtliche Norm zum allgemeinen Gesetz erhoben. Es galt
die Formel: Das Wohl des Volkes sollte oberstes Gesetz sein (salus populi
suprema lex esto). Volk war für Pufendorf der souveräne Staat, dessen
Untertanen ihre natürliche Freiheit ohne Vorbehalt an die Staatsgewalt
abgetreten haben, so dass deren Inhabern überlassen war, darüber zu befinden,
was jeweils im Staatsinteresse lag.
Kam es zum Konflikt zwischen der Regierung und den Untertanen, dann empfahl
Pufendorf den Untertanen in allen Fällen die Unterwerfung als das
Zweckdienliche (17). Das galt für den Einzelnen wie für Gruppen. War die Lage unerträglich, riet er
zur Flucht ins Ausland. (18)
„Da es mit der Beschaffenheit des Menschen so bestellt ist,
dass man nicht jeder Unannehmlichkeit entgehen kann und kein Mensch von so
gelassenem Wesen ist, dass er allen ohne Vorbehalt genugtun kann, ist es wohl
töricht und anmaßend wegen etwelcher Fehler gegen einen Fürsten in den
Widerstand zu treten. Zumal wir unsere Pflichten gegen ihn auch nicht so genau
nehmen, und auch bei Privatpersonen die Gesetze kleinere Vergehen nicht ahnden.
Um so mehr ist es billig, kleine Verstöße des Fürsten zu verzeihen, dessen
Sorge ganz gerichtet ist auf die Ruhe der Bürger und auf die Sicherheit von
Vermögen und Leben der Bürger. Zumal die Erfahrung gemacht wird, wie groß der
Schaden ist für die Bürger und die Unordnung für den Staat, den es mit sich
bringt, wenn der schlechteste Fürst abgesetzt wird. (…) Doch auch das ist
gewiß: es ist besser, auch wenn der Fürst feindselig das schlimmste Unrecht
vorhat, auszuwandern oder sich durch Flucht zu retten und sich unter den Schutz
eines andern zu begeben.“
Wäre der Ausweg der Flucht ins Ausland verwehrt, dann hielt Pufendorf es,
nicht um der Person des Fürsten willen, sondern damit für den Staat Schlimmeres
verhütet wurde, für besser, zu sterben als zu töten: (19)
„Und bietet sich keine Gelegenheit zur Flucht, dann ist es
besser, zu sterben als zu töten. Nicht so sehr wegen der Person des Fürsten als
wegen des ganzen Gemeinwesens, das in solchem Fall zumeist in schwere
Bedrängnisse gebracht wird.“
Auf dieser Linie lag es, wenn Pufendorf im Falle der Vertreibung eines
Fürsten, dem neuen Machthaber gegenüber Anpassung und Abwarten empfahl. Denn der
vertriebene Herrscher war nicht mehr imstande, die ihm naturrechtlich
aufgegebene Schutzpflicht gegen seine Untertanen zu erfüllen. Damit war die
einstige Vereinbarung hinfällig, die die Untertanen zum Gehorsam verpflichtete;
wie für Pufendorf jeder politische Pakt unverbindlich wurde, wenn er den
Interessen nicht mehr entsprach. Außerdem war Pufendorf der Ansicht, dass es
nicht einzusehen sei, warum der Gehorsam gegen den neuen Machthaber sich
nicht als äußere Verpflichtung (obligatio externa) verstehen ließe, die das
Gewissen der Untertanen nicht belastete.
5. Fazit
Pufendorf sah den Menschen so sehr als animal sociale in der historischen
Gestalt des dienstwilligen und leistungsfähigen Untertanen im absoluten Staat,
dass ihm der Gedanke fern lag, die von ihm jedem Menschen zugeschriebene
natürliche Freiheit und Gleichheit könnte auch dem Politischen gegenüber
bestehen und einen Rechtsanspruch begründen. Die große Wirkung seines Denkens
beruhte vor allem auf der rationalen Demonstration, mit der Humanes und
Pragmatisches verknüpft wurde mit dem Prinzip der Staatsräson. Außerdem war
die Tatsache prägend, dass seine politische Anthropologie einen Schritt
weiter wegführte von der zur Ideologie gewordenen politischen Theologie des
göttlichen Königtums, ohne jedoch den Herrschaftsanspruch des absoluten Staates
anzutasten. (20)
Literatur
·Carr,
G.L.: Political Writings of Samuel Pufendorf, Oxford 1994.
·Coing, H.: Grundzüge der Rechtsphilosophie, 5.
Auflage, Berlin/New York 1993.
·Denzer, H.: Moralphilosophie und Naturrecht bei
Samuel Pufenorf, München 1972.
·Kaufmann, A.: Rechtsphilosophie, 2. Auflage,
München 1997.
·Lausberg, M.: Die politische Theorie Jean
Bodins, in: TABVLA RASA. Zeitschrift für kritische Philosophie, No. 34
(4/2008), Online-Zeitung (www.tabvlarasa.de/34).
·Marschler, T.: Die spekulative Trinitätslehre
des Francisco Suárez S.J. in seinem philosophisch-theologischen Kontext,
Münster 2007.
·Mühlegger, F.: Hugo Grotius. Ein christlicher
Humanist in politischer Verantwortung, Berlin/New York 2007.
·Müller, K. (Hrsg.): Die Schriften Samuel
Pufendorfs, Bonn 1978.
·Müller, S.: Gibt es Menschenrechte bei Samuel
Pufendorf?, Frankfurt/M. 2000.
·Münkler, H.: Thomas Hobbes, Frankfurt/M. 2001.
·Rabe, H.: Naturrecht und Kirche bei Samuel von
Pufendorf, Tübingen 1958.
·Welzel, H.: Die Naturrechtslehre Samuel
Pufendorfs, 3. Auflage, Berlin 1986.
(1) Müller, S.: Gibt es Menschenrechte bei Samuel
Pufendorf?, Frankfurt/M. 2000, S. 14ff.
(2) Vgl. dazu Lausberg, M.: Die politische Theorie Jean Bodins,
in: TABVLA RASA. Zeitschrift für kritische Philosophie, No. 34 (4/2008),
Online-Zeitung (www.tabvlarasa.de/34).
(3) Vgl. dazu Münkler, H.: Thomas Hobbes, Frankfurt/M. 2001.
(4) Kaufmann, A.: Rechtsphilosophie, 2. Auflage, München
1997, S. 143.
(5) Vgl. dazu Mühlegger, F.: Hugo Grotius. Ein christlicher
Humanist in politischer Verantwortung, Berlin/New York 2007.
(6) Rabe, H.: Naturrecht und Kirche bei Samuel von
Pufendorf, Tübingen 1958, S. 34.
(7) Müller, K. (Hrsg.): Die Schriften Samuel Pufendorfs,
Bonn 1978, S. 40.
(8) Ebd. S. 48.
(9) Ebd. S. 49f.
(10) Welzel, H.: Die
Naturrechtslehre Samuel Pufendorfs, 3. Auflage, Berlin 1986, S. 101.
(11) Denzer, H.: Moralphilosophie und Naturrecht bei Samuel
Pufendorf, München 1972, S. 24f.
(12) Welzel, Die Naturrechtslehre Samuel Pufendorfs, a.a.O.,
S. 104.
(13) Carr,
G.L.: Political Writings of Samuel Pufendorf, Oxford 1994, S. 18f.
(14) Vgl. dazu Marschler, T.: Die spekulative Trinitätslehre
des Francisco Suárez S. J. in seinem philosophisch-theologischen Kontext,
Münster 2007.
(15) Müller, Die Schriften Samuel
Pufendorfs, a.a.O., S.102.
(16) Ebd. S. 140.
(17) Coing, H.: Grundzüge der Rechtsphilosophie, 5. Auflage,
Berlin/New York 1993.
(18) Müller, Die Schriften Samuel Pufendorfs, a.a.O., S.
142.
(19) Ebd. S. 144.
(20) Denzer, Moralphilosophie und Naturrecht bei Samuel
Pufendorf, a.a.O., S. 65.
>> Kommentar zu diesem Artikel schreiben. <<
Um diesen Artikel zu kommentieren, melden Sie sich bitte hier an.