Erschienen in Ausgabe: No 44 (10/2009) | Letzte Änderung: 28.09.09 |
von Guido Horst
Im kommenden Frühjahr wird in Turin das Leichentuch Christi
wieder ausgestellt. Dass jetzt die im Vatikanischen Geheimarchiv arbeitende
Historikerin Barbara Frale eine bislang unveröffentlichte Entdeckung des
französischen Forschers Thierry Castex bekannt werden ließ, der auf dem
geheimnisvollen Tuch mit fotografischen Methoden einen aramäischen Schriftzug
sichtbar machte, der mit „Wir haben gefunden“ oder „Warum gefunden“ übersetzt
werden kann, ist pünktlich zur erneuten Ausstellung des Tuchs wie Öl in das
Feuer einer oft gereizt geführten Debatte. Wenn auf der „sindone“ aramäische
Schriftzeichen stehen, kann sie kaum aus dem Mittelalter stammen, wie es die
Radiokarbon-Datierung im Jahr 1988 ergeben haben will. Die aramäische Schrift
war nach der Zerstörung Jerusalems im Jahr 70 nach Christus nicht mehr in
Gebrauch. Und in den vergangenen 21 Jahren sind immer mehr Zweifel an der
Untersuchung nach der C-14-Methode laut geworden, die damals Experten aus
Zürich, Oxford und Arizona an dem Grabtuch vorgenommen hatten und die daraufhin
die „sindone“ als Fälschung bezeichneten, die erst zwischen 1260 und 1390 nach
Christus gewebt worden sei. Wenn das Leinentuch also doch aus der Zeit Christi
stammt? Und wenn es also doch – auf wissenschaftlich vielleicht nie erklärbare
Weise – den Gekreuzigten zeigt?
Schon herrscht Panik in manchen Redaktionen und bis
schließlich Papst Benedikt wohl im April 2010 dem Grabtuch seine Aufwartung
macht, sollte man sich mit einer Art Verblüffungsresistenz bewaffnen: Die
kommenden Monate werden nicht nur eine Zeit der Experten und Forscher sein,
sondern auch der Ideologen und Apologeten des „Nicht sein kann, was nicht sein
darf“ – dass nämlich Gottes Sohn die Züge seines Angesichts, die Spuren seines
Bluts und den Abdruck seiner Wunden auf Erden zurückgelassen hat. „Das Turiner
Grabtuch ist ein Geheimnis, das noch keine eindeutige Erklärung gefunden hat,
auch wenn sehr vieles für seine Echtheit spricht“, sagte Joseph Kardinal
Ratzinger schon im Februar 2000 dem Publizisten Peter Seewald. Jetzt will er
sich das Tuch noch einmal selbst ansehen.
Mit dem Grab des Völkerapostels verhält es sich ähnlich:
Dass an der Stelle, wo sich heute die Basilika Sankt Paul vor den Mauern
erhebt, das Grab des Titanen aus Tarsus liegt und dass sich in dem mächtigen
Sarkophag Reste der Knochen des heiligen Paulus befinden, ist eigentlich banal.
In der Regel enthalten Gräber immer Reste derjenigen, auf die diese Gräber
ausgestellt sind. Nur in Spaghetti-Western kommt es bisweilen vor, dass ein
Grab statt des dort vermuteten Verblichenen säckeweise Dollar-Noten enthält.
Aber allein die Mitteilung des Papstes, man habe in dem Paulus-Grab mittels
einer Sonde tatsächlich Knochenspuren, Reste purpurner und blauer Stoffe sowie
von Gold und Weihrauch gefunden, riss diejenigen, die die Anfänge der Kirche am
liebsten in das Reich der Ideen verlegen würden, zu fast hysterischen
Reaktionen hin. Doch was wäre denn so schlimm, wenn es den Paulus, den wir aus
seinen Schriften kennen, tatsächlich gegeben hat, wenn er nicht ein
Mythos, sondern eine historische Person in Zeit und Raum gewesen ist?
Die Angst vor der Geschichtlichkeit der Wurzeln, auf die
sich die Kirche beruft, passt zu einer Zeit, die kein Maß mehr „von außen“
anerkennen möchte und sich den neuen Gender-Menschen nach eigenem Gutdünken
zusammenbasteln will. Der Gekreuzigte auf einem Leinentuch in Turin – das wäre
wie ein Fanal, dass der Weisheit letzter Schluss eher doch nicht in den „think
tanks“ der Neuheiden zu finden ist. Es wäre in einer Zeit, „in der der Glaube
in weiten Teilen der Welt zu verlöschen droht wie eine Flamme“, ein neuer
Zugang „zu dem Gott, der am Sinai gesprochen hat; zu dem Gott, dessen Gesicht
wir in der Liebe bis zum Ende im gekreuzigten und auferstandenen Jesus Christus
erkennen“ (Benedikt XVI.). Deswegen wird die Debatte um die Bedeutung und den
Wert der Tuchreliquie von Turin so gereizt geführt: Bekäme Gott wieder ein
Gesicht, würden die Tempel und Showbühnen der falschen Götzen heillos in sich
zusammenstürzen.
Guido Horst ist Chefredakteur des Vatikan-Magazins (www.vatikan-magazin.de)
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