Erschienen in Ausgabe: No. 2 (2/1993) | Letzte Änderung: 21.01.09 |
Bemerkungen zu Schellings Programm einer ‘philosophischen Religion‘
von Christian Danz
“Die
philosophische Religion, wie sie von uns gefordert ist, existiert
nicht.“ (XI 255; Zitate aus Schelling werden nach der von
K.F.A. Schelling veranstalteten Ausgabe der Werke Schellings durch
Angabe des Bandes und der Seitenzahl verifiziert) Mit dieser
Forderung beginnt das späteste, aus seinem Nachlaß
herausgegebene Werk Schellings, die so genannte ‘Philosophische
Einleitung in die Philosophie der Mythologie oder Darstellung der
reinrationalen Philosophie‘. Seltsam wie der Titel des Werkes,
ist auch die Forderung nach einer philosophischen Religion. Mutet
Schelling hier seinen Lesern eine Transformierung der Philosophie in
Religion zu? Oder soll gar die Religion in Philosophie aufgehoben
werden?
Freilich,
die philosophische Religion existiert nicht, doch gleichwohl, so
Schelling, bleibt sie eine unabweisliche Forderung. Was ist hier
gemeint?
Um
sich diesem Unternehmen einer philosophischen Religion, wie es der
späteste Schelling fordert, zu nähern, wird im Folgenden
von einer nicht auf zuhebenden Komplementarität von Religion und
Philosophie ausgegangen. Dabei kann es nicht um eine erschöpfende
Behandlung des Themas gehen, vielmehr werde ich mein Augenmerk auf
die Grundstruktur von Schellings Argumentation richten.
Zur
vorgeschlagenen Interpretationsthese so viel vorweg, Komplementarität
von Religion und Philosophie soll besagen, daß Schellings
Forderung einer philosophischen Religion mißverstanden ist,
wenn sie als abstrakte Alternative von Religion und Philosophie
gesehen wird. Vielmehr wird davon ausgegangen, daß es eine in
der Religion selbst liegende Notwendigkeit gibt, die ihre
philosophische Explikation fordert. Und ebenso muß es ein
Argument dafür geben, welches die Philosophie auf die Religion
verweist.
Schelling
expliziert seine Religionsphilosophie als eine Theorie des
Bewußtseins in der Differenz von wesentlichen und wirklichen
Bewußtsein. Dieser Differenz korrespondiert die Unterscheidung
von wesentlichem und wirklichem Gott. Das wesentliche Bewußtsein
ist auf den wesentlichen Gott verwiesen. Als wesentliches oder wie
Schelling auch sagt, als Urbewußtsein ist es das Resultat eines
Prozesses. Es konstituiert sich als Einheit eines Prozesses, in
welcher der gesamte Prozeß präsent ist. Schelling spricht
daher vom Bewußtsein als dem “Ende der Natur“ (XI
207). Dieses Urbewußtsein ist kein Selbstbewußtsein,
sondern nur Bewußtsein Gottes, und somit Bewußtsein der
Totalität und Offenheit des Seins. Dadurch, daß das
Bewußtsein Bewußtsein Gottes ist, kann es als vermittelte
Freiheit zur Darstellung gebracht werden. In der Freiheit des
Bewußtseins erscheint Gott als die absolute Freiheit. Und nur
die absolute Freiheit kann nach Schelling Gott sein: “Freiheit
ist unser Höchstes, unsere Gottheit, diese wollen wir als letzte
Ursache aller Dinge. Wir wollen selbst den vollkommenen Geist nicht,
wenn wir ihn nicht zugleich als den absolut freien erlangen können;
oder vielmehr, der vollkommene Geist ist uns nur der, welcher
zugleich der absolut freie ist.“ (XIII 256) Mit der
Konstitution des Selbstbewußtseins, welche freilich kein
zeitlicher Akt ist, sondern in allen Bewußtseinsvollzügen
immer schon in Anspruch genommen wird, kommt es zur Konstitution des
wirklichen Bewußtseins. Dieser Akt kann nur als
Selbstkonstitution des Selbstbewußtseins gedacht werden, welche
zugleich eine Entfremdung zum wesentlichen Bewußtsein
darstellt. Der Selbstkonstitution des Selbstbewußtseins
entspricht so die Selbstentfremdung des Bewußtseins. Es
etabliert sich als unmittelbare Selbstbestimmung, für die es
eine Welt gibt. Dem wirklichen Bewußtsein entspricht der
wirkliche Gott, dem das Bewußtsein durch seine
Selbstentfremdung anheimfällt. Der wirkliche Gott
ist nicht mehr die Totalität des Seins, sondern er stellt sich
dem Bewußtsein, von dem er vorgestellt wird, ohne bloß
vorgestellt zu sein, als ein seiender Gott dar. Die Göttergeschichte
der Mythologie, resultiert nach Schelling aus verschiedenen
Konstellationen der das Bewußtsein konstituierenden
Momente (Schelling nennt sie Potenzen). Der wirkliche Gott ist so
nicht mehr die absolute Freiheit, die sein soll, sondern ein seiender
Gott.
Der
religionsgeschichtliche Prozeß kulminiert in der Offenbarung in
Christus. In diesem Ereignis restituiert sich das wesentliche
Bewußtsein, indem der wesentliche Gott durch den wirklichen
hindurchbricht. Ohne die christologische Argumentation Schellings
hier im Einzelnen zu explizieren, soll wenigstens sein systematischer
Ansatz kurz skizziert werden. Die Differenz von wesentlichem und
wirklichem Bewußtsein kann durch den Menschen, also am Ort des
wirklichen Bewußtseins, nicht aufgehoben werden, da der Mensch
in seinem Selbstvollzug seine Entfremdung wiederholt. Eine Versöhnung
ist damit nur so zu denken, daß Gott selbst am Ort des
entfremdeten Bewußtsein als besonderes Selbstbewußtsein
erscheint. Dies ist das Thema der Christologie. Nach Schelling ist
die Menschwerdung des Christus zugleich seine Gottwerdung.
Eben weil er in dem Selbstvollzug, in dem er sich als besonderes
Bewußtsein etabliert, nicht sich als besonderes
Bewußtsein, sondern Gott vollzieht. Die Christologie
thematisiert so ein Bewußtsein, welches sich nicht selbst
konstituiert, sondern welches in einem anderen gründet und so
als vermitteltes Bewußtsein zur Darstellung kommt. Dieses
Bewußtsein, welches der Christus in dem Selbstvollzug, in dem
er der Christus wird, darstellt, repräsentiert so die Offenheit
des Seins. Insofern kann Schelling sagen, Christus ist das Ende der
Offenbarung (vgl. XIV 119) und dies entspricht der
Aussage, daß das Bewußtsein das Ende der Schöpfung
sei (vgl. XI 207).
In
diesem Sinne realisiert sich in der Offenbarung die Offenheit des
Seins, in dem sie durch die von der selbstbezüglichen
Subjektivität gesetzten Bestimmtheiten des Seins
hindurchbricht. Die Offenbarung ist so das Ereignis der Freiheit
schlechthin. Nach Schelling kann diese Einsicht verlorengehen und sie
ist verloren gegangen. Die Offenbarung vermittelt zwar die
philosophische Religion, welche die Religion der Freiheit ist und nur
mit Freiheit gefunden werden kann(vgl. XI 255), aber sie kann selbst
wieder zu einer Quelle der Unfreiheit werden: “Aber auch nur
vermittelt ist durch das Christenthum die freie Religion, nicht
unmittelbar durch dasselbe gesetzt. Das Bewußtseyn muß
ebenso wieder von der Offenbarung frei. geworden seyn, um zu jener
fortzugehen. Auch die Offenbarung wird wieder eine Quelle zunächst
unfreiwilliger Erkenntniß.“ (XI 258)
Wie
dies zu verstehen ist wird klar, wenn man darauf achtet, daß
die Offenbarung die Darstellung und Durchsetzung der Freiheit sein
soll. Die Überlieferung der Offenbarung verstellt dies insofern,
als hier das Ereignis der Freiheit in Form von Vorstellungsinhalten
gefaßt wird. Daher ist es eine in der Offenbarung selbst
liegende Notwendigkeit, daß das Bewußtsein von der
Offenbarung frei wird.
Die
Emanzipierung von der Offenbarung führt jedoch nicht unmittelbar
zur Religion der Freiheit. Sie führt zunächst nur zu einem
“erkenntnißlosen Denken“ und zu einer “inhaltslosen
Freiheit“ (XI 260). Dieses erkenntnislose Denken bestimmt
Schelling näher als natürliches Denken oder natürliche
Vernunft. Jene natürliche Vernunft ist insofern unfrei, als sie
sich über ihren eigenen Vollzug im unklaren ist. Solange nur die
Intentionalität der Bewußtseinsvollzüge thematisch
wird und nicht die Vernunft selbst als Form und Inhalt, bleibt das
Erkennen unfrei. Daher eröffnet sich erst mit dem nachkantischen
Idealismus der Weg zur philosophischen Religion.
Die
philosophische Religion realisiert so die Offenbarung als Ereignis
der Freiheit, indem sie in ihrem Vollzug der Einsicht Raum gibt, daß
die Darstellung der Freiheit ihre Vergegenwärtigung qua
Vorstellungsinhalte transzendiert. Nach Schelling ist dies jedoch nur
dann möglich, wenn sich ‘das Bewußtsein von der
unmittelbaren Gebundenheit an die Reproduktion der Offenbarung im
Neuen Testament löst, und wenn die Einsicht in den “Mechanismus“
der Vernunft vollzogen wird. Unterbleibt dies, dann verbleibt die
Offenbarung für das Subjekt in einer Äußerlichkeit,
die für es selbst nur eine neue Quelle der Unfreiheit sein kann.
Diese Konsequenz wäre für die Offenbarung, wenn anders sie
die Realisierung der Freiheit sein soll, ruinös. Daher
impliziert nach Schelling die Religion selbst die Forderung nach
ihrer philosophischen Reflexion.
Wie
oben schon gesagt, ist die philosophische Religion nur möglich
durch die Thematisierung der Vernunft selbst. Das Ergebnis dieser
Reflexion der Vernunft ist nach Schelling so radikal, daß man
vernünftige Strukturen nur noch postulieren kann (vgl. XIII
247f.). Gleichwohl bleibt es die Aufgabe der Philosophie, die
vernünftigen Strukturen des Seins zu thematisieren. Es gibt
jedoch keinen Grund dafür, daß es so etwas wie Vernunft
gibt. Unvordenklich wie Schelling sagt, hat sich der Kosmos in
vernünftige Strukturen generiert. Und gerade diese Einsicht in
die nicht-Inszenierbarkeit der Vernunft oder der Einheit des
Bewußtseins verweist die Philosophie an die Religion. In der
Religion wird mit den Vorstellungen von Schöpfung und Erlösung
das Sich-gegebenSein der Vernunft thematisiert. Die sich in diesen
Vorstellungen aussprechende Einheit des Bewußtseins kann die
Philosophie nicht inszenieren, sondern muß sie immer schon in
Anspruch nehmen, wenn sie in der philosophischen Reflexion diese
Einheit vermittelt. “Allerdings hat auch die Philosophie Zu
ihrem höchsten Zweck, jenes zerissene Bewußtseyn
wiederherzustellen. Aber der wahre Philosoph bescheidet sich, daß
jenes Bewußtseyn selbst nur ideal, für den Begriff
wiederherzustellen ist;“ (XIII 364).
Philosophie
und Religion können so für Schelling keine abstrakten
Alternativen darstellen. Vielmehr sind beide komplementär
aufeinander verwiesen.
>> Kommentar zu diesem Artikel schreiben. <<
Um diesen Artikel zu kommentieren, melden Sie sich bitte hier an.