Erschienen in Ausgabe: No 46 (12/2009) | Letzte Änderung: 23.03.10 |
Helmuth Kiesel: Ernst Jünger – Die Biographie. München (Siedler): 2007. 720 Seiten. EURO (D) 24,95. ISBN: 3886808521. [Gebundene Ausgabe.]; Helmuth Kiesel: Ernst Jünger – Die Biographie. München (Pantheon) 2009. 720 Seiten. EURO (D) 16,95. ISBN: 3570550834. [Taschenbuch.]; Heimo Schwilk: Ernst Jünger – Ein Jahrhundertleben. München (Piper) 2007. 560 Seiten. EURO (D) . 24,90. ISBN: 3492040160.
von Daniel Krause
Ernst Jünger ist am 17. Februar 1998 verstorben, mit 102
Jahren. Im Herbst desselben Jahres ging Helmut Kohls Kanzlerschaft zu Ende,
Rot-Grün begann. Mochte Schröder als Anwalt einer ‚Neuen Mitte’ die Wahlen
gewinnen und Oskar Lafontaine, den veritablen Linken, aus dessen Partei- und
Ministeramt drängen – Deutschland bewegte sich merklich nach links. An
Turbulenzen hat es seither nicht gefehlt, und Schröders Sozialreformen haben
den Blick auf das erste Jahrfünft seiner Kanzlerschaft einigermaßen verdunkelt:
Aber gesellschaftspolitisch hat die rot-grüne Koalition, bestehend aus
vormaligen Hausbesetzern und RAF-Anwälten, manches zum Guten verändert.
Deutschland ist freier geworden: mit einem liberalen Einwanderungsrecht samt
doppelter Staatsbürgerschaft, der ‚Schwulen-Ehe’, dem schieren Umstand, dass
Personen mit durchaus unbürgerlicher Vita Ministerämter bekleiden. Freier ist
Deutschland auch deshalb geworden, weil ihm der Nachweis gelang, dass es trotz
Wiedervereinigung und Fahnen schwenkenden Patriotismus’, trotz einzelner
Mordtaten rechtsradikalen Gesindels und irritierender Umfrageergebnisse zu
‚Antisemitismus’ oder ‚Fremdenfeindlichkeit’ im Ganzen doch fest in der
westlichen ‚Wertegemeinschaft’ verankert ist. Deswegen fällt es heute leichter
als noch in den neunziger Jahren, Querdenker, ‚Ausreißer’ nach rechts und
Übriggebliebene nationalkonservativen Denkens zu respektieren. Der geistige
Ambitus diese Gesellschaft ist weiter geworden, nach links wie nach rechts –
von einer fest gefügten Mitte aus. (Jürgen Habermas’ päpstlicher Status bleibt
unangefochten.) Nicht ‚German Angst’ heißt die Losung, wie in den friedens- und
umweltbewegten westdeutschen 80er Jahren, eher schon: ‚Coolness’. Leicht
forciert ließe sich sagen: Deutschland hat sich – erstmals – vom Erbe des
lutherschen Pfarrhauses befreit und pendelt sich – verweltlicht, verwestlicht –
auf mittlere Temperaturen ein. Gewiss: Die jüngsten hitzigen Debatten um RAF
und 1968 passen nicht recht ins Bild gelassener Vergangenheitsaufbereitung.
Wohl aber der staunenswert nüchterne Blick auf die ‚Krise’: Sie wird als
schwerste ökonomische Verwerfung seit Jahrzehnten deklariert – und niemand mag
sich echauffieren. Von einer politischen Radikalisierung, wie sie vormals
zuverlässig perhorresziert wurde, wenn ökonomische Turbulenzen sich einstellten
und die magischen ‚6 Millionen Arbeitslosen’ in Sichtweite kamen, kann heute
keine Rede sein. Mag der linke Rand vom ökonomischen Absturz profitieren, die
FDP, Partei des juste milieu, profitiert weitaus stärker. Die extreme Rechte
wiederum stagniert im Zeichen emsiger Selbstzerfleischung.
Auch Wissenschaften und Künste sind von der allumfassenden
Gelassenheit – zu ihrem Vorteil – betroffen: Ernst Nolte schreibt Bücher, die sich
politisch verfänglicher zeigen, als jene, die Mitte der achtziger Jahre den
Historikerstreit auslösten. Neo Rauch und die Zweite Leipziger Schule treten
mit metaphysisch befrachteten Gemälden hervor, die alle Klischees vom
‚Deutschen’ in der Kunst ungeniert übererfüllen. Ein Martin Mosebach,
bekennender katholischer Reaktionär mit vorkonziliaren Aspirationen, beinahe
Sedisvakantist, erhält den Büchnerpreis. – All dies wird unaufgeregt zur
Kenntnis genommen. Deutschland ist keineswegs ‚rechter’ geworden, vielmehr
liberaler, und – dies vor allem – ‚weiter’.
Mit dieser Weite ist ein Zugewinn an geistiger Lebendigkeit
verbunden. Das öffentliche Gespräch lebt von Exzentrikern, von Randgestalten
und Provokateuren nach Götz Alys, Herfried Münklers, Gunnar Heinsohns, Botho
Strauß’ oder Peter Sloterdijks Art. In dieser Reihe ist posthum auch Ernst
Jünger einzuordnen. Zu Lebzeiten war Jüngers Person wie sein Schaffen vom Odium
des Obszönen umgeben: Der DDR galt Ernst Jünger als verdammenswerter Exempel einer
geistigen Filiation von der Kaiserzeit zum Nationalsozialismus. Im Westen wurde
er mit spitzen Fingern angefasst, auch von der Wissenschaft, die sich allemal
bemühte, das Literarische von der übrigen Person säuberlich zu lösen, um sich
Ersterem respektvoll, analytisch distanziert zuwenden zu können, ohne mit
Letzterem kontaminiert zu werden. Öffentliche Manifestationen der
‚Leidenschaft’ für Ernst Jünger, wie sie in Frankreich durchaus üblich und
willkommen waren – bis hinauf zum Präsidenten Mitterand –, hätten in beiden
Deutschland hochgradig karrierehemmend gewirkt. Karl Heinz Bohrers Ästhetik des
Schreckens (1978) musste als Tat eines notorischen Einzelgängers und Querkopfs
angesehen werden, die vorerst ohne Folgen fürs wissenschaftliche Gespräch
blieb: Sie befreite Ernst Jünger aus deutschen – und politischen –
Zusammenhängen, um ihn als Repräsentanten einer gesamteuropäischen, rein
künstlerisch profilierten Avantgarde, als eine Art Surrealisten, kenntlich zu
machen.
Dreißig Jahre später ist das Schreckgespenst der
‚Wohlgesinnten’ Gegenstand zahlreicher Monographien. Zehn Jahre nach Ernst
Jüngers Tod sind beinahe zeitgleich zwei umfängliche Biographien erschienen:
Helmuth Kiesels Ernst Jünger. Die Biographie. und Heimo Schwilks Ernst Jünger.
Ein Jahrhundertleben. Dass beide dickleibigen Bände vielfach gelesen und
günstig besprochen werden, belegt durchaus nicht, dass der ewige Anarch und
politisch Unzuverlässige in der Mitte dieser Gesellschaft angekommen ist. Die
Mitte aber ist ihrer selbst so gewiss ist, dass sie das ‚ganz Andere’
unaufgeregt konfrontieren kann.
Kiesels Ernst Jünger ist umfangreicher, abgewogener,
nüchterner geraten. Dies ist Philologenprosa, wiewohl auf hohem sprachlichem
Niveau, unentflammbar wie Asbest. Heimo Schwilk dagegen lässt manchmal die
Zügel schießen. Dies mag seiner journalistischen Sozialisation geschuldet sein,
darüber hinaus der persönlichen Nähe zu Jünger, dessen Charisma bleibenden
Eindruck hinterlassen hat. Wohlgemerkt: Schwilk weiß der Versuchung, ins
apologetische, hagiographische Register zu verfallen, zu widerstehen. Aber
Empathie und Emphase sind – vergleichsweise – großzügig bemessen.
Der wesentlichste Unterschied zwischen den Biographien ist
in Kiesels professionell gründlichen Untersuchungen zum literarischen Schaffen
Jüngers zu sehen. Mag das „Jahrhundertleben“ Jüngers faszinieren – wie jenes
andere ‚Hundertjähriger’: Fontenelles, Horszowskis, Julien Gracqs, Hans-Georg
Gadamers –, mag Jüngers schillernde Persönlichkeit um ihrer selbst willen
Aufmerksamkeit fordern – an erster Stelle ist Ernst Jünger Dichter. Helmuth
Kiesel ist dafür zu rühmen, dass er die erste Werk-Biographie über Jünger
vorlegt, und auch dem wenig beachteten Spätwerk mit spröden Prosa-Stücken wie Eumeswil,
Die Zwille, Heliopolis oder Gläserne Bienen Gerechtigkeit widerfahren lässt.
Darüber hinaus glücken ihm reichhaltige sitten- und sozialgeschichtliche
Darstellungen, z. B. – am Anfang des Buches – zu Deutschland in Jüngers
Geburtsjahr 1895. Wie nebenbei werden gängige Vorurteile und Einseitigkeiten im
Urteil über das ‚reaktionäre’, weil halb autoritär regierte, Deutschland der
Kaiserzeit revidiert. Am Schluss stehen u. a. Einlassungen über „Macht und
Geist“ (653), jene unverhofften späten Ehrungen, die Jünger von politischer
Seite: Helmut Kohl, Mitterand, Felipe Gonzalez zuteil geworden sind. Mag Kohl
(im eklatanten Unterschied zum Schöngeist Mitterand) kein Freund der Musen sein
– der promovierte Historiker verfügt über ausgeprägtes Geschichtsbewusstsein
und ein Gespür für historische Größe. Einer wie Jünger, der denkend – teils
auch gestaltend – an sämtlichen Wenden deutscher Geschichte des 20.
Jahrhunderts teilgenommen hat, musste Helmut Kohl faszinieren, obwohl von der
konservativen „geistig-moralischen Wende“, die Kohl am Beginn seiner
Kanzlerschaft in Aussicht gestellt hatte, kaum etwas wahrzunehmen war, Ernst
Jünger als spiritus rector geistespolitischer Interventionen folglich kaum von
Belang war. Der Dichter hat die Aufwartung der Macht mit milder Ironie entgegengenommen,
wie sie Neunzigjährigen gut zu Gesicht steht. Sein Tagebucheintrag zum 1.
Oktober 1982 – Kohl folgt Helmut Schmidt als Kanzler nach – lautet
folgendermaßen: „Drei Uhr nachmittags: Habemus papam – ein Helmut geht, ein
Helmut kommt“ (zitiert nach Kiesel 653).
Mit Ernst Jünger ist Kiesel, alles in allem, ein Beitrag zur
Ehrenrettung der Literaturwissenschaft gelungen. Sie steht im Rufe eitler,
unverständlicher Selbstbespiegelung. Dass sie zum öffentlichen Gespräch
beitragen kann, zur Selbstverständigung einer Gesellschaft, und schließlich
Vergnügen bereitet, ist angesichts solcher Beiträge kaum zu bestreiten – so
wenig wie die neu gewonnene Gelassenheit der Mitte gegenüber den Rändern.
>> Kommentar zu diesem Artikel schreiben. <<
Um diesen Artikel zu kommentieren, melden Sie sich bitte hier an.