Erschienen in Ausgabe: No 45 (11/2009) | Letzte Änderung: 19.10.09 |
von Markus Paulus
Zusammenfassung
The query
for the nature of human subjects, their position between social forces and
self-determined agency has been a topic of philosophy and social theory since
their origins. This paper confronts the approaches of two of the most
important theoreticians of the twentieth century, Michel Foucault and Jürgen
Habermas, regarding the position of the subject within their theories. In a
first part, central anthropological aspects within both theories are explicated
and three general principles of divergence are extracted. In a second part,
both theories are systematically confronted regarding their statements about
three central aspects, namely (1) subjectivity and intersubjectivity, (2) the
role of the appetitive nature, and (3) subject, ethics and identity. Crucial
differences and similiarities between both theories are discussed with
respect to other classical theoretical approaches. Finally, regarding the
aspect of identity, Ricoeurs’ concept of narrative identity is suggested to
contain central claims made by Foucault and Habermas.
1) Einleitung: Der Tod des Subjekts
Der Tod des Subjekts scheint allgegenwärtig zu sein. Die
abendländische Philosophiegeschichte lässt sich bis weit ins 20. Jahrhundert
hinein in weiten Teilen als ein Diskurs über die Destruktion eines einst
vermeintlich sich allmächtig dünkenden Subjekts lesen2, welcher in Foucaults klassischer
Metapher, dass „der Mensch verschwindet wie am Meeresufer ein Gesicht im Sand“
(Foucault, 1974, 462), ein geflügeltes Wort gefunden hat. Die gegenwärtige
Literatur besingt das Ende des schöpferischen Autors, welchem es nicht gelingt,
neue Werke zu schaffen, und dem daher nichts anderes übrig bleibt, als schon
Dagewesenes zu wiederholen (für eine literarische Bearbeitung dieses Motivs,
siehe Landolfi, 1997, 41ff). Angesichts der Risiken der Globalisierung und des
internationalen Terrorismus fühlt sich das einzelne Individuum ohnmächtig und
ausgeliefert. In dieser bedrückenden Situation scheint Max Schelers 1928 getroffene
Feststellung, dass „zu keiner Zeit der Geschichte der Mensch sich so problematisch
geworden ist wie in der Gegenwart“ (Scheler, 1949, 12) aktueller denn je zuvor.
Dieser Artikel beschäftigt sich mit der Frage, zu welchen
subjekt- und sozialtheoretischen sowie anthropologischen Aussagen zwei der bedeutendsten
Philosophen des 20. Jahrhunderts sowie einflussreiche Diagnostiker der
Moderne, Michel Foucault und Jürgen Habermas, kommen, inwieweit sie mit der
Annahme eines Verfalls des Subjekts übereinstimmen oder welche andere Sichtweise
auf das Subjekt, seine Risiken und Chancen, sie vertreten. Die Komplexität
dieser Fragestellung sollte nicht unterschätzt werden, legen doch beide Autoren
keine direkte Theorie des Subjektes vor. Vielmehr thematisieren sie
verschiedene Aspekte in ihren Werken, so dass eine kurze Rekonstruktion der
oftmals impliziten Charakterisierung des Subjekts nötig ist. Aus diesem Grund
ist dieser Beitrag folgendermaßen aufgebaut: nach der Einleitung (1) folgen je
zwei kurze Abschnitte, welche die subjekttheoretischen Positionen von Habermas
(2) und Foucault (3) charakterisieren. Die Ergebnisse dieser Darstellung 5
nutzend sollen (4) ein Vergleich ausgewählter Aspekte dieser beiden
Zugangsweisen zum Subjekt Ähnlichkeiten und Unterschiede zwischen beiden Theoretikern
offenbaren sowie einen möglichen Vermittlungsweg für eine der offenen Fragen
skizzieren.
2) Zur Stellung des Subjekts bei Foucault
(1) Als erster entscheidender Punkt zur Charakterisierung
des Subjektes bei Foucault zeigt sich die historische Kontingenz von
Subjektformen. Das Subjekt „ist keine Substanz. Es ist eine Form, und diese
Form ist weder vor allem noch immer mit sich selbst identisch“ (Foucault,
1985b, 18). Als solche ist es zuerst ein Produkt der Praktiken und
Problematisierungsweisen der jeweiligen Epoche, die letztlich den spezifischen
Subjekttypus erst konstituieren. Um seine Eigenheit zu erfassen, gilt es „die
Konstitution des Subjekts im [jeweiligen] geschichtlichen Zusammenhang“
(Foucault, 1978c, 32) nachzuvollziehen. Für Foucault gibt „kein souveränes und
konstitutives Subjekt [...], keine universelle Form des Subjekts, die man
überall wiederfinden könnte“ (Foucault, o.J.a, 137), sondern vielmehr eine
Reihe recht verschiedener, von der soziokulturellen Konstellation abhängige
Subjektformen, deren Wandlungen aufgrund der Irrationalität historischer
Veränderungen keiner Entwicklungslogik folgen, sondern vielmehr als empirische
Typen klassifizierbar sind. H. Bublitz spricht daher auch treffend vom
„de-ontologische[n] Charakter“ (Bublitz, 1998, 213) der Foucaultschen
Philosophie.
Obzwar Foucault der Leiblichkeit des Menschen einerseits
eine wichtige Rolle zuweist, wird eine leibliche Bestimmung, welche über alle
historischen Bedingungen hinweg Einfluss nimmt, kaum fassbar. Zugleich finden
sich in Foucaults Analysen aber eindeutige Hinweise auf vorausgesetzte
biologisch-körperliche Grundlagen, so wenn er die Wirkungen des
Sexualitätsdispositivs durch „die Stimulierung der Körper, die Intensivierung
der Lüste“ (Foucault, 1983, 105) beschreibt. A. Honneth hat auf dieses Dilemma
des Körperlichen in Foucaults Ansatz deutlich hingewiesen, wenn er feststellt:
„Obwohl alles an seiner Kritik der Moderne auf das Leiden des menschlichen
Leibes unter den disziplinierenden Akten der modernen Machtapparate
konzentriert scheint, findet sich in seiner Theorie nichts, was dieses Leiden als
Leiden artikulieren könnte.“ (Honneth, 1999, 92) Hier drängt sich eine
Parallele zu Kants Kritik der reinen Vernunft auf, in welcher der Begriff des
Noumenon lediglich als negativer Grenzbegriff (vgl. Kant, 1787/1998, B311)
zugelassen ist und über welchen daher nichts ausgesagt werden kann.
(2) Der zweite Gedanke in der Foucaultschen Subjekttheorie
lässt sich mit dem Begriff der Normierungsmacht umschreiben. Subjekttheoretisch
bedeutsam ist, dass nach Foucault in der Moderne einerseits „Machtverhältnisse
[…] in die Tiefe der Körper materiell ein[dringen], ohne von der Vorstellung
der Subjekte übernommen zu werden“ (Foucault, 1978a, 109). Nach dieser
Diagnose zeigen sich Subjekte als reine Formen, als leere Hülsen, welche durch
die Machtpraktiken ihrer Zeit geformt, ja eigentlich erst hervorgebracht
werden: „[e]in ungeheures Werk, zu dem das Abendland Generationen gebeugt hat
[…]: die Subjektivierung der Menschen, das heißt ihre Konstituierung als Untertanen/Subjekte“
(Foucault, 1983, 105). Das Subjekt zeichnet sich nun nicht nur als
unterworfenes, als Produkt äußerer Herrschaftsausübung aus, es wird durch diese
Macht auch andererseits an eine ihm von außen aufgezwungene Identität gebunden.
„Diese Form von Macht wird im unmittelbaren Alltagsleben
spürbar, welches das Individuum in Kategorien einteilt, ihm seine
Individualität aufprägt, es an seine Identität fesselt, ihm ein Gesetz der
Wahrheit auferlegt, das es anerkennen muss und das andere in ihm anerkennen
müssen. Es ist eine Machtform, die aus Individuen Subjekte macht“
(Foucault, 1994b, 246), indem sie sie dazu bringt, sich im
Hinblick auf eine Norm zu konstituieren: „Subjektivierung fällt mit
Normalisierung in eins.“ (Menke, 2003, 290) „Die Identität des Einzelnen
entsteht, wenn er sein eigenes Sein im Verhältnis zu dieser Norm, die ihm gar
nicht bewusst sein muss, abgleicht.“ (Daiber, 1999, 78)
(3) Ausgehend von seinen Analysen der modernen
Disziplinargesellschaft stellt Foucault in seinen späteren Werken die antike
Lebenspraxis und Philosophie in den Mittelpunkt seiner Forschungen, um dem
gegenwärtigen Subjekttypus eine Alternative entgegenzustellen. Dabei blieb
Foucault jedoch der bereits in Überwachen und Strafen geäußerten Theorie, dass
sich das Subjekt als Produkt von Machtprozessen herausbildet, treu. Das
wesentlich neue an der Untersuchung antiker Lebenskünste ist jedoch, dass diese
Macht nicht als fremde Macht auftritt, sondern als je eigene Macht, legte doch
die antike Ethik Wert auf die Sorge des einzelnen um sich selbst im Sinne einer
praktisch-ethischen Reflexion des Umgangs mit den eigenen Begierden und Lüsten.
Das Subjekt wird nicht konstituiert, es konstituiert sich selbst, es schafft
sich in steter Arbeit an sich selbst: „Das Innen als Werk des Außen“ (Deleuze,
1992, 135; siehe auch Foucault, 1994a). Verglichen mit diesem Modell der
Subjektwerdung offenbart sich die große Differenz zum neuzeitlichen Subjekt,
welches sich seit Descartes auf Wissen und theoretischen Selbstbezug gründet,
so dass sich das Subjekt als Subjekt der Wahrheit einer Norm konstituiert und
das Moment einer Arbeit an sich selbst völlig beiseite lässt.
Ein häufig übersehener Aspekt im Foucaultschen Denken ist,
dass der Freundschaft als Paradigma intersubjektive Beziehungen nach Foucaults
Analyse in der antiken Ethik eine wichtige Rolle zukommt. Dabei bleibt zwar
nach wie vor gültig, dass „menschliche Beziehungen als Bündel von
Machtbeziehungen“ (Foucault, 1985b, 11) zu sehen sind. Dieser Machtbeziehungen
kann man sich nicht entledigen – nach Foucault konstituiert sich ja auch das
über sich selbst herrschende Subjekt durch eine Umleitung dieser Macht –, aber
man kann versuchen, diese nicht in festen Herrschaftszuständen erstarren zu
lassen. J. Rajchman spricht sogar davon, dass “[t]he search for an essentially
good or conflict-free communal existence struck him as having disastrous
consequences” (Rajchman, 1991, 100). Vielmehr ging es Foucault darum, diese
immer vorhandenen Machtverhältnisse als produktive und in Freiheit zu
kontrollierende stehen zu lassen. Dieser Agonismus der Freundschaft (vgl.
Foucault, 1994b, 256), so könnte man Foucault interpretieren, stellt ein
wechselseitiges Spiel, eine fragile Machtbeziehung dar, in welcher sich jeder
auf seine Weise wohl fühlen kann. Freundschaft als soziale Verbindung auf
niedrigem Niveau sperrt sich damit gegen Vereinnahmungen durch eine komplexe
Disziplinarmaschinerie, welche alle Arten von Beziehungen normalisiert und unter
ihre Kontrolle bringen möchte, und stellen somit für Foucault das Modell
gelingender Intersubjektivität dar.
Ein wesentlicher Punkt in der Freundschaft ist damit ihre
Zulassung der Verschiedenheit, ihre „vielgestaltige[n], variable[n] und individuell
ausgeprägte[n] Beziehungen“ (Foucault, o.J.b, 92) und das ihnen damit
innewohnende Element der Überschreitung; ein Topos, eine fast schon normative
Vorgabe, welche sich durch das gesamte Spätwerk Foucaults zieht. Als
Überschreitung ermöglicht es die Freundschaft den Individuen, ihren von außen
auferlegten Subjektstatus zu überwinden und sich selbst im Sinne einer Ästhetik
der Existenz neu zu erfinden. Der Freundschaft eignet so wesentlich ein „transgressives
Element“ (Ortega, 1997, 225). Inhaltlich nicht charakterisierbar, lässt sie
sich aber formal bestimmen als Sozietät eines transgressiven Spiels der Mächte,
welche neue Möglichkeiten alternativer Subjektformen schafft.
Kritisch zu ergänzen an Foucaults Theorie der Freundschaft
ist sicherlich zum einen, dass er die stabilisierende Funktion von Beziehungen
gänzlich übersieht. Zwar entzieht sie sich aufgrund ihrer Individualität den
normalisierenden Mächten einer Disziplinargesellschaft, doch erfordert jede
Freundschaft zu ihrem Erhalt auch Elemente der Kontinuität und Stabilität und
verhindert somit gerade ein ununterbrochenes sich „von sich selbst [Losreißen]“
(Foucault, 1996, 27), sondern stabilisiert dadurch vielmehr das Leben des
Einzelnen. Gerade auch für den klassischen Theoretiker der Freundschaft,
Aristoteles, galt nach der Interpretation von P. Schulz die „Beständigkeit im
Sinne einer erprobten und erfahrenen Zuverlässigkeit des Anderen als
grundlegendes Unterscheidungsmerkmal der verschiedenen Freundschaftsformen“
(Schulz, 2000, 201). Des weiteren übersieht Foucault in seiner Emphase der
Möglichkeiten des anders Werdens – eine Gedankenfigur, in der man zweifelsfrei
existenzphilosophische Motive wiedererkennt –, dass andere Menschen nicht nur
Ermöglichungsbedingungen für Selbstentwürfe darstellen, sondern, wie Sartre
am Phänomen des Blickes treffend untersucht hat, mich ebenso in meinen Möglichkeiten
einschränken: „Ich erfasse den Blick des andern gerade innerhalb meiner Handlung
als Verhärtung und Entfremdung meiner eigenen Möglichkeiten.“ (Sartre, 2002,
474)
3) Die Stellung des Subjekts bei Habermas
(1) Ein grundlegendes Konzept der Schriften von Habermas ist
die Idee einer „Entwicklungslogik“ (Habermas, 1983, 138), welche er seiner
Rekonstruktion des kommunikativen Handelns zugrunde legt. Diese bezeichnet die
Unilinearität der Entwicklungen, welche sich in Anlehnung an Mead in der
evolutionären Genese von Bedeutungen durch Lern- und Assoziationseffekte sowie
in der Sukzession diverser Einstellungsübernahmen bei der Ausbildung von
Sprache und dem Hineinwachsen von Kleinkindern in eine Welt normenregulierten
Handelns findet. Sie findet sich ebenso in der Rationalisierung von
Weltbildern, welche sich aufgrund der Irreversibilität von Lerneffekten immer
mehr ausdifferenzieren, und der Genese von Moralbewusstsein als hierarchisch
geordnete Folge von Strukturen. Dabei ist zu beachten, dass Habermas zwar die
Reihenfolge der Entwicklungsschritte, d. h. ihre Logik rekonstruiert, nicht
jedoch ihre Entwicklungsdynamik hinsichtlich der zugrunde liegenden psychischen
und sozialen Prozesse.
(2) Der wesentlichste Zug des Habermas’schen Subjekts ist
dessen konstitutionelle Verwiesenheit auf Intersubjektivität. Erst durch
Interaktion mit anderen menschlichen Wesen entwickeln sich Subjekte und
Subjektivität im Rahmen alternierender und verschränkter Perspektivenübernahmen
zwischen den Interaktionspartnern. Eine entscheidende Rolle kommt hierbei der
Sprache zu, welche die Art der Vergesellschaftung fundamental ändert. Erst
durch die Sprache entwickeln sich – nach Habermas – die grundlegenden
Weltbezüge und erst durch die Fähigkeit zur sprachlichen Interaktion und das
Aushandeln von Geltungsansprüchen kommt es zu rationalen
Handlungsorientierungen und damit letztlich rational handelnden Subjekten.
Letztendlich bilden sich auch Selbstbewusstsein und Selbsterkenntnis als
Effekte einer verinnerlichten potentiellen Kritik eines Alter Egos an den
eigenen Ansprüchen, welche dazu führt, sich generell mit den Augen eines
verallgemeinerten Anderen betrachten zu lernen: nur in der Rolle eines solchen
Sprechers, in welcher das Subjekt „sich aus der sozialen Perspektive eines ihm
im Gespräch begegnenden Hörers als Alter ego dieses anderen Ego sehen und
verstehen lernt“ (Habermas, 1992, 211), kann sich ein Selbstbewusstsein
entwickeln. Zugleich zeigt sich nach Habermas die Freiheit eines Subjekts, hier
P. Bieri (vgl. Bieri, 2005) aufgreifend, nur in Folge propositional-sprachlich
vollzogener Entscheidungen, „wenn [es] will, was es als Ergebnis seiner Überlegung
für richtig hält“ (Habermas, 2004, 874); denn erst ein interner Zusammenhang
mit Gründen, welche stets propositionaler Natur sind, macht eine Handlung
überhaupt erst zu einer freien. Dies macht deutlich, dass für Habermas erst ein
sprachlich vergesellschafteter Mensch ein selbstbewusstes Subjekt bildet und
potenziell vernünftig und frei sein kann.
(3) Grundlegend für die Habermas’sche Subjekttheorie ist
auch, dass die von Habermas postulierte strukturierende und hervorbringende
Kraft der Sprache, genau genommen sprachlicher Interaktionen, dabei bis auf die
Triebe, die sog. innere Natur des Menschen durchgreifen. Innerhalb einer
kulturellen Überlieferung werden nach Habermas die „Bedürfnisinterpretationen
[…] als gegeben angenommen“ (Habermas, 1976, 87) und sind „die überlieferten
kulturellen Gehalte […] die Schablonen, nach denen die Bedürfnisse gestanzt
werden“ (a.a.O., 88) und so überhaupt erst als sprachlich artikulierbare
Wünsche in Erscheinung treten. Durch Vergesellschaftung wird der „Motivhaushalt
der assoziierten Einzelnen symbolisch erfasst und über dieselben semantischen
Gehalte strukturiert wird“ (ebd.). Es wird deutlich, dass Habermas hiermit
„eine naturalistische Psychoanalyse, die von rein triebhaften Agenzien ausgeht,
[zurückweist]“ (Dörfler, 2001, 83). Vielmehr sind unsere Bedürfnisse und
Wünsche immer schon durch die vorgegebenen Ausdrucksmöglichkeiten der Kultur
geprägt und beeinflusst; die Bedürfnisse werden „in [das] symbolische Universum
aufgenommen und darin angemessen interpretiert“ (Habermas, 1976, 86). Dabei
sollte nicht übersehen werden, dass bei aller Schablinierung durch die Kultur
von Habermas an anderer Stelle eine „innere Natur“ (a.a.O., 88) als Basis
angenommen wird, deren Grundlage außerhalb des kulturellen Zugriffs zu liegen
scheint. Allerdings ist zu kritisieren, dass dieser Aspekt von Habermas selbst
nicht näher ausgeführt wird und im Dunklen bleibt.
(4) Die höchstmögliche Entwicklungsstufe, die autonome
Ich-Identität zeichnet sich nach Habermas durch die Zurücknahme der Identität
„hinter die Linien aller besonderen Rollen und Normen“ (a.a.O., 95) aus. Zwar
verbleibt das Subjekt in seiner Lebenswelt nach wie vor als Mitglied sozialer
Gruppen bestimmten Rollen verhaftet, definiert sich aber nicht mehr ausschließlich
über diese, sondern vermag sich von jeder zu differenzieren. Gleichzeitig
gelingt es ihm trotz aller widersprüchlichen Anforderungen „mit sich identisch
zu bleiben“ (a.a.O., 93) und so einen Anspruch auf Individualität und
Einzigartigkeit zu erheben. Identität auf dieser postkonventionellen Stufe der
Entwicklung3 kann sich demnach nur performativ
äußern, also als Anspruch auf Konsistenz gegenüber einem Alter Ego in einer
sprachlichen Interaktion, und kann nicht als deskriptives Merkmal eines
Menschen gesehen werden. Dies erfordert eine eigenverantwortliche Übernahme
seiner Biographie im Blick auf Individualität: „Eine Biographie verantwortlich
zu übernehmen heißt, sich darüber klar zu werden, wer man sein will, und aus
diesem Horizont die Spuren der eigenen Interaktion so zu betrachten, als seien
sie Sedimente der Handlungen eines zurechnungsfähigen Urhebers, eines Subjekts
also, das auf dem Boden eines reflektierten Selbstverständnisses gehandelt
hat“ (Habermas, 1995b, 151). Erst aufgrund dieser qualitativen, „prädikativen
Selbstidentifizierung“ (a.a.O., 156) einer Person kann sie nach Habermas
überhaupt numerisch und generisch als Person identifiziert werden.4 In dieser Fassung verweist der
Begriff einer gelungenen Identität also zugleich auch auf den
Individualitäts-Begriff, muss sich doch das seine Identität performativ
beanspruchende Individuum in seiner Beantwortung der Frage, „was für ein
Mensch“ (Habermas, 1995b, 161) es sei, aufgrund der Unmöglichkeit der
Bezugnahme auf eine Rolle zugleich als genuine Individualität beanspruchendes
zeigen. Auch diese Individualität ist demnach eine „Eigenleistung [… und] Individuierung
[…] eine Selbstrealisierung des Einzelnen“ (Habermas, 1992, 190) und kein
askriptives Merkmal. Die Tatsache, dass die
„Bedeutung des Ausdrucks >Individualität< [nur] mit Bezugnahme
auf das Selbstverständnis eines sprach- und handlungsfähigen Subjekts zu
erklären , das sich als unvertretbare und unverwechselbare Person
gegenüber anderen Gesprächsteilnehmers darstellt und gegebenenfalls rechtfertigt“
(a.a.O., 207),
verweist dabei wiederum auf die sprachliche Interaktion als conditio
sine qua non jeglicher Individuierung. In dem Sinne, als der
Individualitätsanspruch jedoch nur performativ beansprucht wird, kommt ihm kein
entsprechendes, absolut adäquates Referenzobjekt in der natürlichen Welt zu;
vielmehr eignet ihm ein „Moment der Idealisierung“ (a.a.O., 226). Eine solche
Rechtfertigung bezieht sich nicht nur auf alle faktisch existierenden
Menschen, sondern gewissermaßen auf eine unendliche Anzahl sich
propositionaler Sprache bedienender Wesen, welche selbst, um in einen solchen
Diskurs eintreten zu können, über eine entsprechende Identität verfügen müssen:
eine „ideale Kommunikationsgemeinschaft“ (Habermas, 1995b, 147).
Erst durch die Befreiung aus jeder (zugeschriebenen)
konventionellen Identität und dem reflexiven Umgang mit kulturellen Traditionen
und Normen gelingt dem Subjekt ein anderer Umgang mit seiner inneren Natur,
indem „die Bedürfnisinterpretationen nicht länger als gegeben angenommen,
sondern in die diskursive Willensbildung einbezogen werden“ (Habermas, 1976,
87). Dies ermöglicht ein Aushandeln der Ausdrucksformen der eigenen, inneren
Natur über die gesellschaftlich vorgegebenen Formen hinaus bzw. teilweise
überhaupt erst deren Benennung und Versprachlichung, was sie einem vernünftigen
Diskurs eröffnet. Dieses Ziel eines „kommunikativen Zugangs zur eigenen inneren
Natur“ (a.a.O., 88) wird von Habermas einerseits auf der Entwicklungslinie der
Ausdifferenzierung moderner Gesellschaften sozialwissenschaftlich als möglich
gefasst, erhält aber auch durch seinen Bezug auf ein ethisches Ideal eine
genuin philosophische Komponente, welche implizit in der psychoanalytischen
Sichtweise stets vorhanden war. Denn „[s]obald man die Psychoanalyse als
Sprachanalyse deutet, zeigt sich der nämliche normative Sinn darin, dass das
Strukturmodell von Ich, Es und Über-Ich den Begriff einer zwanglosen,
pathologisch nicht verzerrten Kommunikation voraussetzt“ (a.a.O., 64).
Zusammenfassend zeigt sich, dass das Ideal herrschafts- und
zwangsfreier Kommunikation nach Habermas die bei Adorno nie ausgewiesenen und
gerechtfertigten Ideale entfaltet. Insbesondere sein Leitbild einer „
Gesellschaft [, welche…] kein Einheitsstaat, sondern die Verwirklichung des Allgemeinen
in der Versöhnung der Differenz“ (Adorno, 2001, 184) wäre, lässt sich unter
Bezugnahme auf Habermas gut explizieren. So erlaubt eine ideale Kommunikationsgemeinschaft
einerseits eine allgemeine, vernünftige Konsensbildung über das moralisch
Richtige, verwirklicht also das vernünftige Allgemeine, welches Adorno im
Rückgriff auf Hegel gefordert hatte; andererseits lässt sie aber auch die
„Identität eines sich zwanglos mit sich selbst verständigenden Individuums“
(Habermas, 1995a, 524) und damit eine außerhalb repressiver Zwänge sich
entfaltende Subjektivität, mithin die Differenz im Allgemeinen, zu. Ihr
entspricht zusammenfassend also „eine Ich-Identität, die Selbstverwirklichung
auf der Grundlage autonomen Handelns ermöglicht“ (Habermas, 1995b, 150).
4) Systematischer Vergleich der Stellung des Subjekts bei
Foucault und Habermas
Aufbauend auf der in den vorherigen Kapiteln geleisteten
Arbeit eines kurzen Überblicks der Stellung des Subjekts bei Foucault und
Habermas soll abschließend ein kurzer Vergleich ausgewählter Aspekte erfolgen.
Dazu sollen zunächst grundlegende Differenzen beider Theorien einander
gegenübergestellt werden. Daran anschließend möchte ich zeigen, wie diese
Unterschiede in der Theoriekonstitution entscheidenden Einfluss auf das
jeweilige Verständnis des Subjekts ausüben. In einem letzten Punkt soll
abschließend kurz erörtert werden, inwieweit eine Vermittelung zwischen beiden
Subjektbegriffen überhaupt möglich wäre.
4.1) Divergierende Grundprinzipien bei Foucault und
Habermas:
Die entscheidendsten Differenzen zwischen Foucault und
Habermas lassen sich anhand von drei Prinzipienvergleichen ermitteln, die im
Folgenden kurz erläutert werden. Eine deskriptiv verbleibende
Gegenüberstellung soll als Ausgangspunkt für die in diesem Kapitel zu
leistende Aufgabe vollauf genügen.
(1) Entwicklungslogik vs. Kontingenz: Zum einen konnte
gezeigt werden, dass für Habermas die Entwicklungslogik eine bedeutsame Rolle
spielt. Entwicklungen laufen nicht beliebig ab, sondern folgen einer „hierarchisch
geordnete Folge von Strukturen“ (Habermas, 1983, 138), welche auf die Irreversibilität
von Lern- und inneren Aufbauprozessen zurückzuführen und je als strukturiertes
Ganzes beschreibbar sind. Bei Foucault finden wir hingegen den Verweis auf die
Kontingenz von Veränderungen. Zwar geht er in Anlehnung an den französischen
Strukturalismus von einem „anonymen und zwingenden [Gedankensystem], nämlich
dem einer Epoche und einer Sprache“ (Foucault, 1985a, 205) aus, doch variieren
diese Strukturen als Antworten auf kontingente, historische Veränderungen. So
erweist sich beispielsweise im Laufe des 18. Jahrhunderts das
Bevölkerungswachstum als ein Problem, was zur Herausbildung eines
Sexualitätsdispositivs führt. Dieses trägt u. a. als „Diskurs, der das sexuelle
Verhalten der Bevölkerung gleichzeitig zum Gegenstand der Analyse und zur
Zielscheibe von Eingriffen macht“ (Foucault, 1983, 32), zur Regulierung bei.
Dementsprechend lässt sich Foucaults Denken auch als eine „Philosophie des
Ereignisses“ (Schmid, 2000, 24) beschreiben.
(2) Geltung vs. Macht: Eng mit der Entwicklungslogik
verbunden ist bei Habermas die Fokussierung auf Geltung(sansprüche), nehmen wir
doch in unseren Äußerungen jeweils Bezug auf eine „Welt legitimer Ordnungen […,
eine] Welt existierender Sachverhalte [… sowie einer jeder Person] privilegiert
zugänglichen subjektiven Welt“ (Habermas, 1995a, 413). Die Äußerungen sind
immer nur unter Rekurs auf Gründe verstehbar, mit welchen diese gerechtfertigt
werden können. Damit bewegen wir uns nach Habermas auf der Ebene verständigungsorientierten
Handelns immer schon in Rechtfertigungszusammenhängen, wir können aus den
„allgemeinen pragmatischen Voraussetzungen der Argumentation überhaupt“
(Habermas, 1983, 174) nie heraustreten. Aus diesem jeder Sprache innewohnenden
Rationalitätspotential kommt es im Laufe der geschichtlichen Freisetzung dieser
zu einer Steigerung der Rationalität der Lebenswelt.
Foucaults Ansatz versucht dahingegen, die scheinbar
vordergründige Rationalität zu unterlaufen, indem er die Sprach- und
Wissensformen einer Zeit als abhängig von zugrunde liegenden Strukturen und
Rationalitätsformen ansieht, welche selbst nicht mehr verhandelbar sind. Ihnen
selbst liegt die Macht als alleiniges Prinzip zugrunde, welches alles
hervorbringt, denn „sie produziert Wirkliches. Sie produziert
Gegenstandsbereiche und Wahrheitsrituale: das Individuum und seine
Erkenntnis sind Ergebnis dieser Produktion“ (Foucault, 1994b, 250). Aus diesem
Grund lässt sich auch kein eindeutiges Urteil abgeben, welches Argument
‚rational’ ist, hängt doch der Begriff der Rationalität selbst von den in einer
Epoche gültigen Wahrheitsritualen ab.
(3) Universalität vs. Singularität: Wiederum eng verknüpft
mit den bereits erläuterten Unterschieden ist ein drittes subjekttheoretisch
relevantes Prinzipienpaar. Habermas’ Emphase auf die Universalität zeigt
sich nicht nur in der bereits erwähnten allgemein gültigen Entwicklungslogik,
sondern auch in den Entwicklungszielen. Generalisierbarkeit finden wir so beim
Universalisierungsgrundsatz als Argumentationsregel für praktische Diskurse
(vgl. Habermas, 1983, 127), beim Idealbild einer emanzipierten Gesellschaft
bzw. einer idealen Kommunikationsgemeinschaft und in der universellen Struktur
autonomer Ich-Identitäten. Demgegenüber verweist Foucault beständig auf den
Einfluss kontingenter, singulärer Ereignisse in der historischen Entwicklung
und seine These, dass es „keine universelle Form des Subjekts, die man überall
wiederfinden könnte“ (Foucault, o.J.a, 137), gebe. Ebenso möchte er gegen die
gesetzesartigen Ethiken der Normalisierungsgesellschaft eine individuelle
Ästhetik der Existenz durch „Praktiken der Befreiung und Freiheit“ (a.a.O.,
138) stark machen und so „das Singuläre in seiner irreduziblen Singularität […]
denken“ (Machery, 1991, 183).
Im Folgenden soll nun die soeben erarbeiteten
grundsätzlichen Differenzen in den theoretischen Systemen von Habermas und
Foucault für einen Vergleich ausgewählter Aspekte fruchtbar gemacht werden.
4.2) Vergleich ausgewählter subjekttheoretischer Aspekte bei
Foucault und Habermas
(1) Subjekt, Sprache und Intersubjektivität: Das Verhältnis
des Einzelnen zur Gemeinschaft stellt eine der klassischen Fragen der
Sozialphilosophie dar und tangiert daher unmittelbar eine jede philosophische
Subjekttheorie. Im speziellen Zusammenhang eines Vergleiches zwischen Habermas
und Foucault wird dabei auch kurz auf die Rolle von Sprache und sprachlich
konstituierter Wirklichkeit zurückzukommen sein.
Nach Habermas konstituieren sich selbstbewusste Subjekte
überhaupt erst durch das Eingebundensein in soziale Beziehungen. Auch der frühe
Foucault weist auf den subjektkonstituierenden Einfluss von Machtwirkungen und
Dispositiven hin, welche über Sprache und Gesellschaft vermittelt sind. Damit
stellt er aber in diesem Sinne das genaue Gegenbild zu Habermas dar: zwar
werden Subjekte ebenso primär innerhalb intersubjektiver Zusammenhänge konstituiert,
dabei wird aber im Gegensatz zu Habermas der Charakter der Macht, der Unterwerfung
betont. Dies zeigt sich vor allem in der Rolle der Sprache, welche für Habermas
den grundlegenden Subjektivierungszusammenhang darstellt, wohingegen sie für
den frühen Foucault eine eigenständige Struktur bildet, so dass das Subjekt
eine „Leerstelle im Diskurs , die beliebig ersetzt werden kann“
(Lavagno, 2003, 185). Da das Auftreten dieser einzelnen Diskurse „zerstreut
diskontinuierlich“ (Foucault, 2003, 41) ist, sieht sich das Subjekt
eingebettet in ein Chaos kontingenter Diskurse.
Demgegenüber wird der späte Foucault seine der Antike
entnommene Idee der Heautokratie stark machen und auf die Selbstkonstitution
der Subjekte im Rahmen einer Ästhetik der Existenz pochen. Sie vollzieht sich
nicht einsam, sondern ist in den Rahmen von Freundschaftsbeziehungen
eingebettet, welche als Modell gelingender Intersubjektivität gegen die
kontrollierenden Tendenzen der Disziplinarmacht gestellt werden. Diesen ist
insofern ein „transgressives Element“ (Ortega, 1997, 225) zu eigen, als die Subjekte
innerhalb dieser aufgrund der ubiquitären Macht stets auch agonistischen
Sozietätsformen sich selbst immer wieder überschreiten und neu erfahren können.
Agonistisch sind sie insoweit, da es – wie Foucault gegen Habermas einwendet – „keine Gesellschaften ohne Machtbeziehungen geben kann,
sofern man darunter Strategien begreift, mit denen die Individuen das
Verhalten der Anderen zu lenken und zu bestimmen versuchen. Das Problem ist
also nicht, sie in der Utopie einer vollkommen transparenten Kommunikation
aufzulösen zu versuchen, sondern […] innerhalb der Machtspiele mit dem
geringsten Aufwand an Herrschaft zu spielen“ (Foucault, 1985b, 25).
Hier tritt ein subjekttheoretisch gravierender Unterschied
hervor. Für Foucault gewinnt das Subjekt dadurch an Freiheit, dass es sich dem
intersubjektiven Einfluss entzieht und eine selbstbezügliche
ästhetisch-existenzielle Haltung zu sich einnimmt. Die Sprache spielt nun keine
Rolle mehr, während sie in seiner frühen Phase eher als Gegenkraft zu gelungener
Subjektivität in Erscheinung trat. Bei Habermas hingegen durchdringt die
Sprache das ganze Subjekt und sorgt im intersubjektiven Zusammenhang überhaupt
erst dafür, dass sich ein Subjekt ausbilden kann. Diese Ausbildung folgt dabei
einer strengen Entwicklungslogik, welche den Menschen zwar zuerst
vergesellschaftet, ihn aber dadurch zugleich auch zu mehr Individualität
führt, so dass wir uns „nur in dem Maße, wie wir in diese soziale Umgebung
hineinwachsen, wir uns als zurechnungsfähige handelnde Individuen
[konstituieren]“ (Habermas, 1992, 220). Ein nicht vergesellschafteter Mensch
kann, wie Habermas in der aktuellen Debatte um die Willensfreiheit betont,
überhaupt nicht frei sein, denn frei „ist nur der überlegte Wille“ (Habermas,
2004, 874), was auf propositionale Sprache und das Aushandeln von
Geltungsansprüchen als Voraussetzung eines jeden Überlegens verweist. Den
höchsten Punkt der Autonomie und Selbstverwirklichung erreicht das Subjekt
nach Habermas nicht im Bruch mit der Vergesellschaftung und in der
selbstbezüglichen Heautokratie, welche sich in ein agonistisches Freundschaftsverhältnis
eingebettet weiß, das einer Gerinnung der fluiden Macht zu fester Herrschaft
entgegensteht. Vielmehr erreicht das Individuum ihn erst in einer (stets nur als
Ideal zugänglichen) universalen und idealen Kommunikationsgemeinschaft, innerhalb
welcher es die Legitimation von Normen und Interessen in einem vernünftigen
Diskurs aushandeln kann. Das Foucaultsche Freundschaftsideal rückt entgegen
des grundlegenden Sozialbezugs des Habermas’schen Subjektes, welches sich dem
Anderen als einem ‚Du’ nähert, eher in die Nähe instrumenteller Beziehungen:
Foucaults Subjekt braucht den Freund, um seine eigene Ästhetik der Existenz im
Rahmen nicht-geronnener Sozietätsformen ausüben zu können, doch eine
tiefergehende Sozialbindung scheint hier zu fehlen.
Die große Differenz zwischen beiden wird vor allem im
Kontrast mit dem klassischen Philosophen der Freundschaft und Gemeinschaft,
Aristoteles, deutlich. Dieser hatte die Freundschaft „zum Notwendigsten im
Leben“ (Aristoteles, 2000, 1155a3) gerechnet. Für ihn galt, wie P. Schulz zusammenfasst,
dass „die authentische Form der Selbstliebe in letzter Instanz auf das
Entstehen solcher Freundschaften abzielt, in der das Gut eines Freundes
zugleich als das eigene Gut verstanden wird“ (Schulz, 2000, 317). Die
entscheidende Fähigkeit für die Übernahme bzw. Wahrnehmung des Gut des Freundes
als eigenes sah Aristoteles dabei in der „Mitwahrnehmung“ (a.a.O., 320). Dabei
geht seine Philosophie von primär selbstständigen Individuen aus, welche aus
individueller Seele und Materie konstituiert sich „zunächst um des bloßen
Lebens willen […], dann aber um des vollkommenen Lebens willen“ (Aristoteles,
1984, 1252b29) zu Gemeinschaft und Staat zusammenschließen. Durch die
Ausrichtung auf das Gute ist der Mensch „von Natur ein staatenbildendes Wesen“
(a.a.O., 1253a2).
Anhand dieses dritten Vergleichsmomentes wird nun die
Differenz zwischen Habermas und Foucault noch deutlicher. Habermas unterscheidet
sich von Aristoteles darin, dass er, bei aller Relevanz, welche auch
Aristoteles der Sprache als Fähigkeit „das Nützliche und Schädliche mitzuteilen
und so auch das Gerechte und Ungerechte“ (a.a.O., 1252a14) einräumt, die
soziale und sprachliche Natur des Menschen viel stärker betont. Der einzelne
wird als Subjekt mit einer bestimmten Identität und mit geistigen Fähigkeiten
bei Habermas erst durch die Sozialisation in Gemeinschaften im Durchlaufen
einer bestimmten Entwicklungslogik konstituiert. Denn es lässt sich „die
Bedeutung des Ausdrucks >Individualität< [nur] mit Bezugnahme auf das
Selbstverständnis eines sprach- und handlungsfähigen Subjekts [klären], das
sich als unvertretbare und unverwechselbare Person gegenüber anderen Gesprächsteilnehmers
darstellt und gegebenenfalls rechtfertigt“ (Habermas, 1992, 2007). Damit
unterscheidet sich Habermas von Aristoteles, welcher eine individuelle Wesensnatur
als Grundlage angenommen hatte. Habermas’ Subjekt ist ein durch und durch
soziales, welches selbst seine Individualität seiner Sozialität verdankt.
Foucault unterscheidet sich nun meines Erachtens in genau entgegengesetzter
Richtung von Aristoteles, sind doch die sozialen Bande deutlich schwächer
ausgeprägt als beim Aristotelischen Subjekt. Während dieses von Natur aus ein
Gemeinschafts- und Staatenwesen ist, ja gar „abgetrennt von Gesetz und Recht
das schlechteste [Wesen] von allen“ (Aristoteles, 1984, 1253a32-1253a33),
misstraut das Foucaultsche Subjekt allen Gesetzen von Grund auf, da sie
geronnene Machtverhältnisse darstellen. Wahre, selbstbestimmte Individualität
gewinnt das Individuum erst durch seine selbstbezügliche Bemächtigung und
Existenzgestaltung. Dabei bildet es agonale Freundschaften von zweifelhafter
Beständigkeit. Hierin zeigt sich eine deutlich ‚individualistischere’
Ausrichtung des Subjekts bei Foucault im Vergleich zu Aristoteles.
(2) Subjekt und Triebnatur: Eine grundlegende
Problemstellung innerhalb der Philosophie betrifft die Einschätzung leiblicher
Begierden und Lüste. Bereits Platon hatte Schwierigkeiten damit, diese in sein
Denken einzuordnen und zu einer konsistenten Beurteilung zu gelangen (vgl.
Paulus, 2003).
Bei beiden gleichermaßen finden wir ein zugrundeliegendes
Antriebspotential (vgl. Habermas, 1981, 293) bzw. „Lüste“ (Foucault, 1983,
105), welche aber als solche nie in Erscheinung treten, ja gar nicht in
Erscheinung treten können, da der Mensch immer schon ein gesellschaftliches
Wesen ist und so diese triebtheoretischen Grundlagen (über)formt sind. Demnach
konstituieren sich Wünsche und Begierden nur als Produkte soziokultureller
Prozesse. Klassische Beispiele hierfür findet sich bei Foucault, wenn er die
„Produktion der Sexualität [d]iese [sei] nämlich nicht als eine
Naturgegebenheit zu begreifen“ (ebd.), oder wenn er sich fragt: „[D]as
Geschlecht […], müsste das nicht eigentlich […] etwas sein, was von dem
Sexualitäts-Dispositiv produziert worden ist?“ (Foucault, 1978, 144f) Auch
Habermas spricht davon, dass der „Motivhaushalt der assoziierten Einzelnen
symbolisch erfasst und über dieselben semantischen Gehalte strukturiert wird“
(Habermas, 1995b, 88).
Gleichzeitig gehen beide Autoren aber auch davon aus, dass
innerhalb einer Kultur Bedürfnisse unterdrückt werden. Habermas beschreibt
hierbei hinsichtlich der „Psychodynamik des Bildungsprozesses […] die
Triebschicksale, in die die Ichentwicklung eingeflochten ist“ (Habermas, 1976,
85). Foucaults Wendung zur antiken Ethik lässt sich nur verstehen als
Befreiung des Menschen von der Unterdrückungsmaschinerie der
Normalisierungsmacht und der Auflösung des Sexualitätsdispositivs als
Verklammerung eigentlich „weit voneinander entfernte Phänomene“ (Foucault,
1989, 49).
Systematisch betrachtet stehen beide Autoren damit
gleichermaßen in der Tradition des Sozialkonstruktivismus, welcher von M.
Nussbaum umschrieben wird:
„Das Gebiet des Sexuellen und das damit eng verwandte Gebiet
der Familie [...] sind Bereiche, die von historischen und institutionellen
Kräften geformt werden, aber zugleich biologisch gegebenen Rahmenbedingungen
unterliegen“ (Nussbaum, 2002, 169).
Beide Autoren treffen sich mit ihren
sozialkonstruktivistischen Ansätzen auf dem Boden einer gemeinsamen Zurückweisung
rein naturalistischer Triebtheorien.
Mit diesen Aussagen verfangen sich aber beide in demselben,
in dieser Arbeit bereits diskutierten Paradox: wie kann eine eigentlich
unselbstständige, quasi beliebig überformbare und amorphe leibliche Grundlage,
welche überhaupt nur als gesellschaftlich geformte in Erscheinung tritt von der
gleichen Gesellschaft unterdrückt werden? In diesem Sinne hat man
beispielsweise Foucault gegen seine Entlarvung der Psychoanalyse als Diskurse
über den Sex produzierenden Agenten der Normalisierungsmacht entgegengehalten,
“[dass das Unbewusste ein wirkliches Geheimnis ist]. Ist die
Mitteilung nämlich derart in sich geschlossen, [d. h. existieren keine
unbewussten Triebe und Wünsche,] dann kann auch dem Subjekt kein Diskurs
unterstellt werden, der sich von dem tatsächlich gesprochenen unterschiede“
(Lagrange, 1990, 49).
Größere Differenzen zwischen Habermas und Foucault treten
erst dort auf, wo sie Wege des Entkommens aus den oktroyierten
Bedürfnisinterpretationen skizzieren. Habermas zielt auf eine ideale
Kommunikationsgemeinschaft, worin autonome Subjekte „die
Bedürfnisinterpretationen nicht länger als gegeben [annehmen], sondern in die
diskursive Willensbildung [einbeziehen]“ (Habermas, 1976, 87). Sein Ziel liegt
also in universellen Kommunikationsstrukturen, innerhalb derer der praktische
Diskurs über die Geltung von Normen der inneren Natur berechtigten und „freien
Zugang zu den Interpretationsmöglichkeiten der kulturellen Überlieferung“
(a.a.O., 88) gewährt. Foucault hingegen setzt auf das Gegenteil. Er beschreibt
eine Lösung von universellen gesellschaftlichen Normen und favorisiert eine
Ethik antiker Art, welche das Subjekt auffordern, sich „auf autonomere Art und
Weise – über Praktiken der Befreiung und Freiheit“ (Foucault, o.J., 138)
selbst zu konstituieren. „Es [geht] darum, sein Leben zum Gegenstand einer
Art von Wissen, einer techne, einer Kunst zu machen“ (Foucault, 1994c, 283).
Dabei bleibt das Subjekt aber nach wie vor Produkt von Machtprozessen, nun
aber von ihm selbst in seiner Singularität ausgeübt.
(3) Subjekt, Ethik und Identität: Als letzter
Vergleichspunkt soll nun die Frage nach dem Zusammenhang von Ethik und
Identität bei Habermas und Foucault ins Zentrum der Aufmerksamkeit gerückt
werden. Beide äußern sich in origineller Weise zu diesen Grundlagenfragen der
Philosophie und wieder können wir uns in ihren theoretischen Entwürfen den
Einfluss der divergierenden Grundprinzipien vor Augen führen.
Eine augenfällige Gemeinsamkeit in ihrem Denken ist, dass
sie jeweils wahre Individualität als eine Eigenleistung des Subjekts
beschreiben, als etwas, das es im Laufe des eigenen Lebens erst zu erarbeiten
gilt. So fasst etwa Habermas „Individuierung als eine Selbstrealisierung des
Einzelnen“ (Habermas, 1992, 190), welcher im Gespräche performativ Anspruch
auf seine Individualität erhebt. Foucault hingegen nutzt den Begriff zuerst im
Sinne der Unterwerfung unter die Normalisierungsmacht, welche dem Subjekt
„seine Individualität aufprägt es an seine Identität fesselt“ (Foucault,
1994b, 246) und entdeckt eine „Korrelation zwischen einer wachsenden
Individualisierung und der Stärkung eben dieser Totalität“ (Foucault, 1993,
186). Auf der anderen Seite lassen sich aber seine späten Schriften gerade auch
unter dem Blickpunkt einer gelungenen, selbst gebildeten Individualität
betrachten, in welcher das einzelne Individuum sich selbst gemäß einer Ästhetik
der Existenz formt. In diesem Sinne gilt auch für Foucault, dass gelungene
Individualität Leistung eines Subjekts selbst sein muss. Beide Positionen
zeichnen sich dabei durch eine Einbeziehung existenzphilosophischer Elemente
aus: Wenn Habermas davon spricht, dass eine verantwortliche Übernahme der
eigenen Biographie nur auf der Klärung der Frage, „wer man sein will“
(Habermas, 1995b, 151), gelingt, so zeigt dies Ähnlichkeit zu Heideggers
Analyse des Entwurfs in der Weise, dass „in seinem Entworfenen dessen Woraufhin
sichtbar wird“ (Heidegger, 2001, 324). Auch Foucaults Programmatik, dem „eigenen
Leben eine gewisse Form zu geben“ (Foucault, o.J.a, 135), muss notwendigerweise
eine Art Selbstentwurf implizieren, auf den hin man die Formung meiner selbst
vornimmt.
Damit treten aber auch schon die Differenzen zwischen beiden
Philosophen zutage. Für Habermas sind Ethik und Identität immer miteinander
verknüpft, da beide aus einer Erweiterung und Integration der
Perspektivenstruktur sowie der Weltbezüge resultieren und im Falle einer
idealen Kommunikationsgemeinschaft eine vollständig autonome Ich-Identität
sowie ein universaler praktischer Diskurs zur Prüfung von Normen
zusammenfallen und sich gegenseitig voraussetzen, so dass sich im Kantschen
Sinne „eine pathologisch-abgedrungene Zusammenstimmung zu einer Gesellschaft
endlich in ein moralisches Ganzes [verwandelt]“ (Kant, 1999, 8). Dahingegen
sieht Foucault gerade in der Identität ein Werkzeug der „Subjektivierung der
Menschen, das heißt Konstituierung als Untertanen/Subjekte“ (Foucault,
1983, 64). Aus diesem Grund propagiert er eine Ethik, welche das Subjekt von
dem befreit, „was [das] Individuum an es selbst fesselt und unterwirft“
(Foucault, 1994b, 248), also eine Ethik, welche mit der Identität einer Person
bricht. Seine Ethik orientiert sich statt an „allgemeinen pragmatischen Voraussetzungen
der Argumentation überhaupt“ (Habermas, 1983, 174) an einem „Prinzip der
Stilisierung des Verhaltens […, um der] Existenz die schönste und vollendetste
Form“ (Foucault, 1989, 315) zu geben. So wird einsichtig, weswegen Foucault in
seiner Ethik auf die Begriffe Erfahrung, Kunst und Ästhetik rekurriert, sind
doch die Bereiche ästhetischer Gestaltung nicht durch klare technische bzw.
moralische Imperative, sondern durch Ratschläge und Techniken bezeichnet,
welche zur Konstitution eines je individuellen, singulären Werkes führen. Für
Habermas ist die Fähigkeit „mit sich identisch zu bleiben“ (Habermas, 1976, 93)
im Rahmen einer autonomen Ich-Identität dabei kein Verhaftetsein hinsichtlich
einer bestimmten, materialen Identität, sondern ein performativer Anspruch,
welcher sich im Handeln einer Person bewähren muss. Dieser Anspruch auf
Identität ist für Habermas zugleich Bedingung jeder Kommunikation, denn das
Subjekt
„könnte freilich nicht auf die Akzeptanz seiner
Sprechhandlungen rechnen, wenn [es] nicht schon voraussetzte, dass [es] vom
Adressaten als jemand ernst genommen wird, der sein Handeln an
Geltungsansprüchen orientieren kann“ (Habermas, 1992, 230).
Darüber hinaus weist er darauf hin, dass Subjekte innerhalb
einer rationalisierten Lebenswelt zwar die instutionellen Ordnungen
problemlos einer kritischen Prüfung unterziehen, sich jedoch nicht in gleicher
Weise von den kulturellen Werten distanzieren können. Sie – und dies ließe
sich durchaus als Entgegnung auf Foucault beziehen –
„durchziehen das Gewebe einer existenzprägenden und
identitätssichernden kommunikativen Alltagspraxis, […] sie prägen die
Identität von Gruppen und Individuen derart, dass sie einen integrierten Bestandteil
der jeweiligen Kultur und der Persönlichkeit bilden. Wer Lebensformen in
Frage stellt, in denen sich die eigene Identität gebildet hat, muss die eigene
Existenz in Frage stellen[, was sich] in […] Lebenskrisen“ (Habermas, 1983,
189)
äußert.
Dabei entdecken wir am Grund dieser Differenzen nicht nur
die divergierenden Prinzipien wieder, so zum Beispiel in der universalen
Struktur der Habermas’schen Ethik und seiner Identitätskonzeption im Gegensatz
zum singulären Subjekt und ästhetischen Ethikansatz Foucaults. Sie verweisen
auch auf zugrunde liegende Unterscheide im Vernunftbegriff selbst. Während
Habermas das Vernunftpotential menschlicher Kommunikation hervorhebt und diese
universale Vernunft im Erbe der Aufklärung fortschreiben möchte, fällt bei
Foucault das tiefe Misstrauen gegen eine angeblich selbsterklärende Vernunft
auf. So möchte er aus der Epoche der Aufklärung nur die „Form einer möglichen
Überschreitung“ (Foucault, 1990, 48) in die Gegenwart retten. Vernunft finden
wir als solche beim späten Foucault überhaupt nicht thematisiert; wir können
sie lediglich in der Tugend, der Haltung der Überschreitung vermuten.
Die vorangehenden Kapitel offenbarten einige
Gemeinsamkeiten, aber auch große Differenzen in den subjekttheoretischen
Position Foucaults und Habermas’. Abschließend soll nun die Frage behandelt
werden, ob trotz aller Differenzen nicht eine Vermittlung zwischen beiden
Positionen möglich ist. Da eine vollständige Behandlung dieser Frage eine
eigenständige Arbeit erfordern würde, soll der Fokus des nun folgenden
Abschnittes auf den Identitätsbegriff gelegt werden.
4.3) Ausblick - Skizze einer Vermittlungsmöglichkeit
Bedenkenswert ist die Frage, ob sich nicht ein
Identitätsbegriff konstruieren lassen würde, welcher Elemente von Foucault und
Habermas integriert. So hat etwa G. Gamm vorgeschlagen, angesichts einer
Gesellschaft, deren „Substanz der auf Dauer gestellte Wandel“ (Gamm, 1992, 81)
ist und welche im Ergebnis eine „Multiplikation unseres Selbst in eine Vielheit
unverbundener Verhaltens- und Erfahrungspartikel“hervorbringt, den
Identitätsbegriff gänzlich fallen zu lassen und auf den Begriff der Ähnlichkeit
auszuweichen: „Die Selbstreferenz funktioniert nach Art einer Metapher […]. Wir
verstehen uns, wie wir eine Metapher verstehen“ (a.a.O., 91). Diese Idee eines
interpretativen Zugangs zu einem Selbst hat P. Ricoeur innerhalb der
hermeneutischen Tradition mit seinem Begriff der ‚narrativen Identität’
verfolgt, ohne jedoch wie Gamm die Identität zugunsten einer metaphorisch
verstandenen Ähnlichkeit aufzulösen. Dieses Konzept der narrativen Identität
zeigt sich geeignet, Foucault und Habermas zusammen zu führen. Ricoeur
unterscheidet zwei Arten von Identität (cgl. Ricoeur, 1991, 73): zum einen
Identität als Gleichheit bzw. lateinisch idem, zum anderen als Selbst bzw.
lateinisch ipse. Erstere wird auf Dinge angewandt, zweitere nur Personen
zugesprochen. Dabei kommt es häufig zu einer Vermischung und Verwechslung
beider Bedeutungen von Identität, was zu Problemen führt. Ricoeur verfolgt nun
mit seinem Konzept der narrativen Identität das Ziel, die Permanenz des Selbst
als persontypische Art der Identität weiter aufzuklären. Er kommt zu dem
Schluss, dass „the narrative constructs the durable character of an
individual, which one can call his or her narrative identity“ (a.a.O., 77),
denn “knowledge of the self an interpretation” (a.a.O., 80).
Für unsere Fragestellung einer Vermittlung zwischen Foucault
und Habermas ist hierbei interessant, dass narrative Identität im Sinne Ricoeurs
deutlich gegen die Vorstellung einer Identität als Gleichheit abgegrenzt wird
und so Foucaults Befürchtungen einer aufoktroyierten Identität als
fortdauernder Zwang entgegensteht. Sie liefert vielmehr das Potenzial für
Foucaults Aufforderung „sich gegenüber der eigenen Unterwerfung zu verhalten
und unerträglichen Macht- und Herrschaftsverhältnissen zu widerstehen“ (do
Mar Castro Varela, 2004, 120f). Zugleich haftet einer narrativ, also
erzählerisch vollzogenen Identitätsbildung ein wesentlich ästhetisches
Element an, lässt sie sich doch nicht als Besonderes unter ein Allgemeines
subsummieren, sondern muss je individuell die Lebensgeschichte erzählen. Damit
zeigt sich aber auch, dass sie ganz im Sinne von Habermas stets nur im Medium
sprachlicher Kommunikation - denn jedes Erzählen setzt einen Zuhörer voraus -
gebildet wird. Und dabei erhebt der Sprecher durch seine Narration
gleichzeitig den Anspruch, als Person identifiziert zu werden, denn – mit den
Worten von Habermas – eine „identifizierbare Person, die der Sprecher mit
>ich< bezeichnet hat, nicht als eine Entität gemeint, die allein
aufgrund von Beobachtungen identifiziert werden kann“ (Habermas, 1995b, 158).
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1 Markus Paulus, 2000-2007 Studium
der Psychologie, Philosophie, Soziologie, Italianistik und Geschichte an der KU
Eichstätt-Ingolstadt und der University of Oulu (Finnland), 2006 Diplom in
Psychologie, 2007 M.A. in Philosophie. Seit 2007 wissenschaftlicher Mitarbeiter
an der Radboud University Nijmegen (Niederlande).
2 Beginnend mit Platon, welcher seine
Theorie der Unsterblichkeit und Autonomie der menschlichen Seele den Werken
Homers entgegensetzte, in welchen menschliche Affekte als den Einzelnen
überwältigendes Resultat des Wirkens von Göttern beschrieben und Menschen als
Spielfiguren im Kampf der Götter dargestellt wurden (vgl. Schulz, 2001,
340), verteidigte eine breite Strömung innerhalb der europäischen
Philosophiegeschichte die Priorität des Subjektes. Die Klimax dieser Bewegung
war sicherlich Descartes Ergebnis seiner Suche nach einem fundamentum
inconcussum unseres Wissens. Aufbauend auf der Selbstgewissheit des Subjektes
versuchte er, absolute Gewissheit und zweifelloses Wissen aufzubauen. „Damit
erhält das Wesen des Menschen eine bisher nicht gekannte zentrale Stellung, und
die spätere Kritik am Subjekt geht von diesem ‚Zentrismus’ aus“, konstatiert
Vetter (Vetter, 1987, 28). Klassische Kritikpunkte, um nur ein paar Beispiele
aus einer Vielzahl philosophischer Ansätze zu nennen, wurden etwa von
Schopenhauer und Nietzsche sowie ihrem Nachfolger Freud formuliert, welche den
intelligiblen Charakter der Welt ablehnten und auf die Irrationalität und
Triebbezogenheit allen Lebens verwiesen, oder Heidegger, welcher die
Historizität unseres Wissens und unserer Lebensweisen heraushob.
3 Das gilt sowohl
gesellschaftstheoretisch bezüglich moderner Gesellschaften als auch
ontogenetisch, denn auch in der kindlichen Entwicklung werden die verschiedenen
Stufen von natürlicher Identität, Rollenidentität und autonomer Identität
durchlaufen.
4 Eine Behauptung, welche, wenn man
etwa an Kinder, geistig Behinderte oder komatöse Personen denkt, denen wir ja
den Person-Status nicht versagen würden, recht folgenreich und problematisch
ist, wie R. Fetz (vgl. Fetz, 1988, 91, Anm. 59) klar sieht.
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