Erschienen in Ausgabe: No 46 (12/2009) | Letzte Änderung: 24.10.09 |
von Bettina Röhl
Günter
Grass bei der SS, Karl-Heinz Kurras bei der Stasi. Was braucht die
Republik noch, um die altlinken Mythen und die der Neuen Linken zu
dekuvrieren? Die letzten Pfeiler der hoch ideologisierten, aber
außerordentlich erfolgreichen 68er-Massenbewegung, krachen in sich
zusammen.
Neue Dokumente aus der Birthler-Behörde
belegen, dass der Todesschütze von Benno Ohnesorg, der Westberliner
Polizist Karl Heinz Kurras, bereits seit 1955 als Stasi-Spitzel für die
SED arbeitete. Der Gründungsmythos der 68er, die Demonstration am 2.
Juni 1967 und die Schüsse auf Benno Ohnesorg, müssen neu eingeordnet
werden. Die gängige Bewertung in den Geschichtswissenschaften, die
schon immer falsch war, muss jetzt endgültig korrigiert werden.
Allerdings: Nach allen Erfahrungen der vergangenen vierzig Jahre
sind die 68er-Ideologen und auch das gigantische Millionenheer der
Mitläufer von 68faktenresistent. In ihrem Gründungsmythos „Tod von
Benno Ohnesorg“ als Startschuss für die 68er-Bewegung und als wohlfeile
Rechtfertigung für alles, was dann aus ihren Reihen an Gewalt folgte,
haben sich die satt gefressenen 68er im Laufe der vergangenen vierzig
Jahre immer bequemer eingerichtet.
Und die Renegaten der Bewegung, die in eigener Sache massiv
befangenen Historiker der 68er-Revolution, sind die Innenarchitekten
dieses 68er-Hauses und zugleich die sich kritisch gebenden Security
Gards, die darüber wachen, dass weiterer Schaden vom 68er-Lager fern
gehalten wird. Die 68er werden sich anstrengen, wie schon spontanauf
allen Kanälenbegonnen, die neuen Erkenntnisse über Kurras heimlicher
Zugehörigkeit zur SED runter zu fahren.
Was geschah damals am 2. Juni 1967 wirklich?
Im Mai /Juni 1967 hatte eine Reihe von West-Radikalen (deren
Stasi-Verbindung sicher noch der Erforschung harrt) den Besuch des
Schahs von Persien im Vorwege auserkoren, um ein bisschen Bürgerkrieg
in der Bundesrepublik zu entfachen. Die Stimmung in einzelnen Zirkeln,
an einzelnen Universitäten, die dort ziemlich diktatorisch die
Meinungsführerschaft inne hatten, war auf Putzmachen gebürstet.
Wer die Geschichte genau nachliest, versteht: Auch ohne den Schuss
auf Benno Ohnesorg wäre die 68er-Bewegung, die bereits im Gange war,
voll aus dem Rohr gegangen. Und: Die Gewalt und die Gewaltbereitschaft
gingen, entgegen den Legenden, damals nicht vom Staat aus, sondern von
der sich rapide radikalisierenden APO-Bewegung, die später
68er-Bewegung genannt wurde.
Der Staat tat sich tatsächlich schwer damit gegen
eineradikalisierende winzige Minderheit, die dabei war einen enormen
Einfluss an den Universitäten zu gewinnen, als eine wehrhafte
Demokratie, wie es damals hieß, anzutreten.Die Repräsentanten der
Bundesrepublik reagierten hoffnungslos überfordert auf die ersten
Gewaltaufrufe und Exzesse der Jung-68er-Bewegung.
Dass die bis dahin vollkommen angepasste, friedliche, unauffällige
68er-Generation über Nacht von Revolution und Staatsumsturz redete und
von roten Diktatoren, Völkermördern und Stadtguerilleros, wie Mao, Ho
Tschi Minh und Che Guevara schwärmte, war ein Schock. Dass die jungen
Leute, die selber im Wohlstand aufgewachsen waren, den sozialen
Wohlstand der Bundesrepublik plötzlich als „Konsumscheiße“ beschimpften
und begannen erste Sabotageakte zu inszenieren, war ein Schock für die
gesamte Gesellschaft der Bundesrepublik.
In Echtzeit, Anno 67, als Benno Ohnesorg erschossen wurde, war
dessen Tod allerdings nicht das schlechthinnige Ereignis, das den
historischen Schalter umlegte. Ohnesorgs Tod, unmittelbar von den
APO-Führern für die eigene Sache nutzbar gemacht, heizte die siedende
Stimmung in der APO-Bewegung zwar weiter an, aber das Ereignis, welches
dem Rad der Geschichte der Bundesrepublik eine andere Drehrichtung gab,
war tatsächlich das Einknicken der politischen Führung Berlins als
Folge der Schüsse auf Ohnesorg.
Der Berliner Bürgermeister Heinrich Albertz knickte ein
Die Geschichte gebrochen hat damals der Bürgermeister Berlins,
Heinrich Albertz, der sich von den wild gewordenen Studentenprotesten
hatte anfixen lassen. Die Studenten propagierten nach dem Tod von
Ohnesorg, dass Albertz der eigentliche „Mörder“ von Ohnesorg gewesen
wäre.
Diesen Schuh zog sich Albertz vollkommen sinnloser Weise und
entgegen allen auch damals bekannten Tatsachen an. Denn auch damals
stand fest, dass Kurras nicht mit einem Staatsbefehl der Bundesrepublik
gehandelt hatte.
Der Rücktritt von Albertz und den anderen Funktionsträgern des
Westberliner Staatsapparates nur wenige Wochen nach den Schüssen auf
Benno Ohnesorg, war die eigentliche Katastrophe des Jahres 1967 für die
Geschichte der Bundesrepublik. Dieser Rücktritt wirkte nämlich für die
APO, die außerparlamentarische Opposition, wie ein volles
Schuldanerkenntnis des Staates, wie ein Freifahrtschein für Revolution
und Radikalisierung.
Man kann zusammenfassen: radikale Studenten wollten gemeinsam mit
persischen Schahgegnern, die in Berlin und Westdeutschland die Stimmung
anheizten, Terror und Zerstörung sprich Revolution ( auf Maos Spur) in
den saturierten Rechtsstaat Bundesrepublik tragen. Und sie haben nach
dem 2. Juni 1967 der Bundesrepublik in einem Durchmarsch eine schwere
Niederlage zugefügt. Die 68er-Bewegung, die es noch gar nicht gab,
hatte ihren ersten großen Sieg errungen.
Man hatte mit einer gewalttätigen Demonstration den Berliner
Bürgermeister aus dem Amt gejagt, die Springerpresse als Hetzorgan
„entlarvt“ und einen großen Sympathisantenzuwachs generiert, ein nicht
zu unterschätzender Sieg! Dieser Siegesrausch – und eben nicht die Wut
über einen erschossenen Studenten – war der eigentliche Funke, der die
68er-Bewegung etablierte.
Das Interesse der DDR
Ein solcher Funke war von der DDR jeder Zeit herbeigesehnt worden.
In Ost-Berlin wusste man natürlich auch, dass man einen Märtyrer
erzeugen müsste. In dem Moment war es für die DDR das willkommenste
Szenario, dass in der Bundesrepublik bürgerkriegsähnliche Kräfte
entstehen, die die Bundesrepublik als faschistischen Staat, als
Unrechtsstaat, als kriegstreibenden Staat, als
kapitalistisch-imperialistischen Staat und der gleichen mehr
brandmarken würde.
Der Sieg der Berliner APO kam zusammen mit der „Erkenntnis“, die die
radikalen Studentenführer ja propagierten, die aber bis dahin nicht
allgemein geglaubt oder gefühlt worden war, dass der Staatsapparat ein
faschistoider Repressionsapparat wäre, der einfach so auf friedliebende
Demonstranten mit Schusswaffen losgeht.
Indeswar die Propaganda der APOeine ganz durchsichtige
Angelegenheit: Die 68er-Bewegung, die damals noch APO-Bewegung hieß,
baute auf dem Tod von Ohnesorg ihre Legende auf, dass der Staat
derjenige war, der zuerst Gewalt angewendet hätte, auf die die
friedliche Massenbewegung nur reagiert habe.
Diese Legende wird unter anderem auch von dem Film „Der
Baader-Meinhof-Komplex“ aufwendig und für teures Steuergeld als
Schlüsselszene des Films völlig unhistorisch bekräftigt. Unter anderem
die Schüsse auf Ohnesorg – so inszenierten es auch Eichinger, Edel und
Aust – lieferten der APO und der RAF die „Rechtfertigung“ auch selber
Gewalt gegen den „faschistischen Staat“ ausüben zu können.
Die Ohnesorg-Legende ist, auch ohne die neue Nachricht, dass Kurras
bei der Stasi war, schon immer eine Schuldlegende gewesen: alles
andere, Zerstörungstaten der APO bis hin zur RAF, Terror und Gewalt,
alles erlaubt, wenn nicht geboten wegen der bösen Bundesrepublik, die
ihre Fratze in den Schüssen auf Ohnesorg gezeigt hätte.
Was war Kurras' Auftrag?
Jetzt hat die Fratze ein SED-Gesicht. Aber auch die SED und ihre
Nachfolgeorganisationen sind bis heute faktenresistent. Die jetzt eilig
diskutierte Frage, ob Kurras einen Schießbefehl ausgeführt hätte, mit
dem eiligen Zusatz, dass sich diesbezüglich trotz erwiesener
Spitzeltätigkeit und SED-Mitgliedschaft nichts finden ließe, ist keine
ganz ungefährliche Frage. Sie kann leicht als das Einfallstor für neue
Legenden nach alten 68er-Strickmustern dienen.
War Kurras nicht in Wahrheit Doppelagent? Und haben nicht die
Führungsoffiziere von einem „Unglücksfall“ gesprochen oder geheuchelt
oder war dies doch nur Heuchelei für alle Fälle? Und spielt es
überhaupt eine Rolle, denn die Studenten von damals haben ja nicht
gewusst, dass Kurras ein DDR-Akteur war?
Kurras konnte wohl kaum den Auftrag haben den politisch
bedeutungslosen Studenten Benno Ohnesorg zu erschießen. Aber einen
förmlichen Befehl oder einen irgendwie gearteten Wunsch, dass Kurras in
die Menge ballert oder irgendeinen Demonstranten erschießt, um einen
Initialfunken zu setzen, um die Bundesrepublik von innen heraus zu
destabilisieren und die radikale APO-Bewegung noch weiter zu
radikalisieren, das alles dürfte schon zu den taktischen oder
strategischen Planspielen in Ostberlin gehört haben.
Immerhin: Kurras war laut der neu gefundenen Stasi-Akte seit 1955
treues und zuverlässiges Stasi-Mitglied und Mitglied der SED und er war
Waffenspezialist und ein hervorragender Schütze, einer der besten der
damaligen Westberliner Polizei. Er stand also, als er auf Ohnesorg
schoss, seit 12 Jahren im Dienste Ostberlins und er war jemand, der mit
diesem Doppelleben nicht durchdrehte und er wusste, dass Liquidationen,
Staatsmorde, in der DDR Praxis waren.
68er-Historiker stellen jetztspontan die falschen Fragen
Die jetzt eilig diskutierte Frage, was hätten die Studenten anders
gemacht, oder die an den Haaren herbei gezogene Frage, was die
Springerpresse - die einzige, die damals einen kühlen Kopf bewahrte -
anders gemacht hätte, wenn sie gewusst hätte, wer Kurras war, sind
typische Produkte der routinemäßig geklitterten 68er-Geschichte.
Es ist völlig irrelevant, was die damaligen Radikalen anders gemacht
hätten. Die eigentliche Frage lautet nämlich, wie oben ausgeführt: was
hätte die Berliner Regierung anders gemacht? Was hätte Heinrich Albertz
anders gemacht? Diese Frage ist leicht beantwortet: er wäre nicht
zurück getreten. Die Gesellschaft hätte den radikalen Studenten unter
diesen Umständen womöglich kein Gehör geschenkt und ihnen die völlig
aufgeblähte Bedeutung versagt. Es hätte diesen Sieg der APO nicht
gegeben und die Bundesrepublik wäre eine andere geworden.
Der gleich wieder im Morgenmagazin zum Interview geholte sogenannte
68er-Kenner aus dem konservativen Lager,Arnulf Baring, hat der Sache
prompt ebenfalls eine falsche Wende gegeben. Auch er betonte, dass die
Studenten damals den jetzt aufgefundenen Stasi-Dokumenten keinen
Glauben geschenkt hätten und alles so gelaufen wäre, wie es gelaufen
ist.
Es ist zweifelsfrei richtig, dass die Studentenführer und ihre
Mitläufer von der Realität damals nicht mehr erreichbar waren, aber es
erschüttert, dass die heutigen Historiker, wie Reemstmas Wolfgang
Kraushaar oder einArnulf Baring in ihrer Fixiertheit sich immer nur
fragen, wie ein paar Außerparlamentarische damals reagiert hätten, wenn
sie gewusst hätten, dass Kurras ein DDR-Mann war.
Die historisch entscheidende Frage, die jetzt im Zentrum steht,
ist,wie Heinrich Albertz und seine Leute damals auf die Dokumente
reagiert und wie die damalige Presse und die damalige Gesellschaft auf
eine solche Enthüllung reagiert hätten Auch diese Fragen sind im
Prinzip einfach zu beantworten. Die Nachricht, dass Kurras ein DDR-Mann
war, wäre damals eingeschlagen wie eine Bombe.
Die Nachricht wäre damals eingeschlagen wie eine Bombe
Die APO hätte statt eines Sieges einen Schlag erlitten, von dem sie
sich nie wieder erholt hätte, weil die Massensympathien, von denen die
APO getragen dann getragen wurde, nicht entstanden wären. Die Mitläufer
machen die Stärke der 68er-Bewegung aus und die Heere dieser Mitläufer
hätte es niemals geben können, wenn früh bekannt geworden wäre, dass
die Schüsse von Kurras zumindest geistig aus Ostberlin kamen.
Über Kurras grassierten in der 68er-Bewegung allerlei
„Gewissheiten“, die jetzt korrigiert werden müssen, zum Beispiel, dass
Kurras ein übler Nazischerge gewesen sei. Als er Ohnesorg erschoss, war
er indes ein Stasi-Scherge.
Die Legende von der bösen und brutalen Bundesrepublik, die bis heute
Wirkung entfaltet, hätte nicht entstehen können, aber die im Zuge
dieser Legende notorisch im Westen heruntergespielte Tatsache, dass es
sich bei der DDR um einen knallharten Unrechtsstaat gehandelt hat,
hätte Gewicht bekommen. Die ethisch-moralische Waage zwischen
Bundesrepublik und DDR hätte nicht zu Gunsten der DDR und zu Lasten der
Bundesrepublik verschoben werden können.
Die Synergien zwischen der Linken im Westen und dem Staatsapparat im
Osten, die nicht immer auf förmlich etablierten Strukturen beruht,
bleibt ein weites Feld. Allerdings bemühen sich alle Betroffenen die
Geschichte herunter zu spielen und mit möglichst vielen Nebelschwaden
zu überdecken.
Jetzt stellt sich heraus, dass die Propaganda vom Staatsmord zu
Lasten Benno Ohnesorgs richtig sein könnte, nur gerade anders herum als
bisher von der Ostberliner Propaganda und den 68er-Mythologen seit 42
Jahren synergetisch behauptet wird, nämlich um einen Staatsmord
Ost-Berlins auf westdeutschem Boden.
Günter Grass bei der SS, das war der Schocker im Sommerloch 2006.
Dabei handelte es sich genau um jenen Günter Grass, der die DDR einst
eine kommode Diktatur nannte, was wohl soviel heißen sollte, wie:
ziemlich viele deutschtümelnde Blümchentapeten und fürsorgliche
Reiseverbote in den dekadenten Westen! So kommod war die DDR nicht, wie
sich jetzt am Beispiel Kurras wieder einmal, zum zigtausensten Mal,
heraus stellt.
Mit freundlicher Genehmigung von Bettina Röhl (www.welt.de)
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