Erschienen in Ausgabe: Ohne Ausgabe | Letzte Änderung: 19.11.09 |
von Horst Köhler
"Der Mensch ist frei geschaffen, ist frei - und wär' er in Ketten geboren". Das
ist eine der bekanntesten Sentenzen von Friedrich Schiller - und es ist
sozusagen reinster Schiller: hier zeigt sich das ganze Pathos, zu dem
seine Sprache fähig ist, und dieses Pathos zeigt sich am stärksten
dann, wenn er die Freiheit feiert und für die Freiheit plädiert.
Uns
kommt solch hohe Sprache heute manchmal übertrieben vor, wir würden so
kaum mehr sprechen. Und doch gibt es Momente oder historische
Augenblicke, in denen solche Sprache angemessen ist.
Gerade
erst gestern haben wir an einen solchen historischen Augenblick
erinnert - an den Tag, an dem vor zwanzig Jahren in Berlin die Mauer
fiel. Am 9. November 1989 öffnete sich auch für die Menschen in der DDR
der Weg in die Freiheit - und damit für alle Deutschen der Weg in die
Einheit unseres Landes.
Aber dieser Weg in die Freiheit begann
nicht erst am 9. November. Er begann letztlich überall da, wo sich die
Menschen klarmachten, dass sie, ganz im Sinne Schillers, frei
geschaffen sind. "Der Mensch ist frei geschaffen, ist frei, und wär er
in Ketten geboren". Wer diesen Satz nicht nur als Poesie, nicht nur als
schönen Traum begreift, sondern als Aufforderung, ihn in seinem Leben
und in seiner Gesellschaft wahr zu machen, der hat sich aufgemacht auf
den Weg in die Freiheit. So ist es zwar ein Zufall, aber doch auch eine
wunderbare Fügung, dass der Jahrestag des Mauerfalls so unmittelbar vor
dem Geburtstag Friedrich Schillers liegt, des Dichters der Freiheit.
Die
individuelle und die politische Freiheit ist in Schillers Werk ein
zentrales Thema - und ebenso war es Schiller, der zu seiner Zeit von
einem Weg der Deutschen zur Einheit träumte. Zu seiner Zeit, als
Deutschlands politische Landkarte ein Flickenteppich war, ein sehr
gewagter Traum. Aber in seinem Werk blieb er diesem Traum treu - und er
konnte deshalb auch zu einer Leitfigur werden für alle, die dann im
neunzehnten Jahrhundert für die Freiheit und Einheit Deutschlands
kämpften. Dieser schwäbische Dichter wurde - gerade auch nach seinem
Tod - so etwas wie der erste Pop-Star der deutschen Kultur, wobei die
Verehrung, genauso wie bei Pop-Stars heute, durchaus auch Folgen für
die Mode hatte, wie beim lange Zeit beliebten "Schillerkragen".
Schiller
und Deutschland, Schiller und die deutsche Kultur - das war immer eine
besondere Beziehung. Aber eine Beziehung hat nicht von allein Bestand,
eine Beziehung will gepflegt werden.
Deswegen freue ich mich
sehr darüber, dass heute hier in Marbach das Schiller-Nationalmuseum
wiedereröffnet werden kann - schöner und informativer als je zuvor.
Ich
freue mich darüber natürlich auch sozusagen als Landsmann aus
Ludwigsburg, als einer, der schon in jungen Jahren mitbekommen hat,
dass Schiller hier in dieser Region auf jeden Fall große Wertschätzung
und Verehrung genießt. Dieser mit Dichtern gesegnete Landstrich ist in
Deutschland schon etwas sehr besonderes: Mörike, Hauff, Uhland,
Hölderlin, nicht zu vergessen auch der Philosoph Hegel, sie und andere
zeigen: In dieser Region, hier in Baden und Württemberg kann man nicht
nur alles - manche können auch Hochdeutsch! Sie haben der deutschen
Sprache unvergängliche Werke geschenkt, aus denen wir noch immer klüger
werden können, in denen wir noch immer Sätze finden, die uns bewegen,
weil sie unser Leben mit seinen Höhen und Tiefen zur Sprache bringen.
Unvergänglich
heißt aber nicht unbedingt: unvergessen! Die Schätze, die die Kultur
vergangener Zeiten auch für die Gegenwart bereithält, sie müssen immer
wieder blank geputzt, immer wieder ins Licht gestellt und immer wieder
für eine neue Gegenwart erschlossen werden. Sonst werden sie vergessen,
und sie verstauben, sind nur noch Archivmaterial oder Angelegenheit für
Experten.
Die Dichter haben ihre Werke aber nicht für
Literaturexperten geschrieben, sondern für Menschen, die neugierig sind
auf das Leben und auf die Erfahrungen, die andere gemacht und
künstlerisch gestaltet haben. Deshalb sind Einrichtungen, die die
Erinnerung an die Kultur vergangener Tage lebendig halten und die eine
Begegnung mit Schriftstellern oder auch anderen Künstlern immer neu
ermöglichen können, so wichtig.
Das weiß man hier in Marbach
schon seit langem. Sie können alle sehr stolz darauf sein, dass seit
über hundert Jahren, zuerst mit dem Schiller-Nationalmuseum, dann mit
dem Literaturarchiv und zuletzt mit dem Literaturmuseum der Moderne,
Einrichtungen entstanden sind, die nicht nur der Forschung dienen,
sondern der aktiven Begegnung mit Literatur und Literaturgeschichte.
Es
ist ein herausragendes Beispiel für bürgerschaftliches Engagement, wie
sich hier in Marbach immer wieder neu Menschen dafür einsetzen - und
viel Geld dafür spenden! So bleibt der Geist, in dem der Stuttgarter
Germanist Otto Güntter damals das erste Schiller-Museum einrichtete,
bis heute lebendig und wirkmächtig. Was Sie hier tun und gestalten, und
was Sie hier durch ihr Engagement ermöglichen, das ist nicht nur für
Marbach wichtig und nicht nur für Baden-Württemberg - es ist wichtig
für unser ganzes Land.
Unsere Kulturnation lebt ja in und aus
den Regionen, sie lebt in den Städten, sie lebt in Orten wie Marbach.
Die deutsche Einheit ist eine Einheit aus Verschiedenen - das gilt für
die Kultur ganz besonders. Und das macht ihren Reichtum aus.
Apropos
Reichtum: Mit Schätzen kann man zweierlei tun: entweder sie horten und
verstecken, oder aber sie ausstellen und zugänglich machen, so dass
möglichst viele etwas davon haben - und eben durch diese Schätze auch
selber "bereichert" werden.
Sie hier, Vorstand und Mitglieder
der Deutschen Schillergesellschaft, haben sich von Anfang an darum
bemüht, die Schätze, die Sie nun wirklich in bedeutender Zahl haben,
zugänglich zu machen. Das Literaturmuseum der Moderne und das
Schiller-Nationalmuseum, auch Schillers Geburtshaus: das sind nicht nur
schöne und gern besuchte Touristenattraktionen; das sind vielmehr
elementare Einrichtungen der kulturellen Bildung.
Kulturelle
Bildung: das meint vor allen Dingen, Menschen die Chance zur Teilhabe
zu geben, zur Teilhabe an der Welt der Kultur, der Literatur, der
Musik. Viele junge Menschen bekommen diese Chance in ihren
Elternhäusern. Viele junge Menschen, leider immer mehr, bekommen diese
Chance dort gerade nicht. Vor allem für sie müssen andere Einrichtungen
und Initiativen da sein. Natürlich zuerst die Schule. Aber die allein
ist damit überfordert, zumal gerade die musischen Fächer leider immer
wieder Kürzungen und Streichungen erfahren.
Hier liegt die
große Chance und die große Aufgabe außerschulischer Initiativen - und
auch die Chance der Literaturmuseen und Literaturhäuser, von denen es
glücklicherweise sehr viele in unserem Land gibt. Ich kann nur wünschen
und bitten: Predigen Sie nicht nur zu den Bekehrten! Versuchen Sie,
Programme und Modelle zu entwickeln, wie Sie auch sogenannte
bildungsferne junge Menschen erreichen. Eröffnen Sie ihnen die Welt der
Literatur und der Poesie, durch die wir in unserem Leben so viel
gewinnen können. Locken Sie, begeistern Sie, fördern Sie, aber fordern
Sie auch.
So wird manches Kind, mancher junge Mensch, der
sonst vielleicht nie auf die Idee gekommen wäre, einen Weg finden zur
Beschäftigung mit den kulturellen Schätzen. Und im besten Fall dabei
auch seine eigene Kreativität entdecken, seine eigene Freude am
Gestalten der Welt. Und so wird er dann vielleicht auch ein "Käpsele",
also ein helles Köpfchen, von denen wir ja nicht genug Exemplare haben
können, auch außerhalb Schwabens.
Wer in dieser Weise zur
kulturellen Bildung beiträgt, erfüllt ein Vermächtnis Friedrich
Schillers, für den die Freiheit noch mehr bedeutete als die politische
Selbstbestimmung. Er sah die eigentliche und vornehmste Freiheit des
Menschen darin, dass er sich von seinen Zwecken und Bedürfnissen frei
machen kann, auch von einer zu engen Sorge um sich selbst. Zu dieser
Freiheit gelangt man besonders durch Spiel, durch Kunst, durch
Kreativität. Wer Menschen hilft, wenigstens von Zeit zu Zeit zu solcher
Freiheit zu finden, der hat sich um viele Einzelne, aber auch um die
Kulturnation als ganze verdient gemacht.
Herzlichen Dank.
www.bundespraesident.de
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