Erschienen in Ausgabe: No 46 (12/2009) | Letzte Änderung: 14.11.10 |
von Guido Horst
Reliquien und Gebeine, eine Friedhofsinsel und
nebelverhangene Gipfelkreuze: Da haben wir doch mit diesem Heft dem grauen November so richtig Tribut gezollt! Allerheiligen ist inzwischen vorbei,
Volkstrauertag und Totensonntag kommen noch. Der Dauersport in unserer Gesellschaft, Tod und Sterben aus dem Bewusstsein zu verdrängen,
legt zumindest in diesem Monat eine kurze Kunstpause ein. Memento mori,
bedenke, dass du sterben wirst. Den siegreichen Feldherren im alten Rom soll ein
Sklave diesen Satz beim Triumphzug beständig ins Ohr gerufen haben, während er
dem Triumphator den Lorbeerkranz über das stolze Haupt hielt. Aber nicht nur
die Sklaverei ist heute – Gott sei Dank – abgeschafft. Auch von denen, die
bisweilen an die Endlichkeit des irdischen Lebens erinnern, ist nicht mehr viel
zu hören oder zu sehen. Lautstark treten dagegen diejenigen auf, die uns alle
möglichen Mittelchen anpreisen, um „fit for fun“ und ewig jung zu sein.
Doch für Christen ist der November nicht allein ein Memento
mori. Er ist eine Zeit zur Sammlung, zur Konzentration auf das, was die Seele
„danach“ erwartet. Auf den November folgen Advent und Weihnachten, das
Kirchenjahr fängt neu an. So sehr die ganzen Ismen (Materialismus, Relativismus, Hedonismus, Sonstwasismus) unseren
Breitengraden die christlichen Zellkerne ausgetrieben haben, so sehr machen die
kommenden Wochen deutlich, dass der christliche Glaube mit seinen Festen und
Jahresrhythmen immer noch den Alltag prägt. Und da die Kirche mit ihren Festen
keine Ideen oder Theorien feiert, sondern historische Ereignisse, Dinge, die zu
einer bestimmten Zeit und an einem bestimmten Ort geschehen sind, lässt die
Konzentration des Novembers auf das „Danach“ den Advent und Weihnachten
aufscheinen. Und in deren Mittelpunkt steht eine Person. Das Memento mori ist
für die Christen zugleich der Ruf, dass sie erwartet werden. Nicht von einer
Wolke, sondern von einem Gesicht, dem Antlitz Jesu Christi.
Die Einladung von Papst Benedikt an die von den diversen
Ismen durchlöcherten Gesellschaften des ehemals christlichen Westens, nicht
weiter so zu tun, als ob es Gott nicht gäbe, sondern zur Abwechslung so zu leben,
als ob es Gott gäbe, wird mit dieser schönen Aussicht doch doppelt reizvoll.
Eine Aussicht übrigens, die dem Tod in der einst noch christlich verwurzelten
Kultur den Schrecken genommen hat. Ein Spaziergang durch das barocke Rom ist
ein Gang an Schädeln und anderen Insignien des Todes vorbei. „Tod, wo ist dein
Stachel?“, fragte der heilige Paulus. Der fast heitere Umgang mit der
Endlichkeit des menschlichen Lebens ist das Gütesiegel des Christentums. Hier
ist das Memento mori keine Warnung vor dem Ende, sondern die Verheißung eines Übergangs,
einer Begegnung mit dem liebevollen Blick des Mensch gewordenen Gottes.
Die den November durchwehende Gewissheit, dass wir alle
sterben müssen, ist der passende Augenblick, sich den Vorschlag des Papstes,
den er noch als Kardinal kurz vor dem Konklave 2005 in Subiaco formulierte,
wieder auf der Zunge zergehen zu lassen. Leben, als ob es Gott gäbe. Die Ausrede des Agnostikers, der vorgibt, über Gott nichts
sagen zu können, ist ein Trugschluss. Irgendwann kommt doch der Augenblick, in
dem er sich entscheiden muss. Und wenn das erst im Angesichts des eigenen Todes
der Fall sein wird, in dem das bange Herz danach fragt, auf was oder wen es jetzt noch hoffen darf.
Es gibt tausend andere Gründe, warum es einer Gesellschaft
nur gut tun kann, so zu leben, als ob es Gott gäbe. Gerade erst hat das
italienische Fernsehen eine Hinrichtung gezeigt. Eine Überwachungskamera hatte
festgehalten, wie ein Mafia-Killer vor einer Bar sein Opfer kaltblütig von
hinten erledigte. Vier Schüsse in den Rücken, dann einen ins Genick. Die
Polizei gab diese Aufnahmen schließlich frei, um Hinweise aus der Bevölkerung auf
den Täter zu erhalten. Das Opfer tat uns leid.
Aber erst recht der Täter. Jemand, der den Vorschlag Kardinal
Ratzingers wohl nicht mitbekommen hat. Das Schöne am Glauben der Kirche ist es,
dass es nie zu spät ist, sich auf das Memento mori die richtige Antwort zu geben.
Bis dann der Augenblick gekommen ist, vor das Gesicht des Auferstandenen zu treten. Da sind dann die Würfel
gefallen.
Einer Gesellschaft täte es gut, sich auf Gott einzulassen. Aber
in erster Linie geht es um die eigene Person. Und die Person, der man nach dem
eigenen Sterben gegenübertreten wird. So ist der November auch ein Monat der
Entscheidung.
Guido Horst ist Chefredakteur des Vatikan-Magazins (www.vatican-magazin.com)
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