Erschienen in Ausgabe: No 47 (1/2010) | Letzte Änderung: 18.12.09 |
von Michael Lausberg
Claude Lévi-Strauss, der „wohl bedeutendste
Ethnologe des 20. Jahrhunderts“[1], verstarb am 30.
Oktober 2009 in
Paris. In seinen Forschungen entwickelte er die ethnologische Methode des
Strukturalismus weiter, insbesondere zur Analyse der Verwandtschaftssysteme und
Denkformen der schriftlosen Gesellschaften.
Leben
Claude Lévi-Strauss,
der am 28. November 1908 in Brüssel geboren wurde, studierte an der Pariser
Sorbonne Rechtswissenschaften und Philosophie.[2] Nach
einer Lehrtätigkeit an einem Gymnasium wurde er im Jahre 1935 als Gastprofessor
für Soziologie an die Universität von São Paulo entsandt. Kurz nach dem
Ausbruch des 2.Weltkrieges bekam er das Angebot, an der „New School for Social
Research“ in New York zu unterrichten. Dort lernte er Roman Jakobson kennen,
durch den sein linguistisches Denken wesentlich geprägt wurde. Gemeinsam mit
anderen französischen Exilanten, die sich die Gegnerschaft zum antisemitischen
Vichy-Regime in Frankreich auf die Fahnen geschrieben haben, gründete er die „École libre des hautes études de New York“,
sozusagen eine Exiluniversität. Der Linguist Roman Jakobson war für ihn ein
wichtiger Baustein in der Entwicklung seines Denkens.[3]
Jakobson entwickelte ein linguistisches Modell, nach dem an jeder sprachlichen
Mitteilung sechs Faktoren und Funktionen beteiligt sind (Kontext, Botschaft,
Sender, Empfänger, Kontakt und Code).[4] Im
Jahre 1944 kehrte Lévi-Strauss
auf Bitten des Außenministeriums nach Frankreich zurück. Dort blieb er jedoch nur
eine kurze Zeit und kehrte im Jahre 1945 als Kulturberater der französischen
Botschaft erneut nach New York zurück. Nach 3 Jahren verließ er New York, um
sich seinen anthropologischen Forschungen widmen zu können. Nach einem längeren
Aufenthalt in Ost-Pakistan wurde er Direktor der „École pratique des hautes
études“ in Paris. Dort übernahm er den Lehrstuhl und das Studienprogramm in
vergleichenden Religionswissenschaften. Ab 1959 bekleidete er bis zu seiner
Pensionierung 1982 den Posten des Professors für Sozialanthropologie am „Collège
de France“. Im Laufe seiner wissenschaftlichen Laufbahn wurden ihm zahlreiche
Ehrungen zuteil. Lévi-Strauss wurde
unter anderem Ehrenmitglied der Königlich-Niederländischen Akademie der
Wissenschaften und der Norwegischen Akademie der Wissenschaften. Er bekam im
Jahre 1966 den Viking Fund Award der Wenner-Gren Foundation for Anthropological
Research und im Jahre 2003 den Meister Eckhart-Preis in Deutschland verliehen.
Zentrale
Forschungsfelder
Lévi-Strauss entwickelte sich im Laufe seiner
wissenschaftlichen Karriere zu einem Räsonierer der abendländischen Lebensform.
Das kulturelle Überlegenheitsgefühl des Westens gegenüber
"primitiven" Völkern stand ebenfalls im Mittepunkt seiner Kritik. Analog
zum Menschenbild Jean-Jacques Rousseaus bewunderte Lévi-Strauss „primitive",
schriftlosen Kulturen:[5] „Das
sind Völker, die das Wunder geschafft haben, im Einklang mit ihrem natürlichen
Umfeld zu leben, und die Natur respektieren, die Tiere und die Pflanzen. Ich
glaube, unsere Gesellschaften können viel von ihnen lernen."
Mit dem Buch „Traurige Tropen“[6], in
dem Lévi-Strauss seine Erfahrungen mit schriftlosen Gesellschaften in Brasilien
niederschrieb, wurde er außerhalb der ethnologischen Fachwissenschaft einem
breiteren Publikum bekannt. Seine These, dass bedingt durch die westliche
Zivilisation diese schriftlosen Kulturen zum Untergang verurteilt sind,
spaltete die Fachwissenschaft nicht nur in Frankreich. Lévi-Strauss betonte,
dass der ungebändigte Turbokapitalismus den Menschen auf ein „ein ökonomisches
Tier" reduziert hat, das seine natürliche Umwelt immer mehr selbst
zerstört. In zivilisationskritischer Manier beklagte er das utilitaristische
Denken des maximalen Profites, das die Lebensgrundlagen der Menschheit in naher
Zukunft vernichtet.
Lévi-Strauss prägte in diesem Zusammenhang den
Begriff des „wilden Denkens“.[7] Der
Begriff besagte, dass die Reflektion der Mitglieder der „primitiven“
schriftlosen Kulturen demjenigen der Angehörigen der westlichen
Industriegesellschaften in kognitiver Hinsicht weniger wert war. Das Denken der
schriftlosen Kulturen war lediglich auf andere Ziele ausgerichtet.[8] In
dem Buch "Das Ende des Totemismus"[9]
verließ Lévi-Strauss den rationalen wissenschaftlichen Diskurs und ersetzte ihn
durch den Bezug auf mythische Vorstellungen. Er korrigierte die Thesen der
älteren Ethnologie, dass das Totem ein Zeichen für den Wunsch nach
metaphysischer Orientierung sei. Lévi-Strauss dagegen behauptete, dass durch
die Bestimmung eines bestimmten Totemtiers eine Gemeinschaft Differenz zu
anderen Gemeinschaften herstellen wollte. Die mythische Weltsicht deutet
Lévi-Strauss als den Versuch, den Gesamtzusammenhang des Universums - vom
Ursprung der Götter über die Menschen bis hin zur Natur - in einer „Kunst des
Kombinierens“ zu präsentieren.[10] In
dieser Einheit der Schöpfung wurden soziale Beziehungen als ständiger
Verweisungszusammenhang interpretiert. Vor allem bei den Mythen der indigenen
Gesellschaften fand Lévi-Strauss Hinweise auf die Gestalt des menschlichen
Geistes. Der Geist wurde dabei als „große kombinatorische Maschine“ gesehen,
die sowohl im mythischen als auch im rationalen Denken tätig war. Diese
Gedanken wurden vor allem in seiner vierbändigen Studie "Mythologica"[11]
verarbeitet, wo er 813 Mythen der süd- und nordamerikanischen indigenen
Gesellschaften analysierte und miteinander verglich. Dabei entdeckte er mehrere
grundlegende „Shortscripts“, d.h „Typen“ von mythischen Geschichten, die immer
wieder vorkamen. Durch die Erforschung indigener Mythen wollte Lévi-Strauss
zeigen, dass sich im bildlichen Denken der „primitiven“ schriftlosen
Gesellschaften. Strukturen befinden, die in vielen dem der westlichen
Weltbilder entsprechen. Die Entstehung und Weitergabe von Mythen erklärte er
mit dem Bild der „Bricolage“ („Bastelei“). Der Bastler erfindet keine völlig
neuen Dinge, sondern improvisiert und kombiniert Materialien, die er gerade zur
Hand hat.[12]
Lévi-Strauss war der Ansicht, durch Analyse der
Mythen zu den grundlegenden Strukturen des menschlichen Denkens vorstoßen.[13] Die
Mythen sind ein Produkt der entsprechenden Kultur und geben somit Informationen
über die die Kultur strukturierenden Denkgesetze wieder. Diese Denkgesetze
werden durch die Struktur und die Wirkungsweise des menschlichen Gehirns
bestimmt, die die menschlichen Ausdrucksformen strukturieren.
Außerdem vertrat Lévi-Strauss den
Ansatz der Übertragbarkeit von linguistischen Konstrukten auf die Anthropologie
sowie die Kultur.[14] Die
Kultur sei der Sprache ähnlich; lediglich Außenstehende könnten die ihr
zugrunde liegenden Strukturen und Grundsätze interpretieren. Den Begriff der
sozialen Struktur, der eine zentrale Rolle in seinen anthropologischen
Vorstellungen einnahm, definiert er folgendermaßen:[15]
"Der Begriff der sozialen Struktur bezieht sich nicht auf die empirische
Wirklichkeit, sondern auf die nach jener Wirklichkeit konstruierten
Modelle". In seinem im Jahre 1949 veröffentlichen Werk "Die
elementaren Strukturen der Verwandtschaft"[16]
entfaltete er die These, dass die gesamte Kultur auf Inzestverbot und Frauentausch
beruhe. Die Wechselwirkung von Heiratsstrukturen und Tauschregeln erforschte
Lévi-Strauss mit selbst erstellten Diagrammen und mathematischen Schemata.[17]
Diese Vorgehensweise machte ihn zum Begründer des ethnologischen
Strukturalismus. Neben den Linguisten Ferdinand de Saussure und Roman Jakobson
galt er auch als Begründer der Schule des Strukturalismus, auf den sich
poststrukturalistische Theoretiker wie Michel Foucault bezogen.[18]
So überragend seine Leistungen auf dem Gebiet der
Anthropologie sowie der Soziologie auch waren, die Person Lévi-Strauss hatte
auch ihre hässlichen Seiten. Mit dem arroganten Ausspruch „Jahrhundertealte
Regeln ändert man nicht." lehnte er die Aufnahme von Frauen in die
Académie Française ab. Weiterhin machte er die Errungenschaften der
Französischen Revolution für die „Verfehlungen der westlichen Welt“
mitverantwortlich.[19] Das
Aufkommen faschistischer Regime in Europa und Südamerika und besonders das
nationalsozialistische Deutschland verharmloste er, indem er eine naturgesetzhafte
Tendenz von Überbevölkerung feststellte und damit entpolitisierte:[20] „In
diesem Licht gesehen, kann ich die Ereignisse, die seit zwanzig Jahren auf der
Bühne Europas stattfinden und ein Jahrhundert resümieren, in dessen Verlauf
seine Bevölkerung sich verdoppelt hat, nicht mehr die Folge der Verirrung eines
Volks, einer Doktrin oder einer Gruppe von Menschen sehen. Ich sehe in ihnen
vielmehr das Anzeichen einer Entwicklung hin zur geschlossenen Welt, deren
Erfahrung Südasien ein oder zwei Jahrtausende vor uns gemacht hat und der wir
uns, falls nicht große Entscheidungen getroffen werden, vielleicht nicht werden
entziehen können. [...] Im indianische Amerika liebe ich den selbst dort
flüchtigen Widerschein eines Zeitalters, in dem sich der Mensch auf der Höhe
seines Universums befand und in dem ein adäquates Verhältnis zwischen der
Ausübung der Freiheit und ihren Zeichen bestand.“
Literatur
- de Ruijter, A.: Claude
Lévi-Strauss, Frankfurt am Main 1991
- Dick, M.: Welt, Struktur,
Denken. Philosophische Untersuchungen
zu Claude Lévi-Strauss, Würzburg 2008
- Halenstein, E.: Von der Hintergehbarkeit der Sprache. Kognitive Unterlagen
der Sprache, Frankfurt am Main 1980
- Jakobson, R./Morris, H.: Grundlagen der Sprache, Berlin 1960
- Lévi-Strauss, C.: Die traurigen Tropen, Frankfurt am Main 2008
- Lévi-Strauss, C.: Das wilde Denken, Frankfurt am Main 1973
- Lévi-Strauss, C.: Das Ende
des Totemismus, Frankfurt am Main 1965
- Lévi-Strauss, C.: Mythologica I-IV., Frankfurt am Main 2008
- Lévi-Strauss, C.: Die
elementaren Strukturen der Verwandtschaft, Frankfurt am Main 1981
- Neuner, K.: Anthropologie, Berlin 1995
- Walitschke, M.: Wald der
Zeichen Linguistik und Anthropologie. Das Werk von Claude Lévi-Strauss,
Tübingen 1994
- http://sciende.orf.at/stories/1631196/1631106
- www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/0,1518,659105,00.html
- www.taz.de/1/leben/koepfe/artikel/1/de-wilde-denker-1/
[1]
http://sciende.orf.at/stories/1631196/1631106
[2] de Ruijter, A.: Claude Lévi-Strauss, Frankfurt am
Main 1991, S. 17ff
[3] Halenstein, E.: Von der
Hintergehbarkeit der Sprache. Kognitive Unterlagen der Sprache, Frankfurt/Main
1980, S: 6
[4] Vgl. dazu Jakobson,
R./Morris, H.: Grundlagen der Sprache, Berlin 1960
[5] Zitiert
aus http://sciende.orf.at/stories/1631196/1631106/
[6] Lévi-Strauss, C.: Die
traurigen Tropen, Frankfurt am Main 2008
[7] Lévi-Strauss, C.: Das wilde Denken, Frankfurt am Main
1973
[8] www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/0,1518,659105,00.html
[9] Lévi-Strauss, C.: Das Ende des Totemismus, Frankfurt am Main 1965
[10]
http://sciende.orf.at/stories/1631196/1631106/
[11] Lévi-Strauss, C.: Mythologica I-IV., Frankfurt am
Main 2008
[12] www.taz.de/1/leben/koepfe/artikel/1/de-wilde-denker-1/
[13] Dick, M.: Welt, Struktur, Denken. Philosophische Untersuchungen zu Claude
Lévi-Strauss, Würzburg 2008, S: 15
[14] Walitschke, M.: Wald der Zeichen Linguistik und
Anthropologie. Das Werk von Claude Lévi-Strauss, Tübingen 1994, S: 12
[15] Zitiert aus Neuner, K.:
Anthropologie, Berlin 1995, S. 145
[16] Lévi-Strauss, C.: Die elementaren Strukturen der
Verwandtschaft, Frankfurt/Main 1981
[17] www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/0,1518,659105,00.html
[18] www.taz.de/1/leben/koepfe/artikel/1/de-wilde-denker-1/
[19] www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/0,1518,659105,00.html
[20] Lévy-Strauss, Traurige
Tropen, a.a.O., S. 142
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