Erschienen in Ausgabe: No 41 (7/2009) | Letzte Änderung: 15.11.10 |
von Stefan Groß
Eigentlich sollte es ein Zwiegespräch sein, ohne ihn, Erwin
Strittmatter. Eigentlich. Doch so sehr Eva Strittmatter, mit väterlichem Namen
Eva Braun, versucht über sich selbst zu sprechen, spricht sie auch immer über
ihn. Es muß eine merkwürdige, oft befremdlich anmutende Ehe gewesen sein, die
sich zwischen den beiden Schriftstellern abspielte. Es war aber auch eine
innige Liebe, eine, die im Wechselspiel der Gefühle stand und steht, die immer
wieder um Versöhnung kreiste, zumindest von Evas Seite, die versuchte die
Verletzungen, die kleinen, aber immer wieder auftretenden Narben und Wunden zu
heilen. Haß und Liebe – auf diesen Nenner bringt Eva Strittmatter dann auch ihre
Beziehung zu Erwin nach dessen Tod. So
sehr er sie immer wieder mit anderen Frauen betrog, so sehr er sie für seinen
Ruhm opferte, die nunmehr 79-jährige Schriftstellerin, die im Schulzenhof an
den Rollstuhl gefesselt lebt, bekennt sich zu ihm. 15 Jahre nach seinem Tod,
der Altersunterschied betrug nicht unbeträchtliche 18 Jahre, ist Erwin immer
noch die große Liebe, eine Liebe mit Schatten.
In Leib und Leben,
einem Interview-Band, der im Verlag Das
Neue Berlin nunmehr vorliegt, zieht Eva Strittmatter Bilanz, Bilanz über
ein Leben, das sie nicht für sich gelebt, das sie für andere gelebt hat, für
ihren Mann, für ihre Kinder. Es wird deutlich: Sie war verliebt in einen, der nur
sich kannte, der keine Kinder wollte, der ihrem Arbeiten kritisch und eifersüchtig
gegenüberstand, der jähzornig war und nicht verzeihen konnte. Er war der große Schriftsteller
an der Seite Brechts, der als Politkader und bekennend-überzeugter DDR-Bürger seinen
Erfolg in und mit dem Sozialismus feierte. Strittmatter war einer, den
Liebschaften beflügelten, der die Musen suchte; und der dennoch Eva brauchte,
die ihm Geborgenheit gab, die sein Leben sortierte und ordnete. Dabei war
Strittmatter kein angepaßter, sondern ein überzeugter Kommunist, der auch
kritische Töne gegenüber dem Regime anschlug, einer dem die DDR die Existenz
bot, zum Schreiben und zum Arbeiten, einer, dem der Sozialismus die Themen und
den Stoff lieferte, ihm, dem Bauernsohn, der sich zu seinem literarischen
Realismus bekannte und den Eva wegen dieser titanischen Kraft und genau wegen
dieser dämonisch-literarischen Existenz liebte. Sie liebte den Dämon, der auch
liebenswürdig sein konnte, der sie bisweilen auch lobte.
Wie Thomas Mann war Strittmatter egomanisch, zentrierte die
Kräfte auf sich, ordnete seine Lebens- und Arbeitswelt auf sich als den
innersten Kreis aller Kreise – für Eva blieb wenig Zeit, für ihre eigene
literarische Produktivität noch weniger Raum.
Ungleich war die Partnerschaft, ungleich die Verteilung der
Rollen, die Unterordnung der einen, die Selbstinszenierung des anderen.
Eigentlich träumte die 1930 in Neuruppin geborene Eva, die die Zeit des
Nationalsozialismus, wie sie selbst bekennt, als glückliche Zeit empfand, weil
sie die Zeit ihrer Jungend und ihres lyrischen Erwachens und Erwachsenwerdens
war, von einer bürgerlichen Existenz, wünschte sich einen Arzt, der sie aus den
ärmlichen Verhältnissen, in die sie hineingeboren war, befreite, der sie in
eine Traumwelt entführte. Doch was sie bekam, so hält sie resümierend fest, war
ein Rustikaler, der das Vulgäre seines Milieus kultivierte. In einer
bücherfeindlichen Kinderwelt aufgewachsen, gegen den Alkoholismus des Vaters
resignierend ankämpfend, hat sie Conrad Ferdinand Meyer, Droste-Hülshoff und
Rilke entdeckt. Und tatsächlich klingen ihre Gedichte oft nach diesen
Vorbildern.
Für viele war die Lyrikerin, die mit Ich mach ein Lied aus Stille (1973) und Mondschnee liegt auf den Wiesen (1975) zum ersten Mal für sich und
ihr Schaffen Aufmerksamkeit erzielte, zu traurig, zu weltverloren, zu still. Auch
im Interview mit Irmtraud Gutschke, das diese 2008 mit der durch einen
Bandscheibenvorfall 1998 körperlich stark eingeschränkten Dichterin führte,
bekennt sich Strittmatter zu Stille und Einkehr, zu einem zurückgezogenen Leben
und zum Rückzug in die Natur. Eigentlich war es immer die Natur, die
Einsamkeit, die sie in den wenigen freien Minuten kultivierte, die sie am Leben
hielt, die die Schwere ihres Schicksals kurzweilig aufbrach. Diese kurzweilige
Unbekümmertheit, diese Suche nach dem Land ihrer Träume, dies wurde ihr zum
Geheimnis künstlerischen Schaffens. „Ich muß etwas tun, ich muß eine Schale
sprengen. Ich kann mich nur befreien durch Sprache, nur durch Worte kann ich
mich befreien“. Weltinnenraum nannte dies Rilke, dieses Leben aus sich im Ganzen.
Einsamkeit, das genaue Betrachten und Anschauen, das Nachfühlen der Natur, dies
sind die großen Themen von Strittmatter, darin finden sich persönlichste
Erfahrungen und Erlebnisse gebündelt in das symmetrische Versmaß, von dem sie
nicht abrückte, das ihr gleichsam den Fluß und die Ordnung ihrer Gedanken vorgab,
den zweifellos melodischen Klang.
Versmaß und Rhythmus – verbunden mit den leisen Tönen, den
Worten, die nach dem Unfaßbaren und Unsagbaren ringen, dieses Schreiben aus der
Stille war es, das ihr Kritiker zum Vorwurf machten, um sie dann als naiv abzustempeln,
als unzeitgemäß und apolitisch.
Es sind die großen Themen von Leben, Tod, Sterben und das
Zwischendurch, die Strittmatter immer wieder aufgreift, das Wechselbad von
Gefühlen und Ängsten, das Bekenntnis zum Freilegen der innersten und
subjektivsten Gedankengänge, die ihre Gedichte auszeichnen, die sie zeitlos
werden lassen. Dabei sind sie alle Augenblicksschöpfungen, Momentaufnahmen, die
das versprachlichen, was andere verschweigen, weil es sie bloßstellen könnte.
Diese Momentaufnahmen wurden zum eigentlichen Feld der schriftstellerischen
Betätigung, nie dachte Strittmatter daran Romane zu schreiben, wenngleich sie
diese Fähigkeit ihres Mannes bewunderte, „aus dem Lebensmaterial etwas so zu verdichten,
daß eine andere Welt entsteht, eine andere Sichtweise, eine Gegenwelt zu der
tatsächlich gelebten.“ Sie hingegen reizte beim Schreiben das tatsächliche
Erleben, das ihr nicht nur die Einsamkeit der Natur, sondern auch die
Einsamkeit in der Beziehung ermöglichte. „Das Gedichteschreiben wurde dann zu
einer Art Lebenssystem, einer Lebensform über Jahrzehnte. Und das war nur unter
bestimmten Bedingungen möglich – dieses Verdichten, dieses Entäußern, so
explosiv, so stark, wie das am Anfang war. Wenn man etwas zu sich heran- und
aus sich herausholt, wenn sich aus einer Initialzündung Sätze formen, ein
rhythmisches System, ein Reimsystem, ein System von Zeilenlängen und von
Beziehungen der einzelnen Zeilen zueinander. […] Kurz gesagt, man hat
verschiedene Systeme zur Verfügung ein Gedicht aufzubauen, die Sprach zu
wandeln, den Reim. Das ist ein Vergnügen, das ist eine Kunstfertigkeit, die
sozusagen darunterliegen. Aber das, was das Gedicht ausdrückt, muß erst einmal
ganz elementar, ganz stark sein. Die Empfindung muß unbedingt einen adäquaten
Ausdruck finden. Einen unverkrampften, unverstellten Ausdruck. Wie sich das
herstellt, ist eine spannende Sache und eine große Freude: eine Konstruktion zu
beherrschen und zu realisieren.“
Endzeitstimmung und existentielle Bedrohungssituation – sie
waren oft der Anlaß ihrer Lyrik, Stimmungen, die eine Feinabstimmung der Seele
voraussetzen, Empathie und Sensibilität, ein In-die-Dinge-Treten, um sie
plastisch und lebendig in die Sprache zu setzen. So heißt es in ihrem Gedicht Vor einem Winter: „Ich mach ein Lied aus
Stille / Und aus Septemberlicht. / Das Schweigen einer Grille / Geht ein in
mein Gedicht. / Der See und die Libelle. / Das Vogelbeerenrot. / Die Arbeit
einer Quelle. / Der Herbstgeruch von Brot. / Der Bäume Tod und Träne. / Der
schwarze Rabenschrei. / Der Orgelflug der Schwäne. / Was es auch immer sei, /
Das über uns die Räume / Aufreißt und riesig macht / Und fällt in unsre Träume
/ In einer finstren Nacht. / Ich mach ein Lied aus Stille. / Ich mach ein Lied
aus Licht. / So geht ich in den Winter. / Und so vergeh ich nicht.“
Es ist eben jenes existentielle Ringen und Hadern mit sich,
das Strittmatters Lyrik auszeichnet, das die Gedichte Erlebnisverdichtungen
werden läßt, zu intensiven Arbeitsvorgängen, die sie sich intensiv suchte, zu
denen es sie aus tiefsten Innerem hinzog, ein dämonischer Drang zum Schreiben
beflügelte sie, ohne den sich bei ihr das Gefühl von „Nicht-Gelebthaben“, von
„Nicht-Leben“ einstellte. „Die Nerven vibrierten. Ich konnte mit mir selber
nicht existieren, wenn ich nicht so ein Ventil fand in einem Gedicht.“
Strittmatter fühlte sich, so bekennt sie offen, auf
öffentlichen Podien nicht wohl, das Redenhalten fiel ihr schwer, sie hatte
Beklemmungen, wenn sich die Augen auf sie richteten. Allein die Geborgenheit im
Schulzenhof und die Einsamkeit ihrer lyrischen Existenz ermöglichten es ihr,
sich in einen Kosmos hineinzudenken, von diesem alles ein- und anzusaugen,
damit dieser für sie zu einem Gefühl wird, das gleichzeitig Sprache ist. Auch
nach dem Tod Erwins 1994 dachte sie nicht daran, die lieb gewordene märkische
Heimat aufzugeben und zu verlassen.
Natürlich informiert das Zwiegespräch von 2008 auch über die
Zeit in der DDR, die Ausbürgerung Biermanns, die Aufdeckung der NS-Verstrickung
von Erwin Strittmatter, den Fall der Mauer und den Umgang mit der neuen
Freiheit.
Was bleibt ist Strittmatters Bekenntnis zur DDR, einer Zeit,
in der sie schreiben konnte. Auch für Erwin Strittmatter war seine persönliche
Existenz als Schriftsteller vom realen Sozialismus geprägt, gab ihm den Stoff,
der ihm, wie auch manch anderem, so auch Heiner Müller, nach dem Zusammenbruch
und dem Mauerfall abhanden gekommen ist. Auch Eva Strittmatter war verstummt,
der „Trockenheit der Seele“ ausgeliefert. Doch: Wie das Zwiegespräch auch
zeigt: Strittmatter faßt wieder Mut, hat die Hoffnung, daß sich wieder etwas
für sie öffnet. So hält sie auf den letzten Seiten fest: „So wie wir jetzt hier
miteinander reden über Tage und Wochen, das inspiriert mich so, daß ich hoffen
kann. Es wird vielleicht noch mal passieren, daß ich wieder etwas
Konzentriertes schaffe. Das wäre es, was ich mir am allermeisten vom Leben
wünsche. Es ist ein solches Außer-sich-Sein, wenn ich mich sozusagen in meine
Geheimwelt versetze. Ich sehne mich danach.“ So bleibt ihr zu wünschen, ihr,
die sich gerade mit Gottfried Benn beschäftigt, ihr der man nachsagte eine
Nachfolgerin Benns zu sein, und die bekennt, daß ihm seine gereimten Gedichte
besser gefallen, weil sie ganz nah am Volkslied sind, die Stille und
Menschlichkeit atmen, daß sie die Kraft und Herausforderung findet, wieder
intensiv schöpferisch tätig zu sein. Von sich selbst sagt sie: „Ich habe das
Gefühl, daß ich wieder herausgefordert bin, die Dinge so intensiv und so lange
anzusehen, daß sie zu mir sprechen. Ich denke, daß ich jetzt wieder in eine so
enge Beziehung zu den Bäumen, den Blumen, den Gräsern, zu allem um mich herum
getreten bin, daß ich mich verändert habe: Ich ähnele mir wieder. Ich habe mir
auch seit Monaten verboten, in meinen Briefen irgendwelche Betrübnisse
aufzuschreiben, zu klagen über meinen Zustand, über meine Lebenssituation. Ich
möchte mitteilen, daß ich mich gut fühle. Dass ich glücklich bin. Das ist in
meinen Jahren eine große Sache. Und dazu würde noch gehören, daß es mir gelingt
noch zwei oder drei oder vier kleine Poesien zu machen.“
Irmtraud Gutschke, Eva Strittmatter, Leib und Leben, Verlag
Das neue Berlin, Berlin 2008.
>> Kommentar zu diesem Artikel schreiben. <<
Um diesen Artikel zu kommentieren, melden Sie sich bitte hier an.