Erschienen in Ausgabe: No 47 (1/2010) | Letzte Änderung: 09.02.10 |
von Lisz Hirn
Friedrich
Nietzsche diskutiert in seiner Philosophie zwei anthropologische Ideale, die
chronologisch eindeutig voneinander unterscheidbar sind: Der Philosoph
konstruiert zum einen in seinen „frühen“ Werken das Ideal des „freien Geistes“,
zum anderen erörtert er in seiner „späten“ Schaffensphase das Ideal des
Übermenschen, welches besondere Popularität durch die nationalsozialistische
Ideologie bekommen hat.
1a) Über den Mut zur
intellektuellen Redlichkeit
Nietzsches Weg
zu seinem Ideal des „freien Geistes“ führt über sein Verständnis der
Authentizität des Denkenden: Echtheit und Glaubwürdigkeit eines Denkers,
insbesondere eines Philosophen, sind unabdingbar für die Entwicklung einer
fruchtbaren Philosophie, eines Denkansatzes der in der Wirklichkeit fruchten
kann und nicht nur in einem theoretischen Vakuum gedeiht. Was macht Nietzsche
nun, um dies mit seiner Philosophie zu garantieren? Er wendet sich der Erde zu,
dem Leben, in all seiner Fülle und seiner Grausamkeit, seiner überquellenden
Immanenz – der Denker verschreibt sich dem Leben, er wendet sich nicht von
diesem ab.
Der Begriff
„Leben“ darf an dieser Stelle nicht missverstanden werden. Weder tendiert das
Wort in Richtung eines blanken Naturalismus, noch ist dieser Begriff des
geschäftigen Lebens auf den Straßen der Zivilisation. Vielmehr beinhaltet
„Leben“ das Postulat der Akzeptanz und bedingungslose Liebe zum Leben, welches
uns mit Geburt und Tod erschüttert, uns erstaunt und zweifeln lässt. Diese
Fakten sind für den „Freigeist“ stets präsent und diese kann er
unvoreingenommen, mit außerordentlicher Redlichkeit, ertragen. „Er“ hatsich von der kulturellen Tradition und den
gesellschaftlichen Konventionen befreit und tritt als antipolitische und
antistaatliche Gestalt auf – er „richtet sich ganz gegen die Konventionalität
und Gleichförmigkeit der Philister und der Masse, welche mechanisch dem
Egoismus, dem Geschäftssinn und dem Staat dienen.“[1] Der
„freie Geist“ wird zu einem (Lebens-)Künstler und vollendet sich schließlich
selbst als Kunstwerk. Aus den Ideen desWerkes Die Geburt der Tragödie aus
dem Geiste der Musik entsteht die Darstellung des „Freigeists“ als
Künstler, welcher sich durch die Sublimierung seiner Natur, also seiner Triebe
und Instinkte, selbst überwindet – und sich durch diese Evolution selbst
erschafft. Der „Freigeist“ ist
zum Schöpfer seiner selbst geworden; dies ist nur durch den Tod Gottes möglich:
„After the `Death of God` one has adopt for oneself the God-like role of being
originator of truth and of one´s own self.”[2]Das Motiv der Selbstüberwindung ist
wesentlich für Nietzsches Denken. In diesem Zusammenhang führt er zwei
Prinzipien ein, zum einen das apollinische, zum anderen das dionysische
Prinzip, wobei das erstere das Element der Individuation, der Logik und der
(Selbst-)Beherrschung in sich trägt, das dionysische das Rauschhafte,
Barbarische und Emanierende des Lebens betont. Kunst entsteht nur, wenn die
Triebe des dionysischen Prinzips durch das Apollinische sublimiert,
vergeistigt, nicht ausgelebt werden. Das Apollinische befreitaus dem Rausch und der Allgemeinheit; der
Mensch wird zum Subjekt, er begreift sich als Individuum. Mithilfe des Apolls
kann das Dionysische gebändigt werden, wobei es auch diese Zähmung ist, die
Nietzsches Kunsttheorie zugrunde liegt. Der „Freigeist“ ist durch
Selbstüberwindung zum Schöpfer, also zum Künstler und Schaffenden geworden,
gleichzeitig ist er aber auch Kunstwerk. Er hat beide Prinzipen miteinander in
sich verschmolzen und in der Abspaltung von der Masse seine Einzigartigkeit als
Schöpfer entdeckt. Dies ist ihm dadurch gelungen, dass dieser seine Natur nicht
mehr „[...] aus Furcht und aus
Faulheit [...]“ [3]
verleugnet. Wie anfangs schon erwähnt, tritt die Figur des „freien Geistes“ als
antipolitisch, antigesellschaftlich in Nietzsches Schriften auf. Der
„Freigeist“ macht sich nicht von Staat und vom Vaterland abhängig, sondern
versucht sich und seine Unabhängigkeit zu bewahren. Zu seiner Existenz gehören
unvermeidbar Freiheit und Einsamkeit, da er nur durch sie Abstand von
Konventionalität und kultureller als auch sozialer Repression bekommen kann. „Die
Einsamkeit muß als Rückkehr zurKritik
am Stumpfsinn einer mechanischen Tätigkeit verstanden werden, die dominiert,
wenn der Einzelne sich nur noch als Gattungswesen bzw. Repräsentant eines
Berufes empfindet [...].“[4]Die selbstgewollte und
selbstverursachte Einsamkeit inklusive Freiheit, die als geistige und
gesellschaftliche Unabhängigkeit zu verstehen ist, zelebriert der „Freigeist“
durch seine unkonventionelle und provokante Lebenshaltung und seinen
furchtlosen Skeptizismus – in dieser Form stellt der Typus Nietzsches Auslegung
von Aufklärung dar. „This freedom makes us responsible for our characters just as artists
are responsible for their creations.“[5]In den Jahren 1883-85 wird sich
dieses Ideal schließlich in der Schrift Also
sprach Zarathustra zu der Person des Weisen Zarathustra verdichten werden.
Weiter greift
Nietzsche das Motiv des Wanderers auf und kreiert analog dazu, auf
literarischer Ebene, den Ausdruck des„geistigen
Nomadenthums“. Der Denker muss zum Nomaden werden; ruhelos muss er umherziehen.
Sesshaftigkeit würde seine Assimilation fordern, die er nicht geben kann und
will. „Nietzsche,
however, makes it clear that becoming one´s true self is a perpetual movement
of self-overcoming, a free creation of one´s own perspectives.“[6]
Die Redlichkeit zu seiner Lebens- und Denkhaltung verpflichtet Nietzsche
zu dieser Überzeugung und bildet folglich die(in-)direkte Voraussetzung für die Herausbildung dieses Typus.
Redlichkeit im Sinne Nietzsches tendiert nicht in die Sphäre des Sittlichen;
sie ist fest im Intellektuellen verankert. Im Folgenden wird daher von
intellektueller Redlichkeit die Rede sein, wobei diese Titulierung von
Gerd-Günther Grau übernommen wurde [7], da
Nietzsche selbst entweder von Redlichkeit oder „intellectualem Gewissen“[8]
spricht,an der beziehungsweise dem „sich die Stärke eines Geistes darnach
bemässe, wie viel er von der >>Wahrheit<< gerade noch aushielte,
deutlicher, bis zu welchem Grade er sie verdünnt, verhüllt, versüsst,
verdumpft, verfälscht nöthig hätte.“[9]Dem „freien Geist“ gilt die Rechtschaffenheit des Geistes als
höchste Tugend, die seinen schwersten Kampf mit sich als auch seinen höchsten Triumph
über sich darstellt. Die Lüge steht
der Redlichkeit entgegen; diese muss der „Freigeist“ bedingungslos ablehnen, so
auch die der Religion, insbesondere die des christlichen Glaubens. Auch der
„freie Geist“ hat einst nach Gott gesucht, so auch Nietzsche selbst: „Habt
ihr nicht von jenem tollen Menschen gehört, der am hellen Vormittage eine
Laterne anzündete, auf den Markt lief und unaufhörlich schrie: >> Ich
suche Gott! Ich suche Gott!<< [...].“[10] Mit der Erkenntnis von Gottes Tod gewinnt
der Mensch, nach Nietzsche, die Freiheit zur Authentizität, zur Reifung. Diese
wiederum lässt ihn allerdings die pathologischen Überreste der (christlichen)
Religion erkennen: die leeren moralischen Werturteile, die aufgrund ihrer
lebensfeindlichen und nihilistischen, da gegenstandslosen,Konstitution die „décadence des Abendlandes“
erzeugen mussten. „Irren wir nicht wie durch ein unendliches Nichts?
Haucht uns nicht der leere Raum an? [...] Gott ist todt! Gott bleibt todt! Und
wir haben ihn getödtet! Wie trösten wir uns, die Mörder aller Mörder?“[11] Der christliche Gott ist durch die
christliche Moral getötet worden,durch
das Nichts, welches schon immer hinter den Mauern des christlichen Glaubens
gelauert hat.[12]
Der „freie Geist“ hat die spießbürgerliche Falschheit durchschaut und wendet
sich infolge seiner A-Religiosität vom Christentum und vom bürgerlichen Leben
ab, welches nur mehrdie religiösen
Trümmer mit sich führt. Nietzsche hat das Christentum entlarvt, und will
diesem, sein erklärt philosophisches Ziel, den Todesstoß versetzen. Emsig ruft
er zu intellektueller Redlichkeit auf, obwohl er weiß, dass nur die wenigsten
sie ertragen und vollziehen können.
Um seine Vorstellung zu verdeutlichen, entwirft Nietzsche
die Parabel der „Drei Verwandlungen des Geistes“. In ihr durchläuft der Geist
drei Phasen und kann durch die Reifung zu dem werden, was er ist. Als Symbol
für die „décadence“ und den Verfall dient das Bild des Kamels, welches durch
die Allegorie des „freien Geistes“ als Löwen abgelöst wird. Dieses Raubtier kämpft
gegen den Drachen, der Tradition und die „alten“ Werte und Konventionen
verkörpert. Geht der „freie Geist“ siegreich aus der Konfrontation hervor, kann
dieser die höchste Stufe erreichen: die des Kindes, welches den wertsetzenden
übermenschlichen Geist verkörpert. Erst das Kind vermag es, neue Werte zu
schaffen, das heißt, die Leerstellen zu besetzen, die zuvor durch die
„Pathologischen“ besetzt waren. Zu völliger Authentizität findet der Mensch
wieder als „Kind“, welches seine Werte von allem unabhängig erschafft. Der
„Freigeist“ kämpft gegen das „Ordinäre“ an, ist sich seines Gefängnisses der
Normen und Vorurteile bewusst, doch fehlt ihm der spielerisch unbeschwerte
Geist des Kindes. Diesem ist es lediglich möglich, einen gewissen Grad an
Authentizität, und der damit verbundenen intellektuellen Redlichkeit, zu
erwerben– nicht mehr.
Wieso braucht es
das Sinnbild des Kindes und nicht des Erwachsenen? Zur Klärung dieser Frage
wird das Folgende dienen: Nietzsche bearbeitet in einer seiner Schriften Unzeitgemäße
Betrachtung die Thematik Vom Nutzen und Nacht(h)eil der Historie für das
Leben. In ihr prangert der Philosoph die moderne historische Bildung an,
die sich von der unhistorischen Bildung der Griechen in dem Punkt
unterscheidet, dass sie die Lernenden unfähig macht, in der Gegenwart zu
verharren, in einer Position, die weder auf Vergangenheit noch Zukunft
ausgerichtet ist. Nietzsches´ Konzeption des Begriffs der „Unschuld des
Vergessens“ kommt erst in diesem Kontext zu ihrer Bedeutung. „Der erwachsene Mensch lebt „historisch“,
weil er fortwährend erinnert, was war und erwartet, was sein wird.“[13]Er ist des Vergessens nicht fähig, bleibt also in der Vergangenheit und in
der Zukunft, im „Hoffen auf“, gefangen. „Sein
Leben erstreckt und zerstreut sich vorwärts und rückwärts, während der
gegenwärtige Augenblick nur ein bestandloses Jetzt zwischen einem Nochnicht und
Nichtmehr ist.“[14]Das Kind und das Tier leben bedingungslosim Augenblick, da sie vergessen können, da sie beide sind, was sie ihrem
Wesen nach sein können. In ihnen existiert kein Streben nach Vollkommenheit und
Vollendung – sie besitzen diese. Der erwachsene Mensch hat sie verloren. Den
„freien Geistern“ bleibt schlussendlich als einzige Tugend ihre Redlichkeit, an
der sie festhalten, die sie kennzeichnet. Authentizität kann nur durch
Selbstüberwindung erreicht werden, welche wiederum nur durch intellektuelle
Redlichkeit vollzogen werden kann. Unauthentisch zu leben, unredlich zu sein
ist für Nietzsche ein Zeichen von Schwäche und verweist auf einen kraftlosen
Charakter. Ein solcher Mensch ist nicht imstande, das Credo Nietzsches zu
erfüllen: „Was
sagt dein Gewissen? - >>Du sollst der werden, der du
bist.<<“[15]
Der Entwurf des „freien Geistes“ mag dem jungen Nietzsche genügt haben, der spätere kann sich damit nicht mehr zufrieden geben.
Aus den anthropologischen Konzepten entwickelt sich eine neue Idee, die des
„Übermenschen“, welcher nicht nur das Tier, sondern auch den Menschen
überwindet, welchem der Philosoph sein ursprüngliches Ideal des „Freigeists“
opfern, jedoch einige Motive unter seine innovative Konzeptionsubsumieren wird.
1b) Der Mensch als Glied zwischen Tier und Übermensch
Der Gedanke des „Übermenschen“, den Nietzsche in seinem Werk Also sprach Zarathustra skizziert, ist
untrennbar mit den Entwürfen des „Todes Gottes“ und dem damit eskalierendem
„Nihilismus“ sowie des „Willens zur Macht“ und der „ewigen Wiederkehr“
verbunden.
Vorab stehen wir jedoch vor der Frage, inwiefern sich der Mensch vom Tier
differenziert? Umdiese Frage zu klären,
ist es unumgänglich, zuerst den Begriff „Mensch“ zu definieren.
In Also sprach Zarathustra
zeichnet Nietzsche den Menschen als rationales, als zur Vernunft begabtes Tier,
als ein höheres Tier zwar, aber als eines, welches überwunden werden muss, als
dasjenige, das überwunden werden kann. Den Menschen an sich betrachtet der
Philosoph schlichtweg als Tier; er steht nicht aufgrund etwaiger körperlicher
oder metaphysischer Vorzüge höher als eben dieses, lediglich durch seine
Fähigkeit zur Selbstkultivierung, durch seine Fähigkeit zur Transzendenz kann
er sich von diesem ab- und erheben. Zum Menschen wird der Mensch jedoch erst
auf der Mitte des Seiles, auf dem er tänzelt, erst dort gelangt die, bereits in
der Fröhlichen Wissenschaft
ausgesprochene, Mahnung, „Du sollst der werden, der du bist“[16], zu
ihrem Höhepunkt und zu ihrer vollen Bedeutung. Um den Menschen vom Tier
scheiden zu können, wurde dieser an Ketten gelegt, damit er, so schreibt
Nietzsche in Menschliches,
Allzumenschliches, „[...] es verlerne, sich wie ein Thier zu gebärden.
[...] – diese Ketten aber sind, ich wiederhole es immer und immer wieder, jene
schweren und sinnvollen Irrthümer der moralischen, der religiösen, der
metaphysischen Vorstellungen.“[17]
Solange der Mensch nicht diese Ketten endgültig zerrissen hat, solange wird er
vom Tier nicht unterscheidbar sein. In seinem letzten Werk Ecce Homo. Wie man wird, was man ist. bearbeitet er schließlich ein
letztes Mal diese Thematik.
Was ist der „Übermensch“? Warum findet der Philosoph Nietzsche in der
Konzeption des „Übermenschen“ sein anthropologisches Ideal, das nicht mehr als
anthropologisch definiert werden kann, sondern eher als eine Lehre zur
Überwindung des Menschen angesehen werden kann, die meta-anthropologische Züge
trägt? Der Mensch kann zum Übermenschen werden, allerdings nur unter der
Bedingung der völligen Authentizität. Auch dieses von Nietzsche konzipierte
Ideal trägt im innersten Kern und als Voraussetzung den Wert des authentischen
Seins, übernimmt und führt diesen in überarbeiteter Form fort.
Hier zeigt sich wiederum das Motiv der Selbstüberwindung, der
Selbstüberschreitung, über einem Abgrund, der sowohl als Nichts, also als
Ausdruck des Nihilismus, als auch als Geschicklichkeitsspiel zwischen den
Kräften des apollinischen und dionysischen Prinzips gedeutet werden kann. Der
Mensch balanciert über den Abgrund - nur so kann er sich transzendieren, nur so
kann er über sich selbst hinausgehen. In diesem Drahtseilakt erkennt sich der
Authentische einmal mehr als Schaffender, begreift sich dieser als unter leerem
Himmel tänzelnd, erkennt er seine Freiheit durch den Tod Gottes. Diese Freiheit
ist es, die ihm die Möglichkeit zur Transzendenz und damit zur Authentizität,
in dem Sinne von Selbstwerdung, erschließt, denn „Gott starb, nun wollen wir, -
daß der Übermensch lebe.“[18]
Gottes Tod ermöglicht, selbst als Schaffender tätig zu sein, nicht nur das
eigene Leben frei zu gestalten, sondern auch die Werte darin zu erschaffen.
Folglich wird nach der Grablegung des „toten Götzen“ eine Umwertung aller Werte
möglich – Nietzsche hofft auf die Tilgung aller veralteten, sklavischen
Memorabilien des Christentums, welche der „schwache“ Pöbel zu halten versucht.
Diese „Sklavenmoral“ soll durch eine adäquate „Herrenmoral“ ersetzt werden, in
welcher der „Starke“ nicht mehr durch den „Schwachen“ gemaßregelt wird. Das
„Herdenthier“ gewinnt seine Macht aus seinem Ressentiment, verharrt in seiner
Dekadenz,es beruft sich auf
Götzenbilder, sprich Ideale, um die bestehenden Machtverhältnisse aufrecht
erhalten zu können. In Der Antichrist
schreibt Nietzsche so: „Ich verurteile
das Christentum, ich erhebe gegen die christliche Kirche die furchtbarste aller
Anklagen, die je ein Ankläger in den Mund genommen hat.“ Die christliche Moral
hat die Partei des Schwachen, Kranken und Missgebildeten glorifiziert und das
Leben in seiner Totalität verworfen und verneint. Die „neue“, säkulare Moral
wendet sich dem Leben zu und entspringt dem Leben – es wird in der Gesamtheit
seiner Perspektiven, ob in Hinsicht auf vergangene, zukünftige oder
gegenwärtige, bejaht. Dem Menschen stellt sich die Herausforderung eines
Lebens, in dem er nur Heil finden kann, wenn er sich bedingungslos der Erde zu-
und sich radikal von jeglichen imaginären Ausflüchten abwendet und seine
Hoffnungen auf jenseitiges, außerweltliches Glück zerschlägt. Dieses Postulat
gipfelt in Nietzsches höchsten und schwierigsten Gedanken: Den des „Amor fati“
und den der damit verwobenen „Ewigen Wiederkehr“, denen am Ende nur der
Übermensch gewachsen sein kann. Dieser ist nicht nur dazu imstande, die Idee
seines in alle Ewigkeit gleichen Schicksals zu ertragen, er hat die Größe, sein
Schicksal zu akzeptieren und es sogar zu lieben – am Gedanken eines
immerwährenden, unveränderlichen Fatumsnicht zu verzweifeln.
Ein weiterer zentraler Gedanke der nietzscheanischen Philosophie ist der
des „Willens zur Macht“, den der Philosoph in Also sprach Zarathustra
ausführlicher darlegt, während dieser Gedanke in früheren Schriften nur
angedeutet wird. Dieser scheint dem Philosophen ein adäquates Werkzeug zu sein,
eine Umwertung der alten Werte und gleichzeitig die Konstruktion einer neuen,
meta-anthropologischen Werteskala vorzunehmen. Vor allem im sozialen Verhältnis
zwischen “Herdenmensch“ und „Übermensch“ wird die Bedeutsamkeit des „Willens
zur Macht“ evident. Sowohl der eine als auch der andere werden von ihm
angetrieben. „Herdenmensch“ und „Übermensch“ unterscheiden sich in der
Intention und der Stärke des „Willens“ – bei beiden ist er vorhanden. Der
„Wille“ des „Herdenmenschen“ entspringt dem Gefühl der Schwäche, des
Ressentiments gegenüber dem „Stärkeren“. Der „Übermensch“ leitet den „Willen
zur Macht“ aus seiner Stärke ab - ebenso seine Werte. Was bedeutet diese
Erkenntnis für Nietzsches Philosophie?
Analog zu einem Arzt dringt Nietzsche nicht nur tief in den alles
überwuchernden Nihilismusein, sondern
bietet auch eine optimistische Diagnose und mit seiner „Ethik der Starken“,
eine mögliche Medikation der Übel.
[1]CAMPIONI,
Giuliano: 2000. Freigeist. IN: Henning OTTMANN (Hrsg.): Nietzsche-Handbuch. Lehre –
Werk –
Wirkung. Stuttgart/Weimar: J.B. Metzler, S. 235f.
[2] ebda, S. 68.
[3] KAUFMANN, Walter: 1982. Nietzsche.
Philosoph – Psychologe – Antichrist. Darmstadt: Wissenschaftliche
Buchgesellschaft, S. 184.
[4] Giuliano Campioni, Freigeist, S. 237.
[5] Jacob Golomb, In Search for Authenticity,
S. 72.
[6] Jacob Golomb, In search of Authenticity,
S. 72.
[7] GRAU, Gerd-Günther: 2000.
Redlichkeit, intellektuelle. IN: Henning OTTMANN (Hrsg.): Nietzsche-
Handbuch. Lehre – Werk – Wirkung.
Stuttgart/Weimar: J.B. Metzler, S. 308f.
[8] NIETZSCHE, Friedrich:
2000. Die fröhliche Wissenschaft. Stuttgart: Philipp Reclam jun., S. 35.
[9] NIETZSCHE, Friedrich:
1988. Jenseits von Gut und Böse. Vorspiel einer Philosophie der Zukunft.
Stuttgart:
Philipp
Reclam jun., S. 46.
[10] Vgl. Friedrich Nietzsche,
Die fröhliche Wissenschaft, S. 141.
[11] ebda, S. 141f.
[12] Vgl. vorhergehendes
Kapitel II. „In einer Welt ohne Sinn und ohne Gott“ dieser Diplomarbeit.
[13] LÖWITH, Karl: 1956. Nietzsches
Philosophie der ewigen Wiederkehr des Gleichen. Stuttgart: Kohlhammer,
S. 135f.
[14] ebda, S. 135f.
[15] Friedrich Nietzsche, Die
fröhliche Wissenschaft, S. 180.
[16] ebda, S. 80.
[17] Friedrich Nietzsche,
Menschliches, Allzumenschliches. IN: Nietzsche-Werke,
S. 340.
[18] ebda, S. 300.
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