Erschienen in Ausgabe: No. 8 (2/1995) | Letzte Änderung: 23.01.09 |
von Christian Danz
"Ein Wesen, das bloß es selbst wäre, als ein reines Eins
(wenn nämlich ein solches, wie wir jetzt annehmen, gedacht werden
könnte), wäre nothwendig ohne Offenbarung in ihm selbst; denn es
hätte nichts, darin es sich offenbar würde, es könnte eben darum
nicht als Eins seyn, denn das Seyn, das aktuelle wirkliche Seyn,
ist eben die Selbstoffenbarung. Soll es als Eins seyn, so muß es
sich offenbaren in ihm selbst; es offenbart sich aber nicht, wenn es bloß
es selbst, wenn es nicht in ihm selbst ein Anderes, und in diesem
Anderen sich selbst das Eine, also wenn es nicht überhaupt das lebendige
Band von sich selbst und einem Anderen ist." (VII, 54)[1]
Die zitierte Bemerkung stammt aus Schellings 1806 veröffentlichter Schrift
'Darlegung des wahren Verhältnisses der Naturphilosophie zu der
verbesserten Fichteschen Lehre' (VII, 1-126) und formuliert als Kritik an
Fichtes Konzeption des Absoluten seine eigene Position. Ein reines Eins, so
lesen wir hier, ist nur als es selbst, wenn es in sich ein anderes ist. Worauf
Schelling hier aufmerksam macht, ist der Sachverhalt, daß es nicht
einerlei ist, ob der Gedanke des Absoluten nach Maßgabe eines
Selbstbewußtseins gedacht wird. Wird es nämlich derart gedacht, dann
können wir das Eine nur so denken, daß es sich in seinem Bilde
verdoppelt, aber gerade so ist es nicht als es selbst. Als es selbst ist es
nur, so will es das Zitat, in einem anderen als es selbst oder in dem
lebendigen Band.
In der im Wintersemester 1831/32 in München erstmals vorgetragen Vorlesung
über Philosophie der Offenbarung wiederholt Schelling diese Kritik an
Fichte im Zusammenhang einer Erläuterung des Johannesprologes. Schelling
schreibt hier:
"Auch in bezug auf die Klärung des Wortes 'logos' will ich noch etwas
nachholen. Das Wahrscheinlichste wäre, darunter das 'Schöpfungswort'
zu verstehen; allein dies Wort ist doch nur in seiner Äußerlichkeit
Wort; es ist nur Wort, inwiefern es ausgesprochen ist. Wie sollten dann die
Worte erklärt werden.
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[[lambda]][[omicron]][[gamma]][[omicron]][[sigma]]?
Was wäre
es, insofern es in Gott wäre? Etwa ein Gedanke - der höchste
Begriff Gottes, der zuletzt im Menschen Jesus sich realisiert hat? - Ich
zweifle nicht, daß die Berliner = Philosophen diese Erklärung sehr
passend finden würden, wie einst Fichte den Anfang des Evangeliums
Johannis zu seinem Vorteil benützte."[2]
Versteht man den Logos als Äußerung oder als Offenbarung Gottes, so
sieht man sich, so Schelling in dem Zitat, zumindest mit der Schwierigkeit
konfrontiert, daß der Text des Johannes von einer Differenz in Gott
spricht. Doch wie ist diese interne Differenz in Gott zu verstehen? Nach
Schelling jedenfalls nicht so, wie er eigens hervorhebt, daß man sich
für diese Differenz an der Differenz von Denken und Gedanken orientiert.
Unschwer erkennt man hier die Wiederaufnahme des Problems, wie es von Schelling
in dem eingangs wiedergegebenen Zitat formuliert wurde.
Eine Erläuterung der von Schelling vorgeschlagenen und hier angedeuteten
Lesart des Johannesprologes wird uns in der hier vorliegenden Untersuchung
beschäftigen. Dazu ist es jedoch unerläßlich, auf einige
Grundentscheidungen seiner Philosophie wenigstens stichpunktartig einzugehen,
da nur vor diesem Hintergrund ein adäquates Verständnis seiner
Interpretation möglich ist.
Daß Texte nur dann erfaßt sind, wenn man sie nach dem Geist und
nicht nur nach dem Buchstaben versteht, ist eine Einsicht, die nicht nur
für Schellings frühe Kantlektüre steht, sondern die er
ausdrücklich auch als hermeneutische Maxime seiner Lektüre der
biblischen Texte angibt.[3] Freilich bedeutet dies
nicht, daß man das zu Erklärende aus dem Text hinwegschafft, um ihn
dadurch zu erklären, wie er andernorts betont.4 Der Geist eines Textes ist
gewissermaßen an seinem Buchstaben aufzusuchen. In diesem Sinne weist
Schelling eigens darauf hin, "daß die Worte des Johannes [...] nur der
Text sind" (XIV, 104), an dem die Geschichte des Logos in der "genauen
Aufeinanderfolge ihrer Momente" (ebd.) entwickelt wird.
Soll also die Geschichte, die Johannes erzählt, verstanden werden, so ist
danach zu fragen, wie sich dies denken läßt. Zielt die Frage auf die
Genesis des Faktums, so kann die Antwort nur in einer hypothetischen
Rekonstruktion bestehen, die ihre Evidenz daraus bezieht, daß sie das
Faktum der Offenbarung des Logos im Fleisch als möglich erweist. Diesen
Status der Untersuchung als Hypothese spricht Schelling selbst an, wenn er in
der Münchner Vorlesung über Philosophie der Offenbarung darauf
hinweist und verspricht, sie "sogleich gegen jede zuverlässigere
aufzugeben" (UF, 474).
In dieser Exposition der Fragestellung spricht sich die philosophische Einsicht
Schellings aus, daß die Wirklichkeit nur um den Preis ihrer
Vergewaltigung im Gedanken vollends aufgeht. So gewiß diese Einsicht
Resultat der Reflexion auf den Vollzug des Denkens ist, so sehr bewahrt sie
andererseits das Denken vor einem kruden Empirismus, indem sie darum
weiß, daß wir die Wirklichkeit nicht bloß und ohne die Zutat
unserer strukturellen Verfaßtheit als Denkende erfahren. Bricht
nämlich an der durch das Denken nicht zu inszenierenden Faktizität
des Denkvollzuges die Ungesichertheit des Denkens auf, so äußert
sich im Denken die nicht mehr durch es selbst zu vermittelnde und somit
unhintergehbare Wirklichkeit. Das Denken ist so an die Erfahrung verwiesen, und
zwar derart, daß etwas schon ist, bevor es dem Denken begegnet.5 Diese
Option für die Priorität der Wirklichkeit ist nun keine Option
für das Unbegreifliche oder Irrationale, wie man mitunter Schelling
unterstellt.6 In die Erfahrung der Wirklichkeit geht vielmehr die
Totalität der Vernunft selbst mit ein, insofern das, was erfahren wird,
nur durch die Vernunft als möglich eingesehen wird oder daß die
Bestimmungen einer Sache nur Bestimmungen qua Denken sein können. In
diesem Sinne geht die Philosophie der Offenbarung in ihrer begrifflichen
Rekonstruktion der Geschichte des Logos zwar von dem absoluten Geist aus,
bleibt jedoch an das Faktum der Menschwerdung Christi rückgebunden.
"Wir werden also sagen: das Prius, dessen Begriff dieser und dieser
(der des Ueberseyenden) ist, wird eine solche Folge haben
können ([...] es kann eine solche Folge haben, wenn es will,
die Folge ist eine von seinem Willen abhängige). Nun existirt aber diese
Folge wirklich (dieser Satz ist nun der auf Erfahrung beruhende Satz;
die Existenz einer solchen Folge ist ein Factum, eine Thatsache der Erfahrung).
Also zeigt uns dieses Factum - die Existenz einer solchen Folge zeigt
uns, daß auch das Prius selbst so existirt, wie wir es
begriffen haben, d.h. daß Gott existirt." (XIII, 129)
Die Rekonstruktionshypothese bleibt demnach rückbezogen auf das Faktum der
Offenbarung, wie es in dem Text des Johannes ausgesprochen ist. Dieses Faktum
soll als Selbstvollzug des Absoluten verstanden werden, und dies bedeutet, die
Rekonstruktionshypothese ist eine Hypothese über eine mögliche Folge
des Absoluten. Soll also die Menschwerdung des Logos ein freier Selbstvollzug
sein, so muß ein absolut freier Geist gedacht werden. Die erste Aufgabe
der Philosophie der Offenbarung ist also die Untersuchung des Weges zu diesem
Geist, welcher nach Schelling unter der Forderung steht, es soll ein absolut
freier Geist als Anfang der Philosophie sein.[7]
Der
Weg zum Prinzip, wie ihn die Philosophie der Offenbarung ausführt,
verläuft über eine Abstraktion von allem Sein, und d.h. über
eine Abstraktion von der Vernunftstruktur der Subjektivität. Gedacht
werden soll das, was vor dem Sein ist, wie Schelling immer wieder betont.8
Möglich ist dies freilich nur in der Relation zum Sein, und daher nennt
Schelling das erste Moment des Aufstieges zum Geist auch sein Könnendes,
um genau diese Relation anzudeuten. Um jedoch das, was vor dem Sein ist, als
solches festzuhalten, d.h. um das Unbestimmte als Unbestimmtes zu denken,
muß zunächst einmal das sein Könnende als solches festgehalten
werden. Dieser Weg zum absoluten Geist, der sich über die aus Schellings
Philosophie bekannte triplizitäre Potenzenstruktur (sein Könnendes;
rein Seiendes; das, was als rein Seiendes nicht aufhört sein
Könnendes und was als sein Könnendes nicht aufhört rein Seiendes
zu sein) aufbaut, soll hier nicht genauer ausgeführt werden.9 Wichtig ist
jedoch, daß dieser Weg selbst in den Geist mit eingeht, und zwar
dergestalt, daß die Momente dieses Weges - sein Könnenendes; rein
Seiendes; das, was als rein Seiendes nicht aufhört sein Könnendes und
was als sein Könnendes nicht aufhört rein Seiendes zu sein - im
Aufbau ihrer Struktur alle externen Relationen auflösen. Erst dann ist das
Unbestimmte als Unbestimmtes festgehalten, eben weil die externen Relationen in
die interne Bestimmung dessen eingeht, was vor dem Sein ist. Der Geist ist so,
wie Schelling formuliert, vor seiner eigenen Zukunft sicher gestellt,10 womit
ein Wendepunkt in der Untersuchung eintritt. Um diesen Wendepunkt, von dem
Schelling hier spricht und der zu der Einsicht der Wirklichkeit dieses Geistes
führt, deutlich zu machen, ist es ratsam, noch einmal die gesamte
Operation zu reflektieren. Bisher wurde hypothetisch eine Konstruktion
durchgeführt, die unter der Maßgabe stand, es soll ein absolut
freier Geist als Anfang der Philosophie sein. Ein anderer als dieser
hypothetische Weg steht uns beim Weg zum Geist nicht zur Verfügung. Nun
tilgt die Konstruktion alle externen Relationen, so daß das hypothetische
Soll gerade dadurch kategorisch wird. Der faktische Vollzug von Philosophie,
der immer schon getätigt ist, sofern nach dem Geist gefragt wird, erweist
daher die Wirklichkeit des Geistes11, und zwar derart, daß Vernunft
faktisch da ist und dieses faktische Dasein der Vernunft nur Folge einer freien
Tat des Geistes sein kann.
Diese Einsicht, die sich beim Aufbau der Struktur Geist einstellte, geht nun in
den Abstieg mit ein. Alle möglichen Externrelationen des Geistes
können nur als freie Tat des Geistes verstanden werden.
Auf diese hier skizzierte Struktur des Geistes nimmt Schelling mit seiner
Rekonstruktion des Johannesprologes bezug, wenn er schreibt: "Im
Anfang (dieser Ausdruck ist hier streng zu nehmen; er bedeutet: ohne
daß irgend etwas vorausging) war der Logos." (XIV, 104) Der Geist
nahm beim Aufbau seiner Struktur die externen Relationen als Bestimmungen
seines Selbstseins in sich auf, so daß er als bestimmte Unbestimmtheit
beschrieben werden kann. Unbestimmtheit insofern, als er sich als reine
Sichselbstgleichheit darstellt, und da sich diese Sichselbstgleichheit nicht
anders denken ließ als durch die Bestimmungen des Aufstiegs, ist er
andererseits auch bestimmt. Mit diesem reinen Gedanken des Anfangs ist so eine
Sichselbstgleichheit gedacht, die gleichwohl eine triplizitäre Struktur
aufweist, so daß sich die Möglichkeit von Differenzen aus dem
Selbstvollzug dieser Einheit rekonstruieren läßt. Der Logos war
daher im Anfang als Moment der Sichselbstgleichheit des Geistes, nicht jedoch
als Logos. Denn dies würde eine Differenz voraussetzen, die die
Sichselbstgleichheit des Geistes bereits suspendiert.
Differenzen lassen sich jedoch nur dann denken, sofern diese Einheit durch eine
Tat des Geistes suspendiert wird. Nach Schelling ist dies im zweiten Versteil
des ersten Verses des Prologes angesprochen: "Die Rede schreitet aber von
diesem Moment des unvordenklichen Seyns sogleich weiter zu dem, wo das, was im
Anfang war, wo dieses reine Seyn bereits ex actu puro gesetzt,
hypostasirt, potentialisirt, zu einem Seyenden gemacht ist, bei Gott
[...] ist." (XIV, 105) Schelling denkt hier nicht an eine Hypostasierung der
bisher nur gedachten Struktur, wie man vielleicht aus dem Zitat schließen
könnte. Vielmehr muß man sich daran orientieren, was mit diesem
Schritt gewollt ist. Johannes will mit seinem Text die Geschichte des Logos von
Anfang an erzählen, und Schelling folgt ihm darin. Bisher haben wir in
unserer Rekonstruktion aber noch gar keinen Logos gedacht, sondern nur eine
sich selbst gleiche Einheit. Damit der Logos als Logos sein kann, muß die
bisherige Einheit als Vergangenheit gesetzt werden.
Nun würde sich dies nach Schelling nicht denken lassen, wenn der absolute
Geist nach Maßgabe des Selbstbewußtseins gedacht wird. Denn dann
könnte der Selbstvollzug dieser Struktur gerade nicht zu dem führen,
was hier gefordert ist. Der Selbstvollzug von Selbstbewußtsein setzt
immer nur sich selbst, hier kommt es jedoch darauf an, einen Vollzug zu denken,
der gerade etwas anderes als sich selbst setzt.[12]
Indem der Geist seine ununterschiedene Sichselbstgleichheit als Vergangenheit
setzt, setzt er reale Differenzen seiner Momente.
Schelling hat diesen Vollzug unter dem Aspekt der internen Differenzierung des
Absoluten als Zeugung des Sohnes namhaft gemacht13 und den externen Aspekt als
Anfang der Schöpfung.14 Beides sind Aspekte des Selbstvollzuges des
absoluen Geistes, der in diesem Vollzug seine ununterschiedene Gegenwart als
Vergangenheit und damit Zeit überhaupt setzt.15 Durch die Zeugung ist der
Sohn oder der Logos jedoch noch nicht als Logos bestimmt. Vielmehr ist er durch
die Zeugung in die Notwendigkeit der Selbstverwirklichung gesetzt. Erst durch
diese Selbstverwirklichung verwirklicht er sich als Sohn. Die Struktur dieses
Gedankens baut darauf, daß der Selbstvollzug des Sohnes in seinem
Selbstvollzug nicht sich selbst setzt, sondern die Einheit der Gottheit oder
den Vater. Nur dadurch, daß der Sohn etwas anderes als er selbst setzt,
ist er der Sohn. Hierfür steht Schellings Formel, der "Vater und der Sohn
kommen daher miteinander zur Verwirklichung" (XIII, 336).
Diese wechselseitige Bestimmung von Vater und Sohn in der Einheit des Geistes,
die als diese Einheit die Differenz von Vater und Sohn voraussetzt, kommt nach
Schelling im dritten Versteil des ersten Verses des Prologes zum Ausdruck: "Nun
rückt der Apostel wieder um einen Moment weiter, indem er sagt: [...]
und dasselbe Subjekt war Gott, nämlich am Ende der
Schöpfung, wo es ebenso Herr des Seyns ist, als es zuerst nur der Vater
war, im Besitz der Gottheit, die es jedoch vorerst nicht als eine besondere,
nicht für sich, nicht außer dem Vater (vom Vater unabhängig),
sondern nur in dem Vater hat, daher es auch nur
'[[tau]][[eta]][[epsilon]][[omicron]][[sigma]]' ist, nicht '[[eta]][[omicron]]
[[tau]][[eta]][[epsilon]][[omicron]][[sigma]]', Gott selbst, welches nur
der Vater ist." (XIV, 105f.)
Nach unserer bisherigen Rekonstruktion erzählt der erste Vers des
johanneischen Prologes eine Geschichte vom absoluten Anfang bis zum Ende der
Schöpfung im Menschen als freiem Wesen. Das Ende der Schöpfung
fällt jedoch für Schelling mit dem Fall des Menschen insofern
zusammen, als die Freiheit, die der Mensch in Gott hat, als vom Menschen selbst
vollzogene Freiheit zur Unfreiheit führt.[16]
Sobald der Mensch das, was er ist, auch selbst sein will, liefert er sich einem
Prozeß aus, in dem er die Freiheit, die er eigentlich ist, immer
verfehlt. Gott als der Grund seiner Freiheit erscheint ihm im Bewußtsein
in Gestalt einer sukzessiven Göttergeschichte und damit nicht mehr als
sein sollende Freiheit, sondern als seiende Götter. Diese Geschichte des
mythologischen Bewußtseins, deren Vollzug im Bewußtsein als
Resultat in Form von Göttern eintritt, spiegelt sich im Prolog des
Johannes.
Der Logos geht in diesen Prozeß als das Movens dieses Prozesses ein, da
er durch den Schöpfungsakt Gottes in die Möglichkeit der
Selbständigkeit gesetzt ist. Nach Schelling wird dies im vierten Vers des
Prologes angesprochen: "Mit den Worten: In ihm selbst war Leben, ist also die
Erzählung wieder um einen Schritt weiter gerückt, es ist von dem Sohn
die Rede, wie er nun schon außer dem Vater als
selbständige Persönlichkeit ist, die Leben in sich selbst hat." (XIV,
113) Durch den Fall des Menschen ist die Einheit der Gottheit, wie sie sich am
Ende der Schöpfung durch den Sohn restituiert hat, wieder suspendiert
worden. Damit ist der Sohn, so Schelling, in Differenz zum Vater und mithin
unabhängig gesetzt. Diese Unabhängigkeit, in die der Sohn durch den
Fall des Menschen gekommen ist, kann er als Selbständigkeit gegenüber
dem Vater behaupten, oder er kann sie verschmähen, wie Schelling
gelegentlich sagt.[17] Daß er sie
verschmähte, dies ist die Grundidee des Christentums und wird von Johannes
im vierzehnten Vers seines Prologes als Fleischwerdung des Logos dargelegt.
Schellings Formel hierfür ist die des Gehorsams des Sohnes, welcher eine
Struktur von Subjektivität namhaft macht, die darin besteht, daß sie
in ihrem Selbstvollzug anderes als sich selbst setzt. Denn indem der Sohn
Mensch wird, vollzieht er den Willen des Vaters und nicht sein Selbstsein, das
ihm durch den Fall des Menschen möglich geworden ist.
Die Identität von Gott und Logos vollzieht sich nach Schelling durch eine
Geschichte, in der der Logos diese Identität durch seine Differenz zum
Vater realisiert. Erst vom menschgewordenen Logos, der sich eben durch diese
Menschwerdung zum Christus bestimmt, läßt sich sagen "wir sahen in
ihm den, der mit dem Vater eins und in dem wahrhaftig nur der Vater selbst ist"
(XIV, 117). Schelling kommt es vor allem darauf an, diese Geschichte des Logos
als einen freien Selbstvollzug auszulegen, indem sich dieser zum Christus
bestimmt. Das letzte Faktum (XIV, 117) ist dabei als Wirklichkeit vorausgesetzt
und soll in seiner Möglichkeit rekonstruiert werden.
1 Schellings Werke werden zitiert nach der von K.F.A.
Schelling veranstalteten Gesamtausgabe in 14 (XIV) Bänden, Stuttgart und
Augsburg 1856-1861. Die römischen Ziffern bezeichnen den entsprechenden
Band, die arabischen die Seitenzahl.
2 F.W.J. Schelling: Urfassung der Philosophie der Offenbarung, hrsg. v.
Walter E. Ehrhardt, Hamburg 1992 (im Folgenden zitiert als UF und
Seitenangabe), S. 477f.
3 Siehe etwa XIV, 101.
4 XIV, 201.
5 Zu der hier angedeuteten Problematik von Daß und Was, bzw. von
negativer und positiver Philosophie siehe Dietrich Korsch: Der Grund der
Freiheit. Eine Untersuchung zur Problemgeschichte des positiven Philosophie und
zur Systemfunktion des Christentums im Spätwerk F.W.J. Schellings,
München 1980, S. 189-195 und Thomas Buchheim: Eins von Allem. Die
Selbstbescheidung des Idealismus in Schellings Spätphilosophie,
Hamburg 1992.
6 X, 405f.: "Der Unterschied unserer von der früheren scholastischen Zeit
ist eben, daß es um die Sache selbst geht [...], daß es sich
um die reale Denkbarkeit handelt. Dieß ist der wahre Fortschritt,
der nicht wieder zurückgenommen werden kann, die Forderung, die sich nicht
abweisen läßt, welchen Vorwand man nehme, auch nicht mit dem
gewöhnlichen, die Unbegreiflichkeit, oder wenigstens das
Nichtbegreifen sey nothwendig zum Glauben; denn darin ist nur
Mißverstand."
7 Vor allem Walter E. Ehrhardt hat immer wieder darauf hingewiesen, daß
Schellings Philosophie daran orientiert ist, die Wirklichkeit der Freiheit in
allen Gebieten des menschlichen Wissens zur Darstellung zu bringen. Walter E.
Ehrhardt: "F.W.J. Schelling: Die Wirklichkeit der Freiheit". In:
Grundprobleme der großen Philosophen. Philosophie der Neuzeit II,
hrsg. v. Josef Speck, Göttingen 31988, S. 109-144.
8 Vgl. etwa UF, 24; XIII, 204.
9 Siehe hierzu UF; 25-76, XIII, 204-261. Zur sogenannten Potenzenlehre
Schellings vgl. Thomas Buchheim (1992).
10 Vgl. hierzu UF, 63.
11 UF, 69: "Der Beweis dieses Geistes kann nicht von der Philosophie, sondern
nur durch die Philosophie gegeben werden."
12 Vgl. hierzu UF, 153f. und XIII, 315f.
13 Vgl. hierzu UF, 157; 164f. u.ö.
14 Vgl. XIV, 106.
15 Vgl. hierzu UF, 163: "Dieses Wollen, dieser actus, wodurch die Spannung
wirklich gesetzt ist, ist zwar kein notwendiges, blindes, sondern schon ein
vermitteltes , aber doch nicht zeitliches, Wollen, sondern da es das Zeit und
Ewigkeit als solche scheidende Wollen ist, so muß es als Setzendes der
Zeit über der Zeit sein. Eine Entstehung der Zeit läßt
sich nur so denken, daß zugleich - in Einem actus -
Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft gesetzt werden."
16 Vgl. hierzu Dietrich Korsch (1980), S. 209f.
17 XIV, 39.
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