Erschienen in Ausgabe: Ohne Ausgabe | Letzte Änderung: 26.01.10 |
von Bettina Röhl
Wäre Lafontaine je richtig von der Leine gelassen worden und etwa seinem
Wunsch entsprechend 1990 Bundeskanzler geworden, die Folgen wären desaströs
gewesen. Jetzt, wo Lafontaine geht, kommen manchem Gegner sicher
Verlustgefühle. So sehr hatte man sich an die Lafontainschen Absurditäten und
Extremismen gewöhnt.
Irgendwie links, irgendwie extrem und irgendwie unkalkulierbar und launisch.
Immer ohne wirkliches Konzept, aber über Jahrzehnte hinweg alle Nase lang
irgendwelche aneckenden Forderungen durchpeitschen wollen, gerade so, als wenn
diese Forderungen im konkreten Moment die Achse wären, um die sich die Welt drehte.
Das war die Rezeptur OskarLafontaines sich jahrzehntelang auf einem
oberen Platz der Hitliste der meistgeliebten und meist gehassten Politiker der
Bundesrepublik zu halten.
Lafontaine geht vordergründig durch seine Krankheit veranlasst und das wussten
seine Genossen sicher schon ein paar Tage länger. Gregor Gysi hatte eben noch
den Bundesgeschäftsführer Dietmar Bartsch im vorgeblichen Interesse Lafontaines
gefällt, wie die Autorin hier und hier beschrieben hat. Es scheint allerdings
nicht zuzutreffen, dass Gysi fremdnützig für Lafontaine gehandelt hat. Es
scheint vielmehr so, dass er noch gerade "rechtzeitig" alles dafür
getan hat, um zu verhindern, dass Bartsch in den Parteivorsitz aufrückt, in
welcher Konstellation auch immer. Angesichts des jetzigen schnellen Rücktritts
von Lafontaine zeigt sich die Perfidie Gysis, dem es noch gerade eben gelungen
ist, einen offenbar als Konkurrenten empfundenen Politiker kalt zu stellen.
Auch Lafontaine selbst hätte vor einigen Tagen eine Ehrenrettung des Dietmar
Bartsch ganz einfach bewerkstelligt haben können.
Eine Beschreibung der politischen Person Lafontaines unternahm die Autorin im
Jahr 2008 als Lafontaine als Parteivorsitzender der Linkspartei wohl auf dem
Höhepunkt seiner letzten gesamtdeutschen, linksparteilichen Karriere war:
Die Lafontaine-Falle: Der dumpfe Querschläger und die Linkspartei
Artikel vom 25.5.2008 nach einer Rede Lafontaines auf einem Parteitag der
Linkspartei in Cottbus.
Was den Unionsparteien und der FDP nicht gelang, nämlich dem Jahrzehnte lang
quasi naturgesetzlichen Aufstieg der SPD zur tonangebenden Volkspartei etwas
entgegenzusetzen, hat Oskar Matzerath, Entschuldigung, Lafontaine, mittels
seiner persönlichkeitsstrukturellen Zerstörungskraft besorgt.
Dabei ist er weit übers Ziel hinaus geschossen; er hat die SPD von innen
heraus, quasi wie eine Art politischer Borderliner, der seine Umwelt in seine
eigenen politischen Abgründe hinunterzerrt, zersetzt, entgeistet, verraten. Und
er hat die SPD, die als eine stabile, politische Kraft von nicht zu
unterschätzender gesellschaftlicher Nützlichkeit ist, auf eine 20 % Plus-Partei
ohne Strahlkraft, ohne Vision, ohne Bindungswirkung, ohne Konzept herunter
marginalisiert.
Wäre da nicht die bald 150-jährige Geschichte der SPD mit ihrer historisch
normativen Wirkung, die SPD wäre womöglich inzwischen völlig bedeutungslos.
Lafontaine hat seit seinen Tagen als Saarbrücker Jung-Bürgermeister in den
siebziger und achtziger Jahren einen solchen Wust von Provokationen,
Irritationen und in Wahrheit einen solchen Bombenhagel von Destruktion in die
SPD hinein und damit auch in die Gesellschaft hinein geschleudert, dass die
aktuelle Umfrage von Emnid für die Bild-Zeitung, ob Lafontaine „gefährlich“
sei, eine überaus plausible Ursache hat. Dabei hat sich Lafontaine noch weit
weniger von seinem Gequatsche von Gestern beirren lassen, als Konrad Adenauer
es von sich selbst behauptete.
Einen ganzen Bombenhagel von Destruktion
Dass sich viele katastrophale Widersprüche in seinem geistigen Waffenarsenal
in seiner politischen Agitation befanden und befinden, stört ihn nicht. In
seiner besessenen Egomanie weiß er wahrscheinlich nicht immer, was er tut und
was er sagt.
Aber das Phänomen Lafontaine ist, dass ihm, der niemals mehrheitsfähig
gewesen ist, in einer grenzenlosen Überrepräsentanz seiner Person, die Medien
und die Öffentlichkeit in einer verantwortungslosen Art und Weise seit
Jahrzehnten offen standen und auch jetzt willfährig zu Gebote stehen. Jeder
andere Politiker, der eine solche Irrtumsquote in seinem politischen Tun
aufgewiesen hätte, wie Lafontaine, wäre irgendwann einmal gnädig im
historischen Ablagekorb der Geschichte mit der Aufschrift „lächerlich“
gelandet.
Die in kommunistisch denkenden Kreisen verbreitete Meinung, dass es
historisch nicht auf Individuen, sondern auf Strukturen ankäme, hat sicher dazu
beigetragen, dass es gerade die kommunistischen Strukturen sind, die einen
geradezu sakralen Personenkult für die Führer hervorgebracht haben. Tatsächlich
sind es natürlich oft Individuen, die gesellschaftliche Weichenstellungen
bewirken und Lafontaine ist ein solcher singulärer Fall, der gesellschaftliche
Fehlentwicklungen begünstigt.
Lafontaine war 1982 einer der Sargnägel der sozial-liberalen
Koalition
1982 war Lafontaine einer der wichtigsten Sargnägel der sozial-liberalen
Koalition und des vorzeitigen Endes von Kanzler Helmut Schmidt und damit de
facto einer der Vorreiter der Kanzlerschaft Helmut Kohls. 1989 wollte er als
Kanzlerkandidat der SPD nichts von den DDR-Bürgern wissen, nichts von Willy
Brandt wissen (auf den er jetzt rekrutiert), was ihn jetzt nicht daran hindert,
vor allem die Potenziale der namentlich untergegangenen PDS für seine
persönlichen Machtziele abzuschöpfen.
Ihn störte einst der sowjetische Waffenexport in Krisengebiete nicht. Ihn
störte auch das militärische Übergewicht der Sowjetunion in Osteuropa gegenüber
Westeuropa in Zeiten des Kalten Krieges nicht. Ihn störte im
geistig-politischen Gleichklang mit der damaligen DDR-Führung nur die westliche
Nachrüstung, (Nato-Doppelbeschluss) die dann auf deutscher Seite von Helmut
Kohl in konsequenter Fortsetzung der Politik von Helmut Schmidt durchgesetzt
wurde.
Diese Asymmetrie: kommunistische Waffen gleich gute Waffen, freiheitlich
demokratisch-kapitalistische Waffen gleich schlechte Waffen, findet sich im
aktuellen Friedensgeschwafel in Lafontaines Rede auf dem Parteitag der Linken
in Cottbus wieder. Immerhin ein Kontinuum in der ansonsten sprunghaften,
chamelionartigen Agitation auf den Augenblick hin.
Das Programm heißt Lafontaine, das Stilmittel ist Demagogie
Die eigentliche Konstante im Leben des Lafontaine ist seine persönliche
Machtbesessenheit und sein Trick ist perverserweise das Generieren von Macht
nicht durch Konstruktion, sondern durch Destruktion. Sein Programm heißt
Lafontaine, sein Stilmittel ist das der Demagogie und das der ideologischen
Verdummung. Lafontaine gehörte einst irrtümlich zu den Trumpfkarten der SPD,
weil ihm zugeschrieben wurde, dass er, ohne klassisch in die damals bedeutsamen
Juso-Zirkel zu gehören, mit seinen linkspopulistischen Ausreißerthesen der SPD
scharenweise Jungwähler (sowohl aus dem studentischen Milieu, als auch aus dem
Gewerkschaftsbereich) zuführen würde, was zum Teil auch stimmte.
So wurde der SPD-Zersetzer Lafontaine von den Weitsichtigeren seiner Partei
zwar kritisch gesehen, aber insgesamt doch gehätschelt. Das Lebenswerk des
Oskar Lafontaine ist eine Art in die Länge gezogener erfolgreicher Amoklauf
gegen die SPD und gegen seine früheren Weggefährten. Auch die Partei, die sich
jetzt Die Linke nennt, was so etwas ähnliches heißen soll, als handelte es sich
um eine linke Partei, wobei noch zu definieren bleibt, was links ist, scheint
jetzt dem Lafontaine auf den Leim zu gehen.
Der Wunschgedanke der PDS, dass ihr neuer Halbgott Lafontaine den Westen für
die PDS sturmreif schießt, könnte sich als fataler Irrtum und als mediale
Eintagsfliege erweisen. Lafontaine, der bisher in seinem Leben mit politischer
Brandstiftung keinerlei Berührungsangst zeigte, könnte am Ende auch der
Zerstörer der PDS / Linkspartei sein.
Das Lebenswerk Lafontaines ist eine Art in die Länge gezogener
Amoklauf gegen die SPD
Die Parteitagsrede Lafontaines, fast eine Stunde lang, war gespickt mit peinlichen
Verhasplern. Die Auto-Emotionalisierungen, auf die Lafontaine offenbar hoffte,
mochten sich bei ihm selbst nicht einstellen, kein Wunder bei einem derart
abgedroschenen Sammelsurium von Phrasen aus dem kommunistischen
Gemischtwarenladen.
Die Rede war intellektuell flach und ein Feuerwerk von falschen
Tatsachenbehauptungen und gefährlichen Halbwahrheiten, wie die Welt und die
Wirtschaft durch eine kommunistische Brille gesehen funktionierte oder besser
fehl funktionierte: falsche Analysen, damit zwangsläufig fehlgeleitete
Therapie, das ist es, was Kommunisten seit 150 Jahren hören wollen und was sie
zum Schwelgen bringt und zum Wunden lecken ob ihres ebenso lang andauernden
Versagens in der Praxis.
Die Rede war inhaltlich stumpf und auch die Vortragskunst hielt sich, von
ihrer Aufpeitscherei abgesehen, die sicher irgendeine Wirkung entfaltet, in
Grenzen. Das hindert manch eine Medienstimme nicht in alter Routine Lafontaine
gar „Brillanz“ zu attestieren. Indes brillant war an der Rede in Cottbus nichts.
Verklausulierte und schäbig auf Täuschung angelegte uralte Hüte wurden da
serviert, die letzten Endes auf Denkstrukturen zurückgriffen, an denen die DDR,
unabhängig von ihrem ökonomischen Versagen, zugrunde gegangen ist, immerhin die
DDR nannte sich auch „demokratisch“ und „sozialistisch“ und sprach von
„Freiheit“ und „Gleichheit“ und „Brüderlichkeit“, von „Pazifismus“ und einer
materiellen Versorgung aller, und von Glückseligkeit und vom Paradies. Letztere
Vokabeln wurden allerdings in den politischen Manifesten nicht direkt
ausgesprochen.
Lafontaines Rezepturen sind marxistischer kalter Kaffee
Lafontaines Rezepturen sind marxistischer kalter Kaffee von gestern und
haben mit der Wirklichkeit der globalisierten Welt nichts zu tun. Realisierungschance:
Null, wegen komplettem Realitätsverlust.
Lafontaine denkt offenbar mit den Beinen. Jedenfalls hat er in seiner
Cottbusser Rede nach einem unverständlichen Ausflug in das erste Semester
Mathematik mit dem angeblich verbreiteten Irrtum aufzuräumen versucht, dass ein
„Floh“ mit den Beinen dächte, was nach der Lafontaineschen Logik im
Umkehrschluss nahe legt, dass sein eigenes Denken beingesteuert sein könnte,
will sagen: Lafontaine hat sehr viel geredet, was mit der Qualifikation aufgeblasener
Quatsch noch gut bedient ist.
Lafontaine verfügt über keinerlei Humor, so dass man immer dankbar ist, wenn
der Komödiant Gysi (leider auch nur noch ein müder Abklatsch seiner selbst aus
seinen spritzigeren Neunziger Jahren und irgendwie doch gezeichnet durch die
erdrückenden Stasivorwürfe) ein paar Witzchen dazu gibt.
Die Linkspartei, die unter Beobachtung des Verfassungsschutzes steht, sicher
nicht ganz von ungefähr, hat sich mit der dumpfen Querschlägerei des Lafontaine
(der so viele Geldgeschenke verspricht, dass zumindest die Druckereien, die die
beliebten Euroscheine herstellen, Neueinstellungen vornehmen müssten) in
traditioneller Weise für das parlamentarische System disqualifiziert.
Fakt bleibt dennoch, dass die Kombination der Marke Lafontaine und
Linkspartei eine nicht so kleine Minderheit von Wählern anzieht, die sich der
Rattenfängerei gern hingeben möchten und die sich mehr Geld in ihrem
Portemonnaie wünschen. Dieses Geld wird niemand von der Linkspartei bekommen
können. Einer Partei, die den Wirtschaftskreislauf durch bloße ideenlose
Abschöpfung, ohne Gegenleistung, ohne Gegenleistung überhaupt, der Zerstörung
zu überantworten bereit ist.
Warum zündet die gefährliche Rattenfängerei? Sie zündet, weil die sozialen
Korrekturen, die der Kapitalismus täglich behutsam, aber wirksam erfahren muss,
nicht stattfinden und die Schere zwischen arm und reich zu weit auseinander
geht. Dabei zeichnet für viele ökonomische Fehlentwicklungen nicht im
eigentlichen Sinn der Kapitalismus verantwortlich, sondern der viel beklagte
und ebenso oft bestrittene so genannte Werteverlust in der Gesellschaft. Es
sind oft Fehlentwicklungen in den gesellschaftlichen Strukturen, die irrtümlich
dem Kapitalismus angelastet werden.
Was hilft gegen die Linkspartei?
Was hilft gegen die Linkspartei? Die theoretische Entzauberung von Karl
Marx, die immer noch nicht befriedigend geleistet ist. Dafür sollte sich die
Wirtschaft gerade in prosperierenden Zeiten einen gut ausgestatteten Think Tank
leisten, der es mit den geistigen Brutstätten kommunistischer Strukturen, die
oft aus bloßem Idealismus gespeist sind, aufnehmen kann.
Und ansonsten ist es die vornehmste Aufgabe der SPD und des Vorsitzenden
Kurt Beck, der auch deswegen glücklos ist, weil er es mit einer von Lafontaine
ausgehöhlten SPD zu tun hat, es den Wählern und den Protestwählern der
Linkspartei plausibel zu machen, dass sie ihre eigenen Interessen
konterkarieren, wenn sie SED/PDS/Linkspartei wählen.
Nicht MIT der Linkspartei offen oder heimlich koalieren, sondern die
Linkspartei argumentativ platt machen - das ist von jetzt an die vornehmste
Aufgabe der SPD, ohne politische Anbiederung. Die PDS wird zwar gewiss nicht
die im Moment in den Medien gehandelten 12 % bei der nächsten Bundestagswahl
erringen, aber das Zuwachspotenzial, das der SPD hier zur Verfügung steht, ist
doch immerhin so groß, dass sich die anderen Parteien (und zwar alle anderen
Parteien) die Finger nach einem Koalitionspartner SPD lecken würden, wenn diese
einen soliden substanziellen Schlussstrich unter Kokettiereien mit der
Linkspartei setzen würde.
Links von der SPD braucht es gerade keine eigene Partei, sowie es rechts von
der CDU keine eigene Partei bedarf. Volksverarmung via Linkspartei kann sich
die Bundesrepublik nicht leisten. Da ist die SPD in der Verantwortung und das
ist auch die Chance in der SPD hier pubertäre Kommunismusspielereien ihrer
Wirkung zu berauben. Beck sollte sich lieber mit Frank–Walter Steinmeier und
Peer Steinbrück (und natürlich Franz Müntefering) zusammentun, als den Einflüsterungen
seiner an Jahren jungen Altlinken Andrea Nahles, die kein Magnet für Jungwähler
ist, zu folgen. Die SPD muss raus aus der Lafontaine-Falle. Das ist wichtig für
alle Parteien und auch für das politische System.
P.S. Die mageren Grundgesetzbekenntnisse der PDS, was taugen sie? Stünde die
DDR wundersam morgen wieder auf, wieviel Grundgesetzliebe bliebe übrig? Was ist
opportunistische Heuchelei?
Mit freundlicher Genehmigung von Bettina Röhl (www.welt.de)
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