Erschienen in Ausgabe: No 50 (4/2010) | Letzte Änderung: 20.03.10 |
Eine Anmerkung zu Frank Schirrmachers "Payback"
von Stefan Groß
Nicht nur Jürgen Habermas beklagte einst die neue
Unübersichtlichkeit, die reklamierte, daß die Zeit von einfachen
Problemlösungen vorüber sei. Auch im neuen Buch von FAZ-Herausgeber Frank
Schirrmacher geht es um eine neue Form der Unübersichtlichkeit, nur eben nicht
um eine politische, sondern um eine mediale. Und keineswegs liest sich sein
neues „Payback“ so, wie einst noch Martin Heidegger, Hölderlin zitierend,
glaubte, daß mit der Gefahr auch das Rettende wächst. Schirrmachers Prognose
für die Welt im medialen Zeitalter ist bisweilen düster, tritt in die Nachfolge
von Huxley und Orwell, ja, schreibt
gewissermaßen Huxleys dystoptischen Roman „Schöne neue Welt“ bis in die Gegenwart
hinein fort.
Nur sind es nicht physische Manipulationen, die, wie Huxley
meinte, den Weg in eine utopische Gesellschaft, wo Stabilität, Frieden und
Freiheit gewährleistet werden, bahnen, sondern ein bisher nie da gewesenes Urvertrauen
in die Welt der digitalen Medien, das um den Preis der eigenen Freiheit erkauft
wird. Dieses Sich-Überantworten an ein mediales Über-Ich, das sowohl die
Freizeit, den freien Willen als auch die selbstbestimmte Existenz reguliert, zeitlich
limitiert und in radikalste Abhängigkeiten wirft, liegt quasi in der
Selbst-Verortung des modernen Subjektes, das gar nicht (oder meint dies) anders
kann, als sich medial zu bestimmen.
Für Schirrmacher ist das moderne Ich dann auch ein
Informationsmessi oder „Informationsfresser“, der sich quasi aus freiem Willen auf
die Fremdbestimmung seitens des World Wide Webs einläßt, wobei ihm sein
antrainiertes, vor Jahren noch als Merkmal des „idealen Menschen“ gepriesenes Multitasking
permanent in die Freiheitsfalle führt. Multitasking sieht dann Schirrmacher
auch als eine Art Körperverletzung, die nicht nur zu Selbstüberforderung und
chronischen Konzentrationsstörungen führt, sondern gerade das zerstört, was
immer noch zum ureigenen Wesenskern des Individuums gehört – seine Empathie,
die Gabe der Überraschung und vor allem seine Unberechenbarkeit, die ihm seine
Überlegenheit über die gestrenge Algorithmen-Welt sichert. Allein diese
Unberechenbarkeit und kritische Distanz vermögen dem digital gestreßten
Menschen allein noch das Gefühl seiner Autonomie zu sichern, sonst verkommt er
in der Informationsflut.
Anstatt die mediale Welt zu beherrschen, sich, wie Jahrhunderte
lang, über die Maschinen zu stellen, reißt sich das moderne Subjekt zusehend in
den Strudel oft sinnloser Informationen, wobei es nichts anderes wird, als die
reproduzierende Maschine, was letztendlich dazu führt, daß nicht mehr das Ich
den Computer regiert, sondern vielmehr von diesem aufgefressen und manipuliert
wird. Aus diesem Befund zieht Schirrmacher dann folglich den Schluß, daß die
menschliche Kreativität, Spontaneität, Toleranz, Geistesgegenwart und
Individualität sukzessive einem Menschenbild Platz machen, durch das nicht nur
alle Individualität verlustig geht, sondern wodurch sich das Individuum bewußt
als L`homme maschine begreifen will, ja, in diesem Maschinensein, wie noch einst
von Gilles Deleuze und Félix Guattari programmatisch für den künftigen Menschen
gefordert, seine ganz neue Weise der Existenz feiert.
Wurde im Industriezeitalter des 19. und 20. Jahrhunderts diese
Tendenz zur Maschinisierung des Subjektes schon vorbereitet, wird das
Computerzeitalter – und in naher Zukunft das Echtzeit-Internet – diese
multidimensionale Einbahnstraße weiter fortführen, bis – im extremsten Fall –
zur Selbstaufgabe des Menschen. Diese Reduktion auf eine von Algorithmen durch
funktionalisierte Welt schließt zwangsläufig mit ein, daß die Seele und der
Intellekt immer mehr verkümmern und letztendlich nur das abgerufen wird, was
mit der Welt der Rechner kompatibel ist. Schließlich, und darauf weist
Schirrmacher in aller Deutlichkeit hin, führt die mediale Anbiederung an das
Informationssystem zu einer sukzessiven Anpassung des Gehirns an die
mechanisierte Welt der Computer. Die Informationsüberflutung impliziert nicht
nur eine Veränderung unserer Gedächtnisleistungen, zerstreut und vermindert die
Aufmerksamkeit des Klienten, die vom System existentiell strapaziert werden, sondern
führt zu einer strukturellen Umformung des Gehirns selbst, was schließlich eine
neue und unbekannte Art von Intelligenz hinaufbeschwören wird, eine Intelligenz
von bisher unbekanntem Maßstab, der neue Gott als Programmierer und der
Computer als sein williger Vollstrecker, eine Intelligenz aber auch, die, wie
Schirrmacher in seiner „Heuristik der Furcht“ hervorhebt, gar nicht
wünschenswert sein kann. „Was wir im Augenblick als geistige Überforderung mit
den neuen Technologien bei gleichzeitiger körperlicher Lust an ihnen erleben,
sind nur die physischen Schmerzen, die uns die Anpassung an diese neue
Intelligenz zufügt“.
Der neue Informationshimmel, die Google-Kathedrale des
Wissens, ist letztendlich zum neuen Götzen geworden, der rückhaltlos angebetet,
verehrt und mit immer neuen Informationen gefüttert wird. Der metaphysische
Ideenhimmel ist schon längst durch diese neue Intelligenz verdrängt, die aber
eine derartige Faszinationskraft auf das Individuum auszuüben vermag, daß sich
dieses seinerseits geradezu wetteifernd auf die neue Technik einläßt, ein
Darwinismus ganz anderer Art wird damit mit impliziert.
Schirrmacher spricht daher immer wieder von Taylorismus, jenes
legendären Arbeitsoptimierens samt seiner inhumanen Effizienzmethoden, von
Marxismus und Darwinismus, denn der Kampf ums Wissen ist ein Kampf um Leben und
Tod, letztendlich einer, um in der medialen Welt bestehen und Überleben zu
können. Der Bestinformierte ist nicht selten der Mächtigste, zumindest aber der
Angepaßteste und damit der Überlebensfähigste. Doch mit diesem Darwinismus
verbunden geht der Wahn des Kontrollverlustes einher, ein medial vermittelter
Sozialstreß, der darauf hinausläuft, immer am besten informiert zu sein, die
Angst aus der Kathedrale des Wissens verstoßen zu werden, „unser Wahn, aus
Angst vor Kontrollverlust die Welt der Formeln, Systematiken und Algorithmen,
kurzum in Mathematik zu verwandeln. Wir werden immer unfähiger, mit
Unsicherheiten und Unwahrscheinlichkeiten umzugehen“, was auch eine permanente
Alarmbereitschaft nach sich zieht, die aber, um ja nichts zu verpassen, um
informell en vogue zu sein, eine freiwillige Unterwerfung unter die Befehle der
Mikroprozessoren mit in Kauf nimmt. Diese Unterwerfung führt dann zwangsläufig zu
einer Unterordnung des Menschen unter die Maschine, denn der „Angriffspunkt im
heutigen, digitalen Taylorismus ist unser Gehirn“.
Wohin diese Angst vor Kontrollverlust, das ständige
Online-Sein führt, hat nicht nur Miriam Meckel in „Glück der Unerreichbarkeit“
drastisch beschrieben, sondern dies zeigt sich überall dort, wo die
Schnelligkeit der Informationen, an die „Dromologie“ des Paul Virilio sei erinnert,
zum geistigen Infarkt der Suchmaschine Hirn führt. Für Meckel war ihr Burnout
der einzige Weg aus der Informationsfalle, wie sie es in ihrem neuen Buch
„Brief an mein Leben, Erfahrungen mit einem Burnout“ in aller Dramatik
beschreibt.
Das Glück zeitigt sich eben nur in der Unerreichbarkeit, nur
muß dieses Glück gegen die Erreichbarkeit erkämpft, dieser abgerungen werden,
worauf auch Schirrmacher hinweist, wenn er im Anschluß an Friedrich Schiller und
an Hermann Hesses „Glasperlenspiel“ auf den spielenden Umgang mit der medialen Technikwelt
verweist. Wird die Informationsflut nicht von einem reflektierenden Ich dauernd
gebremst, führt dies nicht nur zum krankhaften Ausbrennen, eben zum Burnout,
sondern auch zu jener durch Multitasking gänzlich sich zerfasernden Persönlichkeit,
die unkonzentriert sich in tausend Nebensächlichkeiten verliert, und die auch
dann vor den Leistungsanforderungen kapituliert – also auch hier wieder
Heidegger, nur diesmal die Technik und die Kehre.
Derzeit aber, so der kritische Befund Schirrmachers, laufe
alles auf einen reinen Medienverzehr und -verkehr in diese Richtung hinaus, der
bestürzende Folgen für den Menschen hat, und der sich in seiner radikalsten
Form oft oder ausschließlich darauf beschränkt, daß einzig und allein der
MacLuhansche Slogan, „Das Medium ist die Botschaft“, zum ultimativen Wegweiser
durch die Irrungen und Wirrungen des Internets hochstilisiert wird. Was aber noch
schlimmer als die bloße Message ist, ist die damit verbundene Selbstaufgabe des
denkenden Ich, die sich sowohl im Verlust von Aufmerksamkeit als auch von Selbstbestimmtheit
äußert. Maschine-Sein und Maschine-Werden, einst von eben jenem Deleuze als
Begriffspersonen erfunden, zeigen nunmehr letztendlich, wohin ein
rhizomatisches Denken führen kann, für Schirrmacher, soviel ist sicher, nicht
zum Heil, denn der emotionale Gehalt verkürzt sich letztendlich nur auf die Botschaft,
auf einen reinen Konsum, der sich medial veräußern läßt. Man lebt nicht, weil
man dies oder jenes erfahren könnte, sondern weil sich dies oder jenes am
besten zum medialen Ereignis hochgooglen läßt, der page rank liefert das neue
Selbstbewußtsein, die Anerkennung im Netz der anonymen User. Blogger wie Airen
und das Plagiat Hegemann wissen nur zu gut, wie sich derartige „Erfahrungen“ im
Netz vermarkten lassen. Diese „Erfahrungen“ werden aber nicht gemacht, weil sie
einem im Verlauf des Leben zustoßen, sie werden geradezu initiiert, weil sie
von der Community vorgelebt, erwartet und letztendlich auch goutiert werden,
man ist „in“, die mediale Welt bestimmt das Selbst-Bewußtsein.
Letztendlich zeigt Schirrmacher anschaulich, daß die in
„Payback“ beschriebene kognitive, und durch das Internet eingeleitete
Revolution, keineswegs Science-Fiction
ist, denn wir sind bereits inmitten dieses Verwandlungsprozesses angekommen,
wie einst Gregor Samsa in Kafkas „Die Verwandlung“. Die desaströsen
Folgeerscheinungen einer auf die Onlinemedien zugeschnittenen Existenz sind auch
nicht übersehbar – Ablenkung um jeden Preis, reduzierte Aufmerksamkeit und
Interesse, die zunehmende Flucht in die Skipte, in die Regularien und
Algorithmen, die Mathematisierung des Lebens, die Umstrukturierung des Denkens
in den berechenbaren Algorithmus.
Um dem Desaster des Aufgefressenwerdens zu entkommen,
empfiehlt dann Schirrmacher auch in Anschluß an Roger Penrose die Konzentration
auf jene menschlichen und diesem unveräußerlichen Eigenschaften, auf das Moment
der Überraschung, auf das Sich-Einlassen auf das Ungewisse und die
Nichtberechenbarkeiten, auf das, was der Computer nicht verarbeiten kann. Bereits
der Computerpionier John von Neumann wußte: „Wir müssen die Tatsache wieder und
wieder betonen, daß kein existierender Computer zuverlässig auf einem so
niedrigen Präzisionsniveau arbeiten kann, wie das menschliche Hirn.“ Und
Schirrmacher fügt an: „Es kann deshalb – anders als der Computer – eben auch
viel besser auf Unerwartetes reagieren.“ Es bleibt dabei: Vor der Google-Manie,
Facebook und Twitter kann man sich entsagend nur distanzieren, wenn man ganz
kantisch wieder den Mut aufbringt, seinem eigenen Verstand zu folgen. Das
probate Heilmittel, um aus der selbstverschuldeten Unmündigkeit zu fliehen, ist
auch im 21. Jahrhundert nicht anders denn, als Aufklärung zu leisten.
Frank Schirrmacher, Payback, Warum wir im Informationszeitalter
gezwungen sind zu tun, war wir nicht tun wollen, und wie wir die Kontrolle über
unser Denken zurückgewinnen, Karl Blessing Verlag München, München 2009, ISBN:
978-3.89667-336-7, Preis: 17,95 Euro.
Miriam Meckel, Brief an mein Leben, Erfahrungen mit einem
Burnout, Rowohlt VerlagGmbH, Reinbek bei Hamburg 2010, ISBN: 978-3-498-04516-6,
Preis: 18,95 Euro.
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