Erschienen in Ausgabe: No 50 (4/2010) | Letzte Änderung: 20.03.10 |
Kann bessere Wissenschaft die Angst vor der Technik überwinden?
von Teresa Tammer
„Wenn
man unter Technik die Fähigkeiten und Mittel versteht, mit denen der Mensch
sich die Natur dienstbar macht, indem er ihre Eigenschaften und Gesetze
erkennt, ausnützt und gegeneinander ausspielt, so gehört sie in diesem
allgemeinsten Sinne zum Wesen des Menschen.“ [1]
(Arnold Gehlen)
1957 schrieb Arnold Gehlen sein Buch Die Seele im technischen Zeitalter, in welchem er soziale und
psychologische Probleme des Menschen in der industrialisierten Welt untersucht.
Seine Definition von Technik erläutert den starken Zusammenhang zwischen Mensch
und Technik. Technik gehört für Gehlen zum Wesen des Menschen. Sie ist Mittel
und Möglichkeit, sich der Natur zu bedienen, wobei menschliches
Erkenntnisvermögen die Voraussetzung darstellt. Technik ist für Arnold Gehlen
die Verlängerung der natürlichen, körperlichen Anlagen des Menschen. Mit Hilfe
von Werkzeugen, Geräten, speziellen Anbautechniken, Maschinen, Transport- und
Kommunikationsmitteln richtete sich der Mensch in dieser Welt so ein, dass er
sein Überleben langfristig sichern konnte. Kein anderes Lebewesen war und ist
in der Lage, sich ähnlich spontan und dabei effektiv an wechselnde
Umweltbedingungen anzupassen wie der Mensch.
Der Kampf ums Überleben zwingt
ein Lebewesen dazu, sich in seine Umwelt zu integrieren und sich ihrer zu
bedienen. Doch erst der bewusste Überlebenswille, die Sorge um Nahrung und
Schutz vor Feinden oder vor unwirtlichen Naturbedingungen macht erfinderisch.
So ist das Überleben der Spezies Mensch und seine Errungenschaften in hohem
Maße dem Gefühl von Angst und den daraus gezogenen Konsequenzen zu verdanken.
Angst ist der Antrieb zum bewussten Verlassen alter Lebensstrategien, die dann durch
neue ersetzt werden.
Wir leben heute in einer Welt,
die fast in jeder Hinsicht zum Zweck des guten Überlebens eingerichtet und
verbessert ist. Noch nie zuvor war die Erde von Lebewesen bevölkert, die so
stark von den Gefahren der Natur und den Schwierigkeiten der Versorgung
emanzipiert waren, besonders in den westlichen Industrienationen. Trotzdem
würde niemand auf die Idee kommen, zu sagen, die Menschen in diesen Ländern
seien angstfrei. Im Gegenteil, es könnte sogar behauptet werden, dass man heute
ängstlicher ist, als je zuvor, da die modernen Wissenschaften und unsere
Kommunikationsmittel schneller mehr Informationen darüber verbreiten, was es
alles Gefährliches, Unberechenbares und Risikohaftes gibt. Außerdem stellen wir
fest, dass viele technische Errungenschaften gar erst die Geister riefen, die
wir nun nicht mehr loswerden. Die modernen Wissenschaften und die industriell
genutzte Technik sind die Beschleuniger gesellschaftlicher
Strukturveränderungen. Mit ihnen scheint die Zukunft, immer schneller zur
Gegenwart zu werden. So ist es nicht verwunderlich, dass Technik und
Wissenschaft mit Misstrauen beobachtet und in sie Ängste vor einer ungewissen
Zukunft projiziert werden.
Ich möchte in dieser Arbeit das
Verhältnis von Angst und Technik untersuchen. Zu Anfang steht die Frage, woher
unsere Ängste stammen und wie sie in Bezug auf Technik heute verstanden werden
können. Danach werden Beispiele für Technikängste aufgezählt. Im Anschluss wird
eine Perspektive eröffnet, die vorschlägt, der Technik und damit unseren
Ängsten mit besserer Wissenschaft zu begegnen. Hans Jonas wird hierzu nach den
ethischen Prinzipien befragt, die das Fundament für Verantwortung im Umgang mit
Wissenschaft und Technik bilden sollten. Dem gegenüber wird die These Martin
Heideggers von einer unüberwindbaren Technik gestellt. Am Schluss möchte
darüber nachdenken, was es bedeuten könnte, Angst und Technik in Balance zu
halten. Ich beginne jedoch mit der Angst vor Technik.
Technik und Zukunftsängste
Heiner Flohr betrachtet in seinem Aufsatz Gesellschaftliche, kulturelle und
biologische Aspekte von Angst[2] das Empfinden von Angst als
nützliche Funktion. Im Laufe der Evolution habe sich herausgestellt, dass Angst
vor bestimmten Objekten für das Überleben förderlich ist und so würden wir auch
heute noch mit den Ängsten leben, die wir von unseren Vorfahren vererbt
bekommen haben. Weil sich die Umweltbedingungen des Menschen die meiste Zeit
kaum veränderten, haben sich mit den Angstmechanismen entsprechende
Verhaltensweisen entwickeln können.
Die Technik stelle jedoch keine
objektive Bedrohung dar, obwohl sie Angst verbreitet. Denn durch die hohe
Geschwindigkeit der äußeren Veränderungen in den letzten 200 Jahren, seien
überlieferte, instinktive Angstmechanismen, so Heiner Flohr, „keine Indikatoren
objektiver Probleme“[3] mehr.
Außerdem sagt Flohr, Angst sei
eine Emotion, die durch Vorstellungen von der Zukunft entsteht. Die gedankliche
Vorwegnahme beziehe sich auf Ereignisse, welche mit ihrem Eintreten oder
Nicht-Eintreten Schaden erzeugen würden. Um die technische Zivilisation besser
zu verstehen, wäre es demnach hilfreich, die Verbindungslinien zwischen Angst
vor der Zukunft und Angst vor Technik näher zu betrachten.[4]
Hierfür formuliert Rolf Staufenbiel
in Angst vor der Technik – ein Anlaß zur
Sorge?[5]mögliche Erklärungen für den Zusammenhang zwischen Technik- und
Zukunftsangst: Populäre Ängste in einer Gesellschaft entstünden durch
kollektive Mechanismen der Aneignung bestimmter Überzeugungen und seien in
vorhandenen Traditionen verwurzelt. Außerdem sei Technik…
„der Motor und Treiber für die
Entwicklung der Industriegesellschaft und ihrer Wirtschaft. Dabei besitzt sie –
verglichen mit den sonstigen Zustandsgrößen der Gesellschaft – eine hohe,
mitunter angsterregende Veränderungsrate.“[6]
Zusammen mit der Kenntnisnahme vermeintlicher Risiken und
tatsächlicher Gefahren, die von technischen Geräten ausgehen, würden tradierte
Vorbehalte gegenüber technischen Neuerungen, mit denen die Menschen immer
rasanter konfrontiert werden, zu bedrohlichen Zukunftsszenarien. Angst vor
Technik sei also im weitesten Sinne Angst vor Zukunft.
Im nächsten Abschnitt sollen
gegenwärtig vorherrschende Ängste aufgezeigt und erläutert werden. Es geht
darum, zu begreifen, mit welchen Herausforderungen sich Menschen heute
konfrontiert sehen, die sich in konkreter, emotionaler Angst vor Technik
äußern.
Ängste vor Technik
Betrachten wir die Gegenwart, gibt es unterschiedliche,
nachvollziehbare Gründe, die erklären, warum individuelle Ängste in neue
wissenschaftliche Erkenntnisse und in die Technik und hinein projiziert werden.
Wie bereits festgestellt werden konnte ist Technikangst kein objektiv
greifbares Phänomen.
Olaf Eigenbrodt sagt, es handele
sich bei Technikangst um ein individuelles Gefühl, das von sozialen und
ökonomischen Bedingungen eines Menschen abhängt und in das kollektive Bewusstsein
Eingang finden kann. In seinem Beitrag Zwischen
Technikangst und Technikeuphorie[7]
zählt Eigenbrodt ökonomische Voraussetzungen zu den bestimmenden Faktoren, die
die Einstellung zur modernen Technik prägen. Für ihn geht es im Grunde darum,
„ob die Technik uns beherrscht oder wir die Technik beherrschen“[8]. Die Angst den
Arbeitsplatz zu verlieren, weil Maschinen und Automaten effizienter und
billiger einsetzbar sind als die menschliche Arbeitskraft, ist unschwer
nachzuvollziehen. Verbunden damit seien psychische Belastungen und
Gesundheitsrisiken. Hierbei vernachlässige ich die Sichtweise, dass all diese
negativen Folgen durch Technik auch verhindert werden können und konzentriere
mich in der folgenden Auflistung auf Begründungen für eine besorgte Haltung.
Die Welt wird schneller und
komplexer. Der individuelle Mensch fühlt sich nur noch als kleines Rädchen in
einem großen Getriebe. Sein Dasein scheint lediglich auf das Funktionieren von
Anlagen und Systemen ausgerichtet zu sein. So wie in Großbetrieben bestimmte
Abläufe von technischen Geräten ausgeführt werden, so soll auch der Einzelne
sich einfügen und seine Aufgabe erfüllen. Menschen bekommen Angst, selbst zur
Maschine zu werden und keine spontanen Äußerungen mehr zulassen zu dürfen.
Sehr groß ist die Angst davor,
mit Hilfe technischer Geräte kontrolliert und manipuliert zu werden. Der Tagesspiegel berichtete am 5. März 2010
von einem Forschungsprojekt der Technischen Universität Berlin, bei es dem
darum geht, mittels Elektroden, Gehirnströme zu messen, die dann in verwertbare
Informationen und handlungsanweisende Signale umgesetzt werden könnten. Der Tagesspiegel gibt an, dass sich bereits
einige Unternehmen für die neue Technik interessieren, weil sie damit
beispielsweise kontrollieren könnten, wann ihre Mitarbeiter müde werden. Anderen,
weniger harmlose Einsatzbereichen lassen
sich ausmalen.
Parallel dazu wird uns bewusst,
dass wir ohne Technik nicht fähig wären, zu überleben. Unsere Lebenswelt ist
vollständig ausgestattet, vernetzt, umspannt und abgesichert. Wir vertrauen der
Technik und ihren Vorzügen, verlassen uns darauf, dass sie unseren Gewohnheiten
entsprechend funktioniert und uns die Arbeiten abnimmt, zu denen wir selbst
nicht im Stande wären, z.B. das Kopieren von Texten oder die schnelle
Beförderung in den 24. Stock. Sehr beunruhigend ist der Gedanke, man müsse mit
der Hand Wäsche waschen oder zu Fuß fünf Kilometer zur Schule laufen.
Bedrohlich wird die Vorstellung, es gäbe keine Telefone,Notarztwagen oder künstliche Beatmungsgeräte.
Nicht nur der Wegfall, sondern
auch der Einsatz von Technik, die der Mensch erschaffen hat, verbreitet Angst.
Die Technik stellt Möglichkeiten zur Verfügung, tief greifende Veränderungen in
der Natur zu vollziehen, wobei nicht gewährleistet werden kann, dass sich der
ursprüngliche Zustand wieder herstellen lässt und negative Folgen
ausgeschlossen bleiben. Die Zerstörung der natürlichen Lebensgrundlagen, die
Verschmutzung der Umwelt, die Ausbeutung von Ressourcen und damit verbunden die
Dezimierung der Artenvielfalt auf der Erde geben in besonderem Maße Anlass zur
Sorge, weil folglich nicht nur jetziges, sondern auch zukünftiges Leben in
Gefahr gerät. Es gibt außerdem Bereiche der Technikentwicklung, deren Ziel
explizit die Zerstörung ist. Beispielsweise ist der einzig Zweck von Technik in
der Waffenindustrie effektive und maximale Gewalt.
Weitere Gründe für Technikangst,
oder besser Unbehagen im Umgang mit Technik, sind ihre teilweise komplizierte
Anwendung, der Aufwand der Instandhaltung, die Festlegung auf bestimmte Normen
und Größen und der Zwang zur stetigen Verbesserung und Innovation. Technik ist
nicht einfach da und erfüllt ihren Zweck. Sie verlangt Aufmerksamkeit und
Weiterbildung im Umgang, legt Standards fest und wird unumgehbar. All diesen
Forderungen ist nicht jeder gewachsen. Die Technik macht Angst und treibt neue
Problemlösungsstrategien an.
Die Probleme, die durch Technik
entstehen, müssen wiederum gelöst werden, notwendigerweise mit neuen
technischen Geräten, die negative Nebenwirkungen abmildern oder entstandene
Schäden wieder rückgängig zu machen versuchen. Der Angst vor der Zukunft,
ausgelöst durch die Folgen moderner Technik, soll also mit „besserer“
Wissenschaft begegnet werden. Eine solche Position möchte ich im Folgenden
darstellen.
Wissenschaft gegen Angst
Hubert Markl, Professor für Biologie und ehemaliger
Präsident der Max-Planck-Gesellschaft, veröffentlichte 1998 ein Buch mit dem
Titel Wissenschaft gegen Zukunftsangst.
Darin vertritt er die These, dass die Wissenschaften das beste Mittel sind, um
die Menschen von ihren Zukunftsängsten zu befreien. Auch Markl beschreibt den
Menschen, als das einzige Lebewesen, welches Angst und Furcht vor der Zukunft
empfindet.
Die
Angst vor der ungewissen Zukunft trat zu dem Zeitpunkt ein, als die Menschen
vor 12 000 Jahren anfingen, mit dem Wetter zu planen. Ackerbau und Viehzucht
führten dazu, dass man sich vor bösen Überraschungen, die zerstörerische
Auswirkungen auf den Lebensunterhalt hatten, zu fürchten lernte. In der Neuzeit
entstand die große Hoffnung auf Befreiung vor den Zukunftsungewissheiten und
der Abhängigkeit von wohlwollenden Gottheiten. Mit dem Versprechen, durch die
Erkenntnis von Naturgesetzen, kommende Ereignisse vorausberechen zu können, war
die vermeintliche Überwindung aller Zukunftsängste eingeläutet.[9]
Markls Thema ist also nicht
völlig neu, sondern bezieht sich auf eine Tradition der Aufklärung, die sich im
Stande glaubte, aufgrund neuer Erkenntnisse, nun endlich mit den Problemen der
Menschheit aufräumen zu können. Mittlerweile ginge jedoch niemand mehr davon
aus, so Markl, dass sich die Zukunft vorausberechnen lasse. Es herrsche „die
Unvorhersagbarkeit chaotischer Entwicklungen hochkomplexer, nichtlinear-dynamischer,
global vernetzter Systeme“[10]. Doch
für Markl bedeutet Ungewissheit nicht gleich Unwissenheit. Seiner Meinung nach,
habe die heutige Menschheit einen einzigartigen Zugang zu den „tatsächlichen“
Bedingungen ihres Daseins. Aus dem gegenwärtigen Erkenntnisstand von
Wissenschaft und Technik ließen sich, trotz aller Befürchtungen, eine Menge
nutzvoller Ergebnisse ziehen, die uns in Zukunft richtungsweisend sein sollten.
„Der ernüchternde, teilweise enttäuschende und
– jawohl, teilweise durchaus – verängstigende Fortschritt…hat zugleich für uns
Potentiale der Erneuerung, der kreativen Umgestaltung unserer Lebensweisen und
Wirtschaftsverhältnisse eröffnet, derer wir uns nur bedienen müssen, um uns
auch in der Zukunft erhalten und bewähren zu können.“[11]
Markls „bessere“ Wissenschaft gegen Zukunftsangst ist die
Analyse der gegenwärtigen Verhältnisse. Es seien noch unendlich viele,
ungenutzte Verbesserungsmöglichkeiten vorhanden, die nur verwirklicht werden
müssten.
Somit
hätten die Menschen sogar eine Verantwortung Wissenschaft weiter zu betreiben,
jedoch müsste sie auf die Grundlage ethischer Prinzipien gestellt werden. Neue
und bessere Wissenschaft hieße, dass Menschen ihre Situation bewusster
wahrnähmen und sich somit für bestimmte Ziele aktiv entscheiden und zu ihrer
Verwirklichung beitragen würden. Die hoffnungsvolle Aussicht auf eine selbst gestaltete
Lebensweltverringere die Angst vor
ungewissen Entwicklungen.[12]
Zwischenbilanz
Wir haben bisher gesehen, dass es gute Gründe dafür gibt,
in der technischen Zivilisation Angst vor der Zukunft zu haben. Angst als
gesellschaftliches Phänomen entsteht durch individuelle Gefühle, die abhängig
sind von den jeweiligen Lebensumständen der Person. Deshalb ist Technikangst
ein Ausdruck unterschiedlicher Befürchtungen in Bezug auf kommende Ereignisse
oder die mögliche Nichtbefriedigung von Bedürfnissen. Obwohl sich Menschen im
Laufe der Geschichte Strategien aneigneten um die Zukunft planbarer und
beherrschbarer zu machen, konnte den Ängsten kein Einhalt geboten werden. Die
technische Zivilisation, die hohe Kosten mit sich brachte, löst sehr viele
unterschiedliche Ängste aus. Die Lösung für dieses Problem sei, nach Hubert
Markl, eine neue Wissenschaft, die aus der richtigen Analyse der derzeitigen
Situation bewusste Entscheidungen trifft.
Hans Jonas – die Ehrfurcht
Hans Jonas verweist auf die Verantwortung des Menschen,
die sich, wie bei Hubert Markl, aus der beängstigenden Situation der Gegenwart
ergibt. Eine solche Verantwortung entstünde aus der Anerkennung ethischer
Prinzipien. Jonas möchte die ethischen Prinzipien, nach denen Wissenschaft und
Technik ausgerichtet sein sollten, auf einen Grund stellen. Und so schlägt er, ausgehend
von einer Gegenwart, die uns vor vielen Dingen fürchten lässt, Das Prinzip
Verantwortung[13] vor.
Jonas schreibt 1979, dass wir uns
heute auf moralischem Neuland befänden, auf dem erst ethische Prinzipien
festgelegt und dann Pflichten eingeführt werden müssten. Die neue Pflicht heißt
für Hans Jonas Verantwortung. Damit meint er das Treffen von Entscheidungen
sowie das Handeln nach voraussehbaren Folgen für weit entfernte Erdteile oder
zukünftige Generationen. Zur Bildung eines Verantwortungsgefühls gehören für
ihn Hoffnung und Furcht[14]
(Angst). Er nennt dies die „Heuristik der Furcht“[15].
„Wir wissen erst, was auf dem Spiel steht, wenn wir
wissen, daß es auf dem Spiel steht.
Da es dabei nicht nur um das Menschenlos, sondern auch um das Menschenbild
geht, nicht nur um physisches Überleben, sondern auch um Unversehrtheit des
Wesens, so muß die Ethik, die beides zu hüten hat, über die der Klugheit hinaus
eine solche Ehrfurcht sein.“
Furcht sei die Voraussetzung dafür, dass ein Bewusstsein
über einen zu schützenden Wert entsteht. In Bezug auf die technologische
Zivilisation ist es bei Jonas das Wesen des Menschen, das in Gefahr sei und
dessen Verlust Furcht erzeuge. Die Hoffnung sei die Voraussetzung dafür, dass
man eine Handlung in Erwartung eines positiven Ergebnisses überhaupt erst
vollzieht. Die Furcht beziehe sich auf einen Gegenstand, um den man sich sorgt
und „Verantwortung ist die als Pflicht anerkannte Sorge um ein anderes Sein“[16].
Doch woher soll ein solches
Pflichtgefühl kommen? Hans Jonas antwortet darauf, es sei die „Ehrfurcht
allein, indem sie uns ein »Heiliges«, das heißt unter keinen Umständen zu
Verletzendes enthüllt“[17]. Es
müsse also ein verbindliches Gut, einen Wert geben, so wie bisher
beispielsweise das Wachstum unseres Lebensstandards, der uns dazu bringt,
vernünftig und verantwortungsvoll mit unseren Lebensgrundlagen umzugehen. Wir
würden aufhören, die Umwelt zu verschmutzen, die natürlichen Ressourcen
auszubeuten und auf Kosten anderer Menschen bzw. späterer Generationen zu
leben, wenn uns dies etwas Wert sei.
Hans Jonas setzt die Furcht an
die gleiche Stelle wie Hubert Markl die Angst, indem sie als Ausgangspunkt für
Veränderungen begriffen wird. Die Furcht oder die Angst zeigt, dass es in
Zukunft in eine andere Richtung gehen muss. Angst bzw. Furcht enthüllen den
Wert, den wir erhalten wollen.
Trotzdem bleibt es schwierig zu
verstehen, an welcher Stelle der Technik ethische Prinzipien angelegt werden
und woher die Ehrfurcht vor einem zu bewahrenden Wert stammen sollte.
Heidegger – das Wesen der Technik lässt sich durch den Menschen nicht
überwinden
Martin Heidegger äußert starke Bedenken am Vorhaben, die
Technik und ihre negativen Folgen durch Normen und moralische Ansprüche in den
Griff zu bekommen. Seiner Meinung nach, haben wir das, was überwunden werden
muss, noch nicht einmal erkannt.Denn
das „Gefährliche ist nicht die Technik“, sondern das „Wesen der Technik ist als
ein Geschick des Entbergens die Gefahr“.[18] Damit meint er das
technische Denken, was Natur und Welt nur als eine Vorratskammer von nutzbaren
Möglichkeiten begreift. Nicht die technische Fehlentwicklung sei verantwortlich
zu machen für eine eintretende Katastrophe. Vielmehr lägen die Wurzeln der
Katastrophe darin, dass das vergegenständlichende Denken der einzige Zugang des
Menschen zur Natur sei. So wie die Dinge der Natur nur noch bloßes Material
seien, das beherrscht werde, so verliere der Mensch selbst sein eigenes Wesen.
Der technische Umgang mit der Natur übertrage sich folglich auch auf das
soziale Verhalten des Menschen.[19]
Hier wird der Zusammenhang
deutlich zwischen den von Heidegger formulierten Gefahren die im Geschick der
Technik des Entbergens liegen und den genannten Ängsten, unten denen die
Gesellschaft in Bezug auf Technik leidet: Der moderne Mensch tritt der Natur
als einer Menge von nutzbaren Rohstoffen und sich selbst als einer nach vorgeschriebenen
Abläufen funktionierenden Maschine gegenüber. Dann bekommt er aber Angst vor
der Zerstörung unserer natürlichen Lebensgrundlagen und empfindet Unbehagen in
einer durch und durch technisierten Welt, in der der Mensch entsprechend der
technischen Einrichtung funktionieren muss.
Günter Seubold macht deutlich,
wie Heidegger davor warnt, der Technik eine bessere Moral an die Seite zu
stellen. Das sei nur der Versuch, die Symptome zu bekämpfen und bewirke das
Gegenteil. Technikbewertung und Technikethik würden den technischen Zugang zur
Welt noch stärker manifestieren und eine andere Art des Umgangs mit der Natur
verhindern.
„Alles „funktionierte“
reibungslos, der Mensch ginge ganz in den vom technischen Entbergen
hergestellten Bahnen des Zugangs zum Sein auf, ohne die Zurichtung seines
Wesens, ohne die Entstellung der Natur auch nur bemerken zu können.“[20]
Das wäre eine klare Absage an das von Hubert Markl
vorgetragene Konzept der neuen, verantwortungsvolleren Wissenschaft. Heidegger
geht es nicht darum, die Technik besser zu machen, sondern Technik als das zu
verstehen, was sie ist und welches Welt- und Naturbild sie voraussetzt. Denn
die „Technik, deren Wesen das Sein selbst ist, lässt sich durch den Menschen
niemals überwinden“[21].
Aber dort, wo „die Gefahr als die
Gefahr ist, gedeiht auch schon das Rettende“[22]. Heidegger fordert das
Eingehen auf die Eigenheiten, die Besonderheiten und den Wert der Dinge, so
dass sie nicht mehr nur als funktionstüchtiges Material angesehen würde. Am
Ende seines Aufsatzes Die Frage nach der
Technik verweist Heidegger auf die Kunst, durch welche die Dinge in ihrer
Selbstheit ohne Zweck und Funktion wahrgenommen werden könnten. Die Hoffnung
dabei ist, der Mensch würde einen anderen Zugang zur Natur bekommen und ihr
Entbergen nicht mehr nur auf das Nutzbarmachen beziehen. Die Technik sei
nämlich nur eine Art des Entbergens.[23]
„Nur wenn der Mensch Maß und
Regel seines Handelns vom Sein, von den Dingen und der Welt selbst nimmt, wird
es wieder ein verantwortungsvolles, die Selbst- und Eigenheit von Natur und
Mensch lassendes Handeln geben.“[24]
So würde Heidegger die von Hans Jonas geforderte
Ehrfurcht gegenüber der Welt bejahen, wobei er jedoch kein fertiges Programm
vorlegt, das zur Überwindung der Technik führt. In seinen Augen ist der Mensch
nicht in der Lage, die Technik zu meistern oder zu beherrschen. Die Technik ist
in gewisser Weise des Menschen Schicksal.
Fazit – Angst und Technik in Balance halten
Was bisher geschah: Angst macht
erfinderisch und erschafft neue Arten von Technik. Technik macht mit ihrer
unübersehbaren Vielfalt und nicht abschätzbaren Folgen, dem ständigen Zwang der
Veränderung Angst. Weniger Angst macht weniger Angst machende Technik. Gar
keine Technik macht Angst. Gar keine Angst macht auch keine Technik. Arnold
Gehlen sagt, die Technik gehöre zum Wesen des Menschen und so also auch die
Angst.
Bei Hubert Markl ging es darum,
die Zukunft durch die vorhandenen Erkenntnispotentiale nun endlich besser zu
gestalten als bisher. Er und Hans Jonas nehmen die Ängste und die Furcht in der
Gesellschaft ernst, um aus ihnen gemeinsame Werte zu entwickeln.
Martin Heidegger öffnet den Blick
für ein tieferes Verständnis des Wesens der Technik, ohne welches die Gefahr in
der Technik nicht begriffen werden kann. Was er als das Rettende in der Gefahr formuliert,
gründet sich auf ein antikes Verständnis von Naturerkenntnis. Die Natur wurde
durch Anschauung erkannt und ihre Möglichkeiten im Sinne der Annahme eines
offerierten Angebotes genutzt. Hier erkannte sich der Mensch in Bezug zur Natur
als ihr Gegenüber.
Ich möchte romantisierend, aber
nicht unzutreffend, von einem Gleichgewicht sprechen. Der Mensch weiß, dass die
Natur Gefahr und Lebenserhalt gleichzeitig in sich birgt, wonach der Einsatz
von Werkzeugen und das Empfinden von Schutzbedürftigkeit in einem Gleichgewicht
der Natürlichkeit gehalten werden. Man lebt mit Chancen und Risiken, die keinen
Raum für psychotische Ängste oder unumschränkte Machtgelüste lassen. Dieses
Verhältnis könnte auch als eines von Vertrauen und Achtsamkeit beschrieben
werden.
Das
Verhältnis von Mensch und Natur bestimmt also in hohem Maße die Balance
zwischen unseren Ängsten und den technischen Möglichkeiten, die immer
miteinander verbunden sind. Käme der Natur eine höhere Stellung im Verhältnis
zum Menschen zu, würde die Dynamik von Angst und Technik entschleunigt. Doch es
gibt dafür kein Programm und es liegt bei jedem einzelnen Menschen, auch ohne
Ausstieg aus der technologischen Zivilisation, auf der anderen Seite der
Wagschale das Gewicht vom Wert der Natur zu beschweren. Mit einem solchen
Ausgleich wäre der Versuch verbunden, sich von der Natur die Angst vor der
Technik nehmen zu lassen. Der Ausgleich, den viele Menschen in Anspruch nehmen,
verlangt nach der Naturbelassung oder Wiederherstellung von Lebensräumen und
Naturzuständen. Der Mensch, der sich abgetrennt von der Natur betrachtet,
müsste sie wieder, nun ganz bewusst, zu seinem gleichberechtigten Gegenüber
erheben, damit sie ihm die Angst vor sich selber nehmen kann.
[1] Gehlen, Arnold: Die Seele im
technischen Zeitalter. Sozialpsychologische Probleme in der industriellen
Gesellschaft, Rowohlt Hamburg 1957, S. 7.
[2] Flohr, Heiner: Gesellschaftliche, kulturelle und biologische Aspekte
von Angst, in: Max Kerner (Hg.): Technik und Angst. Zur Zukunft der
industriellen Zivilisation. Zweitesinterdisziplinäres Aachener Hochschulkolloquium, Aachen 1994.
[3]Flohr, Heiner: Gesellschaftliche, kulturelle und
biologische Aspekte von Angst, S. 120.
[4] Ebd, S. 117.
[5] Staufenbiel, Rolf: „Angst vor der Technik – ein Anlaß zur Sorge?“,
in: Kerner, Max (Hg.): Technik und Angst. Zur Zukunft der industriellen
Zivilisation. Zweitesinterdisziplinäres
Aachener Hochschulkolloquium, Aachen 1994.
[6] Ebd.., S. 10.
[7] Eigenbrodt, Olaf: Zwischen Technikangst und Technikeuphorie. Wie wir
die digitalen Medien in unsere Lebenswelt integrieren, in: Buch und Bibliothek,
Heft 2, Band 60/2008
[8] Ebd., S. 211.
[9] Vgl. Markl, Hubert: Wissenschaft
gegen Zukunfstangst, Carl Hanser Verlag Münschen Wien 1998, S. 173.
[10] Ebd., S. 175.
[11] Markl, Hubert: Wissenschaft
gegen Zukunfstangst, S. 176.
[12] Ebd., S. 176ff.
[13] Jonas, Hans: Das Prinzip
Verantwortung. Versuch einer Ethik für die technologische Zivilisation, 3.
Aufl., Frankfurt am Main 1993.
[14] Ich werde im Folgenden keine Unterscheidung
zwischen den Begriffen „Furcht“, „Sorge“ und „Ehrfurcht“ von Hans Jonas und dem
bisher allgemein verwendeten Begriff der „Angst“ vornehmen, da sie als Aspekte
von Angst betrachtet werden sollen.
[15] Jonas, Hans: Das
Prinzip Verantwortung, S. 8.
[16] Ebd., S. 391.
[17] Ebd., S. 393.
[18] Heidegger, Martin: Die
Technik und die Kehre, Zehnte Auflage, Talheim 2002, S. 28.
[19] „Das Wesen der
modernen Technik bringt den Menschen auf den Weg jenes Entbergens, wodurch das
Wirkliche überall, mehr oder weniger vernehmlich, zum Bestand wird.“ in: Heidegger,
Martin: Die Technik und die Kehre, S. 24.
[20] Seubold, Günter: Heideggers
Analyse der neuzeitlichen Technik, Karl Alber Verlag, München 1986, S. 294.
[21] Heidegger, Martin: Die
Technik und die Kehre, S. 38.
[22] Ebd., S. 41.
[23] Vgl. Heidegger,
Martin: Die Technik und die Kehre, S. 12.
[24] Seubold, Günter: Heideggers Analyse der
neuzeitlichen Technik, S. 299.
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