Erschienen in Ausgabe: No 50 (4/2010) | Letzte Änderung: 20.03.10 |
von Heike Geilen
„Was macht die
Zeit mit uns, und was machen wir mit der Zeit, die uns durchdringt?“, fragt sich
Edison Frimm in Norbert Zähringers für den Deutschen Buchpreis 2009 nominierten
Roman „Einer von Vielen“. Und genau dies ist das Kernthema des Buches, das
einen wahrhaft weiten zeitlichen und auch örtlichen Rahmen umspannt.
Verschiedene
Protagonisten „bevölkern“ Zähringers auktorial erzählten Roman. Zwei davon
entwickeln den Haupterzählstrang. Das ist zum einen eben jener Edison Frimm und
zum anderen Siegfried Heinze. Beide Männer werden am selben Tag, dem 1.
September 1923, geboren. Ersterer in einer Aussteiger-Siedlung in der
Mojave-Wüste, der andere in Berlin. Und genau dort, in den letzen Kriegstagen,
kommt es beinahe zu einem Zusammentreffen. Doch ihrer beider Schicksale haben
die Form von zwei Parallelen, die sich nie berühren werden, auch wenn sie im
Roman beinahe kontrapunktisch aufeinander bezogen sind.
Zähringer
erzählt von Menschen, die vom aufkommenden Nationalsozialismus in Deutschland
fliehen und in Amerika, dem Land der unbegrenzten Möglichkeiten, ihre Träume
wahr werden lassen wollen, letztendlich aber doch nur ihr Sein an einem anderen
Ort weiterleben, dann wieder von anderen, die nach Fehlschlägen und einer
beinahe zum Stillstand gekommenen Existenz, letztendlich so etwas wie das
kleine, große Glück finden.
Der
Autor nimmt den Leser auf eine große Reise mit, die im Jahr 1923 ihren Ursprung
hat und gleichsam das ganze zwanzigste Jahrhundert überspannt. Sie führt nach
Japan, die USA, Deutschland und Großbritannien. Das kann leicht verwirren oder
den Überblick verlieren lassen. Doch Norbert Zähringer schafft es mit geradezu
faszinierender Manier, die verschiedenen Handlungsfäden geschickt abzurollen, sie
dabei jedoch immer straff gespannt zu halten. Auf nahezu magische Art und Weise
hängt alles mit allem zusammen. Subtil deckt er verborgene Verbindungen auf und
schafft immer wieder überraschende Erkennungsmomente. Raffiniert steigt er aus
einer Situation aus oder in sie ein „wie
in einen Spiegel, um auf der anderen Seite, in einer anderen Welt
herauszukommen“.
Eine
geradezu unermessliche Landschaft der Erinnerung breitet der 1967 in Stuttgart
geborene, in Wiesbaden aufgewachsene und heute in Berlin lebende Autor, vor dem
Leser aus. Man könnte seinen Roman fast mathematisch nennen, denn „Einer von
Vielen“ bietet immer wieder unerwartete Lösungen, das eine greift in das andere
und selbst der Zufall bekommt mitunter eine Ordnung. „Man darf nicht versuchen, inmitten eines Albtraums aufzuwachen. Damit
er nie mehr wiederkehrt (...) muss man ihn ganz zu Ende träumen.“ Norbert
Zähringer tut dies auf beeindruckende Art und Weise und vermittelt auf all
seinen knapp 500 Seiten „mathematische“ Schönheit und Perfektion.
Fazit:
Norbert
Zähringers Roman „Einer von Vielen“ ist eine kluge und unterhaltsame
Geschichte, eine Komposition von unzähligen ineinander verwickelten, zum Teil
wundersamen Episoden. Sie handelt vom Leben und dem Tod sowie dem Erinnern und
dem Vergessen, „weil nichts uns das
Vergangene zurückbringen kann und es endgültig verschwunden sein wird, von dem
Moment an, da sich niemand mehr daran erinnert.“
Norbert
Zähringer
Einer von
Vielen
Rowohlt
Verlag, Reinbek bei Hamburg (Juli 2009)
493
Seiten, Gebunden
ISBN-10:
3498076647
ISBN-13:
978-3498076641
Preis:
22,90 EURO
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