Erschienen in Ausgabe: No 44 (10/2009) | Letzte Änderung: 23.12.08 |
von Ulrike Hummel
Streubomben töten wahllos, meist
Zivilisten und viele Kinder. Im Süd-Libanon bedrohen noch immer
eine Million Blindgänger das Leben der Menschen. Jetzt soll in
Oslo das internationale Streubombenverbot ratifiziert werden.
Sie sehen aus wie harmloses Spielzeug, liegen auf
dem Boden oder hängen an Bäumen: Streubomben sind besonders
heimtückische Waffen, die weltweit viele Tausende von Menschen
verletzt oder getötet haben. Jetzt soll die Konvention zum Bann
von Streubomben von mehr als 100 Staaten in Oslo unterzeichnet
werden.
Für Salim Fayez Fakih und seine Familie
ändert dies wenig: „Erst letzte Woche habe ich wieder eine
Rakete auf meinem Feld entdeckt. Die ist auch noch nicht explodiert“,
berichtet der libanesische Tabakbauer. Dann führt er den
Mitarbeiter von Handicap International zu dem Fundort, um die
gefährliche Bombe zu orten – Alltag in den Städten und
Dörfern des Süd-Libanon. Dabei hat der Familienvater das
Stück Land erst kürzlich von einem Nachbarn gepachtet –
seine eigenen Plantagen sind verseucht.
Tiri ist ein
kleines libanesisches Dorf, 15 Kilometer von der israelischen Grenze
entfernt, und der Ort, an dem sich im Mai 2002 eine Familientragödie
ereignet hat, die das Leben von Salim Fayez Fakih und seiner Frau bis
heute entscheidend prägen: “Da hinten, unter diesem Baum,
haben sie gespielt und das Ding gefunden. Es sah aus wie ein
Tennisball und die Jungs haben damit hantiert – bis es
explodierte.“ Salim Fayez Fakih und seine Frau arbeiteten auf dem
Feld, als Hussein von der Schule zu ihnen kam, um Bescheid zu sagen,
dass er und seine beiden Brüder unweit des Hauses spielten –
Kurze Zeit später hörten sie nur noch die Detonation.
Abbas war
fünf Jahre alt, als er beim Spiel sein Leben verlor. Hussein’s
Darm wurde zerfetzt, seine Leber teilweise entfernt, Schultergelenke
und Knie wurden zertrümmert. Jetzt müssen seine Beine
dringend operiert werden, sonst droht ein Leben schwerster
Behinderung. „Gott allein weiß, woher ich das Geld nehmen
soll. Mein Land ist verseucht, die Ernte bleibt aus und ich hab’ 14
Kinder zu ernähren“, sagt Salim Fayez Fakih, während
seine Frau mit den Töchtern buchstäblich die Spreu vom
Weizen trennt – Korn für Korn.
7000 Dollar
etwa kostet die Operation, die der zehnjährige Hussein jetzt
dringend bräuchte. Auf staatliche Hilfe kann er nicht mehr
hoffen: Denn das libanesische Gesundheitsministerium hat schon einen
Teil der dringend notwenigen Operationen übernommen. Jetzt aber
müsse Salim Fayez Fakih zusehen, wie er selbst zurecht kommt.
Dabei hat der Tabakbauer kurz nach dem Unfall schon zwei seiner
Grundstücke verkauft, um den Eigenanteil von Hussein’s
Behandlung bezahlen zu können. Jetzt hat er nichts mehr. Die
Ernte der gepachteten Felder reicht kaum, um die Familie zu ernähren,
sein eigenes Stück Land ist verseucht und steht noch immer auf
der Warteliste der internationalen Minenräumtrupps.
Eine von
zahllosen Familientragödien, die den Süd-Libanon bis heute
prägen. Während der 34-tägigen Kämpfe zwischen
der schiitischen Hisbollah-Miliz und Israel im Sommer 2006, wurden
fünf Millionen Streubomben auf den gesamten Süd-Libanon
abgefeuert – in den letzten drei Tagen des Krieges. Das sind weit
mehr als in Afghanistan, im Irak und im Kosovo zusammen, heißt
es von Seiten der zuständigen libanesischen Behörden.
Seither bedeckt ein tödlicher Teppich von einer Million noch
nicht explodierter Streumunition etwa 1400 Quadratkilometer Erde. 30
bis 40 Prozent des gesamten Südens sind verseucht, die Felder
können landwirtschaftlich nicht genutzt werden, das Vieh kommt
qualvoll und zahlreich ums Leben. Für die Menschen dort ist das
besonders bitter, da ein Großteil der Bevölkerung von der
Landwirtschaft lebt. Die Reichen sind längst weggezogen – die
Armen sind geblieben. Salim Fayez Fakih blickt düster in die
Zukunft: „Der Libanon wird nie bombenfrei werden, denn eine
hundertprozentige Garantie für ‚sauberes’ Land gibt es
nicht.“ Die Streubombe, die den fünfjährigen Abbas im
Frühjahr 2002 getötet hat, war von 1978 – fast ein
Viertel Jahrhundert alter hochexplosiver Bombenschrott.
Genau darin
liegt die Heimtücke dieser Waffe. Streubomben haben eine hohe
Blindgängerquote, so dass sie – wie Landminen – noch lange
eine Gefahr für Mensch, Tier und Umwelt darstellen. Mark Holroyd
ist Sprengstoffexperte und war als solcher 24 Jahre bei der Royal
Navy. Jetzt leitet er die Entminung bei Handicap International im
Süd-Libanon. Mit Hochdruck arbeiten er und seine Leute daran,
die verseuchten Gebiete wieder begehbar zu machen: „Auch zwei Jahre
nach dem Krieg, arbeiten wir immer noch in den Gärten der
Menschen. Wir haben drei BAC-Teams (Battle Area Clearance =
Kampffeldräumung), die Tag für Tag, acht Stunden lang, mit
Detektoren unterwegs sind, um Zentimeter für Zentimeter nach
explosiver Munition zu suchen, die wir dann entschärfen“, sagt
er. Dabei gibt es vielfach Opfer zu beklagen: „Erst im September
haben UNIFIL-Truppen einen Belgier verloren.“ Berufsrisiko. Außer
der libanesischen Armee und der UNIFIL-Truppen sind derzeit neun
internationale Entminungsorganisationen im Einsatz – darunter ein
reines Frauenteam mit jungen, zum Teil hochschwangeren Libanesinnen.
Ein Experte vom libanesischen „Mine Action Coordination Center“
(MACC) in Tyrus beklagt indes die mangelnde israelische Bereitschaft
zur Zusammenarbeit: „Das größte Hindernis bei der
Bombenräumung ist, dass Israel die genauen Einschlagskoordinaten
der Streubomben bis heute nicht herausrückt.“ Seit Beginn des
Waffenstillstandes 2006 bis Ende August dieses Jahres wurden 149 000
Streubomben gefunden und entschärft. Allein 52 Minenräumer
hat es dabei schwer oder tödlich verletzt. Aktuellen Schätzungen
zufolge, wird die Entminung im Süd-Libanon mindestens noch bis
Ende 2010 andauern, so ein Sprecher der zuständigen
libanesischen Behörden.
Streubomben
verteilen große Mengen von Sprengkörpern über weite
Flächen. Bis zu 40 Prozent der sogenannten Submunition
explodiert nicht, so dass sie noch Jahrzehnte Tote und Verletzte
fordern. Daher werden sie inzwischen international geächtet.
Dennoch sollen bei der (jetzigen) Unterzeichnung der
Anti-Streubomben-Konvention in Oslo modernste „sensorgesteuerte
Streubomben“ vom Verbot ausgenommen werden: Die als „intelligent“
bezeichneten Sprengkörper, sollen Ziele angeblich selbständig
erkennen und zudem mit einem Selbstzerstörungsmechanismus
ausgestattet sein. Mark Holroyd, der jahrzehntelange Erfahrung mit
der Bombenentschärfung hat, ist diesbezüglich skeptisch:
„Eine intelligente Streubombe vom Typ M 85 wurde im Libanonkrieg
2006 abgefeuert. Das ist eine Streumunition, die sich selbst
zerstören soll. Die Organisation ‚Norwegians Peoples Aid’
(NPO) hat Versuche zu diesem Typ gemacht und herausgefunden, dass sie
eine Fehlerquote von 12 bis 15 Prozent hat.“ Zwar wird diese
Munition künftig verboten sein – so wie alle
Streumunitionstypen, die bisher zum Einsatz gekommen sind. Dennoch
setzte sich auch die deutsche Delegation beim Vertragsentwurf in
Dublin dafür ein, dass sensorgesteuerte Streumunition, die Ziele
selbständig erkennt und über einen
Selbstzerstörungsmechanismus verfügt, vom Verbot
ausgenommen wird. „Ich weiß, dass die Deutschen versuchen
‚intelligente Streubomben’ weiter zu entwickeln – und dass es
dabei um viel Geld geht“, sagt Mark Holroyd. Auch modernste
Munition kann Blindgänger erzeugen. Selbst wenn mehr als 100
Staaten die Verbotskonvention jetzt unterzeichnen, werden Streubomben
der neuesten Generation weiterhin Familientragödien anrichten –
wie die des libanesischen Tabakbauers Salim Fayez Fakih.
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