Erschienen in Ausgabe: No 51 (5/2010) | Letzte Änderung: 28.04.10 |
Prachtvoll und Weg weisend: Anton Legner über die Künstler im Mittelalter
von Constantin Graf von Hoensbroech
Was
für ein Mensch mag die Nonne Guda wohl gewesen sein? Sie selbst beschreibt sich
auf dem kunstvoll in die Initiale D eingezeichneten Schriftband als „peccatrix
mulier“, als sündiges Weib. Doch wer sie betrachtet, wird das kaum glauben
wollen. Selbstbewusst mutet die Körperhaltung der frommen Frau an, die aus dem
Buchstaben herausblickt und den Betrachtern auf dem lateinisch gefassten
Schriftzug innerhalb der Initiale mitteilt, dass sie dieses Buch gemalt und
geschrieben hat. Das D, in das sie eingezeichnet ist, steht für „Dominus“
(Herr) und drückt die Vorstellung aus, dass das Bild der Nonne Guda in Gott ruht.
Zudem verbindet sie mit dieser Darstellung die Hoffnung, dass diejenigen, die
diese Mitteilung lesen, sie ins Gebet einbeziehen.
Eine
souveräne Haltung nehmen auch die Vier Gekrönten ein. Möglicherweise tragen die
vier Statuetten, die einst am Epitaph des Kölner Dombaumeisters Nikolaus von
Büren standen, die Gesichtszüge damaliger Arbeiters, etwa eines Poliers,
Baumeisters, Steinmetzen und Bildhauers. Die „Quattro Coronati“ –
Identifikationsfiguren der Baumeister und Steinmetze – würden nicht nur als Schutzpatrone
am Grabmal des Verstorbenen stehen, sondern zugleich als trauernde Gesellschaft
der Dombauhütte.
Diese
beiden Beispiele illustrieren nur einen kleinen Ausschnitt über das
Selbstverständnis der Menschen im Mittelalter, die Kunst machten. „Artifex“
wurde der mittelalterliche Kunstschaffende genannt, der sich – so die weithin
verbreitete Meinung – hinter sein Werk zurückzog, seine Tätigkeit in der
Anonymität vollzog und allein zur Ehre Gottes arbeitete. Doch Anton Legner
widerlegt in seinem Buch „Der artifex. Künstler im Mittelalter und ihre
Selbstdarstellung“ diese Ansicht und kommt in seinem ebenso großartigen wie
opulenten Werk zu dem Befund: „Die artifices im Mittelalter waren zu ihrer Zeit
keine anonymen Wesen. Nur ihre Spuren gingen verloren.“ Legner, langjähriger
Direktor des Museum Schnütgen in Köln, hat seit seiner Verabschiedung „dankbar
20 Jahre geschenkte Ruhezeit“ genutzt, um diese Spuren mit frappierender
Kompetenz und beeindruckender Kenntnis bis in die kleinsten Hinweise und Details
freizulegen, zu identifizieren und zu interpretieren. In dem reich bebilderten,
üppig ausgestatten Prachtband schlägt er einen Bogen von einem Magister des
achten Jahrhunderts, der die Krone des ewigen Lebens empfängt, bis hin zu der
bewussten christusähnlichen Selbstdarstellung eines Albrecht Dürer.
Spuren
in ihren Werken hinterließen die Künstler beispielsweise in den Initialen von
Handschriften, in Randleisten von Buchseiten, in Kirchenportalen oder in
Kreuzgängen. So verewigte sich beispielsweise der Bildhauer Micaelis am
Kirchenportal in Revilla de Santullan als Gast beim Letzten Abendmahl. Zu
nennen sind aber auch die Darstellungen, in denen der Künstler und sein
Handwerk selbst Gegenstand sind, etwa das detailreiche und farbenfrohe Bild,
das Jean Bourdichon um 1500 über den Tischler in seiner Werkstatt malte. Anton
Legner beschreibt die artifeces als „Geschöpfe aus Fleisch und Blut“. In ihrer
Zeit waren sie geschätzt, geachtet, oftmals berühmt und gerieten auch manches
Mal mit der Obrigkeit in schmerzhaften Konflikt – siehe etwa Veit Stoß oder
Tilman Riemenschneider. Auf solche Realitäten ihrer Epoche, mehr noch aber auf
die in den Lebenszeiten der Künstler bestimmende Blickrichtung der
Spiritualität richtet Legner seine Perspektive. Der Autor spürt dem Selbstverständnis
nach, dass der Artifex in Inschriften und Signaturen ausdrückt, er ordnet
dessen Erwartungen und Hoffnungen, wenn sich der Künstler in seinen
Selbstdarstellungen ebenso in die Gesellschaft der Heiligen wie auch der
Irdischen, der Lebenden und der Toten einordnet.
In
21 Kapiteln stellt Legner den mittelalterlichen Künstler in unterschiedlichen
Zusammenhängen vor: etwa in seiner Beziehung zum Ruhm der Welt, etwa im Umgang
mit Tod und Teufel, etwa in Gebet, Donation und Devotion, aber etwa auch mit
Bezug auf Komik und Witz, seine Arbeitswelt oder auch seine Umgangsformen. Als
wissenschaftlicher Apparat runden Anmerkungen, ein Quellen- und
Literaturverzeichnis, Bildnachweise sowie ein Personen- und Ortsregister runden
den über 750 Seiten umfassenden Prachtband mit seinen fast 1000 Abbildungen ab,
den der Greven Verlag Köln verlegt hat. Ein bemerkenswerter Umstand, denn
bislang ist das traditionsreiche Unternehmen vor allem als Adressbuchverlag
sowie mit der Visitenkarte für Bücher zu Köln und dem Rheinland in Erscheinung
getreten. Dass der Verlag, der nach eigenen Angaben über keine Kunsthistoriker
oder Museumsexperten verfügt, eine derart faszinierende, groß und großartig
angelegte Studie als Kunst- und Kirchenbuch herausgibt, erweist sich als
wunderbare Fügung. Denn durch diese externe, ja fast unverstellte und
unbelastete Sicht ist ein frisches, sinnenfreudiges Werk entstanden, das sich
eben nicht nur an die Spezialisten und Kunstkenner richtet, sondern gleichsam
allen interessierten Laien empfohlen werden kann.
„Anton
Legner macht mit diesem Werk, die Summe eines Lebens, deutlich, dass die
mittelalterlichen Künstler keine Nummern waren, sondern Schöpfer, die unser
Europa gestaltet haben“, würdigte der Kustos des österreichischen Benediktinerstifts
Göttweig, Gregor Lechner, das Buch und den Autor bei der Vorstellung dieses
epochalen Standradwerks. Ein „kostbares Kind“ habe Legner aus der Taufe
gehoben, so Pater Gregor, und hob besonders die Ausführungen über die Signatur
der Künstler hervor. „Die Signatur ist nicht nur ein Schriftzug, sondern ein
Porträt: Da spricht der lebende Künstler.“ Die bisher verbreitete Ansicht von
der Anonymität der mittelalterlichen Künstler sieht auch der renommierte
Kunsthistoriker Gregor Lechner in der Überlieferung und in „immensen
Dokumentationslücken“ begründet.
Diese
Lücken zu schließen und die Anonymität des individuellen Künstlers in vielen
Fällen durch das Bild einer Persönlichkeit zu ersetzen, ist das große Verdienst
vom „Legner“, wie sich dieses Weg weisende und Maßstäbe setzende Werk
sicherlich auch bezeichnen lässt. Weil Legner aber nicht nur das Bild vom
Selbstverständnis und der Selbstdarstellung der Künstler im Mittelalter
zeichnet, sondern auch die starren Epochenbegriffe einer scharfsinnigen Analyse
unterzieht, kommen die Leser schließlich durch die Rückbezüge auf die Antike
einerseits sowie die Ausblicke auf spätere Epochen bis hin in die Gegenwart
andererseits mit dem Autor zu der überraschenden und doch so einleuchtendem
Erkenntnis, dass „das Mittelalter in der Neuzeit nie aufgehört und die Neuzeit
im Mittelalter immer schon begonnen (habe)“.
Anton Legner: Der
artifex. Künstler im Mittelalter und ihre Selbstdarstellung. Greven Verlag. 758
Seiten, Format 24 x 31 cm, Leinen mit Schutzumschlag und Schmuckschuber, 128
Euro. ISBN 978-3-7743-0420-8
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