Erschienen in Ausgabe: No 53 (7/2010) | Letzte Änderung: 29.06.10 |
Ein Kommentar zum Rücktritt Horst Köhlers
von Michael Lausberg
Am 31.5.2010
erklärte Bundespräsident Horst Köhler in einer kurzfristig einberufenen
Pressekonferenz überraschend seinen sofortigen Rücktritt.
Der von ihm
genannte Hintergrund seines Rücktritts war ein am 22.5. ausgestrahltes
Interview über den Bundeswehreinsatz in Afghanistan. Köhlers Äußerung, ein Land
mit einer Orientierung auf den Außenhandel müsse erkennen, dass „im Zweifel, im
Notfall auch militärischer Einsatz notwendig ist, um unsere Interessen zu
wahren, zum Beispiel freie Handelswege, zum Beispiel ganze regionale
Instabilitäten zu verhindern, die mit Sicherheit auch auf unsere Chancen
zurückschlagen (…), bei uns durch Handel, Arbeitsplätze und Einkommen zu
sichern.“[1]
Diese Aussage
traf auf harsche Kritik vor allem aus den Reihen der Oppositionsparteien. Der
Parlamentsgeschäftführer der SPD, Thomas Oppermann, erklärte, dass das
Grundgesetz keine Wirtschaftskriege gestatte.[2]
Jürgen Trittin von Bündnis 90/Die Grünen bezeichnete Köhler als „lose
rhetorische Deckskanone an der Spitze des Staates.“[3] Die
Linken, die die deutsche Teilnahme am Krieg in Afghanistan immer wieder
kritisierten, fühlten sich durch die Aussage Köhlers dahingehend bestätigt,
dass dort ein „Krieg um Einfluss und Rohstoffe“ ausgetragen werde.[4] Verteidigungsminister
zu Guttenberg äußerte erst auf Anfrage, dass der „Einsatz in Afghanistan“ nicht
ökonomischer Natur sei, sondern auf einem UN-Mandat basiere.[5]
Angela Merkel erklärte:[6] „Als
Verfassungsorgan äußere ich mich nicht zu Äußerungen des Verfassungsorgans
Bundespräsident.“
Nach dieser
Kritik erklärte Köhler, dass er mit seiner Ausführung nicht den
„Afghanistan-Einsatz“ gemeint habe, sondern zum Beispiel den „Einsatz gegen
Piraten am Horn von Afrika“.[7]
Mit selbst
inszeniertem Pathos und zur Schau getragenem Selbstmitleid verkündete Köhler
daraufhin in einem kurzen Statement 10 Tage nach seiner Stellungnahme:[8]
„Meine Äußerungen zu Auslandseinsätzen der Bundeswehr am 22. Mai dieses Jahres
sind auf heftige Kritik gestoßen. Ich bedauere, dass meine Äußerungen in einer
für unsere Nation wichtigen und schwierigen Frage zu Missverständnissen führen
konnten. Die Kritik geht aber so weit, mir zu unterstellen, ich befürwortete
Einsätze der Bundeswehr, die vom Grundgesetz nicht gedeckt wären. Diese Kritik
entbehrt jeder Rechtfertigung. Sie lässt den notwendigen Respekt für mein Amt
vermissen.“
Gleichzeitig
bat beim fassungslosen Publikum um „Verständnis“ für seine Entscheidung.
Dieses
eingeforderte „Verständnis“ zeigten jedoch die wenigsten. Hagen Strauss
kritisierte in den Aachener Nachrichten:[9] „Wenn
Köhler tatsächlich so dünnhäutig und empfindlich sein sollte, dann hätte er
sich auch nicht derart in die Tagespolitik einmischen dürfen, wie er es getan
hat. Der Bundespräsident ist zwar erster Mann im Staate, der achtungsvoll
behandelt werden muss. Aber er ist deshalb nicht unangreifbar. Großen Respekt,
den Köhler ja vermisst, hat er für diesen Schritt nicht verdient. Wer so aus
dem Amt geht, muss sich fragen lassen, ob er diesem überhaupt jemals gerecht
werden konnte. (…) Köhler nimmt nun in Kauf, dass die vielen Menschen, die ihn
gemocht und vertraut haben, ratlos zurückbleiben. (…) Das ist wahrlich kein
feiner Zug des Mannes im Schloss Bellevue.“
Die „Neue
Zürcher Zeitung“ konstatierte:[10]
„Auch ein deutscher Bundespräsident agiert nicht im politikfreien Raum. Sein
Amt ist eine Verpflichtung, und wer dieser nicht mit einem Mindestmaß an
Resonanz nachkommt, wird sich nicht wundern müssen, wenn er mit der Zeit in das
Räderwerk des parteipolitischen Dauerstreits gerät“, meint die „Neue Zürcher
Zeitung“. „Schade um die Person. Aber auch schade um das Amt.“
Die taz sprach
in ihrer Berichterstattung von dem „beleidigten Präsidenten“.[11]
SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles schüttelte den Kopf:[12] „Die
Kritik an Köhler rechtfertigte keinen Rücktritt.“ Wolfgang Thierse,
SPD-Bundesvizepräsident, urteilte:[13] „Ich
halte den Rücktritt auch am Tag danach weder für zwingend noch für ausreichend
begründet. (…) wer sich wie Köhler als politischer Präsident verstand und
politische Bewertungen vornahm, der muss auch politischen Widerspruch
ertragen.“ Die Süddeutsche Zeitung schrieb:[14] „Es
hat wohl noch nie jemand dem Amt des Bundespräsidenten so großen Schaden
zugefügt, wie es (…) Horst Köhler getan hat. Köhler hat die Präsidentschaft
dieses Landes nicht bedächtig niedergelegt, etwa weil ihn Krankheit oder ernste
Umstände im Familienkreise dazu gezwungen hätten. Nein, er hat das höchste Amt
im Staate hingeworfen, weil er beleidigt ist. Er ist darüber beleidigt, dass
ihm, der ja auch immer ein politischer Bundespräsident sein wollte, politische
Kritik entgegengeschlagen ist.“
Köhler hat
nicht nur dem Amt des Bundespräsidenten einen nie da gewesenen Schaden
zugefügt, sondern auch der Diskussionskultur in einem demokratischen System.
Der Inhalt von Demokratie beschränkt sich nämlich keinesfalls auf bloße Wahlen
oder andere Abstimmungen. Vielmehr gehört eine allumfassende und
allgegenwärtige Diskussion innerhalb aller Gesellschaftsmitglieder als
Ausgangspunkt aller Politik dazu. Im steten Meinungs- und Argumentsaustausch
finden einzelne Menschen zueinander, passen ihre Ansichten neu gewonnenen
Erkenntnissen an und kommen so über den Weg der Reflektion zu einer mehr oder
weniger mehrheitsfähigen Willensbekundung.
Köhler negiert
mit seinem Selbstmitleid des Kritisierten dieses Prinzip. Der elementare
Grundsatz, auch die kritischen Gegenargumente politisch Andersdenkender
aushalten zu können, findet bei einem der höchsten Vertreter der BRD keine
Anwendung.
Dass er als
Bundespräsident auch eine Vorbildsfunktion vor allem für jüngere Generationen
besitzt, interessierte ihn keinen Augenblick.
Wie sollen
Akteure der politischen Bildung Kindern oder Jugendlichen die elementaren
Prinzipien Anrecht und Akzeptanz der Meinungen von anderen Personen vermitteln,
wenn der Bundespräsident auf diesem Gebiet wie ein kleines Kind nach einem
Streit das Feld räumt?
Muss man jetzt
Befürchtungen haben, dass der/die nächste Bundespräsident(in) beim kleinsten
Gegenwind wieder zurücktritt?
Kein
Bundespräsident kann eine sakrosankte Stellung beanspruchen, wenn es um den
Austausch von Argumenten geht. Niemand darf eine solche Stellung beanspruchen.
In der
Vergangenheit mussten viele Bundespräsidenten mit öffentlicher Kritik fertig
werden. Als Richard von Weizsäcker in seiner Rede vom 8.5.1985 den 8.5.1945 als
„Tag der Befreiung“ vom Nationalsozialismus bezeichnete, wurde er besonders von
nationalkonservativen Vertretern angegriffen, die in diesem Datum das „Ende des
deutschen Nationalstaates“ und den „Beginn der deutschen Teilung“ sahen.[15] Damals
gab es keine Inszenierung des Selbstmitleides bei von Weizsäcker und natürlich
auch keine Rücktrittsgedanken.
Wenn man sich
ansieht, dass in der Vergangenheit und Gegenwart Politiker wie Merkel, Westerwelle
oder Lafontaine –auch unsachlich- in der Öffentlichkeit kritisiert wurden und
dennoch nicht in Wehklagen oder Selbstmitleid ausgebrochen sind, zeigt sich ein
unreifes Persönlichkeitsmerkmal bei Horst Köhler. Es ist kein Geheimnis, dass
jede Person, die eine verantwortliche Stellung in der BRD anstrebt, mit
gerechtfertigter oder auch ungerechtfertigter Kritik umgehen muss. Andernfalls
sind diese Personen fehl am Platz.
Dies soll
nicht bedeuten, dass nur noch Politiker wie Adenauer, Kohl oder Schröder mit
der Machtgier eines Niccoló Machiavelli verantwortliche Stellungen erhalten
sollen. Ellenbogenmentalität ist nicht gefragt, sondern eine selbständige und
lernwillige Persönlichkeit.
Köhler sonnte
sich gerne im Applaus von Teilen der Bevölkerung und der Medien. Nun als Buhmann
bei einer öffentlichen Diskussion dazustehen, konnte und wollte er nicht
verkraften. Aus diesen Gründen ist sein Rücktritt zu befürworten, sogar
zwingend angemessen.
Die Aussage zu
seinem/r Nachfolger(in) innerhalb von Regierungskreisen, dass es „nicht erneut
ein Quereinsteiger wird“, zeigt eine gewisse Distanz in der Retrospektive zur
Person Köhlers.[16] Wer dies letztendlich
werden sollte, sie/er muss den Versuch unternehmen, den von Köhler verursachten
Schaden am Amt des Bundespräsidenten zu reparieren und sich gleichzeitig als
verlässlicher(e) Diskussionspartner(in) zu erweisen.
[1] Zitiert aus Aachener
Nachrichten vom 1.6.2010, S: 3
[2] Ebd.
[3] Ebd.
[4] Ebd.
[5] Ebd.
[6] Ebd.
[7] Aachener Nachrichten vom
25.5.2010, S. 4
[8] www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,697798,00html
[9] Aachener Nachrichten vom
1.6.2010, S: 2
[10] Neue Zürcher Zeitung vom
2.6.2010, S. 6
[11]
www.taz.de/1/debatte/kommentar/artikel/1/der-beleidigte-praesident/
[12]
www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,697897,00.html
[13] Aachener Nachrichten vom
2.6.2010, S. 3
[14] Süddeutsche Zeitung vom
1.6.2010, S. 2
[15] Gaus, G.: Wo Deutschland
liegt. Eine Ortsbestimmung, München 1986, S. 23
[16] Aachener Nachrichten vom
2.6.2010, S. 3
>> Kommentar zu diesem Artikel schreiben. <<
Um diesen Artikel zu kommentieren, melden Sie sich bitte hier an.