Erschienen in Ausgabe: No 53 (7/2010) | Letzte Änderung: 29.06.10 |
von Constantin von Hoensbroech und Ulrike von Hoensbroech
Er gilt als einer der bedeutendsten Komponisten der
Romantik: Robert Schumann, dessen 200. Geburtstag sich in diesem Jahr zum 200.
Male jährt. Vor allem als Komponist von Klaviermusik und Liedern hat sich der
gebürtige Zwickauer einen Namen gemacht. Aus seinem vielfältigen Werk ragen
aber auch noch vier Symphonien und die Solokonzerte für Klavier, Violine sowie
Violoncello heraus. Ab 1834 gab er die „Neue Zeitschrift für Musik“ heraus und
legte damit einen der entscheidenden Grundsteine der modernen Musikwissenschaft
und -kritik. 1837/38 bemühte sich Schumann vergeblich, die Zeitschrift von Wien
aus herauszugeben. Im Jahre 1850 wechselte der Tonsetzer aus Sachsen ins
Rheinland. Die Freude über den beruflichen Neubeginn als Städtischer
Musikdirektor in Düsseldorf, der er in seiner berühmten dritten Symphonie mit
dem späteren Beinamen „Rheinische“ einen kraftvollen musikalischen Ausdruck
verlieh, währte nicht lange. Im Februar 1854 wurde der angeblich geisteskranke
Schumann in die Heil- und Pflegeanstalt von Endenich, heute ein Stadtteil von
Bonn, eingewiesen. Die jetzt vorgelegten Forschungsergebnisse des Kölner
Psychiaters Uwe Henrik Peters über die angebliche Geisteskrankheit von Robert
Schumann werfen indes ein neues Licht auf das Leben und das Werk des Komponisten.
Herr Professor Peters, Ihre These ist,
dass Robert Schumann im Jahr 1854 psychisch gesund, beziehungsweise nicht als
Irrer oder Geisteskranker, in die Irrenanstalt von Endenich bei Bonn
eingeliefert worden ist. Warum?
Das geht aus den Dokumenten hervor, die großenteils auch früher schon vorlagen
und alle bekannt sind. Daraus ergibt sich, dass Schumann 14 Tage nach dem Ende
eines sogenannten Alkoholdelirs eingeliefert worden ist. Eine solche durch
Alkoholmissbrauch verursachte Psychose, verbunden mit Halluzinationen auf allen
Sinnesgebieten, dauert niemals länger als elf Tage und hört dann vollständig
auf. Dieses Delir ist von der bisherigen Schumann-Forschung völlig verkannt und
daher falsch beurteilt oder einfach übersehen worden, obwohl die Fakten
größtenteils in den schon früher verfassten Lebenszeugnissen nachlesbar sind.
Warum ist dieses Alkoholdelir nicht
früher erkannt worden?
Ein einfacher Grund liegt darin, dass die Symptome eines Alkoholdelirs
heutzutage den meisten Ärzten mit klinischer Erfahrung unbekannt sind. Es gibt
seit den 60er Jahren des 20. Jahrhunderts ein Heilmittel, das bei
entsprechender Anwendung Todesfälle vermeidet oder aber die Entwicklung eines
vollen Delirs unterdrückt. Der eigentliche Grund aber ist wohl der, dass
Schumanns Angehörige ihn als Geisteskranken sahen. Und das hat sich eben bis
heute gehalten. Außerdem haben die beiden Ärzte, die Schumann in Düsseldorf vor
seiner Einlieferung behandelten, dazu beigetragen, weil sie seine Verfassung
als Geisteskrankheit diagnostizierten und eben nicht als Alkoholdelir.
Hätten die Ärzte der damaligen Zeit
dieses Phänomen überhaupt diagnostizieren können?
Eine berechtigte Frage, die eindeutig zu bejahen ist. Ein Alkoholdelir war zu
Schumanns Zeit längst bekannt und sogar in der damaligen Ausgabe des Brockhaus
beschrieben.
In Ihrem Buch beschreiben Sie eine
Periode von 13 Tagen, vom 15. bis 27. Februar 1854.Was ist in diesen 13 Tagen
geschehen?
Am Anfang dieser 13 Tage steht der letzte Geschlechtsverkehr der Eheleute. Das
ist erwiesen, weil Schumann dies stets durch einen Eintrag in das Haushaltsbuch
vermerkte. Am 13. Tag trennt sich seine Frau Clara von ihm und zieht mit ihren
Kindern aus der Wohnung aus. In den Tagen dazwischen ist die Idee von der
Geisteskrankheit geboren worden und der Spannungsbogen zwischen den Ehepartnern
erreichte seinen Höhepunkt.
Im Aufnahmebuch der Heil- und
Pflegeanstalt in Bonn wird Schumanns Leiden als „Melancholie mit Wahn“
festgehalten. Daraus ist dann später die bis heute immer wieder kolportierte
Diagnose der Schizophrenie abgeleitet worden - oft mit dem Hinweis versehen,
dass dafür eine in früheren Jahren eingefangene Syphilismöglicherweise
ursächlich sei...
Das lässt sich alles überhaupt nicht wissenschaftlich belegen oder aus den
Quellen erschließen. Der behandelnde Arzt in Bonn, Dr. Franz Richarz, hat zu
Schumanns Lebzeiten überhaupt keine Diagnose gestellt. Zwei Monate nach
Schumanns Tod aber hat er, unter Missachtung seiner Schweigepflicht, in einem
Brief an Wasielewski, Schumanns ersten Biografen, mitgeteilt, er habe bei einer
Untersuchung von Schumanns Gehirn festgestellt, dass Schumann eine Syphilis
hatte. Diese Quelle ist schlicht unglaubwürdig, auch wenn sie dazu beigetragen
hat, das Bild vom Geisteskranken Schumann zu zeichnen. Alle Pathologen werden
Ihnen aber sagen, dass Schumanns Hirnbefund eine solche Diagnose nicht tragen
kann.
Sie haben selbst die Anmerkungen zu den
medizinhistorischen Eintragungen in den sogenannten Krankenblättern aus Endenich
besorgt, die zum Schumann-Jahr 2006 vom Musikwissenschaftler Reinhard R. Appel
herausgegeben worden sind. Schon damals haben Sie darauf hingewiesen, dass sich
Wahn, Halluzinationen, Syphilis und Depressionen medizinisch nicht belegen
lassen.
Bei den Endenicher Aufzeichnungen der behandelnden Ärzte handelt es sich um ein
Krankenjournal, kein Krankenblatt. Denn die Elemente, die eine Krankenakte
ausmachen, wie beispielsweise eine Kranken- und Krankheitsgeschichte, fehlen.
Das Journal ist eine Art Tagebuch in Kurzform. Jeder Tag von Schumanns
Aufenthalt wird mit zwei, drei kurzen Zeilen abgehandelt.Wahn und
Halluzinationen oder die Diagnosen Syphilis und Melancholie lassen sich
jedenfalls nicht durch diese täglichen Eintragungen ableiten.
War die Beschäftigung mit dem
Krankenjournal der Auslöser für Ihr Buch?
Nein, ich beschäftige mich seit 20 Jahren mit dem Thema. Auslöser war ein
Besuch im "ehemaligen Zimmer" von Schumann in Bonn-Endenich. Da war
in einer Vitrine das Faksimile des letzten Briefes von Robert an seine Frau
Clara ausgestellt. Das soll der Brief eines psychisch Kranken sein, habe ich
mich gefragt. Denn aus meiner wissenschaftlichen und praktischen Arbeit als
Psychiater sowie aus einem meiner Hauptarbeitsgebiete der psychiatrischen
Wissenschaft, nämlich die Analyse von Texten und Schriften geisteskranker
Menschen, war mir das nicht schlüssig. Als ich dann erfuhr, dass das
Krankenjournal über Schumann aufgetaucht und für die Wissenschaft zugänglich
ist, habe ich diese Schriftstücke eingesehen. Ich konnte schließlich auch bei
der Transkription der mir bekannten deutschen Kurrentschrift und der
Entschlüsselung medizinischer Abkürzungen helfen.
Haben Sie das Journal nur in bezug auf die medizinhistorischen
Begrifflichkeiten transkribiert oder auch interpretiert?
Die eigentliche Transkription der Handschriften hat Dr. Hartmut Ross
gemacht.Ich habe mich immer wieder bei den Arbeiten mit dem Journal gefragt:
Worin besteht eigentlich die Geisteskrankheit? Aber ich habe nichts gefunden.
Und dann habe ich das Krankenjournal mit vielen anderen zeitgenössischen
Quellen verschränkt. Da ergibt sich ein ganz anderer Kontext, eben der des
Alkoholdelirs.
War Schumann Alkoholiker?
Ja, ganz eindeutig. Den Alkoholmissbrauch gab es schon früher, und er war bekannt.
Claras Vater war ja nicht zuletzt wegen Roberts Alkoholkonsum gegen diese Ehe.
Aber Clara hat sich gegen den Willen des Vaters durchgesetzt. Und Robert hatte
Clara vor der Ehe einen ,heiligen Eid' geschworen, nicht wieder zu trinken. Das
hat aber nicht funktioniert, und in der Ehe wurde sein Konsum von Alkohol bis
hin zum Missbrauch dann vertuscht.
Sie arbeiten sehr eng entlang der
Quellen, überprüfen diese und bezweifeln in Ihrem Buch auch die Glaubwürdigkeit
mancher Urheber, etwa die des Düsseldorfer Geigers Ruppert Becker...
...der beim legendären Selbstmordversuch Schumanns durch einen Sprung in den
Rhein gar nicht zugegen war, sondern auf einer Konzertreise und die Geschichte
nur vom Hörensagen kannte. Diesen Suizidversuch halte ich im Übrigen
tatsächlich für eine Legende. Es gibt viele Quellen darüber. Jede weiß
angeblich, wie es war, aber jede Quelle erzählt eine andere Version.
Gilt das auch mit Bezug auf Schumanns
Frau Clara? Sie müsste doch eigentlich die unbestechlichste Zeitzeugin und
Chronistin sein?
Das ist sie aber nicht. Sie selbst hat von einem Suizidversuch nichts bemerkt,
nur dass er eine Stunde im Regen fort war und durchnässt wiederkam. Clara
Schumann hat aber nach allen Seiten hin Nachrichten verbreitet und mit dazu
beigetragen, das Bild von ihrem angeblich unheilbar geisteskranken Mann zu
formen. Sie hat ihn ja auch erst zweieinhalb Jahre nach seiner Einlieferung in
Endenich, drei Tage vor seinem einsamen Tod, besucht. Übrigens auch nur auf
eindringliches Bitten von Johannes Brahms. Sie behauptete immer, dass ihr die
Ärzte den Besuch untersagt hätten. Eine solche Anweisung ist bislang aber nicht
bekannt. Darüber hinaus deutet Schumann in manchen Briefen immer wieder seinen
Wunsch an, dass sie ihn doch besuchen möge.
Haben Sie eine Erklärung für Claras
Verhalten?
Mit ziemlicher Sicherheit liegt es in dem Gegensatz zwischen Claras Anspruch
als anerkannte und gefeierte Konzertpianistin und Roberts Anspruch, sie solle
,Frau sein’ und nur noch für ihn spielen, begründet. Dieser Interessenkonflikt
bestand schon vor der Ehe und die Erwartung, durch die Ehe die Diskrepanz
zwischen Erwartungen und Können aufzulösen, erfüllte sich nicht.
Muss die werkimmanente Interpretation
Schumanns, also die zusammenhängende Betrachtung von Leben und Werk des
Künstlers, neu gefasst werden?
Auch wenn es vielfach heißt, dass das Leben und Werk eines Künstlers getrennt
beurteilt werden sollten: Zwischen dem Werk und der Person sowie dem Leben
eines Künstlers gibt es natürlich eine Beziehung. Im Falle Schumann ist es
ohnehin eine besonders starke. Zu erwähnen ist hierbei auch der Umstand, dass
Schumann als Komponist weitgehend Autodidakt war und seine Werke in der Regel
aus dem Kopf und nicht am Klavier komponierend aufgeschrieben hat.
Und wie verhält es sich mit der Sicht
allein auf das Werk?
Das ist für einen Psychiater eine zu weitgehende Frage…
Aber Sie sind ja auch ein versierter
Liebhaber von Musik und Kenner der Musikliteratur.
Wenn sich aus falschen Vorstellungen über das Leben eines Künstlers für die
Interpreten von deren Werken bestimmte Ansätze und Herangehensweisen ergeben,
muss dies sicherlich korrigiert werden. Mir ist beispielsweise ein sehr
renommierter Pianist bekannt, der mir sagte, dass er Schumann stets mit dem
Gedanken an dessen angebliche Geisteskrankheit interpretiert habe. Ich habe mit
ihm über meine Schlussfolgerungen gesprochen. Das hat ihn sehr überrascht, und
wir werden im Schumann-Jahr daher auch das ein oder andere Stück von ihm neu
fassen. Ich persönlich halte Schumanns Werk nicht für formlos, wie immer wieder
behauptet wird. Es ist vielleicht auch eine gute Gelegenheit, im Schumann-Jahr
die Strukturen seiner Werke neu zu entdecken und transparent zu machen.
Was ist Ihr Lieblingsstück von Schumann?
Seine Musik, die er für das dramatische Gedicht "Manfred" von Lord
Byron geschrieben hat.
Ist aus Ihrer Sicht als Psychiater das
Thema Robert Schumann abgearbeitet?
Nein, bestimmt nicht. Ich arbeite ja selbst bereits an einem zweiten Buch.
Darin geht es mir in erster Linie um Schumanns Zeit in Endenich, die
Anmerkungen aus dem Krankenjournal sowie die Rolle seiner Frau in diesen
zweieinhalb Jahren. Clara Schumann hatte in dieser Zeit ja jeden Besuch zu
ihrem Mann verboten, außer Johannes Brahms und dem Geiger Joseph Joachim.
Später noch Bettine von Arnim, aber das ging eigentlich aus Sicht Claras
schief, denn die Dichterin hat ja nach ihrem Besuch erzählt, dass sie gar
keinen Geisteskranken besucht habe. Clara hat, im unseligen Zusammenwirken mit
dem fragwürdigen Verhalten der Ärzte, alles unterlassen, um etwas zu wissen,
was sie hätte wissen können. Ihr Mann wurde wohl, wie das in der Psychiatrie
immer wieder vorgekommen ist und übrigens auch heute noch passiert, gegen
seinen Willen als Gesunder in einer Irrenanstalt eingesperrt.
Herr Professor Peters, wir danken Ihnen
für das Gespräch.
Das Gespräch führten Graf und Gräfin Constantin und Ulrike von Hoensbroech
Zur Person:
Professor Dr. Dr. Uwe Henrik Peters, Jahrgang 1930, ist Professor für
Neurologie und Psychiatrie-Psychotherapie an der Universität zu Köln. Bis zu
seiner Emeritierung leitete er dort 17 Jahre lang als Direktor die
Universitätsklinik für Neurologie und Psychiatrie-Psychotherapie. Nach seiner
Habilitation in den Fächern Neurologie und Psychiatrie wurde Peters im Jahre
1969 als damals jüngster Professor seines Fachs auf den Lehrstuhl für
Neuropsychiatrie an der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz berufen. Peters
ist Autor von mehr als 400 Büchern und Einzelpublikationen. Lebhafte Reaktionen
löste er in Wissenschaft, Forschung sowie beim interessierten Publikum auch mit
seinen Veröffentlichungen über Friedrich Hölderlin, Anna Freud sowie Studien
über die "Nazipsychiatrie", das "Überlebendensyndrom" nach
dem Holocaust sowie die "Psychiatrie der Verfolgten" aus.
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