Erschienen in Ausgabe: No. 12 (2/1996) | Letzte Änderung: 24.01.09 |
F.W.J. Schelling, Über das Wesen der menschlichen Freiheit, hrsg. v. O. Höffe und A. Pieper, Berlin 1995
von Christian Danz
"1809 erschien Schellings Abhandlung über die Freiheit. Sie ist Schellings
größte Leistung, und sie ist zugleich eines der tiefsten Werke der
deutschen und damit der abendländischen Philosophie." Mit dieser
Würdigung von Schellings Freiheitsschrift als einem der Höhepunkte
der abendländischen Philosophiegeschichte eröffnet Martin Heidegger
seine 1936 gehaltene Vorlesung "Schellings Abhandlung über das Wesen der
menschlichen Freiheit". Fast 60 Jahre später liegt nun mit dem von Otfried
Höffe und Annemarie Pieper herausgegebenen Band ein weiterer Kommentar zu
dieser bedeutenden und schwierigen Schrift Schellings vor. Wer ihn zur Hand
nimmt, wird nicht nur eine gründliche Einführung in den Duktus des
Gedankenganges dieser Schrift bekommen, sondern zugleich einen Einblick in die
verschiedensten, differenten Standpunkte der Schellingforschung.
Der Kommentar folgt dem Text von Schellings Abhandlung, jeweils ein Autor
bespricht einen Abschnitt der Schrift. Die Komplexität und Dichte des
Textes wird bei einem flüchtigen Blick in den Band schon durch die
unterschiedlichen Interpretationsperspektiven, die er zuläßt,
deutlich. Neben transzendentalphilosophischen Deutungsansätzen werden
ontologische Interpretationen dieser Schrift in Anschlag gebracht. Diese
Interpretationsdifferenzen führen dem Leser unmittelbar die Schwierigkeit
des Verständnisses dieser Schrift vor Augen.
Einführend wird Schellings Gedankengang in dem Beitrag von Otfried
Höffe "Ein Thema wiedergewinnen: Kant über das Böse" durch eine
Kontrastierung mit Kants Lehre vom Bösen profiliert. Kants Schrift "Die
Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft" bildet unbestritten
einen der Referenzpunkte von Schellings Schrift über das Wesen der
menschlichen Freiheit. Der für diese Schrift Kants zentrale Begriff des
Bösen wird von Höffe als ein unverzichtbarer Begriff der
philosophischen Ethik herausgestellt. Schellings Aufnahme dieser Thematik in
der Freiheitsschrift von 1809 kommt in dieser Perspektive als eine
Weiterführung Kants in den Blick, jedoch so, daß der Kantische
erkenntniskritische Ansatz überschritten wird. Die kritische Frage an
Schelling und an die Interpretationen der Schrift muß dann lauten, "kann
Schelling die von ihm praktizierte Erweiterung der Vernunftgrenzen angemessen
begründen?" (34).
Hans Michael Baumgartner erläutert den Einleitungsteil der
Freiheitsabhandlung Schellings. Schon die Zeitgenossen Schellings, so
Baumgartner, haben die Freiheitsschrift unterschiedlich bewertet. Die einen
empfanden sie als Einschnitt in Schellings philosophischer Entwicklung, die
anderen als erste profilierte Reaktion auf Hegels Phänomenologie des
Geistes. Dieses Problem der Einordnung der Freiheitsschrift taucht sofort auf,
wenn man sich vergegenwärtigt, daß diese Schrift nach Schellings
eigenem Bekunden die erste Darstellung des ideellen Teils der Philosophie
darstellen soll und somit rückgebunden wird an die "Darstellung meines
Systems" von 1801. Auf den ersten Blick liegen zwischen diesen beiden Schriften
Schellings Welten. Zugespitzt wird diese Problemlage auch dadurch, daß
die Intentionen der Schrift den in ihr verwendeten Systembegriff scheinbar
aufheben.
Nach Baumgartner stellt Heideggers Interpretation der Freiheitsschrift von 1936
immer noch die "beste Darstellung und gründlichste Interpretation des
Werkes insgesamt" (50) dar. Freilich sind nach Baumgartner Fragen an die
Interpretation Heideggers zu richten, etwa, ob seine Einschätzung, die
Freiheitsschrift stelle das Paradigma der Metaphysik des deutschen Idealismus
dar, haltbar ist.
Odo Marquard überschreibt seinen Interpretationsabschnitt "Grund und
Existenz in Gott", um ausgehend von dieser Unterscheidung Schellings ein
"Ultrakurzreferat" nicht nur der betreffenden Textabschnitte, sondern auch des
Theodizeeproblems zu geben. Nach Marquard lassen sich drei
Antwortmöglichkeiten auf das Theodizeeproblem ausmachen. Wird das
Theodizeeproblem vom Gedanken der Allmacht Gottes aus angegangen, d.h. von der
Aporie, wie ein allmächtiger und guter Gott im Verhältnis zu den
Übeln, dem Bösen und den Leiden in der Welt zu denken sei, so besteht
eine erste Antwortmöglichkeit darin, daß die Allmachtsgrenze vor
Gott liegt. Dieser Lösungsansatz wurde nach Marquard in der Antike
favorisiert, jedoch mit der Tendenz, die Übel, das Leiden und das
Böse zu veruneigentlichen. Demgegenüber beharrt der christliche
Lösungsansatz darauf, daß die Allmachtsgrenze neben Gott zu
lokalisieren sei. Auf Grund des Sündengedankens als Ursprung des
Bösen, der Leiden und des Übels wird das Theodizeeproblem so
gelöst, daß der Mensch verantwortlich sei. Die christliche Tradition
beerbt die Antike durch eine Transformation der Problemlage in die Sphäre
der Moralität. Mit dieser Transformation geht der Gedanke einher,
daß die menschliche Freiheit zu einem Gegengott avanciert. Der
neuzeitliche Theodizeeansatz sieht die Allmachtsgrenze in Gott. Das Alibi
Gottes angesichts der Übel in der Welt ist jetzt in einer Differenz in
Gott selbst zu sehen.
Marquard würdigt auf diesem Hintergrund Schellings Theodizee als den
konsequentesten neuzeitlichen Versuch einer Theodizee. Durch die Unterscheidung
eines Grundes der Existenz und einer Existenz in Gott vermag Schelling die
Möglichkeit des Bösen mit dem Gottesgedanken so in Zusammenhang zu
bringen, daß Gott selbst nicht für das Böse verantwortlich ist.
Die Unterscheidung von "Grund von Existenz" und "Existenz" stellt auch
Jörg Jantzen in seinem Interpretationsabschnitt "Die Möglichkeit des
Guten und des Bösen" in den Vordergrund. Diese fundamentale Unterscheidung
ist in der Tat für das Verständnis von Schellings Freiheitsschrift
ausschlaggebend, da an ihrem Verständnis das Verständnis der gesamten
Schrift hängt. Jantzen plädiert mit guten Gründen für eine
transzendentalphilosophische Lesart dieser Differenzierung. Das Wesen, sofern
es "Grund von Existenz" und "Existenz" sei, ist, so Jantzen, als
gleichgültiges Verhältnis von "Grund von Existenz" und "Existenz" zu
verstehen. Die Termini "Grund von Existenz" und "Existenz" beziehen sich nicht
auf ein zugrundeliegendes Etwas, eine Substanz, sondern machen die logischen
Bedingungen der Konstitution eines solchen Etwas namhaft. Schelling geht mit
dieser Unterscheidung das systematische Problem der absoluten Synthesis an,
welche zwar konzipiert, aber nicht in einem Satz ausgesagt werden kann. Hierin
zeigt sich, so Jantzen, Schelling dem Fichteschen Gedanken verpflichtet,
daß Wissen und Wissensgrund im Selbstbewußtsein sowohl zusammen als
auch auseinanderfallen.
In Schellings Grundunterscheidung ist also keine nebulöse Metaphysik zu
sehen, sondern der konsequente Versuch, einen ungegenständlichen Anfang zu
denken, der das Denken selbst ist und sich somit der abstrakten Alternative von
Dualismus und Monismus entzieht.
Annemarie Pieper erläutert in ihrem Interpretationsabschnitt "Zum Problem
der Herkunft des Bösen I: Die Wurzel des Bösen im Selbst" Schellings
Gedankengang mit Kierkegaards Figur des Selbst als einem Verhältnis, das
sich zu sich selbst verhält aus dessen Schrift "Krankheit zum Tode". Nach
Pieper rekonstruieren beide Denker die Bedingung der Möglichkeit des
Bösen durch einen Rückgang auf eine ursprüngliche
Verhältniseinheit. Diese Verhältniseinheit stellt nun keine
Gegebenheit dar, sondern eine Identität, die durch die Tätigkeit des
Sich-Verhaltens hergestellt werden muß. Schelling faßt diese
Verhältniseinheit mit den Formeln Grund von Existenz und Existenz, bzw.
Eigenwille und Universalwille. Diese Verhältniseinheit, als welche das
Selbst des Menschen begriffen wird, kann so vollzogen werden, daß der
Eigenwille gegenüber dem Universalwillen absolut gesetzt wird. Die
Möglichkeit und die Wirklichkeit dieser Umbesetzung der
Verhältniseinheit zeichnen verantwortlich für die Wirklichkeit des
Bösen. Damit ist die Möglichkeit gegeben, das Böse nicht als
Privatio oder als Mangel zu fassen, sondern als Position, die auf einer
Verkehrung der Prinzipien beruht. Ähnlich wie Kierkegaard bezeichnet
Schelling diese Verkehrung der Verhältniseinheit als Krankheit. Das
Positive im Bösen wie im Guten ist somit die gemeinsame Freiheitswurzel.
Dieses Positive ist jedoch noch jenseits der Differenz von Gut und Böse,
so daß dieser hiermit intendierte Freiheitsakt als in sich gegensatzlose
Setzung begriffen werden muß, durch welchen die Möglichkeit des
Guten und Bösen allererst eröffnet wird.
So sehr diese Figur die Verantwortung des Bösen auf Seiten des Menschen
festmacht, so wenig ist damit Gott im Sinne der Theodizee bereits entlastet.
Diesen Aspekt verfolgt Wilhelm Vossenkuhl in seinem Interpretationsabschnitt
"Zum Problem der Herkunft des Bösen II: Der Ursprung des Bösen in
Gott". Vossenkuhl geht in seiner Untersuchung der Differenz von Kants und
Schellings Begriffen des Bösen nach. Für beide ist zwar der Mensch
die Ursache des Bösen, jedoch ist für Kant die menschliche Freiheit
die Bedingung der Möglichkeit und der Wirklichkeit des Bösen,
während für Schelling die menschliche Freiheit für die
Wirklichkeit des Bösen verantwortlich ist. Damit stellt sich erneut das
Theodizeeproblem, da Freiheit zwar das Böse verursacht, es jedoch nicht
erklärt. In seiner spekulativen Theodizee hat Schelling somit das Problem
zu bewältigen, wie Gott als Möglichkeit des Bösen zu denken sei,
ohne ihm die Schuld am Bösen zuzuschreiben.
Nach Vossenkuhl kann das Böse als moralisches und als metaphysisches
Problem angegangen werden. Die metaphysische Auffassung des Bösen sieht im
Menschen zwar den Urheber des Bösen, aber das Böse wird darüber
hinaus in einem transhumanen, kosmologischen Rahmen erläutert, so
daß der Mensch zugleich Täter und Opfer des Bösen ist. Der
moralischen Auffassung des Bösen zufolge ist der Mensch allein der
Ursprung des Bösen, womit diese Auffassung nicht mit der Hypothek belastet
ist, transhumane Gründe anzuführen. Schelling folgt nun, so
Vossenkuhl, der metaphysischen Auffassung des Bösen und verstrickt sich in
die unlösbaren Aporien, die mit diesem Ansatz verbunden sind. Deutlich
werde dies daran, daß der Preis für eine Auffassung des Bösen
als Position darin besteht, daß er mit einer Resubstantialisierung des
Bösen bezahlt werden muß. Damit wird jedoch tendentiell Gott selbst
die Ursache des Bösen, womit sich eine Theodizee allerdings
erübrigt.
Wilhelm G. Jacobs geht in seinem Interpretationsabschnitt "Die Entscheidung zum
Bösen oder Guten im einzelnen Menschen" der Auseinandersetzung Schellings
mit Kants und Fichtes Freiheitsbegriffen nach und diskutiert auf diesem
Hintergrund Schellings Freiheitsbegriff als Freiheit zum Guten und Bösen.
Zwar würdigt Schelling Kants Freiheitsbegriff, da, so Schelling, erst der
Idealismus einen adäquaten Freiheitsbegriff aufgestellt habe, jedoch
bleibe dieser im Gefolge Kants aufgestellte Freiheitsbegriff allgemein und
formell. Insofern diese Freiheitsbegriffe jedoch nach Maßgabe der
Selbstbestimmung konzipiert sind, geraten sie in das Dilemma, daß die
Selbstbestimmung die für diesen Vollzug beanspruchte Autonomie immer schon
voraussetzen muß. Der hier aufbrechende Zirkel wird von Schelling dadurch
gelöst, daß Selbstbestimmung für ihn kein erster Begriff ist.
Jacobs vertieft diese Fassung des Freiheitsbegriffes durch eine Untersuchung
der Auseinandersetzung Schellings mit Fichtes Schrift "Das System der
Sittenlehre nach den Prinzipien der Wissenschaftslehre" von 1798. Fichte kennt
im Unterschied zu Schelling und Kant keine transzendentale Tat des Bösen.
Freilich spricht Fichte in der Sittenlehre auch nicht vom Bösen, sondern
vom Übel, d.h. streng genommen vom Malum physicum und nicht vom Malum
morale. Das Übel besteht für Fichte in der "Trägheit zur
Reflexion und dem entsprechenden Handeln" (139). Der Nichtgebrauch der Freiheit
stellt damit in der Perspektive Fichtes das Übel dar. Demgegenüber
insistiert Schelling mit Kant auf einer transzendentalen Tat, so daß "die
menschlichen Handlungen als zeitliche Entfaltung einer jenseits der Zeit zu
denkenden Tat anzusehen" (147) sind. Gegenüber Kant macht jedoch Schelling
das Problem des Systems geltend, so daß er in der Freiheitsschrift auch
nicht Kant folgen kann. Der von Schelling in der Freiheitsschrift profilierte
reale Begriff der Freiheit zieht als systematische Konsequenz somit einen
Systembegriff nach sich, der weder formell, noch deduktiv verstanden werden
kann, sondern am Leben orientiert ist. Verbunden ist damit eine Umstellung des
Begriffsinventars auf Metaphern.
Den Freiheitsbegriff Schellings stellt auch Dieter Sturma in seiner
Erläuterung in den Mittelpunkt. Schon der Titel seiner Untersuchung
"Präreflexive Freiheit und menschliche Selbstbestimmung" zeigt die
Leitbegriffe seiner systematischen Rekonstruktion an. Sind die traditionell
philosophischen Freiheitsbegriffe dadurch charakterisiert, daß sie die
Antinomie von Spontaneität und Notwendigkeit einseitig auflösen, so
ist Schellings Neueinsatz seiner Freiheitskonzeption darin zu sehen, daß
er an dem Gegensatz festhält und ihn nicht zum Verschwinden bringt. Der
von Schelling in der Freiheitsschrift konzipierte Freiheitsbegriff
überbietet in seiner Radikalität alle bisherigen Konzeptionen
dadurch, "weil er den Menschen in seinem Vermögen zum Guten und zum
Bösen letztlich auch als von Gott unabhängig bestimmt" (156).
Schellings philosophische Untersuchung übersteigt damit die Grenze der
praktischen Philosophie auf eine Ontologie der Person hin. Subjektivität
ist für Schelling nicht mehr das Telos, sondern das Problematische. "Die
differenzsetzende Selbstheit kann niemals in sich zur Ruhe kommen, weil
sie sich selbst nicht bewußt außer Kraft setzen kann." (159)
Konsequent unter diesen Prämissen ist es, wenn Sturma im Irrealis davon
spricht, daß die Selbstheit allenfalls in der Selbstdistanzierung
existentielle Sicherheit finden kann. Wie dies jedoch denkbar ist, bleibt
problematisch und muß es wohl auch bleiben.
Die Konzeption einer präreflexiven Freiheit stellt nun, so Sturma,
Schellings Umgang mit dem Problem einer philosophischen Theorie der
Selbstbestimmung dar. Verstrickt sich eine Theorie der Selbstbestimmung
unvermeidlich in einen Zirkel, da sie das bereits voraussetzen muß, was
erst erwiesen werden soll, so bricht Schelling diesen Zirkel dadurch auf,
daß er einerseits den Prozeß der Selbstbestimmung zeittheoretisch
ausdifferenziert und andererseits Präreflexivitätsbestimmungen
entwickelt. Selbstbestimmung wird von Schelling auf diesem Hintergrund als
innere Notwendigkeit des Sich-Bestimmens begriffen, wobei die wesentliche
Festlegung endlich humaner Subjektivität in einem Bereich "jenseits
bewußter Handlungsvollzüge" (165), d.h in der Selbstkonstitution der
Selbstheit erfolgt.
Hermann Krings wendet sich in seinem Interpretationsbeitrag "Von der Freiheit
Gottes" dem Gottesbegriff von Schellings Freiheitsschrift zu. Während
Sturma eine stärker ontologische Lesart Schellings favorisierte,
insistiert Krings, wie auch Jantzen und Jacobs, auf ein
transzendentalphilosophisches Verständnis von Schellings Freiheitsschrift.
Krings benennt in seinem Beitrag drei Voraussetzungen des Redens von Gott. Die
Rede von Gott hat Gott nicht als Gegenstand oder als Objekt, sie ist nur
denkbar, wenn der Redende in Gott ist und nicht außer Gott, und wir haben
von der Freiheit Gottes keine Intuition oder ein Gefühl. Im Gedanken der
Freiheit Gottes wird die Freiheit des Menschen durch Schelling begründet,
während der Erkenntnisgang von der Freiheit des Menschen zur Freiheit
Gottes fortgeht. Damit ist klar, daß der Weg, den Schellings Untersuchung
einschlägt, als transzendentalphilosophisch zu bestimmen ist, bzw. als
transzendentalphilosophische Prinzipienlehre zu lesen sei. Schelling fragt nach
den Bedingungen der menschlichen Freiheit oder genauer nach den Bedingungen der
Möglichkeit der Differenz von Eigenwillen und Universalwillen als der
Möglichkeit des Bösen. Schellings duale Fassung der Prinzipienlehre
("Grund von Existenz" und "Existenz") weist einen absoluten Monismus zugunsten
eines relativen Monismus zurück. Diese duale Prinzipienstruktur wird von
Schelling auf Gott, die Freiheit Gottes und auf die Freiheit des Menschen
appliziert. Für den Gottesgedanken hat dies zur Folge, daß er nicht
als Absolutes gedacht wird, aus dem alles mit Notwenigkeit folgt, sondern als
Freiheit, sich zu offenbaren. In diesem transzendentalphilosophischen Sinne
erläutert Krings die wichtigsten Begriffe der Schellingschen Schrift, wie
Grund, Wollen, Schöpfung etc.
Dem für Schellings Freiheitsschrift signifikanten Begriff der
Persönlichkeit Gottes geht Francesco Moiso in seinem Beitrag "Gott als
Person" nach. Der Personbegriff, den Schelling aufstellt, ist dadurch
charakterisiert, daß er ein lebendiges Band von Geist und Natur namhaft
macht. Mit dieser Konzeption ist, so Moiso, eine Kritik an Freiheitsbegriffen
verbunden, die Freiheit ohne Natur und Natur geistlos konzipieren. Gegen diese
Konzeptionen kommt es darauf an, das Band von Geist und Natur, von
Identität und Differenz zu durchdringen. "Der Schlüssel, um das Wesen
der Differenz zu verstehen, liegt aber in der Struktur des Grundes, der Basis."
(192) Der von Schelling zum Zuge gebrachte Begriff Basis kann Moiso zufolge nur
in seinem damaligen naturphilosophischen Kontext angemessen gewürdigt
werden. Schelling rezipiert den Begriff Basis, bzw. Base als Grund einer
Auflösung, jedoch so, daß "der Mechanismus der Aktivierung bzw.
Inaktivierung [...] als ein Streben nach außen zur tätigen Differenz
bzw. als ein Nach-innen-zurück-Kehren zur Indifferenz und `Selbstheit' mit
einem Widerstand gegen jede fremde Einwirkung erfolgt" (195). Mit der so
rezipierten Basenlehre versucht nun Schelling die Erzeugungsprozesse zu
entschlüsseln, die Jacob Böhme in "De signatura rerum" beschrieben
hatte. Dabei übernimmt Schelling die Metaphorik Böhmes zur
Beschreibung des Anfangs jeder Tätigkeit. Nicht einer Abhängigkeit
von Jacob Böhme ist es demzufolge zuzuschreiben, daß Schelling in
der Freiheitsschrift von der Persönlichkeit Gottes spricht, sondern dem
leitenden Interesse an einer Ontologie der Freiheit. Der Persongedanke bringt
die strukturelle Verfassung zum Ausdruck, daß Freiheit nicht ohne Natur
adäquat zu verstehen ist.
Unter dem Titel "Das Ende der Offenbarung" geht Walter E. Ehrhardt der Frage
Schellings nach "endet das Böse, und wie?" (221). Dabei eröffnet
Ehrhardt durch den Text der Freiheitsschrift hindurch einen Blick auf die
zeitgenössischen Kontroversen, auf die Schelling implizit und explizit
Bezug nimmt. Für das Verständnis der von Schelling eingesetzten
Begrifflichkeit ist dieser Hintergrund zweifellos von wichtiger Bedeutung. Die
Abnutzung des Freiheitsbegriffes zu Beginn des 19. Jahrhunderts, wo das Reich
der Freiheit, so Windischmann, "jeder Schuft prophezeihet" (222)
läßt erkennen, warum Schelling in der Freiheitsschrift den
Freiheitsbegriff durch den Begriff Leben ersetzte. Die Eingangsfrage, endet das
Böse, und wie, wird von Ehrhardt konsequent auf den Freiheitsbegriff
bezogen und die Begrifflichkeit Schellings von diesem aus interpretiert. In
Schellings Freiheitsschrift steht für das Ende des Bösen der Begriff
der Liebe. Liebe wird von Schelling als Selbstheit verstanden, welche von sich
weg kann, welche also in ihrem Selbstvollzug den Anderen als Anderen anerkennt
und sich insofern durch "vollkommene Sittlichkeit" (225) realisiert.
Erfüllt sich in der Liebe die Endabsicht der Schöpfung als Reich der
Freiheit, so ist diese Freiheit nach Kants Einsicht in den antinomischen
Charakter der Freiheit nicht als seiende Freiheit zu begreifen, sondern nur als
Sein-Sollende. Diese Fassung des Liebesbegriffes durch den Freiheitsbegriff
steht in Opposition zu Fichtes Verständnis der Liebe in der Anweisung zum
seligen Leben von 1806. Opfert Fichtes Liebesbegriff in der Sicht Schellings
die Differenzen, so gilt es im Gegenzug zu Fichte, die Differenzen gegen eine
Einheitsideologie stark zu machen.
Dem in Heideggers Kommentar zur Freiheitsschrift zu kurz kommendem
Schlußabschnitt widmet sich der Beitrag von Ryôsuke Ohashi "Der
Ungrund und das System". Nach Meinung Ohashis geschah diese
Vernachlässigung des Schlußabschnittes der Freiheitsschrift durch
Heidegger zu Unrecht, da hier erst der Gedankengang Schellings seine Spitze
erreicht. Der zentrale Begriff dieses Abschnittes und in der Interpretation
Ohashis ist der des Ungrundes. Ohashi diskutiert den Begriff des Ungrundes nun
nicht vom Freiheitsbegriff her, sondern versucht, ihn im Zusammenhang einer
religiösen Erfahrung zu lokalisieren. Neben dieser religiösen
Erfahrung liegt dem Begriff die Unmittelbarkeit eine Realitäts- und
Lebenserfahrung zu Grunde. Gemäß dieser Unmittelbarkeitsdirektive
muß der Ungrund als das verstanden werden, was allen Gegensätzen
vorausliegt und "darf dennoch kein letztes Wesen im Sinne des gemeinsamen
Mittelpunktes der Gegensätze sein" (249). Diesen so gewendeten Begriff des
Ungrundes versucht Ohashi durch Schellings Anspielung auf den Korinther-Brief
(1. Kor. 15, 25f.) als konkrete und radikale Erfahrung der Sterblichkeit zu
erläutern.
Mit Ohashis Beitrag endet der Kommentar zu Schellings Freiheitsschrift, der dem
Leser nicht nur Einblick in die Kontroversen gibt, auf welche Schelling mit
seiner Schrift reagiert, sondern auch die systematischen Implikationen des
Textes und deren Aktualität offenlegt. Ein weiterführendes
Literaturverzeichnis sowie ein Personen- und Sachwortregister geben die
Möglichkeit zu vertiefender Lektüre und zur leichten
Erschließung von zentralen Begriffen der Schrift.
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