Erschienen in Ausgabe: No 53 (7/2010) | Letzte Änderung: 29.06.10 |
von Heike Geilen
Steht
man vor seinem imposanten David, seiner bedrückend schönen Pietà oder dem
ausdrucksstarken Moses so wird man augenblicklich in den Bann gezogen. Nie hat
man Marmor mit solch technischer Vollendung, geschweige den Ausdruckskraft
bearbeitet gesehen. Von der erhabenen Ergriffenheit, der Kühnheit der
Erfindung, der Expressivität der Gesichter und Gesten und der Emotionen, die
die Deckenfresken und „Das Jüngste Gericht“ in der Sixtinischen Kapelle
ausdrücken und vermitteln, ganz zu schweigen. Die Faszination, die von
Michelangelos Kunstwerken ausgeht, ist schon fast mystisch zu nennen, obwohl
ihnen jegliche sakrale Verklärung abgeht. Seine „Götter“ eignen sich nicht wirklich
zum religiösen Anbeten. Die Aura, die sie umgibt, ist anderer Natur, entspringt
einem Formenduktus, dessen Teile sich zueinander verhalten wie Reime bei einem
Gedicht.
Schon
zu Lebzeiten buhlten die Mächtigen um die Gunst des Ausnahme-Künstlers. Doch
dieser lies Päpste, Könige, Fürsten und republikanische Eliten sich niemals
sicher fühlen. „ER bestimmte, wem er die
Gunst seiner Werke zukommen ließ, ER legte Fristen und Preise fest - und ER gab
ihnen seinen eigenen Sinn.“ Seine Auftraggeber durften sich niemals sicher
fühlen, „dass seine Botschaft der von
ihnen beabsichtigten Aussage des Werks entsprach“ oder ob ihre teuer
bezahlten Auftragskunstwerke ihren Ruhm oder gar ihre Erbärmlichkeit
verkündeten.
Es
entstand der Mythos von Michelangelo, il terribile, der anderen Schrecken
einjagt, sie einschüchtert durch seine Wildheit, aber auch durch Großartigkeit:
Schroffheit, gepaart mit Unnahbarkeit, Misstrauen und dem Bestehen auf
pünktlicher Bezahlung; Schöpferkraft versus Ungeduld, Zorn und Melancholie. Eigenschaften,
für die das Genie bereits Anfang des 16. Jahrhunderts berühmt beziehungsweise
berüchtigt war. Das „Schreckliche war ein
Teil des Göttlichen. Die Erhabenheit des Herrn flößte seinen Kreaturen Angst
ein.“
Erneut
hat sich ein Autor an dem gewaltigen Sujet des Lebens Michelangelo di Lodovico
Buonarroti Simoni und des Unauflöslichen, Rätselhaften und Geheimnisvollen
seiner Werke versucht. Doch Volker Reinhardt, Professor für Geschichte der
Neuzeit an der Universität Fribourg, stimmt nicht in den Kanon der
Mythenbildung ein. Er betrachtet den Bildhauer, Maler und Architekten von einer
Seite, die dieser ebenfalls virtuos beherrschte - der Sprache. Durch fast alle
seine Briefe zieht sich, „mehr oder
weniger untergründig, das Leitmotiv der Ironie; die spiegelt die vorherrschende
Seelenlage des Verfassers zwischen Aggression, Sarkasmus und Angst wieder.“
Für Reinhardt ist, unter dem Aspekt der Kommunikation und damit der
Inszenierung betrachtet, Michelangelos Korrespondenz ein Gesamt-Kunstwerk, an
dem er die anderen unter seiner Regie mitwirken lies. Und als solches deutet er
dessen biblisch langes Ausnahmeleben voller Gegensätze in seiner ganzen
Vielschichtigkeit.
Einzigartig
an der von der ersten Seite an faszinierenden Biografie ist auch ein ganz neuer
Weg, den der Autor geht: die Ehre seiner Familie, einer der ältesten
Feudalgeschlechter in Norditalien, deren Vornehmheit jedoch schon einige Zeit
zurücklag. „Bei aller Individualität
verstanden sich die Menschen der Frühen Neuzeit in einem heute kaum noch
nachvollziehbaren Maße als Teil eines Ganzen: der Familie als Gemeinschaft der
Toten, Lebenden und Kommenden. Aus dem Ansehen, das diese
Abstammungsgemeinschaft genoss, zogen sie ihr Selbstbewusstsein, ja ihre
Identität.“ Auch der Ausnahmepersönlichkeit galt der Vorrang der Familie, „und zwar umso mehr, als ihm die Ehre, die
er durch seine Abkunft einforderte, anfangs nicht zuteil wurde.“
Reinhardt
gelingt es durch seine Kombination aus eigener Interpretation, geschichtlichen
Abrissen und von Zeit zu Zeit eingeflochtenen Briefdokumenten sowie nicht
zuletzt durch die vielen farbigen und grafischen Zeitzeugnisse der Kunst
Michelangelos, diesen als Menschen zu sehen. Der Autor gibt dessen bereits zu
Lebzeiten als eine Art Markenzeichen eingeführten Beinamen „il divino“, der
Göttliche, eine ebenso unerwartete wie konkrete Bedeutung: „der Künstler als Richter, seine Werke als Vorwegnahme des Jüngsten
Tages.“
Fazit:
Gab
das Bestreben, die Familienehre einzulösen seinem Leben konkrete Ziele und
damit sozialen Sinn? Hielt sich der Künstler für vornehmer als seine
Auftraggeber? Glaubte er sich zudem berechtigt, ja verpflichtet, Urteile über
sie zu fällen, gerade wegen seiner eigenen asketischen Lebensweise, „die einer irregehenden Zeit die wahren
Werte vor Augen führen sollte“?
Volker
Reinhardt arbeitet in seiner komplexen Biografie, vor dem Hintergrund der
florentinischen und vatikanischen Renaissance zu Anfang des 16. Jahrhunderts,
die Haltung Michelangelos heraus, die viele seiner Werke prägt: Distanziertheit,
Kritik, nicht selten Selbstironie bis hin zu Hohn.
Ein
vielschichtiges, interessantes, intellektuelles und historisch überzeugendes
Werk.
Volker
Reinhardt
Der Göttliche
Das Leben des Michelangelo
Verlag
C.H. Beck, München (März 2010)
384
Seiten, Gebunden
ISBN-10:
340659784X
ISBN-13:
978-3406597848
Preis:
24,95 EURO
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