Erschienen in Ausgabe: No 53 (7/2010) | Letzte Änderung: 29.06.10 |
von Heike Geilen
Um
nur wenige Meisterwerke der Kunstgeschichte rankt sich so viel Unerklärliches
und Mysteriöses. Das Lächeln der Mona Lisa gilt als Inbegriff des
Weiblich-Rätselhaften, ihr Porträt als Symbol des Geheimnisvoll-Distanzierten.
Die einen behaupten, es stelle die namensgebende florentinische Kaufmannsgattin
Lisa Giocondo (im Italienischen heißt das Bild “La Gioconda“ im Französischen
„Joconda“) dar, andere sehen in ihr die aus Neapel stammende Edel-Kurtisane
Isabelle Gualandi. Auch eine Mätresse von Charles d’Amboise oder Isabella
d’Este, die Marquise von Mantua sowie die Mutter da Vincis werden in die
Waagschale geworfen. Allerjüngste Versuche, die Identität der Dame mit dem
Silberblick herauszufinden, gehen sogar soweit, den auf Chateau Clos Lucé
vermuteten Leichnam von Leonardo da Vinci zu exhumieren und durch eine
Gesichtsrekonstruktion herauszufinden, ob es sich bei der Mona Lisa tatsächlich
um ein Selbstporträt des Renaissance-Künstlers und Erfinders handelt.
Der
in Rom lebende Renaissanceforscher und Historiker Roberto Zapperi geht einen
ziemlich radikalen, einen anderen Weg, um das bekannteste Gemälde der Welt „zu
entschlüsseln“. Fernab sensationeller Enthüllungen, Indizienbeweise und geheimer
Botschaften untersucht er akribisch und bis ins kleinste Detail hinein die
verfügbaren historischen Quellen. Natürlich kommt auch er nicht umhin,
Vermutungen aufzustellen, „um die Lücken
in der spärlichen Überlieferung zu überbrücken“, aber er beschränkt sie auf
ein äußerstes Minimum. „Die festen
Grundlagen sind dabei aber immer die historischen Dokumente geblieben.“,
äußerst sich Zapperi im Schlusswort. „Mit
einem Wort: Ich habe mit den Werkzeugen des Historikers gearbeitet.“
Ausgehend
von der einzigen überlieferten Selbstaussage Leonardo da Vincis, dass der
Auftraggeber des Gemäldes Giuliano de‘Medici sei und es sich um eine „gewisse
Florentiner Dame“ handele, rekonstruiert Zapperi in seinem Buch gründlich und
in aller Ausführlichkeit die Umstände, unter denen das Bild entstand bzw.
entstanden sein könnte. Allein knapp 100 Seiten widmet er da Vincis Gönner -
Giuliano de‘Medici -, dem Bruder des Papstes Leo X. und jüngsten Sohn von
Lorenzo dem Prächtigen (Lorenzo il Magnifico). Denn genau dieser und seine
ständigen amourösen Verstrickungen sollen die Ursache der Auftragsvergabe an
den Meister gewesen sein.
Aus
einer dieser Liebschaften ging ein illegitimer Sohn - Ippolito - hervor, der
von dem Medici-Spross aufgezogen wurde, da seine Mutter kurz nach der Geburt
(1511) starb. Das Gemälde wäre demnach als Erinnerungsbild für den kleinen
Jungen gedacht, der seine Mutter real nie gekannt hatte und immer nach ihr
fragte. „Da er aber weder ein Bildnis
noch eine Totenmaske zur Hand hatte, ließ er Leonardo freie Hand, ihre
Physiognomie nach seiner summarischen und ungenauen mündlichen Beschreibung zu
rekonstruieren. Das Bildnis (...) war also ein imaginäres, eine Erfindung des
Künstlers. (...) Er wollte mit dem Lächeln die tröstende, aber auch
melancholisch verschattete Liebe der Mutter zu ihrem Kind darstellen und malte
das traurige Lächeln einer Frau, die weiß, daß keine Vereinigung mit ihrem Kind
mehr möglich ist.“
Krankheit
und Tod Giulianos hinderten ihn letztendlich daran, sich das Bildnis
aushändigen zu lassen, um es für seinen Sohn zu bewahren.
Fazit:
Welche
Frau könnte Giuliano de‘Medici - als ziemlich sicheren Auftraggeber der „Mona
Lisa“ - so wichtig gewesen sein, den berühmten Leonardo da Vinci zu
beauftragen, ein Porträt von ihr zu malen?Die schlüssigen Ausführungen Roberto Zapperis werden die Diskussionen um
die Identität der „Gioconda“ sicherlich erneut anheizen. Auf jeden Fall ist ihm
ein interessantes und informatives Buch gelungen, das zudem einen
tiefgreifenden Einblick in das Leben Giuliano de‘Medicis gibt. Komplettiert ist
es mit 16 farbigen Bildtafeln und 9 Abbildungen im Text.
„Abschied
von MONA LISA“ ist Dan Browns „Da Vinci Code“ in Form eines Sachbuches.
Roberto
Zapperi
Abschied von MONA LISA
Das berühmteste Gemälde der Welt wird
enträtselt
Aus dem Italienischen von Ingeborg Walter
C.H.
Beck Verlag, Berlin (März 2010)
160
Seiten, Gebunden
ISBN-10:
3406597815
ISBN-13:
978-3406597817
Preis:
19,95 EURO
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