Erschienen in Ausgabe: No 53 (7/2010) | Letzte Änderung: 30.06.10 |
von Alexander Kissler
Die Fußball-Weltmeisterschaft hat begonnen. Das heißt für die
Leser vermeintlicher Fachzeitschriften: Kritik hat Sendepause, Sportjournalismus
wird zum angewandten Fan-Sein. Jetzt werden, je nach
Verbreitungsgebiet, Helden gemacht, Stars gepriesen, Führer gebenedeit. Ein
besonders eindrückliches Beispiel solch proskynetischen Schrifttums gab nun das
Nürnberger Sportmagazin „kicker“. Auf dem Titel prangte Bundestrainer Joachim
Löw im körperengen weißen Lieblingshemd, die Ärmel hoch gekrempelt, die rechte
Faust zum Himmel erhoben. „Ein Mann geht seinen Weg“ stand
daneben. Das war leider erst der Anfang.
Wir erinnern uns: Mindestens dreimal wurde schon unter dieser
Überschrift das Hohelied auf den einsamen Wolf, das beinharte Alphatier
gesungen. Gary Cooper war 1961 im gleichnamigen Krimi ein zu Unrecht des
Raubmords verdächtigter Speditionskaufmann. Er musste einen gefährlichen Weg
gehen, um seine Unschuld zu beweisen. Sylvester Stallone gab 1978 einen
Gewerkschaftsführer zwischen Idealismus und Kriminalität, und 1994 pries Jörg
Haider sich im siebenminütigen PR-Video mit derselben Schlagzeile. Er ging
seinen Weg durch schneeverschneite Alpen, joggte und rannte und kraxelte, um am
Gipfelkreuz anzukommen, „Österreichs Zukunft“ zuliebe.
Cooper, Stallone, Haider, Löw: Innerhalb
dieser Ahnenreihe kann ein Porträt des Bundestrainers vermutlich wirklich nur,
wie im Innenteil von eben jener Ausgabe 46/2010 geschehen, „Ein Mann.
Ein Ziel. Ein Weg.“ heißen. Die drei Punkte und der Verzicht auf jedes
Verb tragen weiter zum Eindruck bei, hier werde eine pure Naturgewalt
abgehandelt – Jogi, das Monument. Autor Oliver Hartmann lobt den „perfekten“
Sitz der „dunkelgrauen Dreiviertel-Hose“ an Bundesjogis Waden und lässt
ansonsten keinen Zweifel an der epochalen Bedeutung der makellosen Ikone namens
Löw. Dieser „geht seinen Weg (…), aus Überzeugung“. Er ist „überzeugt, bislang
auf alle Fragen die richtigen Antworten gefunden zu haben“, sodass Löws
„unerschütterlicher Glaube“ die Kenntnis geradezu erzwingt: „Löw ist überzeugt
von sich und seinem Führungsstil“.
Überzeugungsmensch Löw, weiß Hartmann
aufgrund von neuronalen Techniken, die mir leider nicht zur Verfügung stehen,
„hat keine seiner Entscheidungen aus dem Bauch heraus getroffen.“ Nein, Löw ist
ein animal rationale durch und durch und vermutlich selbst
beim Hemdenkauf und in der Herrentoilette. Löw nämlich, verkündet der „kicker“
weiter, „folgt immer treu einer Gesamtkonzeption, die er schon vor zwei Jahren
mit seinen Vertrauten entworfen und seitdem in wöchentlichen Konferenzen
verfeinert hat.“
Löw, von Vertrauten und nicht von Mitarbeitern raunend
umgeben, habe schließlich eine „Mission“, eine „Mission, die er
herbeigesehnt hat“, und die nur mit „bedingungsloser Gefolgschaft“
verwirklicht werden könne. Der Führungsstil dieser jetzt „noch engagierter und
fokussierter“ wirkenden Lichtgestalt beruhe dabei auf einer schlichten
Erkenntnis. „Er spürt: Diese junge Mannschaft braucht Führung.“ Also führt
Führer Löw die kickende Elite ins Wunderland der WM-Endrunde. Er weiß, was er
tut, und er tut immer das Richtige – „ein Mann, ein Ziel, ein Weg.“
Der Autor dieser an schiefem Pathos und kleinlicher Verehrung
kaum zu überbietenden Salbaderei durfte übrigens für die unmittelbar folgende
Ausgabe 47/2010 das Objekt seiner Adoration leibhaftig
interviewen. Die Fragen störten erwartungsgemäß den königlichen Gedankenfluss
kaum: „Was ist drin für Ihr Team?“, „Wie ist es denn um den Spirit in Ihrer
Mannschaft bestellt?“, „Planen Sie mit Badstuber?“.
Natürlich richten sich Fußballfachzeitschriften an
Fußballfans und Fußballfreunde, und natürlich soll während einer
Weltmeisterschaft die Rivalität zwischen den Vereinsanhängern ruhen. Dann gibt
es nicht Schalker und nicht Bremer, dann gibt es nur Deutsche. Und natürlich
wäre es ökonomisch unklug, aggressiv die Spaßbremse zu geben, während ein
Großteil der Nation schlicht will, dass „unsere Jungs“ gewinnen. Das ist alles
legitim und nachvollziehbar und nicht tadelnswert – und dennoch bleibt es eine
Zumutung, ein Porträt anzukündigen und dann eine Seligsprechung zu Lebzeiten zu
liefern. Es bleibt ein peinliches Dokument identifikatorischer
Anverwandlung statt professioneller Einfühlung, wenn die Phrasen
derart scheppern, die Platitüden derart rieseln, dass kein Spalt bleibt für die
Besinnung und nur die eine Botschaft hängen bleibt: Dieser Mann ist fehlerfrei.
Schön, dass wir ihn haben, den famosen Joachim.
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