Erschienen in Ausgabe: No 54 (8/2010) | Letzte Änderung: 31.07.10 |
von Lutz Rathenow
Es darf gestaunt werden.
Manche Gauckianer wundern sich, welche Einheitsfront der Gauck-Liebhaber sie
medial auf ihrer Seite haben: "Yes wie Gauck" titelte
"Bild". Der seit Jahren kursierende Bundespräsidenten-Geheimtipp vom
Rande sollte kurz nach seinem Job als oberster Aktenhüter schon einmal in die
Kandidatenposition bei einer Bundespräsidentenwahl gehievt werden. Damals eher
aus den Kreisen der CDU und FDP. Angela Merkel war noch nicht im Amt und ein
ostdeutscher Bundespräsident wäre für die innere Einheit gut gewesen. Es gab
nur einen Stolperstein: die Stasi-Akten. Wann hat es ein Deutscher schon einmal
geschafft, dass eine Behörde auf seinen Namen umgangssprachlich verkürzt wird?
Auch das Verb "gaucken" oder "durchgaucken" (für eine
Überprüfung auf Stasi-Mitarbeit) hält sich hartnäckig.
Angst
vor der Spaltung des Landes
Doch folgt man den Leserbriefschreibern ostdeutscher Lokalzeitungen, so war
Gauck nicht nur in den engeren Kreisen ehemaliger Stasi-Mitarbeiter wegen
seiner Tätigkeit als Chef dieser Unterlagenbehörde fast verhasst. Politiker
hatten Angst, dass er das Land spalten würde. Andere mochten keinen an der
Spitze, der vielleicht einmal Akten über sie selbst gelesen hatte. Überhaupt
haben diese Unterlagen eine zu negative Aura, sagte mir jemand. Aber
Deutschland ist vergesslich. Die DDR-Aufarbeitung trat in den Hintergrund und
Gauck aus seiner Tätigkeit eines freischaffenden Redners und Buchautors hervor.
Heute ist die Unterlagenbehörde eine fast unhinterfragte Erfolgsgeschichte. Und
Gauck hat wirklich in diesem Amt - abseits von verkürzenden
Enthüllungsmeldungen – immer moderat und auf Ausgleich bedacht agiert. Eine der
täglichen Aufgaben dieser Behörde besteht heute noch darin, ehemaligen
Stasi-Mitarbeitern Arbeitsbescheinigungen auszustellen – für die
Rentenansprüche. Selbst ehemalige MfS-Mitarbeiter dürfte das versöhnlich
stimmen.
Symbol
für das Überwintern bürgerlicher Werte
Gauck steht nicht einfach für DDR-Herkunft, sondern für mehrere Minderheiten
in der DDR: zum Beispiel die religiös orientierte. Er steht für das Überwintern
bürgerlicher Werte und Maßstäbe einiger. Seine Autobiografie vermittelt wie Uwe
Tellkamps "Der Turm" erstaunliche Einblicke in nicht-sozialistische
Lebenswelten im Realsozialismus. Verfasst ist sie von seiner vorherigen und
korrigiert von der jetzigen Lebensgefährtin - allein das zeigt die Fähigkeiten
des begnadeten Kommunikators und Vermittlers, der nicht so gern schreibt. Dafür
kann er aus dem Stand druckreif und anrührend reden.
Integrationsfigur
der DDR-Opposition
Und er ist eine der letzten Integrationsfiguren der DDR-Opposition, die sich
heute zu oft als zerstritten oder enttäuscht präsentiert. Auch seine Kritiker,
die seine Aufklärungsarbeit in der Behörde zu lasch fanden, unterstützen ihn
weitgehend. Sie ahnen: Es gibt keinen anderen, der eine DDR-Opposition
gesamtdeutsch vertreten könnte – ohne sich auf diese reduzieren zu lassen. Er
repräsentiert vor allem jenen Osten, der den Westen und das demokratische
System will und der im Osten den Westen und im Westen die DDR-Erfahrungen
plausibel und Ideen spendend zu vermitteln mag.
Gesamtdeutscher
Gauck
Joachim Gauck ist nicht mehr Ost oder West, sondern ein Gesamtdeutscher. Er
kann dem Westen Osteuropa näher bringen und gleichzeitig an die Bewahrung der
Grundwerte der westlichen Demokratie eindrücklich erinnern. Sein Schlüsselthema
ist die Diktaturprävention und er ist vor allem kein Parteisoldat. Viele sind
der Ränke- und Machtspiele der Parteien einfach müde. Und plötzlich würden 49
Prozent im Osten laut Umfrage Gauck wählen – und die 38 Prozent für Wulff sind
ja auch nicht gegen den Westen. In dem Sinne scheint allein die Kandidatur der
Durchbruch für eine allgemeine gesellschaftliche Akzeptanz einer kritischen
DDR-Aufarbeitung als Chance für die deutsche Geschichte und Gegenwart zu sein.
Und nicht nur als Ballast.
Joachim Gauck ist doch für so manche Überraschung gut. Die braucht dieses Amt
mehr denn je – in Zeiten des Spardrucks kommt mancher jetzt schon auf den
Gedanken, es einfach einzusparen. Warum nicht? Weil es auf jemand wie Joachim Gauck
wartet.
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