Erschienen in Ausgabe: No 54 (8/2010) | Letzte Änderung: 31.07.10 |
von Heike Geilen
„Die Welt, in
der wir leben, ist nicht die erste, und sie wird auch nicht die letzte sein.
Immer wenn eine Welt zugrunde geht, zieht sich Vishnu, der Erhalter der
Schöpfung, auf den Grund des kosmischen Ozeans zurück. Gebettet auf der
Weltenschlange Ananta, die ,Endlose‘, erträumt sich Vishnu dann eine neue Welt.
Wenn aus seinem Bauchnabel eine Lotosknospe hervortritt, auf der der
Schöpfergott Brahma Platz nimmt, kann das Leben aufs Neue seinen Lauf nehmen.
Auch zu Beginn
des jetzigen Weltzeitalters war das so. Doch plötzlich erhob sich vom Grund des
Urozeans eine zweite Schlange, die dort geschlummert hatte, und riss die
Schöpfung, die dem Nabel des Gottes entsprungen war, zurück in die Fluten. In
der Gestalt eines Ebers zwang Vishnu die Schlange nieder, bis sie ihn um Gnade
anflehte. In seiner Tiergestalt umschlang Vishnu den lieblichen Leib der jungen
Mutter Erde und trug sie zur Oberfläche des Meeres empor, während sie sich an
seinen Hauern fest klammerte. Land kam in Sicht, auf dem sich die neue
Schöpfung entfalten konnte.“
So
beginnt das Hörbuch „Indien hören“ aus der bekannten Länderreihe des
Silberfuchs-Verlages. Das Bild der Schlange ist Bestandteil der gesamten
indischen Geschichte und man begegnet dieser alten Indus-Kultur, die mit etwa
5000 Jahren zu einer der ältesten Hochkulturen der Menschheit gehört, noch
heute allerorts.
Über
eine Milliarde Menschen - Tendenz steigend - wohnen derzeit in diesem
Vielvölkerstaat, in dem neben Englisch und Hindi noch 21 weitere offizielle
Sprachen und tausende Dialekte gesprochen werden. Ein Land der Superlative.
Flächenmäßig neunmal so groß wie Deutschland offenbart es neben seiner
mannigfaltigen Historie auch ein breites klimatisches und kulturelles Spektrum.
Durch dieses führt die rund 80-minütige Reise.
Der
Hörer erhält Informationen über das Kastensystem, das auch heute noch
Auswirkungen auf alle Lebensbereiche der Menschen hat und deren Berufs- und
Partnerwahl bestimmt sowie über die vedische Kultur, auf die die Ursprünge des
Hinduismus zurückgehen, dem heute 80 % der indischen Bevölkerung angehört.
Überdies hat noch eine andere Glaubensrichtung in Indien ihren Ursprung, die
für ganz Asien von nachhaltiger Bedeutung wurde und die sich in Europa einer
immer größeren Beliebtheit erfreut: der Buddhismus. Trotz seiner legendären
Verklärung gilt Siddhartha Gautama - genannt Buddha, der Erwachte - im
Buddhismus nicht als Gott, sondern als Lehrer, der den Menschen den Weg zur
vollkommenen Erkenntnis weist.
Um
320 n. Chr. blühte Indien nach Jahren der Kleinstaaterei unter der beginnenden
Gupta-Dynastie auf. Zu dieser Zeit entstand auch das bekannte Kamasutra, das
außerhalb Indiens zu Unrecht auf ein Lehrbuch der Liebeskunst reduziert wurde, „denn es beschreibt auch den Alltag am Hof,
Dichtkunst, Musik, Malerei und die Utensilien des luxuriösen Lebens: bunte
Blumen, aromatische Parfums, wohlschmeckende Gerichte. Der Verfasser des
Kamasutras - Mallanâga Vatsyayana - erklärt darin die Liebe zu einem von drei
grundlegenden Lebenszielen: ,Wer Tugend, Wohlstand und körperliche Liebe in
dieser Welt und der nächsten zu erlangen sucht, muss dieses Werk sorgfältig
studieren und gleichzeitig lernen alle seine Sinne zu beherrschen.‘ “
Doch
der Frieden hielt nicht lange. Eine wechselvolle Geschichte setzt ein, die 1947
ihren unrühmlichen Höhepunkt in der Teilung des Landes und dem immer noch
schwelenden Unruheherd in der Kaschmirregion hat. Doch auf„fast magische Weise vermag es Indien, sich immer wieder neu zu
erfinden und wie Phönix aus der Asche
zu steigen.“, intoniert
der wohltuend ruhig vortragende Sprecher Rufus Beck.
Erneut
ist dem kleinen Verlag, der für seine hochwertigen Hörbücher schon einige
Auszeichnungen erhielt, ein wunderbares Landesporträt gelungen. „Indien spricht alle Sinne an, so intensiv,
dass die Konzentration auf nur einen Sinn, die Wahrnehmung über das Gehör,
besonders reizvoll erscheint.“, schreibt Hans-Joachim Kinderlen
(Botschafter a. D. und Vorsitzender der Deutsch-Indischen Gesellschaft e. V.)
in einem Grußwort, das im Booklet abgedruckt ist. Faszinierend, fesselnd,
lehrreich und unterhaltsam erschließt Autor Peter Pannke dem Hörer durch Wort
und harmonisch unterlegte Musik aus dem indischen Kulturraum die Geschichte und
Kultur dieses traditionsreichen, aber auch vor sozialen Spannungen und
wirtschaftlichen Problemen stehenden Landes.
Natürlich
können 80 Minuten kein tiefgründiges und komplexes Wissen vermitteln, aber
dieses kompakte Exposé mit schlaglichtartig gesetzten Akzenten in den Bereichen
indische Religion, Mythen, Kunst, Literatur, Architektur und Film sowie seine
wundervolle Verknüpfung mit über zahlreichen Klangbeispielen der indischen
Musikkultur hat Stil und Inhalt.
Fazit:
"Indien
hören" reiht sich wohltuend in die Serie anspruchsvoller, aber immer
leicht verständlicher Hörbücher über Länder und ihre Kulturen aus dem Hause
Silberfuchs ein. Ihr Markenzeichen: fundiert recherchierte Inhalte in einer
spannenden, lebendigen, abwechslungsreichen und ausdrucksstarken Aufbereitung
sowie eine optisch äußerst ansprechende, von Roswitha Rösch künstlerisch
gestalteten CD und ein vierzehnseitiges Begleitheft, mit einem
zusammenfassenden geschichtlichen Abriss und vielfältigen Abbildungen.
Peter Pannke, Indien hören, Sprecher: Rufus
Beck, Silberfuchs-Verlag (September 2009), 1 CD, ca. 80 Minuten, ISBN-10:
3940665134,
ISBN-13: 978-3940665133,
Preis: 24,00 EURO
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