Erschienen in Ausgabe: No 54 (8/2010) | Letzte Änderung: 09.03.13 |
von Sylvia Hüggelmeier
„Es gibt kein richtiges Leben im
falschen“, konstatierte Christa Wolf
bereits 1995 in ihrem Essay
„Begegnungen Third Street“, der ihre
Erfahrungen, Erinnerungen und Gedanken während ihres Stipendiaten-Aufenthaltes
der Getty-Stftung in Los Angeles 1992/93 wiedergibt. Und sie fragt sich:
„Falsch leiden sollte es das auch geben oder ist leiden immer echt immer
gültig?“
Jetzt hat sie einen viel beachteten und kritisierten Roman veröffentlicht, der in aller Ausführlichkeit um diesen Erfahrungskern herum gewuchert ist und auch mit den Schmerzen zu tun hat, die der Abschied von der DDR bei der Autorin ausgelöst hat.
Obwohl viel gelacht wird in der Lounge des Getty Center,
geht Christa Wolf wie sie es beinahe
immer tut der Spur der Schmerzen nach, und während sie gegrillten Fisch und Salat isst- es wird viel gegessen
und getrunken in diesem Buch - springt das „Tonband in ihrem Kopf“ wieder an,
ihre Erinnerungen, ihr Gewissen, ihre Moral. Die Autorin genießt die
Sonnenuntergänge am Pazifik, geht gelegentlich auch „shoppen“ und sieht mit
Vergnügen „Raumschiff Enterprise“, aber registriert vor allem die krassen
Unterschiede zwischen Arm und Reich, das Fehlen jeder Alternative zum
amerikanischen „way of life“ und die agressive amerikanische Politik. Mit
Brecht gesprochen gleicht für sie Los Angeles eher der Hölle als einer
Engelsstadt. Der Kapitalismus mit seinen schnellen Fortschritten, dem
Effizienz- und Profitdenken macht ihr Angst und uns. Sie muss sich wieder einmal eingestehen, dass ihre Wünsche und die
der meisten Menschen nicht in die gleiche Richtung gehen. Obwohl sie mit vielen
Menschen im Center der Stiftung Kontakt hat, führt Christa Wolfs Prosa in Gedanken und Träumen immer wieder zurück in das Land, das sie geliebt hat, in das
kleinere Deutschland ihrer Kindheit und Jugend, ihrer Kämpfe und Krisen und für
dessen Erneuerung sie noch während der Wendezeit 1989/90 plädierte. Als
„literarische Internistin“ und Autorin mit Weltruhm geriet sie zwischen die
Fronten aller politischen Systeme, umstritten im Osten wie im Westen und dann
angefeindet im wiedervereinten Deutschland, auch weil ihr das Wort vom
Unrechtsstaat nie über die Lippen kam.
Hass schlug ihr entgegen, als die
Öffentlichkeit exakt zu der Zeit, als sie sich in Kalifornien aufhielt, von der Existenz einer „Täterakte“ erfuhr: Christa Wolf hatte in den
Jahren 1959 bis 1962 als „IM Margarete“
für die Stasi gearbeitet, allerdings
niemanden belastet und auch keine Verpflichtungserklärung unterzeichnet. Damals
war die Dreißigjährige, die sich durch Literaturkritiken einen Namen gemacht
hatte, Redakteurin bei der Verbandszeitung „Neue Deutsche Literatur“ und als solche „hinsichtlich des Kampfes gegen
die ideologische Diversion auf dem Gebiet der Literaturabwehrmäßig wertvoll.“ Tatsache ist, dass
die Beobachterin selbst zur Beobachteten wurde, wie die meisten der 130 Seiten dieser schmalen
„Täter“-Akte belegen und später als Schriftstellerin von 1968 bis zum Ende der
DDR zusammen mit ihrem Mann bespitzelt wurde wie die 42 Ordner umfassende
„Opfer“-Akte dokumentiert.
Das Schwierigste beim Schreiben
ihres neuen Romans sei die Erinnerung an die Stasigeschichte gewesen, sagt die
heute 81-jährige, die sich vielleicht auch deshalb den schützenden Mantel des Dr. Freud zugelegt
hat, weil sie sich der quälenden Frage stellen musste, wie sie die Episode als
IM vergessen konnte. Die Journalistenschelte holt sie in Kalifornien mit aller Macht ein, und die Auseinandersetzung
mit der eigenen Vergangenheit gibt
wieder einmal das Grundmuster für ihre Prosa.
Wie sehr die Reibung am Regime,
aber auch die politische Nähe das Schreiben der loyalen Dissidentin im anderen Deutschland beflügelte, belegt die
Tatsache, dass keines ihrer nach 1989 erschienenen Bücher den Rang jener, die
sie zuvor verfasste, erreichen konnte. Das trifft auch auf ihren neuen Roman
zu, andessen Schluss ein Engel die
Autorin begleitet, eine märchenhafte Erlösung, die so gar nicht zur gedanklichen Substanzund zum Ernst dieses Buchespassen will. Am Ende Leichtigkeit statt
Larmoyanz, Kitsch statt Krise? Der Leser, der sich mit viel Geduld durch den
Roman gearbeitet hat, ist überrascht.
Der Weg dorthin, der über einen
ständigen Wechsel von Erlebnis- und Gedankenwelt, von Traum und Wirklichkeit,
Gegenwart ( in der Ich-Form) und Vergangenheit (in der Du-Form), fremden und eigenen Erfahrungen, eine Mischung aus
Autobiografischem und Fiktionalem führt, erfordert zwar eine außerordentliche
sprachliche Meisterschaft, widerspricht aber dem, was einen Roman normalerweise
ausmacht: Handlung und Spannung. So endet der intellektuelle Flirt mit dem
Mitstipendiaten Peter Gutman auch nicht in einer Liebesgeschichte sondern ist
im Grunde die Konfrontation der Autorin mit einem männlichen Double, das klärt
und tröstet. Die bohrende Selbstbefragung der Christa Wolf, ist sie nach 14
Jahren Arbeit an ihrem neuen Buchabgeschlossen? Die Autorin hat viel deutsche Geschichte - drei selbst
durchlebte Staats- und Gesellschaftsformen - abgearbeitet in der „Stadt der
Engel“, Emigrantenschicksale im „New Weimar unter Palmen“ nachempfunden und
einen anderen Blick auf sich selbst vom
äußersten Rand der westlichen Welt hinzugewonnen. Sie weiß nach diesem Buch
mehr von sich als vorher, den „blinden Fleck“ (des kollektiven und des
individuellen Bewusstseins) aber habe sie vielleicht nur eingegrenzt.
Christa Wolf:. Stadt der Engel
oder The Overcoat of Dr. Freud. Suhrkamp Verlag, 416 Seiten, 24,80 Euro
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