Erschienen in Ausgabe: No 54 (8/2010) | Letzte Änderung: 31.07.10 |
Mit der "Stiftung Stadtgedächtnis" sollen die beschädigten Dokumente aus dem eingestürzten Historischen Archiv der Stadt Köln wiederhergestellt werden.
von Constantin Graf von Hoensbroech
Rund
6300 Jahre würde ein einzelner Restaurator benötigen, um die verheerenden
Zerstörungen und Beschädigungen an den Archivalien des im März vergangenen
Jahres eingestürzten Historischen Archivs der Stadt Köln zu beseitigen. Dagegen
nehmen sich die 16 Monate, die die Gründung der kürzlich etablierten "Stiftung
Stadtgedächtnis" in Anspruch genommen haben, allenfalls wie eine zeitliche
Fußnote aus. Gleichwohl ist viel Zeit, vielleicht sogar zu viel Zeit, ins Land
gegangen, um die weit über Köln hinausreichende allgemeine Erschütterung über
den durch das Unglück entstandenen immensen kulturellen Schaden im Aufbau eines
soliden Stiftungskapitals auch finanziell messbar werden zu lassen. Als eine
"Katastrophe für unsere kulturelle Identität" bezeichnete Kölns
Oberbürgermeister Jürgen Roters beim Gründungsakt der Stiftung jenen 3. März
2009, als damals um 13.58 Uhr das Historische Archiv, vermutlich im
Zusammenhang mit dem unter ihm verlaufenden U-Bahnbau, in sich zusammensackte
und zwei junge Männer mit in jenen Trichter zog, der nach wie vor wie eine offene
Wunde im Herzen der Kölner Innenstadt klafft. Neben den beiden Toten sind
Schäden am gesamten Archivbestand aus fast 1200 Jahren Stadt-, Regional- und
Kirchengeschichte mit einem Umfang von 30 000 Regalmetern entstanden. Mit der
Ursachenforschung für dieses weltweit Schlagzeilen machende menschliche und
kulturelle Desaster soll noch dieses Jahr begonnen werden, wenn ein
gerichtlicher Gutachter an der Einsturzstelle seine Arbeit aufnimmt.
Aus der
"Stiftung Stadtgedächtnis" soll nun laut Roters "eine auf Dauer
angelegte Finanzierungsquelle" werden, um die "nationale Aufgabe"
zur Instandsetzung, Zusammenführung und Digitalisierung der Archivalien zu
bewältigen. Die Beseitigung der Schäden wird derzeit auf 350 bis 400 Millionen
Euro geschätzt. Etwa 200 Restauratoren sollen diese Mammutaufgabe in den
nächsten 30 bis 50 Jahren bewältigen. Mehr als 85 Prozent des Archivguts sind
inzwischen gesichert worden. Einige prominente Dokumente konnten bereits aus
der vollständig für Restaurierungsarbeiten zur Verfügung gestellten Versicherungssumme
für das Archiv - etwas mehr als 61 Millionen Euro - wiederhergestellt werden. Mit
der Bergung des noch im Einsturztrichter liegenden Restbestandes soll in den
nächsten Wochen nach Errichtung eines speziellen Bergungsbauwerks begonnen
werden. Experten beziffern den Komplettverlust des Archivbestands derzeit auf
fünf Prozent.
Aktuell
beläuft sich das Stiftungskapital auf 3,17, bzw. demnächst wohl auf 4,17 Millionen
Euro. Zwei Millionen Euro kommen von der Stadt Köln, eine Million Euro steuert
das Land Nordrhein-Westfalen bei. Eine weitere Million wollen der Bund sowie 50
000 Euro der Landschaftsverband Rheinland zustiften. Mit 100 000 Euro sowie 20
000 Euro gehören zudem das Erzbistum Köln sowie die Evangelische Kirche im
Rheinland zu den Gründungsstiftern. Eine weitere Million wollen der Bund sowie
50 000 Euro der Landschaftsverband Rheinland zustiften.
Dominik
Schwaderlapp, Generalvikar des Erzbistums Köln, hob am Rande der Unterzeichnung
der Gründungsurkunde im vornehmen Hansesaal des Historischen Rathauses die
Motivationen der Beteiligung aus kirchlicher Sicht hervor. "Kirche ist ein
integraler Bestandteil der kölnischen Stadtgeschichte." Beispiele gibt es
dafür einige. So stammt die älteste Archivalie überhaupt aus dem Jahr 922 und
befasst sich mit einer Besitzübertragung. In dem Dokument mit der Signatur "Best.
266 (Ursula), U 2/2A" schenkt ein gewisser Wilhelm der Tochter
seines Bruders mit Namen Wendilsvint seinen Hof in Meresloe (heute holländisch
Limburg) nebst Hörigen mit Ausnahme eines Waldteiles mit der Bestimmung, dass
die Besitzungen nach dem Tode der Nichte an das Kloster zum Heiligen Hypolit
und der 11000 Jungfrauen (St. Ursula) in Köln fallen sollten. Und mit den eigenhändig geschriebenen Autographen über das
Matthäus-Evangelium sowie über die Tierwelt aus der Feder des als "doctor
coloniensis" bezeichneten Heiligen Albertus Magnus gehören zwei
herausragende Werke des Mittelalters zum Bestand des größten Kommunalarchivs
nördlich der Alpen. Auch die Akten des Kölner Domkapitels aus der Zeit vor der
Säkularisation gehören zu diesem Erinnerungsspeicher. Das Historische Archiv
des Erzbistums Köln hatte übrigens nach dem Einsturz des Stadtarchivs, wie
viele andere ähnliche Einrichtungen auch, akut geholfen, und noch heute stehen
in zwei Magazinräumen des kirchlichen Archivs zahlreiche Akten aus dem
eingestürzten Gebäude.
"Die
Zugänglichkeit und weitere Nutzung solcher Bestände muss gesichert
bleiben", unterstreicht Generalvikar Schwaderlapp in diesem Zusammenhang.
Ähnlich sieht das Vizepräses Petra Bosse-Huber von der Evangelischen Kirche im
Rheinland: Die Rettung der Archivalien bedeute eben auch "dass Menschen
ermutigt und befähigt werden, die Dokumente, Urkunden und Fotos kennen zu
lernen, die zu ihrer Geschichte gehören". Die Sicherung und Verwahrung von
zentralen Dokumenten und Akten hat in der Domstadt ohnehin eine lange
Tradition. Seit 1322 setzen sich die Bürger der Domstadt dafür ein, Archivalien
zu bewahren, die dann ab dem 15. Jahrhundert im Rathausturm lagerten.
Unklar bleibt aber nach wie vor
die Haltung der Landesregierung von Nordrhein-Westfalen. Der beim Gründungsakt
noch amtierende und durch den zwischenzeitlich vollzogenen Regierungswechsel
nun nicht mehr im Amt befindliche Kulturstaatssekretär Hans-Heinrich Grosse-Brockhoff
erklärte, dass sich das Land mit der Bereitstellung von einer Million Euro
"nicht aus der Affäre ziehen" werde und zu weiteren Gesprächen bereit
sei. Drohte denn die Gründung der "Stiftung Stadtgedächtnis", die Stadtoberhaupt
Roters gerade noch als "Meilenstein" gepriesen hatte,
zwischenzeitlich zur Affäre zu degenerieren? Jedenfalls wurden innerhalb der Stadtverwaltung,
später aber auch in den Gesprächen mit der Landesregierung viele
Verantwortlichkeiten hin- und hergeschoben, Haftungs- und Versicherungsfragen blieben
ungeklärt, und der Termin für die offizielle Stiftungsgründung musste mehrmals
neu angesetzt werden. "Es ist skandalös, dass es so lange gedauert hat,
diese Stiftung zu begründen", kritisiert nicht nur Konrad Adenauer, der Vorsitzende
des einflussreichen Kölner Haus- und Grundbesitzervereins.
Nun wird es entscheidend darauf
ankommen, dass die rechtsfähige Stiftung des bürgerlichen Rechts rasch ihre
operative Arbeit aufnimmt und sich um Zustiftungen bemüht. Die Stadt Köln hat drei Millionen Euro als Spende zur Verfügung gestellt, mit
der die Stiftung arbeiten kann. Gesucht wird dazu allerdings neben
entsprechenden Räumlichkeiten noch ein geschäftsführender Vorsitzender des
Stiftungsvorstands. Der sollte aber in weniger als 16 Monaten gefunden werden.
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