Erschienen in Ausgabe: No 54 (8/2010) | Letzte Änderung: 03.08.10 |
von Ulrich Büchler
Es ist ohne Zweifel, dass wir nicht die Werkzeuge hatten, die man in
seinem Werkzeugkasten haben will.[1]
Die Sprache: ein
Mittler und Mittel
Der Mensch existiert in einer
Welt, die sich ihm nicht anders und die er sich nicht anders als durch Sprache
erschließt. Und auch nicht anders als in dieser Reihenfolge: die Welt
erschließt sich ihm stets vorrangig und er sie sich stets nachrangig durch Sprache.
Denn als erstes macht sie ihn zum Hörer, der Sprache vernimmt, und dadurch als zweites zum Sprecher, der
Sprache verwendet. Die Sprache ist ihm bereits im Vorhinein der Mittler der
Welt, das Medium, das ihn umfasst, bevor sie ihm im Nachhinein zum Mittel wird,
die Welt zu fassen. Was immer er darum mit Sprache erschließt, er ist zuvor
schon von ihr umschlossen.[2]
Die Sprache vermittelt die Welt
aber natürlich nicht objektiv, als Realität an sich, sondern nur als subjektive
Sicht ihrer zahllosen Dinge: der Sprecher vollzieht je und je nichts als
selektive Weltvermittlung, woraufhin ihm der Hörer nur gehorcht, wenn er sie fortan selbst betreibt und sich aller
Selektion durch Sprache beugt. Faktisch verstehen sich weder Sprech- noch
Hörakt jemals als neutrales, quasi wertfreies und weltoffenes Geschehen.
Vielmehr fungiert noch jede verwendete und vernommene Sprache längst als
Mittler einer Sicht von Welt, die wesentlich kein anderes als ein subjektives
Urteil mitführt und mitzuteilen vermag.
Der Mensch, der Hörer und
Sprecher verfügt insofern auch nicht über die Welt, wenngleich er sie als
seinen Besitz wähnt. Ja, wie selbstverständlich ernennt er sich nicht nur zum
Herrscher, sondern überhaupt zum Erzeuger von Welt, zumal sie für ihn selbst,
in seinen Augen doch nur vorhanden und somit wirklich ist, weil und solange er
selbst existiert. Dabei ist es umgekehrt: ihr Vorhandensein bringt seine Existenz
erst hervor. Sowenig er aber als ihr Erzeuger firmiert,sowenig auch als der Erzeuger von Sprache
selbst - er ist nur der Besitzer eines Wortschatzes, mittels dessen er sich
eine Sicht der Dinge, eine Weltsicht zu eigen macht.
Die Sprache: ein Schlüssel und Werkzeug
Die Welt, die der Mensch vor
Augen hat, gerät ihm darum eo ipso umso kleiner, je begrenzter sein Wortschatz
ist, um sie als seine Sicht der Dinge zu fassen. Letztlich bemisst sich das,
was er die Welt nennt, exakt an den Maßen seines Sprachvermögens.[3]
Nur, welche Welt vermag er überhaupt in Worte zu fassen? Doch keine größere und
andere als gerade seine je eigene. Sein Wortschatz steht in Konsequenz auch
immer nur für seine Sicht eigener Dinge - für keine andere und
nichts anderes. Zeitlebens im Wahn, selbst der Erzeuger von Welt und Sprache zu
sein, übereignen ihm diese unterdessen bloß die Mittel: einen - ungeachtet
aller Dimension - stets begrenzten Wortschatz zur Vollendung eigener Ansichten.
Das Sprachvermögen eines jeden
Menschen, sein geschätztes Mittel, dient ihm so allererst als Schlüssel und
Werkzeug.[4]
Wobei die Schlüsselfunktion von Sprache, wie sie vornehmlich im Kultur- und
Bildungsbetrieb kursiert, schon einer Romantisierung das Wort redet. Jedenfalls
dann, wenn die Metapher des Schlüssels nur der eindimensionalen Einsicht zum
Durchbruch hilft, dass Sprache der Erschließung von Räumen dient, d.h.: einer
je eigenen Raumsicht, sei es jener
der Kultur oder Natur. Dann leugnet Sprache ihre Umkehroption der Verschließung
von Räumen. Erst diese trägt - wider alle Romantik - der Willkür Rechnung, mit
der sich der Einzelne Zutritt verschafft, Räume für sich beansprucht, um sie
sogleich zu verriegeln.
Die Metapher des Werkzeugs
hingegen reflektiert - über die Doppelfunktion von Sprache als Schlüssel hinaus
- überhaupt auf ihre universelle Funktion. D.h., darauf, was sie im Horizont
des je eigenen Wortschatzes alles zu
leisten vermag. Gerade ihr vermeintlich totales Potential spottet jeglicher
Romantisierung. Wer Sprache erstmals als Werkzeug begreift, der gibt sich nicht
mehr mit dem Auf- und Zuschließen von Räumen zufrieden: der bedient sich ihrer,
um sie, aller Grenzen des je eigenen Wortschatzes zum Trotz, jeglichem Denken
und Tun so frei - wie preiszugeben. Mit seinem Vokabular als Werkzeug nimmt der
Mensch Räume nicht mehr allein in Besitz, er macht mit ihnen schlicht, was ihm
zupass kommt.
Der persönliche Wortschatz eines
jeden ist insofern sein ganz eigener Sprachwerkzeugkasten, mit dessen Inventar er seine Sicht der Dinge
mehr oder minder tauglich zusammenstellt. Als Grundregel dabei gilt: tendenziell nimmt das Wort, das jemand denkt,
hört und spricht nur die Tat vorweg, die es bezeichnet. So plant der Mensch
zunächst, was er zu tun gedenkt, er bildet und fertigt Ansichten, um sie dann
ins Werk zu setzen. Und zwar in einem, was die Natur als Raum betrifft,
wörtlich direkten Sinne: hier bleibt kein Zweifel virulent. Sein Vokabular wird
ihm zum Bagger, zur Fräse und Säge, zum Bohrer und Dübel - längst bevor er
aller Welt, wie seine Pläne es
verheißen, das Handwerk legt und sie allerorten nutzbar macht.
Das Bauwerk: eine Bohrinsel
Die Natur hält zwar nicht jeder
Nutzung stand, indessen still. Nicht dass sie schwiege und sich entzöge. Nur
entlässt sie Lautbilder, die der Mensch - und zwar nicht erst der selbst
ernannte „moderne“ - wenngleich wahrzunehmen, so doch niemals zu verstehen
vermag. Die Frage isteinzig, was er überhaupt aufnimmt, nachdem er sie total
objektiviert und sich mit aller Macht der Ihrigen entledigt hat? Allerdings
betrifft ihn diese Frage nicht, als dass sie ihm mehr als in den Sinn käme;
sondern auch zu Leibe rückte. Wie begeistert von sich, geht er darin auf, seine
An- und Absichten zu sublimieren; wobei diese Sichten Omen gleich allein die
Initiale seiner Taten bilden. Sein verbales Werkzeug verweist auf dessen reales
Pendant.
Das offenbart summarisch den
Theorievorteil von Sprache: dass sie jeden Menschen als ihren Nutzer instand
setzt, sich übers Verbale einen Weg ins Reale zu bahnen. So betritt er schon in
Gedanken die Natur als Raum, indem er sie mit Namen besetzt, begrenzt, bestimmt
und damit als Kulturraum annektiert. Zum Zeichen seiner Annexion verrichtet er
in der Folge vom Wort zur Tat ein logistisches Werk. Im Falle einer Bohrinsel
avisiert er, die Elemente zur gleichen Zeit
zu unterwerfen: ob Luft, Wasser und Land - er tritt der Naturgewalt synchron
entgegen, womit eine Bohrinsel das
Bauwerk schlechthin bezeichnet. Als Produkt verbalen wie realen Werkzeugs legt
sie wie kein anderes Zeugnis eines vermeintlichen Triumphes ab.
Der Symbolstatus einer Bohrinsel
beschränkt sich gleichwohl mitnichten darauf, menschliche Naturdominanz zu
vereinen. Als Bauwerk schlechthin bezeugt sie mehr als perfekt rationale Hegemonie. Ihr Status erweist sich zuletzt
darin, dass sie allseits die Genese anderer Werke initiiert. Schon ihr Zweck
besteht - wie der eines simplen Bohrturms auf Land - allein darin, Treibstoff
für weitere, immer neue Zeugnisse industrieller Kultur zu liefern, um so noch
jedes Machwerk der Moderne anzutreiben. Aus deren Sicht versteht sich eine
Bohrinsel darum als Bauwerk niemals für sekundäre, sondern stets für primäre Zwecke,
d.h., als Werkzeug eines wahrhaft schöpferischen Wirkens - als kolossale
Kraftpumpe des Fortschritts.
Der Werksnutzen: das
Öl - ein Traum von Macht
Die Namen von Bohrinseln verraten
bereits ihre Erbauer: sie entlarven jenen Geist, von demsich alles Moderne durchdrungen weiß. Ohne
Zweifel sind diese Namen Programm. Was sich selbstgewiss Sovereign Explorer, Discoverer Inspiration, Discoverer Enterprise,
Deepwater Millenium, Deepwater Champion oder Deepwater Horizon nennt, das prononciert jedweden Anspruch auf Hoheit. Auch lässt es
buchstäblich die Treue erahnen, mit der sich die Erbauer als Stellvertreter
ihrer Spezies ans Werk begeben, um eines gemeinsamen Traums von Macht wegen Öl
zu gewinnen - Kultur zu stiften. Dass der Traum sich indes zu jeder Zeit in dessen Gegenteil, einen
Albtraum verkehren kann, ist bloß Naturgesetz.
Der Empirie nach weiß der Mensch
um solche Dialektik. Nur ist sie ihm derart verhasst, dass er sie wenigstens
abzustreiten, wenn nicht mattzusetzen sucht, wann immer er kann; gemahnt sie
ihn doch aufzuhorchen und sich
bewusst zu machen, dass jegliches Leben - also auch sein eigenes Sein und Haben
- stets zwei Konstanten und ihren Grenzmarken unterliegt. Die eine, die
qualitative Konstante impliziert die Punkte „Gewinn und Verlust“: Nutzen und
Schaden. Die andere, die quantitative, die Punkte „Alles und Nichts“: Viel und
Wenig. Jegliches Leben bedeutet ein Da-zwischen-Sein, ein Geschehen zwischen
Position und Negation. Nichts eignet
seiner empirischen Realität so unbedingt, wie die ihrer dialektischen Extreme.
Das negative Moment indes spielt
im Sichtfeld des Menschen zwar keine unwirkliche, jedoch- was seine Mentalität betrifft - eine eher
unwesentliche Rolle. Sein verbales Werkzeug ist wie sein reales im Prinzip auf
die Verwirklichung eines Traums, denn auf die Verhinderung eines Albtraums
abonniert: wie selbstverständlich erklärt und erwirkt er nur die Erschließung einer Ölquelle, nicht aber
ihre Verschließung. Dabei mangelt es
seinem Naturverständnis nicht etwa primär an Weit-, Vor- oder Rücksicht.
Schwerer als sein ethisches wiegt sein hermeneutisches Defizit. Seine
chronische Kurzsicht in Wort und Werk ist allein authentisches Produkt seines
Selbst, das die alleinige Macht sich monologisch verspricht und verleiht.
Der Werksschaden: die Ölpest - ein Albtraum von Ohnmacht
Die simple
Option, diesen Monolog zu beenden oder zu unterlassen, bleibt illustrer
Phantasie vorbehalten - bar jeder Realität des real existierenden Menschen. Was
ihm bereits in Grenzen der Kultur zu schaffen macht - einen Dialog zu führen -,
das gibt ihm jenseits davon sogleich bloß Rätsel auf. Wie um alles könnte er
mit der Natur in ein Gespräch treten und wie um alles sie mit ihm? Schon seines
Menschseins wegen scheint das unmöglich! Wenn er je etwas sein „Schicksal“
heißt, dann jenes, sich von ihr zu emanzipieren, zu lösen und sie zum
Kulturraum zu verkehren. Gerade so, wie es ihm sein mythischer Traum kundtut:
seine Megavision, kraft Macht der Kultur Natur außer Kraft zu setzten - und
sich selbst über sie hinweg.
Der andere, ein Albtraum voller
Ohnmacht tut sich exemplarisch als Ölpest kund. Das Fatum der Deepwater
Horizon besiegelt nicht nur das einer Vision, sondern - weit mehr - zuletzt
das einer Sichtkultur der Dinge, die als Wirklichkeit nur noch das wahrzunehmen
vermag, was ihr selbst sich als solche erweist. Im Grunde abstrahiert der
Mensch, indem er sich Naturgesetze zu unterwerfen sucht, stringent von deren
dialektischer Faktizität. Je autonomer er sich wähnt, umso weniger meint er,
die Wirklichkeit jedes Lebens als eine zweipolige achten zu müssen. Vom
Selbstgespräch beglückt, träumt er von der Macht, ihr die Fixpunkte des
„Verlusts“ und des „Nichts“ zu
entwenden, d.h., sie um die Möglichkeit der Negation zu bringen.
Das Regime jeder Kultur reicht
jedoch dazu nicht aus. Kaum dass sie sich anschickt, je und je ihren Triumph zu
feiern, kommt der Mensch sich in die Quere. Zwar scheint er mit der Natur in
gewisser Hinsicht wohl - allerdings mit sich nicht fertig zu werden. Wie auch?
Er löst sich nur von aller Natur als Objekt seiner An- und Absichten, unmöglich
aber von ihr als Subjekt, der Instanz allen Lebens: ihr bleibt er vollends verhaftet. Sein ganzes Sinnen
nach Autonomie reflektiert nur seine Borniertheit. Es übersieht selektiv, dass
jedwedes Leben als ein Sein und Haben zugleich
ein Nicht-Sein und Nicht-Haben birgt: dass Nutzen und Schaden zwei Seiten ein und derselben Wirklichkeit sind -
wie Macht und Ohnmacht, Öl und Ölpest.
Die Sprache im Gebrauch: ein Blendwerk
Das Faktum der Dialektik verlangt
freilich nach Abstraktion. Wie anders wäre es zu ertragen? Schon die Permanenz
von „Gewinn und Verlust“, „Alles und Nichts“ dekretiert geradezu,
dieEbene des „positiven Denkens“ zu
betreten. Ja, der Selbsterhalt verleitet den Menschen, selbst die Negation
prompt zu negieren, weil ihm ihre Realität und damit überhaupt die allen
Lebensunerträglich suspekt ist. Allein
wenn es ihm gelänge, mit ihr jemals übereinzukommen und in ihr sich
einzufinden, führte er tatsächlich ein Leben gemäß der Natur: dann wäre er wahrhaft ein Realist - quasi gleichermaßen Optimist wie Pessimist.
Was selbst als Utopie noch grotesk anmutet, solange er einer Kultur vorsteht,
die ihn notorisch als „Gewinner“ hofiert.
Der „Positivismus“ versteht sich
damit nicht als irgendeine, nur philosophische Sichtkultur: er ist durchaus im
Menschen angelegt - ein Erbe der Natur, ein Elementartrieb zum Zwecke des
Selbsterhalts! Letztlich verhilft er, die Dinge blindlings „besser“ zu sehen,
als sie realiter sind: also sich und anderen mit Worten etwas vorzumachen. Alltäglich
benutzt so der Mensch seine Sprache als Blendwerk und mutiert darüber allemal
zum Blender. Wo immer es gefordert ist, Gewinnchancen groß- und Verlustrisiken
kleinzureden, da scheint er wie prädestiniert, sich in Selbst- und Fremdbetrug
zu verstricken. Es nimmt somit nicht wunder, dass auf dem Bodenökonomischer Interessen das ordinäre
Betrugswesen besonders floriert.
Die Maße der Interessen spiegeln
nur jenes von Lug und Trug. Bohrinseln wie die Deepwater Horizon erzielen und binden hier Maximaldaten. Aber nicht
im erwarteten Nutzens-, sondern im unerwarteten Schadensfall, zumal im Laufe
einer Katastrophe, treten sie hervor. Erst dann klärt sich - und sei es durch
wirren PR-Jargon -, dass weniger die Erfüllung, als vielmehr eine Verfehlung
von Interessen und Zwecken über das Betrugsszenario, also das Gesamtmaß eines
medialen Blendwerks entscheidet. Dieses Maß offenbart unterdessen nicht bloß
ökonomische Aspekte, sondern - wie seine totale Ausschöpfung paradox indiziert
-, zugleich physische wie moralische: gerade
die Stärke der Blendung bezeugt die Ohnmacht der Blender.
Die Sprache im Verbrauch: kein Mittel - kein Werkzeug
Das volle, das wahre Ausmaß der
Katastrophe erweist sich indes in ganz anderen Parametern. Jenseits dessen, was
Sprache erfasst. Da mag der Mensch Worte machen! So „viele und gute“ gibt es
unmöglich, als dass es ihnen gelänge, die ökologische Dimension des Geschehens
nur im Ansatz zu umreißen. Und überhaupt: es geht im Grundsatz weder um eine Menge noch Güte von Worten - es geht
nicht mal um ihr Vorhandensein. Denn für das, was sich mit dem Namen Deepwater Horizon verbindet, gibt es, wie
alle Worte belegen, keine Worte: sie sind zur Neige und zu Nichte gegangen. Sie fehlen.
Jedoch nicht, weil diese Ölpest der Superlative sich jeder Verbalisierung
entzieht. Sondern, weil sie sich ihrer entledigt - sie aufhebt.
Der trotzige Versuch, dennoch
Worte zu finden, enthüllt wiederum nur die Ohnmacht derer, die ihr
Sprachversagen - stellvertretend für alle anderen - blendend verleugnen. Dabei
wissen sie darum durchaus, indem sie, und sei es unbewusst, eingestehen, dass
ihnen jegliche Mittel fehlen, um die Katastrophe abzuwenden oder drastisch
einzudämmen.[5]
Ein Eingeständnis, das alles sagt,
weil es, wie kein anderes Wortzeugnis wahrheitsgetreu,
vom verbalen auf das reale Defizit hinweist. Wem aber das reale Werkzeug fehlt,
um ein Ökodesaster zu verhindern, dem steht in
Wahrheit auch kein verbales zur Verfügung. Jedes Wort, was doch gebraucht wird, istim Grunde verbraucht
- vollendete Verblendung. Lug und Trug in Potenz.
Die Fakten der Natur entsprechen
daher mitnichten jenen, welche die Kultur durch Sprache zu ermitteln vermag.
Dazu nützte selbst „bestes“ Verbalwerkzeug nichts, da Zeugnisse der Naturfür
sich sprechen, d.h., sie verlautbildlichen sich auf ihre eigene Weise, ohne
dass der Menschsie rudimentär zu
decodieren, geschweige denn, als solche Fakten zu kommunizieren wüsste. Wie
sollte er das auch? Das ihm Mögliche ist, die Lautbilder der Natur aufzunehmen
- sie zu hören und zu sehen. Das unbedingt Notwendige aber: sie zu verstehen
und zu achten, um eine Katastrophe je zu vermeiden, eignet ihm nicht. Ohne
Werkzeug, die Dinge zu richten, steht er bloß am Abgrund seiner Kultur. Dann
richtet die Natur über ihn. Und sein Vokabular.
Die Sprache am Ende: kein Mittler
Das Sprachversagen im Angesicht
einer fatalen Ölpest spiegelt letztlich nur die Faktizität aller Naturgesetze. Es macht offenkundig, dass der
Mensch samt seiner Kultur und Sprache in jene Dialektik eingereiht bleibt, die
jede Zelle universal durchwaltet. Mag er sich suggerieren, die Sprache, sein
genialisches Werkzeug, sei ein Erzeugnis seiner Kultur - im letzten Sinne ist sie es nicht. Das
Vermögen zu sprechen, ergibt sich bloß aus der Verbindung mit der Natur, wie
das Versagen aus der Loslösung von ihr. So oder so, beides verweist auf die
Relationalität des Menschen zur Natur als Grundprinzip seiner Existenz. Alles,
was er ist und hat - seine Kultur besteht nur, weil Natur besteht: sie ist der
Nährboden, auf dem seine Hybris gedeiht.
Die Kultur als Naturerzeugnis
aufzufassen, versteht sich freilich als Binsenweisheit. Obgleichdie Konsequenzen, die daraus resultieren,
eben wieder zur Abstraktion einladen. Zu lästig, ja lastvoll drückt die
Einsicht, dass mit jeder Reduktion der Natur als Raum eine ebensolche der
Sprache in Gestalt des einzelnen, jedes individuellen Wortschatzes einhergeht.
Zumal daraus folgt, dass die Sprache als Mittler der Welt dem Menschen de facto
nur dann zur Verfügung steht, wenn er der Natur als solcher, als Subjekt, als
Instanz allen Lebens ihren eigenen Raum als
Natur belässt. Denn eines ist klar: der Kollaps einer Kultur, der im Fatum
einer Bohrinsel aufscheint, schließt den der Natur nicht unbedingt ein -
umgekehrt schon.
Der Mensch bleibt somit - und im
gleichsam optimistischen Sinne - „gut“ beraten, der Natur mindestens so viel
Raum zu gewähren, wie sie zur
Aufrechterhaltung seines Kulturraums und schlussendlich zur Erhaltung seiner
Spezies benötigt. Dass er ihr mit Sicherheit - schon wegen des verbalen wie
realen Werkzeugs, das er mit sich führt -, keinen Deut zu viel überlässt, steht indes auf einem anderen Blatt. Nur wäre es
umgekehrt, jedenfalls im Horizont der Dialektik von Naturgesetzen, gewiss nicht
pessimistisch, zu meinen, dass er, der selbsternannte Potentat aller Welt,
seine Herrschaft über sie mit seiner Entfremdung von ihr bezahlt. Das ist
längst zu kurz gegriffen. Realistisch
besehen, bezahlt er sie mit seiner Entmachtung.[6]
[1]
BP-Chef Tony Hayward in einem Interview mit der Financial Times am 02.06.10
[2]
Zum Verständnis von Sprache als Mittler der Welt vgl. H.-G. Gadamer,
Hermeneutik II, Tübingen 1986, S. 149
[3]
In Analogie zur AuffassungL.
Wittgensteins („Die Grenzen meiner Sprache bedeuten die Grenzen meiner Welt“);
Tractatus logico-philosophicus 5.6, Frankfurt 2003, S. 86
[4]
Zum Verständnis von Sprache als Werkzeug vgl. Platon, Kratylos 387a – 388din: Platon, Werke in acht Bänden griechisch
und deutsch; hg. und überarb. V. Gunter Eigler, Bd. 3: Phaidon. Das Gastmahl.
Kratylos; bearb. v. D. Kurz, griech. Text v. L. Robin und L. Meridie, deutsche
Übersetzung v. F. Schleiermacher, 3. Aufl. Darmstadt 1990
[5]
Siehe Anmerkung 1
[6]
In kritischer Fortführung von M. Horkheimer und T. W. Adorno („Die Menschen
bezahlen die Vermehrung ihrer Macht mit der Entfremdung von dem, worüber sie
Macht ausüben.“); Dialektik der Aufklärung, 17. Aufl. Frankfurt 1988, S. 15
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