Erschienen in Ausgabe: No 55 (9/2010) | Letzte Änderung: 29.08.10 |
von Stefan Groß
L'Homme
Revolté – so viel Camus muß fünfzig Jahre nach seinem Tod sein! Doch wogegen
rebelliert der moderne Mensch? Gegen den Verlust seiner Privatsphäre, die er
durch den Einbruch der Öffentlichkeit in ihrer Würde und Ansehen gefährdet
sieht. Sei es die Vorratsdatenspeicherung Elena oder das krakenartige Netzwerk
von Google und seiner geradezu anmaßenden Überwachung der Weltöffentlichkeit. Street-View
heißt das Kampfwort der Stunde und die Bedrohung durch diese Gigantomanie
zwingt auch Alleskönner wie den „Focus“-Chef Helmut Markwort zur Kapitulation,
Einspruch wurde bereits eingelegt. Seine Redaktionsgebäude in München sollen
bei der Vermessung der Welt außen vor bleiben, eine Registrierung in der
Kartographie versagt sich somit einer, der sonst nie um Öffentlichkeit und
Aufsehen, Beifallerhaschung, verlegen ist. Das will schon was heißen.
Der
Trend hin zur Privatheit, zum Schutz derselben, ist mittlerweile selbst zur
Industrie der Internetanbieter geworden. Gleichwohl man immer noch für das
kostengünstige und leichte Erstellen von eigenen Webseiten wirbt, die einem die
Präsenz der eigenen Person im bunten Spektrum der Möglichkeiten erst
ungehindert erlauben, wird nun zusehends davor gewarnt, zu viel von sich
preiszugeben – das öffentliche Internet überwache schließlich alles, und was
einst eine Laune bei Facebook war, führt unweigerlich zur Rückgabe der ungelesenen
Bewerbungsbögen, weil man sich im Netz über diese und jene Aktivität schon
informiert hatte. Alle großen Netzanbieter warnen vor der Preisgabe der
Persönlichkeitssphäre; Web.de schickt gleich seinen „Ruflotsen“ ins Rennen, der
exakt darüber Auskunft geben soll, welche persönlichen Information frei fliegend
das Netz bevölkern, und die – bei Nichtgefallen – sofort wieder gelöscht werden
können, so die alles versprechende Werbung, die aber selbst nichts anderes als
eine Utopie ist, eben Utopie der Utopie.
Doch
bei genauem Hinsehen ergibt sich ein anderes Bild. Nicht die Privatsphäre wird
durch die Öffentlichkeit bedroht, sondern die Öffentlichkeit durch die
Privatsphäre. Diesen Trend zum Öffentlichmachen hat der Facebook-Gründer Marc
Zuckerberg jüngst unterstrichen, als er in einem Interview erklärte, daß die Privatsphäre ein Relikt aus längst
vergangenen Tagen sei, eben total antiquiert, so wie einst Günter Anders die Antiquiertheit des Menschen des
Menschen darin sah, daß er die Technik perfektionierte und sich dadurch eben
überflüssig mache. Für Zuckerberg, der nicht wie Anders ein Technikkritiker,
sondern ein Technikenthusiast ist, schließen sich Privatsphäre und Internet wechselseitig aus. Und bester Beleg für diese
interaktive Vernetzung sei Facebook, wo sich täglich neue Mitglieder zu einer
Community zusammenschließen, Privatestes austauschen, um sich global zu virtuellen
Freundschaftsbünden zusammenzuschließen. Nichts Menschliches ist ihnen dabei
fremd.
Facebook,
Xing, die intimen Portale sowieso – sie alle vermüllen das Netz, die unzähligen
Blogs sind da noch das harmlosere Unheil, allein sie haben an der rasanten Vermüllung
auch ihren gehörigen Anteil gehabt. Jeder, der glaubt etwas mitzuteilen müssen,
reiht sich in die Schar ein, und die „Mitteilungen“, die sich überall finden
lassen, sind alles andere als informativ, sind teilweise reine
Zeitverschwendung, zeugen von der Langeweile ihrer Schreiber. Man twittert, was
das Zeug hält, füttert das Netz mit Daten
der allerprivatesten Art.
War es einst den „Reichen“ und
„Schönen“, den Promis, vorbehalten, über ihr Intimleben Rechenschaft abzuleben,
„Bild“ und „Bunte“ und dergleichen leben immer noch prächtig davon, so hat sich
der normale Bürger mittlerweile dieses Recht erstritten und dank Internet
funktioniert die Informationsübertragung auch wunderbar. Was unter den
Nullinformationen letztendlich leidet, ist tatsächlich die Öffentlichkeit mit
ihren ernsten und seriösen Themen, die geradezu an den Rand gedrängt wird, wen
interessiert die Flut und Not in Pakistan, wenn er Intimes von seinen Freunden
in Erfahrung bringen kann. Die Gefahr, hier abzuschalten, ist beträchtlich, wie
jeder weiß. Dennoch: Um die Faszinationskraft des Belanglosen muß man sich
keine Sorge und keine Angst machen, denn die Masse, die es schreibt, wird
wiederum von der Masse gelesen, die das alles registriert und ihrerseits wieder
kommentiert. So entsteht eine ganze Abfallindustrie – und das Schlimme dabei
ist, diese hat Konjunktur, und zwar dergestalt, daß sich diese privaten Belanglosigkeiten
in Vorkommnisse von allgemeinem Interesse verwandeln.
Man muß nichts zu sagen, nichts zu verantworten haben,
braucht gar keinen Einfallsreichtum, um sein öffentliches Auftreten
beispielsweise zu legitimieren, reine Existenz und unermüdliche Präsenz genügt;
man schreibt einfach. Ich schreibe, also bin ich.
Um so mehr verwundert es, warum nun überall der Ruf nach dem
Schutz der Privatsphäre sich Geltung zu verschaffen sucht, wenn doch die Medien
gleichzeitig und andauernd mit höchst überflüssigen Daten gefüttert werden –
und dies sogar freiwillig, trotz der Gefahr der Registrierung und Überwachung,
aus einem geradezu unverantwortlichen und selbstüberschätzenden Exibitionismus heraus. Es
kommt – bei näherem Besehen – der Verdacht auf, daß die Vielzahl der
Informationswilligen gar nicht an der Aufrechterhaltung
ihrer Privatsphäre interessiert ist, lieber eine noch so mißlungene
Aufmerksamkeit in Kauf nimmt, um bloß nicht in absoluter Isolation vor dem
Rechner zu sitzen. Kompensation also als Kompensation des Nichts, das einen
umgibt. Eine derart komprimierte Selbstaufgabe sagt nun aber nicht nur viel
über das schreibende Subjekt aus, sondern noch mehr über die Gesellschaft, in
der es lebt und gegen die es auch anschreibt, weil es sich in der Welt der Überinformationen
verlassen fühlt; die Veröffentlichung der Privatsphäre ist gleichsam ein
Selbstschutz, ist, so könnte man schlußfolgern, zu einer je eigenen Artikulation
von Ich-Identität geworden, die sich gegen ihre zusehende Einsamkeit gar nicht
anders wehren kann, als diese selbst – in all ihrer Bescheidenheit – öffentlich
zu machen. Schon Günter Anders analysierte dieses Phänomen, aber damals noch
auf das Fernsehen gemünzt, und prophezeite, daß dieses einen bestimmten Menschentyp
hervorbringen werde, den vereinzelten „Masseneremiten“, der sich nunmehr radikal
in Szene gesetzt und entwickelt hat. Ein Strukturwandel der Öffentlichkeit
sieht anders aus, dies muß in aller Härte auch Jürgen Habermas bekennen, dem einst das Öffentliche so sehr am Herzen
lag. Und bei allen virtuellen Selbstbefriedigungen im Internet bleibt einem
immer Neil Postman gegenwärtig und sein „Wir amüsieren uns zu Tode.“ Die
radikale Veröffentlichung des Intimen ruiniert nicht nur das Private, sondern
banalisiert dieses bis zum tödlichen Amüsement.
>> Kommentar zu diesem Artikel schreiben. <<
Um diesen Artikel zu kommentieren, melden Sie sich bitte hier an.