Erschienen in Ausgabe: No 55 (9/2010) | Letzte Änderung: 29.08.10 |
von Christoph R. Hörstel
Es ist offenbar ein Zeichen unserer Zeit, dass immer
wieder Debatten am Thema vorbei gestartet werden. Dieser Tage ist es eine
unbedarfte israelische Soldatin, die ihre „Facebook“-Seite mit sprechenden Bildern
gedemütigter Palästinenser „verzierte“.
Eden Abergil hatte die Schnappschüsse mit den Worten
kommentiert: „Israels Armee, die beste Zeit in meinem Leben.“ Das kann man
glauben: Denn die israelische Armee, wörtlich: „Israelische Verteidigungsarmee“
(englisch abgekürzt: Israeli Defence Force = IDF) teilt aus - und Palästina
leidet. Die Süddeutsche Zeitung hat über die Fotostory fein berichtet. Und
Autor Münch, der gern entlang der US-Interessen schreibt, goss noch wohldosiert
moralische Entrüstung nach - in einem Kommentar. Im Beitrag wurde sogar
angedeutet, dass es noch schlimmere Bilder gebe: Israels Soldaten posieren vor
getöteten Palästinensern - so beschrieb es demnach Menschenrechtler Yehuda
Schaul. Und im Kommentar sagt Münch, die israelischen Bilder seien keineswegs
so schlimm wie die aus dem US-Foltergefängnis Abu Ghraib nahe der irakischen
Hauptstadt Bagdad (wo 2004 die USA ihr Gesicht verloren, als die Wahrheit über
die viehische Behandlung herauskam, die sie ihren irakischen Gefangenen hatten angedeihen
lassen.)
Die Erleichterung ist dem ehrenwerten Kommentator
anzuspüren. Da geht es also den Palästinensern doch noch ganz gut - oder?
Dazu einige Bemerkungen.
In Abu Ghraib war gefoltert worden wie an mehreren
anderen Stellen im Irak (und US-General Stanley McChrystal war mittendrin. Ein
angeblicher Übersetzer mit dem ominösen Namen „John Israel“ spielte in Abu
Ghraib eine herausgehobene Rolle - offenbar ein Mossad-Mann. Nur in Israel geht
man so mit Gefangenen um wie die USA im Irak, in Guantànamo, Bagram und
Kandahar (Afghanistan) dies getan haben - und möglicherweise noch heute tun -
oder tun lassen. Und dieser „John Israel“, der kurz nach seiner Vernehmung
spurlos verschwand, hatte so oft, wie ich es noch nie gelesen habe in einer
Vernehmung, das Wort „ehrlich“ benutzt - während er offenbar log.
Israel ist ein Folterstaat, darum geht es. Wer da gut
foltert, kann sogar Karriere machen. „Hügel der Schreie“ heißt im
palästinensischen Volksmund ein Gefängnis des Inlands-Geheimdienstes Shin Beit,
der an der Ermordung des eigenen Regierungschefs Itzhak Rabin beteiligt war.
Wer das Zeugnis eines Palästinensers liest, der zum Krüppel gefoltert wurde,
versteht das: die übelste Geschichte, die ich je gelesen habe.
Jetzt haben wir die Palästinenser erfolgreich
gezwungen, mit Israel erneut erfolglos zu verhandeln, obwohl Israel das
internationale Recht schlimmer mit Füßen tritt denn je, die Weltgemeinschaft
offen verhöhnt und ebenso noch offen weitersiedelt, wo es das nicht darf - und
Palästinenser vertreibt. Wenn wir nicht einen einsamen Hungerstreikenden in
Berlin vor Israels Botschaft hätten, müssten wir das gar nicht richtig
bemerken. Das Verhältnis Israel-USA gilt als gespannt. Sogar Israels Opposition
hatte Palästinenser“chef“ Mahmud Abbas geraten, nicht in Verhandlungen
einzutreten.
Und wir holen Israel in die EU und in die Nato, weil
Israel als „einzige Demokratie“ der Region unsere Werte teile. Ja, ich fürchte,
dass das Letztere stimmt. Der Volksmund kennt sich da aus: „Gleich und gleich
gesellt sich gern.“ Gerade kam heraus, dass die Sondertruppe KSK
gewohnheitsmäßig Afghanen abknallt. Wir haben Namenslisten von Afghanen an
unsere amerikanischen Verbündeten abgegeben. Seit Jahren kämpfen wir an der
Seite von Verbündeten, die foltern, morden, stehlen und lügen. Wir sind ein
Volk von Komplizen geworden, dass stillschweigend akzeptiert, von Regierung und
Medien darüber belogen zu werden. (Das Wort „Beschönigung“ in diesem
Zusammenhang wäre eine solche.)
Wir haben Israel verdient.
Das macht mir erhebliche zusätzliche Sorgen um Israels
gesamte Bevölkerung. Wir müssen den Menschen jüdischen Glaubens in aller Welt
unsere Türen öffnen, mit ihnen Kontakt aufnehmen. Wir können nicht die Menschen
verdammen wegen der korrupten und verbrecherischen Politik Israels, wie auch
wir nicht beurteilt werden wollen nach dem Massaker von Kundus im letzten Jahr
und vielen anderen schrecklichen Morden.
Aber das können wir nur dann glaubwürdig tun, wenn wir
Unrecht auch so benennen: wann immer und wo immer es durch wen auch immer
geschieht.
Also: Auch Palästinenser begehen Verbrechen. Raketen
auf die israelische Siedlung Sderot, Selbstmordattentate an Bushaltestellen
etc. bleiben ein Verbrechen. Der Unterschied liegt in der Dimension. Der
Gazastreifen als zynisch und chronisch unterversorgtes Freiluft-Gefängnis, die
Totenzahlen im Verhältnis 100:1, hunderte palästinensische Kinder in
Gefängnissen, offenbar gezielte Misshandlungen und auch Morde an Kindern - dies
nicht klar zu benennen macht unsere Schuld aus - und könnte sich eines Tages
schrecklich rächen. Nicht durch Terror, das behaupten die Nato-Innenminister
(4.8., 29.7.), die selbst daran mitwirken.
Ich befürchte weit Schlimmeres.
Quelle: http://www.hoerstel.ch/hoerstel/News/Eintrage/2010/8/18_Flutkatastrophe_in_Pakistan_-_direkt_spenden.html
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Warszawski 29.08.2010 22:53
Nein. Nach Lesen dieses ausgewogenen Artikels begehen nur Juden Verbrechen - Palästinenser verteidigen sich. Schon die Linke bezeichnete Raketen auf Israel als "Sylvesterfeuerwerk". Ich befürchte nicht weit Schlimmeres. Die Shoa hat bereits stattgefunden.