Erschienen in Ausgabe: No 55 (9/2010) | Letzte Änderung: 29.08.10 |
von Heike Geilen
Der Weg ist
gar so einsam,
Es reist ja
niemand mit;
Die Wolken nur
am Himmel
Halten
gleichen Schritt.
(Theodor Storm,
„Weiße Rosen“)
Einige
verloren wir „unterwegs“, manche begleiten uns bereits lange Zeit, andere haben
wir erst jüngst in unseren inneren Kreis aufgenommen. Wie wichtig
Freundschaften für uns sind, merken wir erst dann, wenn wir niemanden haben,
dem wir unser Innerstes anvertrauen können. Freunde sind ein wesentlicher
Bestandteil eines erfüllten Lebens. In der Definition von Freundschaft gibt es
keine sture Regel, die vorgibt, ab wann jemand ein Freund und bis an welchen
Punkt er nur ein guter Bekannter ist. Jeder Mensch definiert Freundschaft
anders.
„Freundschaft
kann man genauso wenig erklären wie Liebe; doch was wären wir, wenn wir es
nicht versuchten?“, sinniert der Protagonist in Hansjörg Schertenleibs neuem
Roman „Cowboysommer“ - sein Alter Ego?
Der
Schweizer Autor, der in Irland eine zweite Heimat gefunden hat, setzt sich
erneut - wie schon in seinem vor zwei Jahren erschienen „Regenroman“ - mit den
Themen Liebe und
Enttäuschung, Leben und Tod, Kindheit und Erwachsensein, Vergangenheit und
Erinnerung auseinander. Zentraler Zusammenhalt ist jedoch unzweifelhaft das
Sujet Freundschaft.
„Wäre ich ein Mädchen, ich würde mich auf
der Stelle in dich verlieben.“
Mit diesem Gedanken beginnt Schertenleibs Roman und auch die Freundschaft von
Boyroth und Hanspeter „Gönngi“, dem Ich-Erzähler. Und eben dieser Satz und eine
erneute Begegnung der beiden Freunde nach langen Jahren der Abstinenz, ist
Auslöser für die dreißig Jahre zurückliegenden Erinnerungen des mittlerweile
über Fünfzigjährigen, der sich vom damaligen Setzerlehrling zum Schriftsteller
„emporgearbeitet“ hat. Ganz anders sein Gegenüber, dessen fleckiger Parka und
zotteliger Bart nichts mehr von der Souveränität und Überlegenheit des
damaligen jungen Mannes ausstrahlt, sondern den eine Müdigkeit und Bitterkeit
umgibt. Die
Zeit hat ihre Spuren hinterlassen. Heute scheint Boyroth nur noch ein Schatten
seiner selbst zu sein, „im Würgegriff der
Vergangenheit“.
Damals
- 1974 - war Boyroth der autonome „Macher“.
„Es ist so
schön, so schön, so schön, ein Cowboy zu sein.“, singt der
Liedermacher Gisbert zu Knyphausen. Cowboys sind die beiden siebzehnjährigen
Protagonisten auch. Sie haben einFaible
für Fußball, die gleiche Musik und ihre frisierten Mopeds. Für Hanspeter ist
Boyroth vom ersten Augenblick an etwas Besonderes. „Er würde mir das Gefühl geben, da zu sein, am Leben zu sein, wirklich
und immer, jede Sekunde, jemand, der nicht in der Menge untergeht und doch
nicht allein ist. Er hatte, das sah ich, die schwierige Aufgabe, er selbst zu
werden, bereits geschafft. Mit ihm konnte ich üben, ein anderer zu sein, bis
ich wirklich ein anderer war. (...) Er tat alles dafür, seine Träume zu
erfüllen.“
„Gönngi“
gleitet in diese Freundschaft aus seiner Kindheit in die der Erwachsenen, auch
wenn ein tragisches Unglück die Beiden trennen und für ihr Leben zeichnen wird.
Hansjörg
Schertenleib wartet erneut
mit einem wunderbar zartbesaiteten und feingeistigen Duktus auf. Er versteht
es, auf unnachahmliche Art und Weise, Gesten und Blicke ins Jetzt zu heben und
damit dem Leser zugänglich zu machen. Trotzdem die alle Sinne berührende
Lektüre eine unbewusste Schwerelosigkeit erzeugt, agiert sie mit
literarischemTiefgang und stilistischem
Niveau. Das leise, unaufdringliche und beinahe unspektakulär zu nennende Buch
übt vor allem durch die Aktivierung aller fünf Sinne einen magischen Sog aus.
Vielfältige Eindrücke und Erinnerungen durchziehen meisterhaft den ganzen
Roman. "Cowboysommer" verrückt Distanzen: Fernes wird nah und Nahes
fern. Es ist ein nachdenkliches, aber nicht grüblerisches, ein zuweilen
melancholisches, aber nicht trauriges Buch.
„Wieder das
sein
was ich nie
war
aber immer
sein werde.“
(Gerhard
Altenbourg)
Hansjörg
Schertenleib
Cowboysommer
Aufbau
Verlag, München (August 2010)
244
Seiten, Gebunden
ISBN-10:
3351033214
ISBN-13:
978-3351033217
Preis:
19,95 EURO
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