Erschienen in Ausgabe: No 56 (10/2010) | Letzte Änderung: 27.09.10 |
von Stefan Groß
Während beispielsweise noch für den Jenaer
Philosophen Fichte die Natur nichts weiter als ein Anti-Ich war, das genichtet
werden mußte, und das damit zum bloßen Anhängsel eines sich setzenden Ich
wurde, hatte sich bereits der junge Schelling gegenüber dieser Form von
Transzendentalphilosophie, die auf einen bloßen Solipsismus hinauslief, rigoros
verweigert, stellte ihr schließlich seine Naturphilosophie und sein
Identitätssystem gegenüber. Bereits der frühe Schelling war ein
leidenschaftlicher Naturenthusiast, an allen Phänomenen der lebendigen Natur
interessiert, hatte die damals neuesten Forschungen auf den Gebieten der Chemie,
der Psychologie und der Medizin tief verinnerlicht.
Dieses, sein Interesse an der lebendig,
fühlenden Welt, an der Natur als Subjektivität, stieß bereits damals auf reges
Interesse. So war es kein anderer als der Dichterfürst und Weimarer Minister Goethe,
der auf Schelling – samt dessen Naturpoesie und Naturromantik – aufmerksam wurde.
Goethe war – wie hinlänglich bekannt – ein strikter und genauer Analytiker der
Natur und ihrer Gesetze, ein Verfechter der empirischen Beobachtung. Auch er
suchte, anders als der spekulative Idealismus à la Fichte und Hegel, nicht die
Natur aus dem Geist zu deduzieren, sondern vielmehr aus allen Erscheinungen
heraus, aus der Welt der Phänomene, das ewige Gesetz herauszukristallisieren. Mit
der Berufung Schellings nach Jena erhoffte sich Goethe nicht nur die
transzendentalen Exzesse Fichtes endgültig zu beenden, sondern auch einen
Geistesverwandten zu finden und zu befördern, der seine eigenen
naturphilosophischen Forschungen begleitend unterstützen könnte.
Während Fichte nur deduzierte, wurde also für
Schelling die Natur keineswegs zum „Material der Pflicht“, sondern avancierte
für ihn zum Objekt der Begierde, das ihn letztendlich dazu beflügelte, die
Natur als Inspiration für den Künstler anzusehen, der wie Natur arbeitete.
Schelling war der – philosophisch gebildetste – Romantiker an der Jenaer
Universität, bekämpfte mit allem Enthusiasmus, die mathematisch-mechanische
Wissenschaft, die die Natur als bloß totes Objekt, als rein verobjektivierte
Materie, betrachtete. Nicht die mathematische Wissenschaft, die alles Empfinden
auf rein materielle Prozesse reduziert haben will, konnte für ihn letztendlich
zur Wahrheit führen, sondern einzig der Künstler, dem die Mimesis der Natur
gelang. „Die Kunst“ ist „das einzige wahre und ewige Organon der Philosophie
[…], wo […] in Einer Flamme brennt, was in Natur und Geschichte gesondert ist.“
[…] „Die Natur ist ein Gedicht, das in geheimer, wunderbarer Schrift
verschlossen liegt. Nur die Kunst kann das Rätsel lösen.“[1]
Andreas Webers tritt mit seinem Buch Alles fühlt, Mensch, Natur und die
Revolution der Lebenswissenschaften in die Fußstapfen jener Autoren der
Klassik- und Romantikzeit, denn auch er plädiert in Alles fühlt für eine neue Sicht auf die Natur, verwehrt sich gegen
eine reine Verobjektivierung der Natur und Reduktion derselben auf bloße Materie;
er setzt statt dessen darauf, daß man Lebewesen nur verstehen könne, wenn man
das Prinzip Subjektivität bedenke. „Die Biologie, die sich seit Mitte des 19.
Jahrhunderts alle Mühe gegeben hat, die Empfindung aus der Natur zu vertreiben,
entdeckt das Gefühl das Basis des Lebens wieder.“
Wogegen Weber rebelliert, sind die Arroganz
von Craig Venter und sämtlicher Forscher, die vor Jahren die Entschlüsselung
des menschlichen Genoms als zentralen Durchbruch feierten. Nicht nur um die
Entschlüsselung ist es, so der 1967 geborene und studierte Biologe und
Philosoph Weber, ruhig geworden, die ganze damit verbundene Rhetorik, der
Mechanik des Lebens „endgültig wahrhaftig zu werden“, ist ebenfalls mit zum
Stillstand, beziehungsweise zur Ruhe gekommen. Gene und Gen-Kombinationen sind
eben doch eine keine einfachen Bauklötzchen, sondern lebendige Wesen mit einem
eigenen „Willen“, die sich von Situation zu Situation verwandeln.
Die Biologie als Wissenschaft vom Leben hat
sich, so die Forderung Webers, gründlich von ihrer Maxime zu verabschieden, daß
die Organismen kleine Maschinen sind, denn mit einer derartig kausalen
Erklärung vermag man dem Rätsel, dem Welträtsel, wie noch Ernst Haeckel
schrieb, nicht auf die Spur zukommen.
Der veränderte Blick auf die Welt des Organischen,
der Paradigmawechsel in der Biologie kommt dabei, so Weber, einer Revolution gleich.
Was die Quantentheorie für die Physik Newtons war, diese Rolle spielt die
moderne Biologie derzeit, denn sie fügt dem gewandelten „Bild von Objektivität
eine neue Dimension hinzu: Sie stellt fest, dass die Subjektivität der
Lebewesen eine physikalische Größe ist. Sie entdeckt Wert und Gefühl im Zentrum
einer Physik der Organismen […].“ Statt Quantifizierung und Meßbarkeitswahn nun
die Entdeckung der Wildnis; die schöpferische natura naturans erobert sich ihre
Domäne jenseits blinder Allmachtsphantasien zurück. Denn auch in den Genen ist
etwas am Werk, das einem Ziel folgt, eine Kraft, die die Materie zu ordnen
vermag. „Fühlen ist nichts spezifisch Menschliches, im Gegenteil. Es kommt in
allen Lebewesen zum Ausdruck, weil es ihre Biologie bestimmt.“
Was im Streit zwischen Kreationisten und
Evolutionisten zumeist vergessen wird, und darauf hinzuweisen, wird Weber nicht
müde, ist die schöpferische Kraft der Materie, ein ihr immanenter Prozeß, ein
Akt, den Weber „Schöpferische Ökologie“ nennt. Und Weber tritt damit auch ein
Stück weit in die Spur Martin Heideggers, wenn er den „Haushalt“ der Natur
nicht als Leistungsbilanz verstehen will, sondern ausdrücklich als „Heimat“ und
Behausung empfindender Wesen. Schöpfung und Geschöpf, natura naturata und
natura naturans, wie einst in der Quantentheorie Beobachter und Experiment, sind
keine voneinander trennbaren, unabhängigen Größen, alles ist miteinander
verbunden. Bereits in der Materie findet sich eine Tendenz zur
Höherentwicklung, das Prinzip der Fülle, das schon im 18. Jahrhundert, so bei
dem Philosophen Krause, eine große Rolle spielte, als er seine organische
Naturphilosophie entwickelte, die, wie bei Weber, ihre Ursprünge in
Aristoteles, Plotin, Spinoza, Goethe, Schelling und Humboldt hatte.
An Webers „Schöpferische Ökologie“ schließt
sich eine ganze Kette an Sollensforderungen an, die der heutigen Menschheit
nicht gleichgültig sein können; Ökologie und Naturschutz inklusive, sie wird
damit zu einer Metapher des Lebens, die nicht nur den alten Leib-Seele-Dualismus
zu überwinden sucht, sondern auf die Ganzheitlichkeit der Schöpfung abzielt,
eine Verantwortung dieser gegenüber – wie einst bei Hans Jonas – einklagt, die
aber keineswegs als Heuristik der Furcht daherkommt, sondern als eine Maxime
der Vernunft, die dem Wesen des Menschen unbedingt einverleibt ist. Denn ohne
diesen neuen Respekt gegenüber der Natur sei es in Zukunft überhaupt nicht möglich,
Auskünfte von dieser zu erhalten, was schließlich auch die Molekularbiologen dazu
zwingen wird, zu lernen, Gene und Proteine „mit Respekt zu behandeln“. Dieser
neue Respekt ist es, für den Weber wirbt, und für ihn kann sich dieser nur
einstellen, wenn man der darwinistischen Ideologie, die jedes Gefühl auf einen
blinden Trieb reduziert, die keine Werte außer der egoistischen Gier kennt,
mittels einer neuen Naturpoesie entgegentritt, die das Schöne und die
Expressivität der Natur in den Mittelpunkt stellt. Weber ist damit Schelling
sehr nahe, denn wie dieser plädiert er für „poetische Präzision“.
Kurzum: „Die Revolution in den
Lebenswissenschaften vermag so zum Kern einer wahren ökologischen Ethik
vorzudringen, einer Ethik, in welcher die Erde nicht länger stumme Bühne für
den Krieg des Überlebens ist.“ Überleben gelingt nur dann, wenn der Wert des
Lebens erkannt wird; dies ist aber nur einem empfindenden Subjekt möglich. Die
Liebe ist, auch dies wird deutlich, keineswegs nur ein „unordentliches Gefühl“,
wie jüngst Richard David Precht einklagte.
Andreas Weber, Alles fühlt, Mensch, Natur und die Revolution der Lebenswissenschaften,
Berlin 32008, ISBN: 978-3-8333-0423-1, Preis: 9,90 Euro
[1] Friedrich Wilhelm Joseph Schelling, System des transzendentalen Idealismus
[1800], Hamburg 1962, S. 297 [6. Hauptabschnitt, § 3].
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