Erschienen in Ausgabe: No. 16 (1/2001) | Letzte Änderung: 05.01.13 |
von Stefan Groß
Mit der Einladung, über den
"Wielandgarten" zu sprechen, haben sie mich in einige
Verlegenheit gebracht. Der Garten in Oßmannstedt ist ja mehr
als nur der Garten des Literaten, seine Geschichte umspannt einen
Zeitraum, der im Jahre 1756 beginnt und permanent endet. Das
Engagement, den Park und seine Geschichte zu bewahren, war das
Anliegen der Oßmannstedter und verdankte sich dem Einsatz
vieler Bürger. Die Wiederbelebung des Gutshauses und des Parks
wird momentan von dem bekannten Literaturprofessor Jan Philip
Reemtsma vorangetrieben. Durch die großzügige finanzielle
Unterstützung wird es möglich, sowohl Veränderungen am
Garten vorzunehmen als auch ein Bildungskolleg einzurichten, das
Wielandforschern aus aller Welt die Möglichkeit zum
Gedankenaustausch gibt.
Einerseits muß ich zugestehen,
daß ich kein profunder Wielandkenner bin, obwohl ich mich mit
der Thematik intensiv auseinandergesetzt habe. Andererseits stellen
kleine Gärten wie der Park in Oßmannstedt den Interpreten
immer vor Schwierigkeiten, da es wenig Literatur dazu gibt, die
Quellenlage also schwierig bleibt. Anders als große Barock-
Renaissance- und Landschaftsgärten ist der Park eher eine
Randerscheinung der Gartenkunst, was jedoch nicht bedeutet, daß
das Gesamtkunstwerk Oßmannstedt zu vernachlässigen wäre.
Durch den Aufenthalt Wielands erhält der Garten eine
übergeschichtliche Bedeutung, er bleibt für das Kulturerbe
und insbesondere für die Weimarer Klassik ein wichtiges Zeugnis,
das man neben die berühmteren Anlagen, dem Park an der Ilm, dem
Ettersburger Park, dem Tiefurter Park und Belvedere stellen kann.
Leider erwähnt der berühmte Gartentheoretiker Hirschfeld
den Oßmannstedter Park nicht, sondern wendet sich in seiner
fünfbändigen "Theorie der Gartenkunst" nur dem
Park an der Ilm und dem Ettersburger Garten zu.
Mit dem Garten, seiner Entstehung,
Planung, Veränderung beschäftigen sich Frau Schneider und
Herr Dr. Freitag, sie sind wohl die profundesten Kenner der
Oßmannstedter Anlage. Ich möchte Frau Angelika Schneider
herzlich danken, von der ich wichtige Details erfuhr.
Entgegen der Ankündigung "Der
Wielandpark in Oßmannstedt" möchte ich einen anderen
Einstieg wählen. Meinem Vortrag gebe ich die Überschrift
"Der Garten als Tusculum". Natürlich werde ich auf die
Geschichte des Parks eingehen, daß Hauptaugenmerk liegt aber
auf der Beziehung zwischen Wieland, seiner Literatur und Philosophie
und dem Garten. Fragen sind in diesem Zusammenhang zu stellen, die
beantworten, wie der Garten zu Wielands Zeit ausgesehen hat. Warum
hat sich Wieland diesen Garten als Alterssitz auserwählt und was
bewog Wieland letztendlich dazu, Gärten als "glückselige
Inseln" zu bezeichnen? Ich möchte den Vortrag in fünf
Kapitel aufgliedern. Ein erster Teil beschäftigt sich mit der
geistigen Situation der Zeit und ihren philosophischen Grundlagen,
die für Wieland maßgeblich waren. Ein zweiter Teil nähert
sich dem Garten in Oßmannstedt und seinen geschichtlichen
Ursprüngen an. Ein dritter Teil wendet sich der Thematik des
Todes und dem Gedanken vom Elysium zu. Der sich daran anschließende
vierte Teil beschäftigt sich mit anderen Gärten, die
Wieland kannte. Ein abschließender Teil sucht nach Wielands
eigenen Vorstellungen vom Garten.
Gärten spielten in Wielands Leben
sowohl in seiner Heimatstadt Biberach, in Warthausen, wo sich seine
ehemalige Verlobte Sophie von La Roche aufhielt, in Weimar und in
Oßmannstedt eine besondere Rolle. Er suchte im Garten in
allererster Linie einen Rückzug aus der Alltäglichkeit. Das
Erlebnis der Intimität teilt Wieland zeitgleich mit dem
berühmten Dessauer, dem Fürsten Franz III von Anhalt Dessau
und mit vielen Adligen und Intellektuellen, für die der Garten
die einzige Zuflucht war, um der höfischen und
gesellschaftlichen Etikette zu entfliehen.
In
der damaligen Naturpoesie und Naturphilosophie des französischen
Aufklärers Rousseaus und des aufgeklärten englischen
Ästheten und Moralisten Shaftesbury, die Wieland nicht nur dem
Namen nach kannte, sondern sich mit diesen Philosophen schon in
seiner frühen Biberacher Zeit, in seiner Züricher Zeit bei
Bodmer und während seiner Philosophieprofessur in Erfurt,
auseinandersetzte, verstand man den Garten als einen Ort der
sinnlichen und freiheitlichen Selbstbestimmung des Individuums. Zwar
kritisierte Wieland Rousseaus Vorstellungen von einer Lebensform vor
der Zivilisation, er teilt aber mit diesem den Naturalismus und die
Gesellschaftskritik. Ebenso kann er ihm zustimmen, wenn er die
zivilisatorischen Stilblüten der modernen Kultur, die auch für
ihn manches Befremdliche und Verdorbene mit sich führen,
kritisiert. Rousseaus Forderung zum unbeschränkten "Zurück
zur Natur" und den Gedanken vom "état naturel"
teilt er nicht.2
Dennoch müssen, wie die Korrespondenz mit Julie von Bondeli
belegt, Rousseaus Gedanken zur Natur, zum Garten und zur Erziehung
auf Wieland Einfluß geübt haben. Im "Émile"
legt Rousseau eine neue Erziehungsmethode vor, in seinem Briefroman
"Julie ou la Nouvelle Héloïse" verlegt
Rousseau das philosophische Gespräch mit Saint Preux in den
Garten. Das Betreten des Gartens stellt die Liebenden vor schwierige
Aufgaben. Der Garten wird zum Ort der Prüfung und der
Selbstreflexion. In Wielands Schriften der "Republick des
Diogenes", in den "Beyträge(n)" zur
Geheimen Geschichte des menschlichen Verstandes und Herzens"
und in den Essays "Über J.J. Rousseaus ursprünglichen
Zustand des Menschen" setzt sich Wieland intensiv mit der
Kulturtheorie Rousseaus auseinander. Auch Shaftesburys Denken
beeinflußte ihn, dessen Schriften er im Original gelesen hat, da
er sich die englische Sprache, die für seine
Shakespeareübersetzung die Voraussetzung war, aneignete. Wie
bekannt, las Wieland nicht nur englische Autoren, sondern auch die
für die englische Aufklärung und Gartenrevolution
maßgebliche Zeitschrift, den "Spectator". Die
Kritik an der Regierung Robert Walpoles, die Auseinandersetzung mit
den Törries, durch aufgeklärte Whigs ließ den
"Spectator" zu einer liberal gesinnten Zeitschrift
werden. Die moralische Wirkung der freien Natur und die in den
Nummern 411-4213
durch Joseph Addison proklamierte neue wirkungsästhetische
Beurteilung der Natur ist Wieland nicht entgangen.
Shaftesbury
hatte einen maßgeblichen Anteil am neuen Naturbild. Das
Verhältnis zwischen Natur und moralischer Erziehung wurde von
ihm besonders gründlich bedacht. In seinem Werk "Die
Moralisten" verleiht er einerseits seiner neuplatonischen
und andererseits seiner aufklärerisch fundierten Naturauffassung
über die kosmische Gesamtheit und die Stellung des Menschen
Gestalt. "Wielands eigene Erziehungsschriften waren von dieser
Rezeption des englischen Philosophen beeinflußt, und der
schärfer blickende Lessing bemerkt in den Literaturbriefen
kritisch, daß der immer so christlich argumentierende Wieland
hier den Falschen ,zum claßischen Schriftsteller' macht, denn:
,Shaftesbury ist der gefährlichste Feind der Religion, weil er
der feinste ist'. Lessing bezweifelt außerdem, daß
Wieland so ohne weiteres den Begriff der ,Kalokagathia'
(Schöngutheit, Herv. S. G.) der Griechen mit dem von
Shaftesbury's ,virtuoso' identifizieren dürfte."4
Trotz der Kritik Lessings gibt es eine Vielzahl von Parallelen
zwischen beiden Denkern. Der ironisch-sarkastische Stil Shaftesburys,
der unter dem sogenannten "test of ridicule" bekannt
wurde, die Verbindung zwischen Vernunft und Affekten, wobei letztere
nicht mehr wie in der platonischen und neuplatonischen Tradition
üblich, negativ beurteilt wurden, prägt das Werk
Shaftesburys, der sich mit der Affektenlehre an seinem Lehrer John
Locke anlehnt. Die Beziehung zwischen Verstand und Gefühl zu
ergründen, wurde ein Thema Wielands. Shaftesbury und Wieland
teilen die Idee von der Beziehung zwischen Gutheit und Schönheit
im Sinne einer universalen Harmonievorstellung. Den Kosmos begreifen
sie als ein harmonisch geordnetes Ganzes, in dem Teil und Ganzes in
wechselseitiger Beziehung stehen. Beide gewinnen ihr harmonisches
Weltverständnis in der Auseinandersetzung mit der antiken
Literatur. Wieland hatte bereits in seiner frühen Schrift "Die
Natur der Dinge" - in Tübingen verfaßt -
kosmologische und anthropologische Ideen vorgestellt, die an das
Lehrgedicht von Lukrez "De rerum natura" anknüpfen.
In "Die Natur der Dinge" kritisiert Wieland bereits im
ersten Buch den Monismus und Pantheismus Spinozas und redet explizit
von der Unendlichkeit Gottes als des Schöpfers. Die Gottesrede
erinnert stark an die platonische negative Theologie, mit der
Naturphilosophie entwirft Wieland ein Bild der Natur, die er als
schönes und harmonisches Abbild des Göttlichen versteht.
Wieland verwirft nicht nur den Okkasionalismus Malebranches, die
"harmonia praestabilitia" und den "influxus
physicus" Leibniz', er hält an der "Kette der
Wesen" fest, denn er versteht wie beispielsweise Pseudo
Dionysius Areopagita die Welt der Wesen als eine Stufenleiter, die
vom höchsten bis zum niedrigsten Wesen herabreicht. Jedem
Individuum ist es möglich, an der Kette der Wesen zu
partizipieren, um zu Gott hin aufzusteigen. Der Tod wird in diesem
Zusammenhang nicht als Schicksal erfahren, sondern als das notwendige
Durchgangsstadium, das die Annäherung an Gott ermöglicht.
Wieland
teilt mit Shaftesbury unter anderen die Vorstellung von der heilsamen
Funktion der Ironie. Die Ironie ist das Maß der Mitte, mit ihr
lassen sich dogmatische Vorstellungen entlarven, sie fungiert
außerdem als Methode, die den Schein vom Sein trennt. Wie für
Shaftesbury ist die Ironie für Wieland ein Gradmesser, mit deren
Hilfe man Sophistereien kritisch hinterfragt. Auch der Witz hat für
Wieland eine weitreichende Funktion. Im "Musarion, oder von der
Philosophie der Grazien, in drey Büchern" schreibt Wieland:
"Bescheidne Kunst, durch ihren Witz geleitet, Gieb der Natur, so
weit sein Landhaus sich verbreitet, Den stillen Reiz, der ohne
Schimmer rührt. Ein Garten, den mit Zephirn und mit Floren
Pomona sich zum Aufenthalt erkoren; Ein Hain, worin sich Amor gern
verliert, Wo ernstes Denken oft mit leichtem Scherz sich gattet; Ein
kleiner Bach, von Ulmen überschattet, An dem der Mittagsschlaf
uns ungesucht beschleicht; - im Garten einer Sonnenlaube [...]."5
Wielands
Vorstellungen zum Hofleben sind ambivalent, sie schwanken zwischen
Akzeptanz und Ablehnung. Wieland kokettiert einerseits mit dem
Weimarer Musenhof und dem Kaiserhof in Wien, andererseits übt er
wie Shaftesbury Kritik am Hofleben, am Amüsement, an der
Urteilsunfähigkeit und an der gelangweilten Selbstgenügsamkeit.
Mit Shaftesbury sehnt er sich nach der Freiheit in der Natur und der
damit verbundenen Autonomie des Subjektes. Wie Shaftesbury lehnt sich
Wieland an die Antike an, diese wird als moralisches Vorbild
verstanden. Mit der Wiederbelebung antiker Geisteshaltungen wollen
sie der aufgeweichten Moralität des 18. Jahrhunderts begegnen.
Der Rekurs auf die "heilige" Antike zeigt bei beiden
Denkern, daß man die Moderne durch die antike Weltsicht und die
Vorstellung von einem Arkadien oder vom "goldenen Zeitalter
korrigieren will. Wieland glaubt ebensowenig wie Shaftesbury an eine
moralische Vorsehung, die mit dem Gedanken der Theodizee, d.h. mit
der Frage nach dem Bösen in Verbindung steht. Die Erlösung
vom Bösen, und dies ist eine lebenspraktische Maxime Wielands,
ist an das Engagement des moralischen Ichs und an den als ein
moralisches Wesen anzuerkennenden Adressaten ausgerichtet. Im fünften
Buch der "Natur der Dinge" schreibt er: "So schwindet
nach und nach das Uebel aus der Welt, Das jetzt die Ordnung stört
und unser Glück vergällt, So wird die Zukunft erst des
Schöpfers Güte preisen. Dann löst sich alles auf; dem
zweifelreichen Weisen, So wie dem Grübler, der vor Witz die
wahre Bahn Verfehlte, wird das Buch des Schicksals aufgethan; Wer
jetzt im Dunklen tappt, wird dann im Lichtmeer schwimmen [...]."6
Der moralische Glaube an die sittliche Veränderung der Welt läßt
Wieland zu einem aufgeklärten Denker werden.
Der
Wunsch, der höfischen Welt zu entgehen und die damit verbundene
Intensivierung des unmittelbaren freiheitlichen Erlebens
korrespondiert mit den damaligen Freiheitsvorstellungen der
englischen Aufklärer. Die englischen Adligen, die politisch
enttäuscht wurden, zogen sich auf ihre Landsitze zurück,
die sie nach ihren idealen Vorstellungen von der Welt und von der
Natur ausstaffierten. Von dort aus betrieben sie Politik. Vor diesem
Hintergrund kam es zur Unterscheidung zwischen der berühmten
country-Partei und der berüchtigten court-Partei. Dichter wie
Alexander Pope, Gartentheoretiker wie Horace Walpole suchten die
Intimität und fanden sie in ihren eigenen Gärten in
Twickenham oder in Strawberry Hill. Der Rückzug in die Intimität
des Gartens hatte nicht nur einen antibürgerlichen oder
antihöfischen Affekt, sondern ermöglichte den Individuen,
den Garten als Ergänzung eigener Vernunftvorstellungen zu
begreifen. Wieland schreibt am 25. 1. 1797: "ich muß aufs
Land. Hier in Weimar wird mir der Geist durch den Hof, mein Körper
durch das fatale Klima gemordet. Wollt ihr also mein längeres
Leben, so misgönnt mir diese ländliche Ruhe nicht. Ich habe
mir übrigens alle Nachtheile gedacht, welche diese Isolierung
für mich haben kann. Allein Der ist glücklich, sagt
Epiktet, der, was die Nothwendigkeit gebietet, gern thut. Mit dieser
Lebensphilosophie bin ich immer ausgekommen."7
Im Garten, und dies stimmt mit dem
Aufklärungsdenken der damaligen Zeit überein, kommt es zu
einer Auseinandersetzung mit der Natur. Der Garten - so hat ihn auch
Wieland verstanden -, ist der Ort des schöpferischen
Zu-sich-Kommens. Zeit seines Lebens betrachtete Wieland die Gärten,
genauer seine Gärten, als Freiräume der Kreativität.
Der
Gutspark in Oßmannstedt war zu Wielands Zeit weder ein
gepflegter barocker noch ein englischer Garten, wenngleich der
Lageplan Güssefeld's von 1776 nahelegt, daß es sich beim
Gutsgarten in Oßmannstedt um einen Barockgarten handelt. Den
Garten, den Wieland tatsächlich vorfand, war nicht mehr als eine
landschaftliche Nutzfläche. Wieland, um dies bereits
vorwegzunehmen, hat weder die barocke Gartengestaltung von Bünau
und von Anna Amalia übernommen noch hat er das Gut in einen
englischen Landschaftsgarten verwandelt. Wielands Leistung in
Oßmannstedt ist viel bescheidener. Von einer Anlage im
englischen Stil, die auf Wieland zurückgeht, kann man daher
nicht sprechen.8
Gegen eine Parkanlage englischen Typs scheint auch zu sprechen, daß
die ehemaligen Bassins der barocken Gartenanlage nicht modelliert
wurden, wie dies in englischen Gärten damals üblich war.
Das wellige Bodenmassiv wurde nicht verändert.
Sowohl die fünf Terrassen, die aus
der barocken Anlage stammen und heute noch sichtbar sind als auch die
Einsenkung der Becken, verdeutlicht, daß es sich im Gutspark um
eine Anlage im barocken Stil handelte. Fraglich ist, woher Bünau
das Konzept seiner Anlage übernommen hat. Er kannte mit
Sicherheit barocke Anlagen aus Dresden. Die Grottenanlage mit dem
wasserspeienden Delphin wurde nach dem Vorbild des Nymphenbades in
Dresden angelegt. Analysiert man den Plan Güssefelds, dann zeigt
sich der barocke Gestus der Anlage par excellence. Wie noch heute zu
erkennen ist, hat diese Anlage tatsächlich bestanden. Betritt
man das Anwesen durch die Mitteltür, heute geht man von Osten in
die Anlagen, dann begegnet einem die barocke Brunnenanlage mit dem
wasserspeienden Delphin. Es verwundert, daß man, wenn man das
Hauptportal mit seinen Vasen aus Sandstein im Rokokostil betritt, auf
die Hinterseite einer Staffage stößt, die die
Sichtbeziehung zur Gartenanlage verstellt. Auf der linken Seite
befindet sich das Gutspächterhaus, auf der rechten Seite die
Vierflügelanlage mit dem geschlossenen Innenhof. Im ersten Stock
zur Straße hin befand sich Wielands Arbeitszimmer. An das
Wohnhaus Wielands sich anschließend, findet sich der
Küchengarten, der sich fast bis zum mäandrisch anmutenden
Flußbett der Ilm erstreckte, die Orangerie und vor derselben
der ehemalige Rosengarten. Das für den Barockgarten
unverzichtbare Corps de logis fehlt. An die Stelle des barocken
Schlosses mit Innenhof treten zwei Luststücke und zwei
Terrassen. Verfolgt man die Sichtachsenbeziehung, die sich aus dem
Plan ergibt, zur Ilm hin weiter, dann schließen sich an den
oberen Teil des Gartens ein großer Platz mit einer Terrasse und
zwei Appareillen gegen die oberen Cabinets an.
Betritt man den Gutshof, der heute als
barocke Anlage erscheint, dann sieht man die vier Putten, die die
vier Jahreszeiten symbolisieren und die dort in den 70iger Jahren des
20. Jahrhunderts aufgestellt wurden. Diese moderne Gestaltung deckt
sich nicht mit der Legende Güssefelds. Im Plan sieht man keine
barock-floralen Muster, der Gutshof war wahrscheinlich, wie damals
üblich, mit einer reinen Kiesbettfläche ausgestattet. Steht
man vor dem Brunnen und blickt über die Terrassen zur Ilm herab,
dann sieht man im Plan Güssefelds vier barocke Flächen, die
durch eine Mittelachse getrennt sind. Auf einer zweiten, tiefer zur
Ilm hin gelegenen Fläche teilt sich der Garten wiederum in vier
Flächen auf. Folgt man der Querachse, dann findet man im Plan
zwei Pavillons. Diese waren mit Zeichnungen Oesers, der 1794 nach
Weimar gekommen war, ausgeschmückt. Zu Wielands Zeiten waren die
Pavillons jedoch nicht mehr vorhanden. Bei den beiden Pavillons enden
die beiden großen Lindenalleen am östlichen und westlichen
Rand des Gartens. Im mittleren Teil der barocken Gartenanlage befand
sich eine doppelte Terrasse, die den oberen und den unteren Garten
teilte. Südlich von dieser Terrasse befand sich im unteren
Parterre ein Theater, ein "Caroussel", ein Salon und
Boscagen, die in der Zeit, als Anna Amalia der Garten gehörte,
angelegt wurden. Der untere Teil des Gartens besteht aus einer großen
Boscage mit Alleen, zwei Bassins, zwei kleinen Kaskaden, zwei
Bosquets und einem "Bolingrin mit Fontaine". Der ansonsten
ummauerte Garten endet im Süden am Flußarm der Ilm, die
die natürliche Grenze des Gartens bildete. Schon in der barocken
Anlage findet der Besucher einen "belt walk", der für
den englischen Garten typisch werden sollte. Dieser Umgangsweg folgt
aber nicht der Hogarth'schen S Kurve, sondern ist geometrisch. Trotz
dieser geometrischen Wegführung ist nicht zu übersehen, daß
der Weg, wie später im englischen Garten, Blickpunkte in die
ungezähmte Natur freigibt und es dem Betrachter erlaubt, von der
domestizierten in die freie Natur zu blicken. Wieland ist diesen Weg
öfters gegangen.
Wenn man unter einem Gartenprojekt ein
detailliert-ausgeführtes Programm versteht, das auf
kunsthistorische und philosophische Konzeptionen Bezug nimmt, zählt
der sogenannte Wielandgarten in Oßmannstedt nicht dazu. Selbst
der Name "Wielandgut" ist befremdlich, da der Literat der
Vorklassik, des Rokoko und der Prinzenerzieher von Carl August keinen
eigenen Gartentyp schuf, der mit den übrigen Gärten in
Weimar konkurrieren konnte. Sechs Jahre, von denen er sich nur zwei
Jahre intensiv mit dem Garten auseinandersetzte, reichen nicht aus,
um ein Gartenprojekt im großen Stil umzusetzen. Carl August und
Goethe verwendeten weit mehr Energie, um ihre Gärten an einem
Gartentypus auszurichten als dies bei Wieland der Fall war. Wieland
verfolgt die Gartengestaltung in Weimar. Schon bevor er nach
Oßmannstedt kam, teilt er mit Goethe die Freude, ein Bürger
Weimars zu sein, weil er einen Garten erwarb. In einem Brief an
Friedrich Heinrich Jacobi schreibt er:
"Habe ich Dir schon gesagt, das Göthe und ich zu gleicher Zeit, jeder einen Garten vor der Stadt gekauft haben, und in Kraft dessen förmlich und feierlich Bürger von Weimar geworden sind? [...] Bilde Dir ein, daß es ungefähr so ein Garten ist, wie das kleine Gut, das Plinius dem Sueton kaufen will, ein Landgut war, d.i. gerade so, wie ihn ein Müßiggänger meiner Art vonnöthen hat; Bäume genug um Schatten zu haben, und groß genug, daß meine Mädchen sich müde darin laufen können. Seitdem die Kirschbäume zu blühen angefangen haben, bin ich nun den ganzen lieben Tag draußen, und habe es schon so weit gebracht, daß mir in meinen vier Mauern in der Stadt nirgends wohl ist, bis ich meinen Stab in der Hand habe, um hinauszugehen, und im Freien, im Grünen, unter meinen Bäumen im Angesicht meiner eigenen kleinen Planzungen, zu leben und zu wallen, und den unendlichen Erdgeist einzubeziehen, mit dem ich je länger je mehr Sympathie und Verwandtschaft fühle."9
Eine andere Stelle belegt die Freude über den Erwerb des Gutes.
"Tiefurt muß jetzt ein wahres irdisches Elysium seyn. Auch mein verwildertes Osmantinum ist in seiner noch rohen Gestalt nicht ohne Reiz, wenigstens für einen so schwärmerischen alten Liebhaber der Natur [...]. Vielleicht macht gerade dieser Umstand, daß noch so sehr viel daran umzuschaffen und zu verbessern, auszurotten und zu pflanzen, einzureißen und zu bauen ist, einen wesentlichen Theil des unerschöpflichen Interesses aus, den dieses kleine Besitzthum für mich hat."10
Überblickt man die Jahre von 1797-1803, in denen Wieland in Oßmannstedt Zuflucht suchte, dann nutzte Wieland, wie die neuere Forschung belegt, den Garten vorrangig zum landwirtschaftlichen Anbau. Die Zahl der Pflanzungen - speziell von Obstbäumen - belegt, daß Wieland seinen Garten als Nutzfläche verstand. 1798 schreibt Wieland in einem Brief an Heinrich Merck, der ein treuer Freund von Anna Amalia war, in Darmstadt:
"Ich sollte also sagen, ich habe mein Vergnügen daran, überall fruchttragende Bäume und eßbare Pflanzen zu sehen, und in Beet voll blühender Erbsen macht mir ebensoviel Spaß als einem Blumisten ein Beet voll stolzierender Tulpen oder Hyacinthen, und ich freue mich über jede kleine Schote, die aus ihrem weißen Westerhemdchen [Taufhemdchen] hervorwuselt, als ob mir gar viel daran gelegen wäre, und gucke alle Tage zwey dreymal, wie sich ihre Zahl stündlich vermehrt, und wie es um meine Päffbohnen, Zuckerschoten, Frühmöhren, Salatstöcke u.s.w. steht."11
Ganz anders beschreibt Goethe das Landgut, wenn er in einem Brief an Schiller am 21. Juni 1797 bemerkt:
"Vorgestern habe ich Wieland besucht, der in einem sehr artigen, geräumigen und wohnhaft eingerichteten Hause, in der traurigsten Gegend von der Welt, lebt, der Weg dahin ist noch dazu meistentheils sehr schlimm. Ein Glück ists, daß jedem nur sein eigner Zustand zu behagen braucht, ich wünsche, daß dem guten Alten der seinige nicht verleiden möge! Das Schlimmste ist wirklich nach meiner Vorstellung, daß bei Regenwetter und kurzen Tagen an gar keine Kommunikation mit andern Menschen zu denken ist."
Anders als Goethe beurteilt Wieland seine neue Residenz. Er schreibt am 1. April 1797 an Anna Amalia:
"Meine Villa verhält sich zu jener, welche Ew. Durchlaucht in dem hiermit zurückgehenden schönen Briefe so reitzend dargestellt und charakterisiert haben, ungefähr wie die Stadt Weimar zur Stadt Rom, oder wie das ehemalige Tiburtium ... zu dem Sabino eines Horaz sich mag verhalten haben. Von letztem habe ich schon lange die Kunst, mit wenigem vergnügt zu seyn abzulernen gesucht, und auch ich kann, wie er, sagen: die Götter haben mehr für mich gethan, als ich einst nur zu wünschen gewagt. Ich hoffe im Schoß der Natur und der Ruhe, mit den Meinigen und den Musen, die ihren alten Priester nie ganz verlassen werden, den Rest meiner Tage so glücklich zu verleben, als meine Freunde mir nur wünschen können: aber niemals! Niemals! Werde ich der wohltätigen Hand vergessen, durch welche das Schicksal mir ein so liebliches Looß zu Theil werden ließ! Immer werde ich, Gnädigste Herzogin, in Ew. Durchlaucht und in dem Durchl. Herzog, Ihrem würdigsten Sohn und Erben Ihre Liebe zu allem was Schön und Groß in Natur und Kunst ist, die gütigen Schöpfer meines Glückes mit dankvollen Herzen verehren, und in diesem Gefühl bis ans Ende meines Lebens beharren."
Die
von Wieland ersehnte Flucht aus der Urbanität und aus dem
höfischen Zwangskorsett wurde ihm in seinem "Osmantinum",
das er nach dem "Sabinum" von Horaz benannte,
möglich. Bereits in Goethes "Werther" finden sich
Anspielungen, die den Gegensatz zwischen der als unangenehm
empfundenen Stadt und der "paradiesisch" ländlichen
Landschaft betonen. Zwar war Wielands Verhältnis zu Goethe nicht
ungetrübt, dennoch erkannte er den Adlaten des Weimarer
Musenhofes als genialen Dichter an. Anders als Fritsch sah er in
Goethe nicht einen Karrieristen, sondern einen Herzensmenschen. In
einem Brief an seinen Freund und Briefpartner Friedrich Heinrich
Jacobi schreibt er über Goethe: "Wie ganz der Mensch bei'm
ersten Anblick nach meinem Herzen war! Wie verliebt ich in ihn wurde,
da ich am nämlichen Tage an der Seite des herrlichen Jünglings
saß! [...] Seit dem heutigen Morgen ist meine Seele so voll von
Goethe, wie ein Tautropfen in der Morgensonne." Trotz Goethes
Kritik an Wieland, der er in seiner Schrift "Götter, Helden
und Wieland" Ausdruck verlieh, konnte ihm der weitaus Ältere
und von seinen Freunden liebenswert genannte "Papa" Goethes
Keckheit nicht Übel nehmen. Während der Oßmannstedter
Zeit kam es zu mehreren Begegnungen zwischen beiden Denkern.
Durch
Schicksalsschläge wurde der Aufenthalt zeitlich begrenzt, denn
Wieland floh aus der Idylle, nachdem seine Frau (1801) und Sophie
Brentano (1800) frühzeitig verstarben. Die ersehnte Idylle, die
er bis an sein Lebensende auskosten wollte, blieb ihm damit versagt,
denn ab 1803, nachdem er sich zwei Jahre mit dem Verkauf des Gutes
beschäftigte, hat er sich nach Weimar zurückgezogen, wo er
1813 als achtzigjähriger starb. Ab dem Jahre 1802 hielt er sich
wieder öfter in Weimar auf. Die Schuldenlast und die Einsamkeit
verleideten ihm das Landleben. Aus diesem Grund ist es verständlich,
daß es ihm nur noch um den Verkauf des Gutes ging. Sein
Schwiegersohn Carl Wilhelm Stichling, der mit Wielands Tochter
Juliane verheiratet war, kümmerte sich um den Verkauf. Im Jahre
1803 erwarb der Hamburger Hofrat Christian Johann Martin Kühne
das Gut im Wert von 30000 Reichstalern. Der Preis war gerechtfertigt,
da Wieland während seines Aufenthaltes das vernachlässigte
Gut mit 300 Obstbäumen und einer Scheune aufwertete.12
Bereits am 19. Dezember 1797 schrieb Wieland an seinen Verleger Georg
Joachim Göschen: "Ich habe über 300 fruchtbare Bäume
gepflanzt, von deren größerem Teile, sofern sie gut durch
diesen Winter kommen, ich wenigstens die ersten Früchte zu
erleben hoffen kann [...]." Wie Böttiger in einem Brief an
Göschen in Leipzig schreibt, ging es Wieland im letzten Jahr des
Aufenthaltes in Oßmannstedt nicht besonders gut. Tagsüber
sei er mit den Griechen beschäftigt, abends und nachts überkommt
ihn die Schwermut über den Verlust der Angehörigen. Die
Angst, die Wieland beschlich, daß der Garten und die Grabstelle
nach dem Verkauf nicht mehr zugänglich werden, hatte er bereits
im August 1802. In einem Brief an Georg Joachim Göschen schreibt
er: "[...] der Garten, sage ich, soll, so lang es nur immer
möglich seyn wird, bei meiner Familie bleiben, und dies um so
mehr, da er das heilige Grab meiner Geliebten, und dereinst auch das
meinige, neben ihr, in sich schließt".13
Die
enge Beziehung, die Wieland mit seiner Fürstin pflegte, wurde
mit dem Umzug Wielands nach Weimar - in die Nähe des
Wittumspalais - wieder intensiver. Während Wielands
Oßmannstedter Zeit ließ die Fürstin ihm Depeschen
und Botschaften zukommen und stellte ihm im Tiefurter Schloß
Räume zur Verfügung, damit der Dichter auf seiner Reise
nach Oßmannstedt Zwischenstation machen konnte. Von einem
Abbruch der Beziehungen während der Abwesenheit Wielands in
Weimar kann daher nicht und zu keiner Zeit gesprochen werden, denn zu
intensiv war die Beziehung zwischen dem Prinzenerzieher, Libretto-
und Operndichter (Alceste) Wieland. Bei der Prinzenerziehung gab es
anfangs Unstimmigkeiten. Anna Amalia freute sich aber dann doch über
die Rückkehr des Literaten.14
In einem Brief vom 14. Februar 1803 schreibt sie: "Lieber bester
alter Freund unendlich habe ich mich gefreut, daß Sie so
vorteilhaft Ihr Oßmannstedt verkauft haben, ein Wunsch den ich
lange insgeheim gefühlt habe. Aber dafür will ich so viel
es in mein Vermögen stehet (versuchen) Ihnen die Stadt so
angenehm zu machen, daß Sie das Landleben darüber
vergessen und bey uns wieder jung werden."
Die
Thematik des Todes, die Buttlar15
unter dem Stichwort der Transzendenz beschreibt, erlangte
nicht nur im Wörlitzer Garten, sondern auch im Oßmannstedter
Park Bedeutung. In Wörlitz stellte der Fürst an
transparenter Stelle die "Goldene Urne" auf, die als
Grabstätte einer seiner Töchter diente. Von der Urne ergibt
sich eine dreifache Sichtachsenbeziehung zum Wörlitzer
klassizistischen Schloß, zur "Neugotischen Kirche"
und zur "Muschelsucherin". Diese Art der Bestattung im
Garten ist für die damalige Zeit ungewöhnlich, ja sie
bedeutet eine Revolution des Bestattungswesens. Mit der Verlagerung
der Grabstätte in den Garten kommt es zu einem säkularen
Bestattungswesen. Symbolisch wird der Tod von der kirchlichen
Grablege gelöst und in den Garten verlagert. Diese säkulare
Bewegung oder Transformation vom Gotteshaus und vom Gottesacker hin
in die Natur zeigt, daß man sich in der Aufklärung vom
rituellen Bestattungswesen distanzierte. Der Gedanke vom Tod wird in
Wörlitz nicht verdrängt, sondern man reflektiert auf den
Tod als einen transzendenten und weist auf diese Macht hin, um der
Toten zu gedenken, und um sich selbst die Endlichkeit vor Augen zu
halten. Urnen, Grabmäler und Sarkophage, wie beispielsweise der
Sarkophag vor der Wörlitzer Kirche und die "Dietrichsurne"
unterstreichen die Todesthematik. Im Oßmannstedter Park steht
ein Obelisk. Ihm zu Füßen befinden sich an drei Seiten die
Gräber von Wieland, seiner Frau und Sophie Brentano. Unweit von
der Grabstelle befindet sich das Grab der Eheleute Grant, die 1858
das Gut erwarben und es fast vierzig Jahre zu einem geistigen Zentrum
machten.
Der Obelisk des Wielandgrabes trägt
als Inschrift das Distichon des Dichters: "Liebe und
Freundschaft umschlang die verwandten Seelen im Leben. Und ihr
Sterbliches deckt dieser gemeinsame Stein." Der platonische
Hintergrund ist nicht zu übersehen, handelt es sich - gerade im
Hinblick auf Sophie Brentano - um eine idealisierte Liebe.
Das
Leben im Angesicht des Todes konnte Wieland nicht erschrecken. Seine
streng reglementierte und organisierte Tagesplanung zeigt, daß
er bereits in Oßmannstedt dem Ideal eines asketischen Lebens
nahestand. Die Einübung in das Schicksal, das im Tod endet, war
Wieland nicht fremd und verband ihn mit dem römischen Gelehrten
Cicero. Das Bild vom Weisen oder Weltgelehrten entnahm er sicherlich
vom römischen Staatsgelehrten und folgte dessen Maxime "Wer
selbst will, den führt das Schicksal, wer nicht, den reißt
es fort" Der alte Wieland war nicht nur ein "poetischer
Landjunker", der sich zurückzog, sondern er war eine
sittliche und moralische Persönlichkeit, die sich ethischen
Idealen verpflichtete. Wie sein Vorbild Seneca betonte Wieland, daß
es das Ziel des Menschen sei, sich harmonisch mit der Natur zu
vereinigen. Nur die Natur und der Umgang mit ihr - auch die ist eine
Parallele zwischen ihm, Cicero und Seneca - schenkt dem Menschen
Glückseligkeit. Wie für Cicero wird auch für Wieland
dieses Ziel nur erreicht, wenn der Mensch seine sinnlichen Neigungen
beherrscht und vom sogenannten unteren Begehrungsvermögen
abläßt. Im gleichen Maße betont der alte Wieland,
der sich von manch früherer Frivolität distanziert hat, daß
rein sinnliche Affekte, denen kein Geist oder keine Ratio als
ordnendes Prinzip zugrunde liegt, einen falschen, d.h. unsittlichen
Wert darstellen. Wie der Stoiker Cicero wird ihm die Seelenruhe oder
die Apathie zum philosophischen und damit lebensweltlichen
Heilsgeschick. Das innere Gleichgewicht, das Wieland sucht, ist
identifizierbar mit der Tugendlehre der Stoa, denn die wirklichen
Tugenden werden mit der Idee des Guten oder des höchsten Guten
verbunden. Für Cicero war das Ziel des Menschen, seine
Selbstbehauptung zu bewahren und von diesem Standpunkt ausgehend, ein
Verhältnis zu den Menschen herzustellen. Die Pflicht des
Menschen bestand darin, gemäß der Natur und den sozialen
Wesen zu handeln. Das sozialphilosophische Engagement der Stoiker hat
Wieland - wenngleich nicht im Garten, so doch in einer
Bildungseinrichtung mit Johannes Daniel Falk - aufgegriffen und
weitergeführt.
Mit der griechischen und römischen
Kultur verband Wieland die Vorstellung vom Elysium. Die Sehnsucht
nach dem Tod, die heitere Gelassenheit und "stille Größe",
die Vorstellung von einem sagenumwobenen Land am Westrand der Erde,
mit dem man das Land der Seligen und den ewigen Frühling
identifizierte, war Wieland nicht nur aus der Literatur bekannt,
sondern zählte zu den Neuentdeckungen der Gartenkunst des 18.
Jahrhunderts. Die Idee von einem abgegrenzten Land, in dem die
verdienten Helden in ewiger Seligkeit lebten, begleitete Wielands
literarisches Schaffen von Beginn an.
Im
Gegensatz zu den Landschaftsgärten in Stowe, Rousham und
Wörlitz, wo sich elysische Felder und Täler finden,
verstand Wieland seinen Garten - insbesondere die ovale Partie an der
Ilm - als elysisches Reich. Die Nähe zur Ilm, die Bodensenken
und Erhöhungen des Gartens, die Abgeschlossenheit des Refugiums
durch die alte Gartenmauer machen den Gutspark zu einem locus
amoenus. Bereits Petrarca (Vita solitaria) verstand den locus
amoenus als einen durch Abgeschiedenheit gekennzeichneten Ort, in
dem eine leichte Brise weht. Zumeist versteht man unter einem locus
amoenus einen Platz auf einem Hügel mit klarem Wasser und
einer mit Blumen bewachsenen Wiese.
Zwar
ist fraglich ob Wieland die "Hypnerotomachia Poliphili"
(1499) von Francesco Colonna gekannt hat, sicher ist, daß
Wielands Leben Züge des Poliphilus trägt. Mit seiner Frau -
im Roman die Nymphe Polia - lebt Wieland in Oßmannstedt in
einer allegorischen Welt. Die innige Beziehung zur Kaufmannstochter,
die ihm weniger eine Muße wie es Sophie von La Roche oder Bibbi
gewesen waren, aber die beste Mutter seiner Kinder und Enkel war,
legt nahe, daß er sein Gut als eine selige Insel verstanden
hat, die an die Beschreibungen Colonnas von der Insel Kythera
erinnern. Um die Abgeschiedenheit zu intensivieren, erbaute sich
Wieland - wahrscheinlich oberhalb der heutigen Grablege - eine
Schutzhütte, um sich zurückzuziehen. Ähnlich wie Carl
August - zuerst im "Oßmannstedter", dann im
"Römischen Haus" (1794) suchte Wieland nach einem
intensiven Umgang mit der ihn umgebenden Natur. Wissenschaftlich
nachgewiesen ist, daß Wieland den Telemach-Roman des Kardinals
Fénelon kannte, den er nicht nur in seiner Bibliothek
aufbewahrte, sondern der zum damaligen Bildungsgut zählte. "Der
Dichter hat die hier dargestellte Welt des östlichen Mittelmeers
bereits als Kind aus den Lehrbüchern der Biberacher Lateinschule
kennengelernt. Sowohl in seinem Jugendroman ,Geschichte des Agathon'
(1766/67) als auch in seinen Alterswerken, etwa in "Aristipp und
einige seiner Zeitgenossen (1800/02), bildet sie den immer
wechselnden Schauplatz der Handlung, den die Hauptpersonen auf ihren
Reisen durchmessen."16
Die Markgräfin Wilhelmine von Bayreuth gestaltete ihren Garten
in Sanspareil auf der Grundlage des Fénelon-Romans, die
Abenteuer von Odysseus Sohn kamen in Staffagen und Gartenpartien zur
Geltung. Vielleicht hat Wieland die Beschreibung der Grotte der
Calypso, wie sie Fénelon schildert, so fasziniert, daß
er die barocke Grottenanlage im Garten als literarisches Zitat
verstand. Grotten standen in der Antike für geheimnisvolle Orte,
wo sich die Nymphen trafen, wo das ausgelassene und elegische Spiel
der Sinnenfreude, des Rausches und der Verzückung stattfand. Im
Telemach-Roman heißt es: "Doch was an Kunst gebrach,
ersetzte die Natur, die gleichsam ungeschmückt hier im Triumphe
fuhr. Die Grotte war gewölbt aus Felsen ausgeführet: Die
Wand mit Kieselstein und Muscheln ausgezieret, um die von aussen
sich, mit seiner fetten Hand, ein junger Rebenstock voll süßer
Trauben wand. [...]"17
Nymphengestalten faszinierten Wieland von Anfang an. Bereits in
seiner Schweizer Zeit, wo er sich dem Reich der Geister in seinem
Stück der "Frühling" zuwendet, schreibt er:
"Indem sie schlummern, so wachen Sylphen und Nymphen, ätherische
Geschöpfe von mittlerer Gattung Zwischen den Menschen, und denen
die dem Olympus beiwohnen. Daß kein nachahmender Strahl der
urbildlichen Schönheit des Schöpfers Unaufgefaßt sey,
daß keine Quelle genießbarer Freuden Ungeschöpft
zerrinne, und keinem Theile des Raumes Oder der Zeit seiner Byrger
mangle, bewohnen sie Thäler Oder marmorne Wasserkammern."18
Anders
als kleine deutsche Fürsten- und Fürstentümer, die mit
ihren Landschaftsgärten nicht nur reformpolitische und
bildungspraktische Veränderungen anstrebten, suchte Wieland im
Garten nur das privatissimo. Von den antiken Gartenvorstellungen
übernahm er die Vorstellung der villa rustica vor den
Toren der Stadt. Hier war man von der urbanen Kultur unabhängig,
konnte aber auch die Reize des Stadt- und Kulturlebens genießen.
Wieland kannte französische und englische Gärten. Einen
ersten Eindruck vom englischen Garten bekam er in Warthausen, wo
Friedrich Reichsgraf von Stadion (1761-1868) die französische
Anlage ab dem Jahre 1762 - also fast zeitgleich mit Wörlitz und
Gotha, die Wieland kannte - gestaltete. Von Wörlitz und seinen
Schöpfer, dem Fürst Franz und seinem Architekten
Erdmannsdorff spricht Wieland 1774 gegenüber Carl August von
einem Glück, "ein paar Jahre von einem Fürsten, wie
Franz von Dessau, zu lernen, sein Beispiel vor den seinigen zu
haben".19
Wieland schreibt: "Gärten und Parkanlagen im englischen
Stil machen dieses Haus für einen Menschen wie mich zu einer
Köstlichkeit."20
Auch
das Seifersdorfer Tal nahe Dresden, einen englischen
Staffagegarten mit unendlich vielen Anspielungen auf die Literatur
und mit sinnbildlichen Zitaten bereichert, kannte Wieland durch einen
Besuch. Die Besitzer des Gartens - die Brühls - initiierten wie
Fürst Franz III. in Dessau am "Drehberg" Gartenfeste,
an denen die Dorfbevölkerung Anteil nahm. Die Beschreibung, daß
der alte Wieland unter der Dorflinde in Oßmannstedt saß,
legt nahe, daß er das Landleben und die damit verbundenen
Annehmlichkeiten genoß. Festlichkeit und Intimität
schlossen sich nicht aus. Johannes Daniel Falk, der einige Zeit bei
Wieland zubrachte, schreibt an Karl Morgenstern am 9. Januar 1800: Es
tat mir wohl, den ehrwürdigen Wieland zu sehen, wie der edle
Greis im hundertjährigen Schatten der Linde da saß und mit
ruhigem Mut als Gutsherr den muntern Burschen Bescheid tat [...]."21
Wieland besuchte das Seifersdorfer Tal im August 1794 und
schrieb an Gräfin Johanna Margareta Christina (genannt Tina)
"für den schönen Traum oder die interessanteste
Vision" dankend, die er "vielleicht in seinem ganzen Leben
gehabt hatte".22
Ihm zu Ehren stellten die Seifersdorfer eine Büste des Dichters
in den "Tempel der Musen". Aber nicht nur im "Tal",
sondern auch im Schloßpark Belvedere in Weimar widmete man
Wieland am "Viergelehrtenplatz" ein Standbild.23
In Tiefurt erinnert ein Gedenkstein mit einer Inschrift Goethes an
den Oßmannstedter. Wieland, so scheint es, hatte ein
gesteigertes Interesse am sentimentalischen Garten als sein
Gartennachbar Goethe, der fast zeitgleich ein Gut im benachbarten
Oberroßla erwarb. Goethe schreibt: "Eine unwiderstehliche
Lust nach dem Land- und dem Gartenleben hatte damals die Menschen
ergriffen. Schiller kaufte einen Garten bei Jena und zog hinaus;
Wieland hatte sich in Oßmannstedt angesiedelt. Eine Stunde
davon, am rechten Ufer der Ilm, ward in Oberroßla ein kleines
Gut verkäuflich, ich hatte Absichten darauf. [...] Hier entstand
mir auch eine nachbarliche Gemeinschaft mit Wieland."24
In
Darmstadt gerieten Goethe, Herder und Wieland in den "Kreis
der Empfindsamen".25
Goethe verabschiedete sich mit seinem Werk "Triumph der
Empfindsamkeit" bereits 1778/9 vom sentimentalen Garten und
läutete mit seiner Kritik an diesem Typus frühzeitig die
klassische Periode des Landschaftsgartens ein. Goethe kritisierte vor
dem Hintergrund seiner sentimentalen Prosa, dem "Werther"
und dem "Götz" die gekünstelte und
übertriebene Ausstaffierung der Gärten. Bedeutende
Gartenkünstler wie Skell, Lenné und Fürst Pückler
werden ihm folgen. Daher verwundert es nicht, daß Goethe
beispielsweise über das von Becker beschriebene Seifersdorfer
Tal harsch urteilt, wenn er auf einen Brief Schillers aus dem
Jahre 1795 antwortend schreibt: "Die Abbildung des Seifersdorfer
Unwesens kenne ich; Sie kennen ja die Trude, die es bewohnt und die
es so ausgeschmückt hat. Wielands Empfang und Bewirtung selbst
im Sommer 1774 gäbe eine vortreffliche Geschichte, wenn er sie
aufsetzen wollte, wie er sie erzählt."26
Goethe hatte sicherlich recht, wenn er an der gekünstelten
Gartenwelt Kritik übte. Wieland seinerseits sah vielleicht in
den Staffagen Sinnbilder seiner antiken Vorstellungen. Mit den
Bauten, mit den Zitaten und den Inschriften, die im sentimentalen
Park nicht fehlen, fühlte er sich nach Arkadien und in die
Hirtenlandschaft am Peleponnes zurückversetzt, selbst wenn er
auf Architekturzitate verzichtete.
In
Wielands Werken finden sich viele Gartenbeschreibungen, so in der
"Geschichte des Agathon", wo die Handlung in den
Garten verlegt wird. Die Beschreibung des Gartens und der Atmosphäre,
die Wieland in der Sprache des Rokoko feiert, beziehen sich nicht nur
in diesem Werk auf antike Vorbilder. Inspirationen verdankt er
Platon, Epikur, Cicero, Catull Properz, Horaz, Ovid und Plinius, mit
dessen Werken er seit seiner Kindheit vertraut war und einige von
ihnen später übersetzte. Die Beschreibung der Gärten,
die sich in seinen Briefen findet, erinnert sehr stark an Plinius.
Wie Plinius unterscheidet er zwischen Stadt- und Landleben, wägt
die Vor- und Nachteile ab. Plinius schreibt: "Da hast Du die
Stadtneuigkeiten; schreibe mir Deinerseits die vom Lande, Was machen
Deine Bäumchen, Deine Weinberge, Deine Felder, Deine so zarten
Schäfchen?"27
Die Emphase, mit der Wieland seine Gärten beschreibt, findet
sich auch bei Plinius. "Du wunderst Dich, warum mir mein
Laurentinisches oder, wenn Du lieber willst, mein Laurentisches Gut
so große Freude macht; Du wirst aufhören, Dich zu wundern,
wenn Du die Reize des Hauses, seine günstige Lage, seine
Ausdehnung am Strande kennenlernst. Es ist siebzehn Meilen von der
Stadt entfernt, so daß Du nach Erledigung dessen, was zu
erledigen war, noch fast den ganzen, ungeschmälerten Tag Dich
dort aufhalten kannst."28
Stellt man dieser Briefpassage von Plinius Briefe Wielands an die
Zeitgenossen Karl August Böttiger und an seinen Verleger Georg
Joachim Göschen gegenüber, fallen die Parallelen sofort ins
Auge. Neben die tiefe Dankbarkeit, ein "horazisches Sabinum"
erlangt zu haben, gibt Wieland eine detaillierte Beschreibung des
Inventars und der Aussteuer. Der Kauf des Gutes im Frühjahr 1997
belastete den Literaten finanziell, obwohl er eine Pension von 1000
Talern von den Weimarern erhielt, auf große Einnahmen aus
seinem literarischen Werk zurückgreifen konnte und seine
Zeitschrift - den "Teutschen Merkur" -
gewinnbringend vermarktete.
Den
Zustand des Gartens beschrieb Wieland bei der Übernahme als
"verwildertes Osmantinum", "[...] aber aus Mangel an
arbeitenden Händen geht es mit allem, besonders auch mit meinen
landwirthschaftlichen Bauwesen so schneckenmäßig, daß
ich, wenn unserm Herrn Gott etwas abzuverdienen wäre, das
Himmelreich bloß und allein durch die unglaubliche Geduld,
womit ich diesem allen zusehe, reichlich verdienen würde."29
Die
Absicht, landwirtschaftlich tätig zu werden, bringt Wieland in
die Nähe zu englischen Gartenvorstellungen, wie man sie in Kent'
s "Rousham" und in Shenstone's "Leasowes" findet.
Dort verband man das Schöne mit dem Nützlichen. Nicht nur
das pittoreske und das bukolische Ideal wurden hier angestrebt,
sondern der Gedanke der "ferme ornée" oder
der sogenannten "ornamental farm" hielt Einzug. Der
Gedanke von Schönheit und Rentabilität geht auf Stephen
Switzer zurück, der 1715 in seinem Traktat "The
Nobleman, Gentleman, and Gardener's Recreation" und in
seinem Werk "Ichonographia Rustica" auf die Einheit
von Nützlichkeit und Pittoreske hinwies. Shenstone machte den
Gedanken der "ornamental farm" publik. Im
anhaltinischen Landschaftsgarten zu Wörlitz beispielsweise griff
der Dessauer Fürst, sich auf Shenstone's "Leasowes"
berufend, das er von der "Grand Tour" kannte, die
Verbindung zwischen pittoresker Schönheit im Sinne der
Landschaftsmalerei von Lorrain, Poussin, Rosa, Gainsboroh u.ä.
auf und verband diese mit landwirtschaftlichen Nutzflächen wie
dem "Weidenheger" und den "Neuen Anlagen".
Viehzucht, Obst- und Forstwirtschaft30
und die Kultivierung mediteraner Gewächse standen ebenso auf dem
Programm, wie die Idealisierung der Landschaft. Vielleicht, dies ist
nicht mehr als eine Vermutung, greift Wieland mit dem Projekt, Garten
und Nützlichkeit zu verbinden, Goethes Kritik am empfindsamen
Park auf. Goethe kritisierte den rein empfindsamen Park als rein
gekünsteltes ästhetisches Produkt, da der Obstbau
vernachlässigt wurde. Wielands Vorgehen im Park erinnert an die
praktische Umsetzung der Ornamental-Vorstellung.
Insgesamt gesehen griff Wieland mehr
ikonologisch als ikonographisch auf die Tradition der antiken Welt
zurück. Statuen, Tempel, Vasen, Mausoleen, antike Heiligtümer,
Sarkophage wie in Wörlitz, Tempel wie der der "Alten
Tugend" und der "Tempel der Neuen Tugend" in Stowe
finden sich im Gutspark nicht.
Wenn
Sophie von La Roche in ihren "Schattenrisse(n) abgeschiedener
Stunden in Offenbach, Weimar und Schönebeck"31
Wielands Gut beschreibt, stimmen ihre Erinnerungen, daß es sich
beim Garten, "welcher sich an den Ufern der Ilm mit einem
Birkenwäldchen schließt, unter dessen Lauben die edelsten
Schatten Griechenlands ihren Freund unbelauscht und ungestört
besuchen können" mit Wielands Vorstellungen vom Garten
überein. Wieland hatte nicht nur zu wenig Geld, ein groß
angelegtes ikonographisches Programm auszuführen, seiner
Vorstellung vom Tusculum bedurfte keiner Staffagen, um die
Antikensehnsucht neu zu beleben.
Wielands Tusculum, so meine These,
konnte weder ein barocker noch ein englischer Garten sein. Der
Ordo-Gedanken, die Dominanz der Architektur über die Landschaft,
wie sie sich in den Barock- und Rokokogarten von Versailles, von
Chantilly, in der Villa Aldobrandini, in der Villa Albani, in der
Villa Carzoni u.ä. finden, decken sich nicht mit den
naturalistischen Vorstellungen Wielands, nicht mit den Ideen der
rationalen Wirkungsästhetik und nicht mit dem neu empfundenen
Naturalismus. Vielleicht, dies ist nicht mehr als eine ungeschützte
Hypothese, faszinierte Wieland der verwilderte Barockgarten von Bünau
und von Anna Amalia, wenn sich auch kein Beleg findet, daß
Wieland den Garten bereits in den 80iger Jahren besuchte und die
Anlage vor der Verwilderung kannte.
Analysiert man Wielands Werke, findet
man immer Passagen, in denen er über das Wechselspiel zwischen
Natur und Vernunft reflektiert. Wielands literarisches und
philosophisches Denken steht nicht dem barocken Gartenideal nahe,
sondern der Vorstellung des Gartens als einer idealisierten Natur, in
dem der Mensch - über die Naturerfahrung vermittelt - zu seinem
Wesen gelangt. Der Freiraum der rationalen und sensiblen Anlage
bindet das Geschöpf an seine naturalen Anlagen zurück. Die
Synthese zwischen Geist und Leib, ihr wechselseitiges
Beziehungsgeflecht ermöglicht es dem Einzelnen, sich in die
universale und panharmonische Ordnung des Universums einzufügen.
Sicher ist, daß Wieland den Garten als Ort begriff, der
Intimität erlaubte und in dem Diskurse mit Seelenverwandten
stattfinden sollten. Die beachtliche Zahl prominenter Vertreter aus
der damaligen Geistes- und Unternehmerwelt, die Wieland in seinem
Garten besuchten, belegt, daß Wieland an eine Gesprächskultur
anknüpfte.
Wenn der barocke Garten mit seinen
Parterres, mit den Broderien, den Hecken, den Kaskaden, den Pavillons
und der symmetrisch-geometrischen Aufgliederung die Natur zugunsten
der Rationalität aufhebt, stehen Wielands Vorstellungen vom
Garten dem englischen Typus näher. Die Idealisierung der Natur,
die Verbindung von einer scheinbar nicht gestalteten Gestaltung, die
den Anschein erweckte, daß es sich im Garten um eine
Selbstproduktion der Natur handle, der Gedanke von der Erziehung
durch die Natur und die damit verbundene moralisch-sittliche
Läuterung der Subjekte, die Freiheit der Entfaltung und der
kompositorischen Anlage haben Wieland am englischen Garten
fasziniert. In vielen seiner Schriften folgt er der Naturästhetik
Rousseaus und Shaftesburys, die damals als Heroen - neben Addison und
Pope - der neuen Gartenkunst und der Gartenrevolution in England den
Weg bereiteten. Der Bruch mit dem Regelkanon des Barocks, die
Aufhebung der Linear- und Zentralperspektive, die Unterordnung der
Architektur unter die Landschaft, die unendlich vielen Antikenzitate,
das bukolische und pittoreske Ideal eingeschlossen, das man aus der
Landschaftsmalerei von Poussin, Lorrain, Rosa, Gainsborough
entlehnte, ließen den Garten zum Symbol eines - wie Adrian von
Buttlar schreibt - "liberalen Weltentwurfes" werden.
Die Idealisierung der Natur und die
damit verbundene Programmatik war ein finanziell aufwendiges
Unterfangen und für freischaffende Literaten - mit Ausnahme von
Horace Walpole - kaum möglich. Wieland standen keine
finanziellen Mittel zur Verfügung, da er sich mit dem Kauf
seines Landgutes im Wert von 22000 Talern finanziell übernahm.
Im Gutspark Oßmannstedt fanden sich zu Wielands Zeiten - bis
auf Ausnahme der barocken Brunnenanlage und dem barocken
Brunnenbecken sowie zwei Brunnenköpfen im manieristischen Stil -
keine Staffagen, keine Antikenzitate, keine angelegten Sichtachsen
oder point de vue`s, kein Ha-Ha, keine Tempel u.ä., d.h.
Architekturen, die man in den berühmten englischen Gärten
"auf der Insel" und "auf dem Kontinent" fand. Aus
dem Briefwechsel mit der Kammerzofe Anna Amalias, der Freifrau von
Göschhausen wissen wir, daß Wieland beständig nach
Arbeitern suchte, die seine landwirtschaftlichen Bestrebungen
tatkräftig unterstützen sollten. Wieland beschäftigte
sich in seiner Oßmannstedter Zeit vorrangig mit
landwirtschaftlichen Fragen. Fragen zur ästhetischen Gestaltung
des Gartens, wie sie von Gärtnern wie Bridgeman, Kent, Chambers,
Brown, Repton und Erdmannsdorff gestellt wurden, lagen nur begrenzt
im Interesse Wielands.
Den
Garten verstand Wieland nicht allein als elegisches Gefilde, sondern
gestand, wie damals üblich, ihm eine propädeutische
Funktion zu. Die Erziehung des Menschen durch einen weisen Herrscher
oder Regenten, der sich seinen Untertanen annahm, um die guten
Eigenschaften herauszuarbeiten, die schlechten dagegen zu vermindern,
war nicht nur ein Ergebnis des "Goldenen Spiegels" -
einer Art Fürstenspiegel -, sondern Wieland verstand sich im
intimen Kreis als philosophisch weitsichtiger Lehrer. Im Gegensatz
beispielsweise zu Machiavelli ging es Wieland weder um die
Anerkennung der absoluten Oligarchie und des fürstlichen
Despotismus, der in Tyrannei und Blutopfern endet, sondern um das
bildungspolitische und sozialaufklärerische Engagement eines
aufgeklärten Fürsten oder einer Fürstin, das sich in
ihren guten Werken widerspiegelt.
Resümierend
ist festzuhalten: Wieland kannte Gärten verschiedenen Typus,
dennoch entschied er sich für die Idylle und die nicht
domestizierte Natur. Wie der Philosoph Danischmend, den Wieland zur
Hauptfigur seines gleichnamigen Romans auserwählte, suchte er
nach einer Natur- und Gemeinschaftsidylle, "deren Wertezentrum
die Familie ist. Diese Lebensform setzt auf interaktionsnahe
Sozialität, in deren Rahmen sich Konflikte in
zwischenmenschlicher Verständigung auf der Ebene von Familien
und Nachbarschaftsbeziehungen abwickeln lassen. [...] Der
Danischmend-Roman reflektiert eine völlig veränderte
Lebensform des Autors [...]".32
Die Zurückgezogenheit und der Genuß des Altwerdens prägten
spätestens seit der Erfurter und Weimarer Zeit Wielands Denken.
Der Garten als Tusculum blieb der imaginäre Ort, wo er Kraft und
Inspiration schöpfte. Die Alterswerke, der "Agathodämon"
und der "Aristipp" zeigen, daß sich
Wieland wie "Agathodämon", der sich als
neupythagoreischer Philosoph in die elysische Landschaft Kretas
zurückzog, einen abgeschiedenen Landsitz auserwählte. Mit
dem Sokratesschüler "Aristipp" verband Wieland die
Utopie des glücklichen Lebens unter vernünftigen Menschen
in einem Garten. Wieland begeisterte "die halbwilde Natur, von
welcher ich hier auf allen Seiten umgeben bin, über Alles
liebe". Man sieht, daß Wieland nicht die domestizierte
Natur, sondern die sich selbst gestaltende Natur verehrte, wie die
Briefstelle an Elisabeth von Solms-Laubach in Utphe, abgefaßt
in Belvedere vom 9-11. Juni 1808, nahelegt. In der Natur fühlte
Wieland wieder die Nähe zu Cicero, Horaz, Shaftesbury u.a. und
damit seine innigste geistige Welt, von der er sich - auch durch
Schicksalsschläge angeschlagen -, nicht entfernt hat.
1
Schriftliche Version des am 11. 8. 2001 in Oßmannstedt
gehaltenen Vortrages. Die "Oßmannstedter Vorträge"
sind Bestandteil eines Kulturprojektes, das sich um die Sanierung
der Kirche und des Wielandgartens bemüht. Initiator und
Förderer des Kulturprojektes "Wielandgut Oßmannstedt"
ist der Hamburger Professor Jan Philipp Reemtsma.
2
Dazu: Wieland, Epoche - Werk - Wirkung, hg. v. S.-A. Jørgensen,
H. Jaumann, J. McCarthy und H. Thomé, München 1994, S.
87.
3
Dazu: Gamper, M., "Die Natur ist republikanisch", Zu den
ästhetischen, anthropologischen und politischen Konzepten der
deutschen Gartenliteratur im 18. Jahrhundert, Würzburg 1998, S.
2.
4
Wieland, Epoche - Werk - Wirkung (1994), S. 44.
5
Wieland, Musarion, oder die Philosophie der Grazien, in drey
Büchern, Leipzig 1768, S. 92.
6
Wieland, C.M., Sämmtliche Werke, Erster Band, hg. v. J.G.
Gruber, Leipzig 1824, S. 180.
7
Böttiger, K. A., Literarische Zustände und Zeitgenossen,
hg. v. C. W. Böttiger, Leipzig 1838, Bd. 1, S. 204.
8
Anders: Jäger, J., Goethe - Gärten in Weimar, in: Gärten
der Goethezeit, hg. v. H. Günther, Leipzig 1993, S. 92.
9
Wieland, Brief an Friedrich Heinich Jacobi in Düsseldorf,
Weimar 10.5.1776.
10
Wieland, Brief an Luise von Goeschhausen in Tiefurt, Oßmannstedt
am 13. 1. 1798.
11
Die folgenden Zitate sind entnommen: Marbacher Magazin, Sonderheft
40/1986, Gärten in Wielands Welt, bearbeitet von H. Bock und H.
Radspieler, Marbach 21999.
12
Freitag, E., Das Wielandgut Oßmannstedt und seine Geschichte,
in: Das Wielandgut Oßmannstedt, Vergangenheit und Zukunft, Ein
Aufruf des Freundeskreises des Goethe-Nationsmuseums e. V. Weimar,
Berlin 2000, S. 16.
13
Wieland, Brief an Georg Joachim Göschen in Leipzig, Oßmannstedt
im August 1802.
14
Werner, C.M., Goethes Herzogin Anna Amalia, Fürstin zwischen
Rokoko und Revolution, Düsseldorf 1996, S. 301.
15
A.a.O., S. 47-61.
16
Gärten in Wielands Welt, bearbeitet von H. Bock und H.
Radspieler, in: Marbacher Magazin, Sonderheft 40/1986, S. 101.
17
Die Begebenheiten des Prinzen von Ihaca [...] in deutsche Ferse
gebracht [...] von B. Neukirch, Nürnberg 1762, 1. Tl., S. 10.
18
Gärten in Wielands Welt (1986), S. 168.
19
Ligne, K. J. P., de, Überblick von Beloeil, und über die
Gartenkunst, Dresden 1797, S. 11.
20
Wieland, Brief an Johann Zimmermann in Brugg, Biberach, 22.6.1762.
21
Sintenis, F., (Hg.), Briefe von Goethe, Schiller, Wieland, Kant,
Böttiger, Dyk und Falk an Karl Morgenstern, Dorpart 1875, S,
21. Entnommen von Freitag (2000), S. 14.
22
Zitiert nach: Franz, K., Das Seifersdorfer Tal, in: Gärten der
Goethezeit (1993), S. 134.
23
Jäger, J., Goethe - Gärten in Weimar, in: Gärten der
Goethezeit (1993), S. 85.
24
Goethe, J.W., Tag- und Jahreshefte als Ergänzung meiner
sonstigen Bekenntnisse 1797/98.
25
Günther , H., "Da ist doch ein ganzes Land voll Gärten,
welches mein System begünstigt: die Natur aufzusuchen, und,
sich nicht erst eine Natur um sich her zu schaffen", in: Gärten
der Goethezeit (1993), S. 39.
26
Zitiert aus: Franz (1993), S. 134.
27
Plinius, Sämtliche Briefe, Brief an Arrianus, in: C. Plinius
Caecillius Secundus, Sämtliche Briefe, hg. v. W. Rüegg,
Eingeleitet und übersetzt von André Lambert, Zürich
und München 1969, S. 85.
28
Plinius, Brief an Gallus, A.a.O., S. 92.
29
Wieland, Brief an Luise von Goeschhausen in Tiefurt, Oßmannstedt
am 13. 1. 1798. Zitiert aus: Bock/Radspieler (1986).
30
Niedermeier, M., Goethe und die "Revolution" in der
Gartenkunst seiner Zeit, in: Gärten der Goethezeit (1993), S.
19.
31
La Roche, S., Schattenrisse abgeschiedener Stunden in Offenbach,
Weimar und Schönebeck, Leipzig 1800, S. 44ff.
32
Wieland - Epoche, Werk - Wirkung (1994), S. 90.
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