Erschienen in Ausgabe: No 57 (11/2010) | Letzte Änderung: 25.10.10 |
von Lutz Rathenow
Jeder, der die DDR erlebt hat, glaubt etwas von ihr zu
verstehen. Aber weiß er auch genügend über sie? Wollte und will er überhaupt
etwas über politische Strukturen und ökonomische Hintergründe wissen?
Gerade im Westen fühlten sich viele dem Osten so selbstverständlich überlegen,
das sie über Gründe - außer Lebensstandard und weniger Freiheit - nicht mehr
wirklich nachdachten. Und plötzlich fällt dem Urlauber aus dem Ruhrgebiet auf
der Insel Rügen fast gar kein Grund mehr ein: In so toller landschaftlicher
Umgebung aufwachsend, hätte er auch zufrieden sein können mit seiner DDR. Na
ja, ein paar Reformen mehr wären schon gut gewesen - ungefähr so wie in
Jugoslawien. Das Zitat aus einem Frühstücksgespräch im August 2010.
Die Bevölkerung muss als Gastarbeiter in Westdeutschland arbeiten, nationale
Spannungen wurden unter dem Titowschen Teppich gekehrt, die Bürgerkriege danach
- bis heute zahlen wir täglich für die Folgen der realsozialistischen
Light-Diktatur in Jugoslawien. So verklärt einer, was er aus
Urlauber-Perspektive kennt, wenn ihm schlicht die politische Bildung fehlt.
Streichung aus
vorgeplantem Programm
Da der Freistaat Sachsen die meisten Einwohner von allen
Bundesländern auf dem Gebiet der Ex-DDR hat, kommt dessen Landeszentrale für
politische Bildung eine wichtige Aufgabe zu. Ihr seit über einem Jahr im Amt
befindlicher Direktor Frank Richter will neue Akzente setzen und auch neue
Ideen verwirklichen. Es handelt sich um einen honorigen Mann mit einer
pastoralen katholischen Sozialisation, der '89 zu den mutigen Dresdner
Oppositionellen stieß.
Umso irritierender ist der Streit, den er nun auslöste wegen der Streichung
mehrerer DDR-Analytiker aus dem bereits vorgeplanten Programm 2010. Natürlich
darf das ein Direktor, aber er macht es in der Regel nicht, weil er ja seinen
Mitarbeitern vertraut und er diese deshalb hat. Und die vorgeplanten Termine
müssen von den Referenten freigehalten werden.
Wissensvermittlung
und Wissensverarbeitung
März dieses Jahres kam Frank Richter in die Presse, weil er
einer Zeitzeugin untersagte, einen IM-Namen zu nennen, damit dessen Gefühlswelten
nicht unangemessen belastet würden. Der ehemalige Leiter der
Stasi-Unterlagenbehörde Chemnitz und DDR-Bürgerrechtler Martin Böttger
beschwerte sich zudem, weil er die Veranstaltung nicht moderieren sollte, da er
als parteiisch gelte. Das hätte eine interessante Debatte um Wissensvermittlung
und Wissensverarbeitung auslösen können. Stattdessen jetzt die Absagen an Freya
Klier, Udo Scheer und andere mit politikwissenschaftlichen Methoden arbeitende
Autoren, die übrigens vorwiegend Fremderfahrungen referieren. Also Bücher über
die Verhältnisse in der DDR schreiben - und man sollte die nüchternen
Ausführungen zur sozialistischen Planwirtschaft eines Udo Scheer schon einmal
gehört haben (man kann sie in einer aktuellen Broschüre auch nachlesen) bevor man
ihn in eine Opfer- oder bloße Zeitzeugenecke stellt.
Welche Schwerpunkte?
Er möchte auch andere Themen wie die Wirtschaftskrise
stärker behandeln lassen, sagte Frank Richter in seinen Statements zu seiner
Entscheidung, die vielleicht gar nicht politisch gemeint war und nur den
finanziellen Druck einer zwanzigprozentigen Streichung im Budget weitergeben
wollte. Nun sollte Frank Richter sie - mit den Betroffenen und anderen - zu
einer politischen Debatte über die Vermittlung von Wissen und Bildung über die
DDR, den Realsozialismus und Stalinismus nutzen. Mit dem Wirtschaftsbeispiel
hat er ja sehr recht - wieso schließt das aber DDR-Erfahrungen aus - gerade
jetzt in der Krise, wäre es sehr gut, über die strukturelle Dauerkrise der
realsozialistischen Planwirtschaften im Vergleich zu den Risiken der freien
Marktwirtschaft zu reden: Scheer macht das auf seinen Veranstaltungen. Dass er
noch Technologe in einem High-Tech-Betrieb der DDR war, ergänzt nur den
analytischen Erfahrungshintergrund und ist kein Malus.
Den Nachteil versuchen aber andere seit zwanzig Jahren herbeizureden, die mit
dem Wort von medienpräsenten Daueropfern kritische DDR-Analytiker aus der
Öffentlichkeit zu drängen versuchen.
Interesse auch bei
Jüngeren wecken
Natürlich bedarf auch die politische Bildung einer
permanenten Erneuerung, Aktualisierung und Erweiterung in ihren Methodiken. Und
natürlich darf eine Landeszentrale ihre Referenten fordern, weiterbilden oder
durch Wissenschaftler oder Künstler jederzeit kontrastieren. Auch ehemalige IM
können - klug vorbereitet - in Streitgespräche einbezogen werden.
Die differenzierte Sicht auf die DDR wird dagegen oft eine sein, die zwischen
alltäglicher Wahrnehmung und der zugespitzten der unangenehmen Fakten in
letzter Konsequenz vermittelt. In dem Sinne sind viele DDR-Bürger in manchen
Winkeln ihres Landes a.D. noch gar nicht angekommen. Es geht auch um das
ständige Bauen neuer Brücken zwischen den verschiedenen Wirklichkeitsbereichen
- solche, die heute Interesse auch bei Jüngeren finden.
Öffnung der
DDR-Thematik in Osteuropäischen Kontext
Das ganze DDR-Thema muss in verschiedene Richtungen geöffnet
werden - hin zu Osteuropa. Damit bekommt die DDR -Vergegenwärtigung eine
aktuelle Aufgabe innerhalb der europäischen Integration - um die osteuropäischen
Probleme besser zu verstehen.
Da ist zum Beispiel der Philosoph Wolfram Tschiche sehr erfolgreich und zu
selten im MDR-Sendegebiet mit jeweils zwei Zeitzeugen - einer aus Osteuropa,
einer aus der DDR - unterwegs. Er analysiert und vermittelt zusätzliches Wissen
- aber jede Differenzierung, die personell aufwendiger wird, kostet eben
zusätzliches Geld.
Trägheit bequemer
Denkmodelle
Die Vermittlung des Nationalsozialismus in der DDR bleibt
ein interessantes Thema - Rechtsradikalismus und DDR sind eben auch keine
getrennten Aufgabenbereiche für eine Landeszentrale.
Der Trägheit bequemer Denkmodelle ist schon deshalb entgegenzuwirken, weil die
politische Bildung Neugier und Mitwirkungswillen für die Gegenwart anregen
will. Die DDR lebt durch ihre Echos und berührt mehr oder weniger alle Themen,
dafür wirkte sie einfach zu lang auf die Menschen und Verhältnisse ein.
Und gerade politische Landeszentralen müssen Dinge auch abseits des
Glamourfaktors sichtbar und verstehbar machen - auf sehr verschiedenen
Anspruchsebenen gleichzeitig. Dafür sind sie da. Noch vor Groß-Veranstaltungen
und Tagungen ist die Alltagsarbeit in den Schulen von Bedeutung. Und das Ziel
ist viel weniger Geschichtsaufarbeitung als Diktaturprävention für die Zukunft.
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