Erschienen in Ausgabe: No 57 (11/2010) | Letzte Änderung: 25.10.10 |
von Heike Geilen
„Den Menschen ist nicht zu helfen in unserer Welt,
die schon Jahrhunderte voller Heuchelei ist. Der Welt ist wie den Menschen
nicht zu helfen, weil beide durch und durch Heuchelei sind.“ (Thomas Bernhard: „In Flammen aufgegangen.
Reisebericht an einen einstigen Freund“)
Als den „Großen
Österreichischen Staatsbeschimpfer“, ja den „großen Allesbeschimpfer“ hat die
FAZ ihn bezeichnet. „Eine Wanze, die man
vertilgen müsse“, formulierte eine Wiener Zeitung am Tag nach der
Preisverleihung zum „Kleinen Österreichischen Staatspreis“ und den eklatanten
„Dankesworten“ des Geehrten. Sein „Heldenplatz“ gilt als Attacke an „sechs
Millionen debile Österreicher“ und avancierte zum Theaterskandal schlechthin.
Thomas Bernhard war zu Lebzeiten der bestgehasste, tiefstverabscheute,
meistverunglimpfte Schriftsteller seines Heimatlandes. Der am 12. Februar 1989
verstorbene Dichter selbst verordnete testamentarisch ein Aufführungsverbot
seiner Stücke in Österreich, um sich „gegen jede Einmischung“ und „gegen jede
Annäherung dieses österreichischen Staates“ seine Person und sein Werk
betreffend zu verwahren.
Der „Künstlichkeit“ der ihn
umgebenden Welt den Spiegel vorzuhalten war Thomas Bernhards erklärtes Ziel.
Seine in Selbstgesprächen agierenden Figuren - vornehmlich „Geistesmenschen“
und Denker - leiden vor allem in und an ihrer (Um-)Welt und sind zu
menschlichen Beziehungen unfähig. Bei Bernhard gibt es keine Hoffnung mehr,
alles scheint aussichtslos: „Redet man
mit einem Menschen stellt sich heraus er ist ein Idiot“ (Heldenplatz).
Seine Figuren leben in ihrer eigenen Welt. Scheinbar endlose, sich
wiederholende und zum Teil ohne Absatz über ganze Seiten hinwegziehende,
verschachtelte Monologe sind keine Seltenheit. Bernhards Sprache ist nahezu
komponiert, wirkt jedoch auf Grund seiner alles andere als „normalen“
Protagonisten nicht abgehoben, sondern äußerst treffend.
In dem vorliegenden schmalen
Bändchen sind erstmals vier Erzählungen aus den Jahren 1982/1983 vereint, die
der Österreicher zu Lebzeiten gern in einem Buch vereint gesehen hätte, zu dem
es jedoch niemals kam. Sie sind nahezu ein treffliches Beispiel seines Duktus‘.
Zum einen ergeht sich der
Autor in bösen Schimpftiraden und Österreich ist für ihn einmal mehr „das
hässlichste und lächerlichste Land der Welt“, die österreichische Regierung
„die dümmste Regierung auf der Welt“, der „österreichische katholische Klerus,
der gefinkelste auf der Welt“: „Als eine
perverse Öde und eine fürchterliche Stumpfsinnigkeit empfand ich mein Land.
(...) Die katholische Kirche ist die Weltvergifterin, die Weltzerstörerin, die
Weltvernichterin, das ist die Wahrheit.“
Zum anderen spürt der Leser
auch eine große Einsamkeit und Verlassenheit: „Ich habe niemals einen Vater und niemals eine Mutter, aber immer
meinen Montaigne gehabt.“
Doch nicht alle Menschen
verachtet der Welthasser. Montaigne und Paul Wittgenstein, mit dem ihm eine
Freundschaft verband, verehrt Bernhard. Über Goethe macht er sich hingegen
lustig oder besser: Er würdigt ihn in seiner Erzählung „Goethe schtirbt“
parodistisch: Dem Sterbenden soll der letzte Wunsch erfüllt und Pauls Onkel,
der Philosoph Ludwig Wittgenstein, an dessen Bett geholt werden. Das
Unterfangen gelingt jedoch aufgrund widriger Umstände nicht. Die zeitliche Unmöglichkeit
ist dabei nicht der Verhinderungsgrund, jedoch Goethes vortrefflich dagegen
intrigierendes Umfeld. Von österreichischen Denkern käme schließlich nichts
Gutes und - noch viel schlimmer - dem deutschen Dichterfürsten könnte seine
eigene wahre Größe, die er vortrefflich ins rechte Licht zu setzen versteht, in
Zweifel geraten. So stirbt der Geheimrat ohne „seinen philosophischen Sohn“
gesehen zu haben, aber mit dessen Worten im Mund: „Das ,Zweifelnde und das Nichtzweifelnde‘ soll Goethe als Vorletztes
gesagt haben. Also einen wittgensteinschen Satz. Und kurz darauf jene zwei
Wörter, die seine berühmtesten sind: ,Mehr Licht!‘. Aber tatsächlich hat Goethe
als Letztes nicht ,Mehr Licht‘, sondern ,Mehr nicht!‘ gesagt. (...) Wir
einigten uns darauf, der Welt mitzuteilen, Goethe habe ,Mehr Licht‘ gesagt als
Letztes und nicht ,Mehr nicht!‘ An dieser Lüge als Verfälschung leide ich (...)
noch heute.“
„Goethe schtirbt“ ist ein
wunderbares Kleinod und gleichzeitig ein vortrefflicher Einstieg in das Oeuvre
des Autors. Sich der Person Thomas Bernhard zu nähern ist allerdings nicht
einfach. Zu sehr polarisiert er, zu kompromisslos treffen bei ihm Dichtung und
Wahrheit aufeinander und verzahnen sich. Entweder man liebt diesen radikal
offenen, großartigen Stilisten oder man lehnt ihn als Misanthrop, knorrigen
Grantler, als "Unterganghofer" kategorisch ab.
Thomas
Bernhard
Goethe schtirbt
Suhrkamp
Verlag, Berlin (September 2010)
103
Seiten, Gebunden
ISBN-10:
978-351842170
ISBN-13:
978-3518421703
Preis:
14,90 EURO
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