Erschienen in Ausgabe: No 57 (11/2010) | Letzte Änderung: 20.01.11 |
von Michael Lausberg
Die repräsentative Studie „Die
Mitte in der Krise - Rechtesextreme Einstellungen in Deutschland 2010“ im
Auftrag der Friedrich-Ebert-Stiftung, wo im Frühjahr 2010 mehr als 2.400
Menschen im Alter von 14 bis 90 Jahren in direkten Interviews befragt wurden,
ergab, dass sich in der Bundesrepublik antidemokratische und rassistische
Einstellungen in den letzten beiden Jahren im Vergleich zu den Vorgängerstudien
2006 und 2008 weiter ausgebreitet haben. Einem Viertel der deutschen
Bevölkerung kann ein gefestigtes extrem rechtes Weltbild bescheinigt werden.
Mehr als 30
Prozent der befragten Personen stimmten der Aussage zu: „Ausländer kommen, um
den Sozialstaat auszunutzen.“[1] Fast
jede dritte Person votierte für die Ansicht, bei anhaltender Wirtschaftskrise
und fehlenden Arbeitsplätzen „sollte man die Ausländer wieder in ihre Heimat
zurückschicken“. Genauso viele sehen die BRD durch „die vielen Ausländer in
einem gefährlichen Maß überfremdet“. Antimuslimischer Rassismus zeigte sich
laut der Studie sogar bei einer Mehrheit der befragten Personen. Der Aussage
„Für Muslime in Deutschland sollte die Religionsausübung erheblich
eingeschränkt werden“ schlossen sich 58,4 Prozent der Bevölkerung an – in
Ostdeutschland sogar 75,7 Prozent. 55 Prozent hielten die folgende Behauptung
für richtig: „Ich kann es gut verstehen, dass manchen Leuten Araber unangenehm sind.“[2]
Autoritative
und demokratiefeindliche Einstellungen sind auch in erschreckendem Maße weit
verbreitet. Die Ansicht „Deutschland braucht jetzt eine einzige starke Partei,
die die Volksgemeinschaft insgesamt verkörpert“ bejahte fast jede vierte
befragte Person. Mehr als 65 Jahre nach dem Ende des „Dritten Reiches“ wollen
ca. 13% einen „Führer“ zurück, der „Deutschland zum Wohle aller mit starker
Hand regiert“. Mehr als 10% der Bevölkerung gaben an, der Nationalsozialismus
habe „auch seine guten Seiten“ gehabt. Diese neonationalsozialistischen
Einstellungspotentiale sind eine Bestätigung für extrem rechte Parteien oder
„Kameradschaften“ sowie „Autonome Nationalisten“, die auf eine Zerstörung der
parlamentarischen Demokratie hinarbeiten.
Eine
nationalistische Außenpolitik und eine chauvinistisch geprägte Machtpolitik
Deutschland in der internationalen Staatengemeinschaft finden ebenfalls hohe
Zustimmungswerte. So findet die Forderung, Deutschland die „Macht und Geltung“
zu verschaffen, „die ihm zusteht“, bei mehr als jeder vierten befragten Person
ein positives Echo. Ein „hartes und energisches Durchsetzen deutscher
Interessen gegenüber dem Ausland“ befürwortet jede(r) Dritte. Den wie auch
immer gearteten „Mut zu einem starken Nationalgefühl“ unterstützen fast 40
Prozent.[3]
Die immer
wieder beschworene „Politikverdrossenheit“ erreichte bei der Umfrage
Höchstwerte. Mehr als 90% der Befragten betrachteten es als „sinnlos“, sich
„politisch zu engagieren“, weil sie „sowieso keinen Einfluss“ besäßen, „was die
Regierung tut.“ Diese apolitische Haltung ist eine fundamentale Bedrohung für
die demokratische Ordnung; ein deutlicheres Alarmzeichen gibt es nicht.
Die Studie
belegt eindrücklich, dass extrem rechte Einstellungsmuster innerhalb der
„Mitte“ der Gesellschaft weit verbreitet sind und nicht nur an einem immer
wieder beschworenen „rechten Rand“. Laut der Studie gibt es bei Wählern der
CDU/CSU, SPD, FDP, den Grünen und selbst bei der Linkspartei gefestigte
antidemokratische und rassistische Auffassungen. Extrem rechtes Denken
existiert in jeder gesellschaftlicher Gruppe und Klasse, nicht nur bei den
„Verlierern“ der Wirtschafts- und Finanzkrise. Besonders bei Personen mit
größerem Einkommen finden sich wohlstandschauvinistische Denkweisen. Selbst bei
Gewerkschaftsmitgliedern ist das rechte Denken genauso stark ausgeprägt wie in
der Gesamtgesellschaft. Ältere Menschen stimmten häufiger extrem rechten
Aussagen zu wie jüngere Personen. Menschen mit geringerem Bildungsniveau
vertreten öfter extrem rechte Thesen wie höher gebildete Personen. Mitglieder
der katholischen und evangelischen Kirche in der Bundesrepublik votierten
stärker für extrem rechte Aussagen als Konfessionslose oder Atheisten. Extrem
rechte Einstellungen sind laut der Studie im Osten der Bundesrepublik stärker
ausgeprägt als im Westen. Dies wird begründet mit der anhaltend hohen Arbeitslosigkeit
in den neuen Bundesländern. Dort sind Abstiegsängste bei von Arbeitslosigkeit
bedrohten Personen im Zuge der Wirtschaftskrise stärker ausgeprägt, was sich in
autoritativen und rassistischen Einstellungen manifestierte.
Als Reaktion auf die Umfrage sprach
die Vorsitzende der Grünen, Claudia Roth, von „dringendem demokratiepolitischen
Handlungsbedarf“.[4] Für diese erschreckenden
Befunde machte sie die Bundesregierung mitverantwortlich und bemängelte,
Politik „hinter verschlossenen Türen und undemokratische Geheimabkommen mit
Lobbygruppen“ seien „Gift für die Demokratie“. Der Vorsitzende der Linkspartei,
Klaus Ernst, sprach von „alarmierenden“ Ergebnissen und forderte eine soziale
Sozial- und Arbeitsmarktpolitik, um dem wachsenden Rassismus zu begegnen.
Die
Ergebnisse dieser Studie im Frühjahr 2010 sind schon erschreckend genug. Nach
der Vorstellung des Buches von Thilo Sarrazin mit seinen erbbiologischen,
rassistischen und klassistischen Behauptungen wäre eine erneute Steigerung der
autoritativen und rassistischen Antworten keine Überraschung. Der Rechtsruck in
der Politik und in den Köpfen zahlreicher Menschen dieses Landes ist ein
Faktum, was nicht länger ignoriert werden darf.
Die Befunde der Studie lassen
Zweifel an der Verwendbarkeit der Extremismustheorie erkennen, die von den
Verfassungsschutzbehörden vertreten wird. Seit längerer Zeit existiert eine
regierungsnahe Extremismustheorie, die in den Veröffentlichungen des
Verfassungsschutzes sowohl des Bundes als auch der Länder verwendet wird. Die
beiden Politikwissenschaftler Uwe Backes und Eckhard Jesse sind bemüht, die
Extremismustheorie über Staatsschutzorgane oder Regierungsapparat hinaus im
akademischen Bereich zu etablieren. Backes und Jesse operieren mit dem
Extremismusbegriff als eine „Sammelbezeichnung für unterschiedliche politische
Gesinnungen und Bestrebungen (…), die sich in der Ablehnung des demokratischen
Verfassungsstaates und seiner fundamentalen Werte einig wissen.“[5] Beim
Extremismus handelt es sich laut Backes und Jesse um eine Ideologie, die die
Bestandteile des demokratischen Verfassungsstaates (Gewaltenteilung, Menschen-
und Bürgerrechte, die Anerkennung des Pluralismus- und des
Repräsentationsprinzips sowie Toleranz gegenüber Minderheiten und
Andersdenkenden) negiert.[6] Im
Falle der Negierung des Prinzips menschlicher Fundamentalgleichheit sprechen
die beiden Forscher von Rechtsextremismus. Die Zahl der Rechtsextremisten, die
eine Gefahr für die Demokratie darstellen, liegt laut den Verfassungsberichten
der letzten Jahre bei einigen lediglich zehntausend Menschen. Jaschke stellt
dagegen richtigerweise fest, dass Rechtsextremismus nicht als soziales Phänomen
gesehen wird, das mitten in der Gesellschaft Anklang findet und sich immer
weiter ausbreitet:[7] „Gesellschaftliche
Ursachenzusammenhänge wie etwa soziale Ungleichheiten, ökonomische
Entwicklungen und Vorurteilsstrukturen bleiben außen vor, weil soziologische
und analytische Ebenen in einer Politikwissenschaft keine Rolle spielen, wo es
um die Rehabilitierung und Verteidigung der Staatsräson gegen politische
Normabweichungen von Bürgern geht.“
Die große Diskrepanz zwischen
rechtsextremen Einstellungen und tatsächlichen wahlpolitischen Erfolgen gehört
zu den zentralen Charakteristika des Rechtsextremismus in der Bundesrepublik.[8] Warum
dies so ist, lässt sich nicht mit letzter Sicherheit beantworten. Es ist zu
vermuten, dass die fehlende Attraktivität einer fachlich kompetenten
rechtsextremistischen Partei mit einer charismatischen Führerfigur eine große
Rolle spielt.
Diese Umfrage offenbart die
wirklichen Probleme der in letzter Zeit mehr oder wenig sachlich geführte
Debatte über Integration: nicht angebliche „Parallelgesellschaften“ oder
„integrationsunwillige Ausländer“ stehen einer wirklichen Integration auf
Augenhöhe im Wege, sondern vielmehr der weit verbreitete Rassismus mit der
besonderen Facette Islamfeindlichkeit in der Bundesrepublik.
Literatur
- Backes, U./Jesse, E.:
Politischer Extremismus in der Bundesrepublik Deutschland, 3. Auflage, Bonn
1993
- Butterwegge, C.: Rechtsextremismus,
Freiburg i. B. 1999
- Jaschke, H.-G.: Staatliche
Institutionen und Rechtsextremismus, in: Kowalsky, W./Schröder, W. (Hrsg.):
Rechtsextremismus. Einführung und Forschungsbilanz, Opladen 1994, S. 309-320
-
www.focus.de/politik/weitere-meldungen/studie-deutschland-auf-dem-weg-nach-rechts-_aid_561948.html
-www.neues-deutschland.de/artikel/181790.studie-auslaenderfeindlichkeit-seit-2008-deutlich-gewachsen.html
-
www.tagesspiegel.de/politik/auslaenderfeindlichkeit-und-fuehrerfantasien/1956630.html
[1]
www.focus.de/politik/weitere-meldungen/studie-deutschland-auf-dem-weg-nach-rechts-_aid_561948.html
[2]
www.neues-deutschland.de/artikel/181790.studie-auslaenderfeindlichkeit-seit-2008-deutlich-gewachsen.html
[3] www.tagesspiegel.de/politik/auslaenderfeindlichkeit-und-fuehrerfantasien/1956630.html
[4]
www.focus.de/politik/weitere-meldungen/studie-deutschland-auf-dem-weg-nach-rechts-_aid_561948.html
[5] Backes, U./Jesse, E.: Politischer Extremismus in der Bundesrepublik
Deutschland, 3. Auflage, Bonn 1993, S. 40
[6] Ebd. S. 30f
[7] Jaschke, H.-G.: Staatliche Institutionen und Rechtsextremismus, in:
Kowalsky, W./Schröder, W. (Hrsg.): Rechtsextremismus. Einführung und
Forschungsbilanz, Opladen 1994, S. 309-320, hier S. 315
[8] Butterwegge, C.: Rechtsextremismus, Freiburg i. B. 1999, S. 24
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