Erschienen in Ausgabe: No 58 (12/2010) | Letzte Änderung: 24.11.10 |
von Anngret Lieb
Wie oft feiern wir, dass etwas vergangen und vorbei ist.
So wie in diesem Jahr, da das Ende der DDR nun 20 Jahre zurückliegt.
Erinnerungen werden wach an den Taumel der Wendezeit, den Fall des Eisernen
Vorhangs, den viele, besonders solche aus den Ostblockstaaten, nie für möglich
gehalten hatten. Solche historisch bedeutsamen Erinnerungen verdichten sich
oder verschwinden allmählich. Die Angriffe auf Seele, Geist und Körper jedoch,
denen Menschen in den kommunistischen Diktaturen ausgesetzt waren, lassen sich
weder adäquat erinnern, noch vergessen. Für die Zuhörer der Jenaer Tagung zur
Bedeutung der Securitate in Siebenbürgen wurde dieses Dilemma in den Beiträgen
von Betroffenen und Forschenden greifbar.
Ein Themenschwerpunkt der Tagung, auf den sich der
folgende Text beschränkt, konzentrierte sich auf die Erfahrungen
deutschsprachiger Literaten der „Aktionsgruppe Banat“, die im kulturellen und
akademischen Leben gestalterisch aktiv waren. Spätestens seit Herta Müller den
Nobelpreis für Literatur erhielt, ist diese andere, weder west- noch ost- und
dennoch so deutsche Literaturströmung in unser Bewusstsein gerückt. In Rumänien
war diese deutschsprachige Literatur den Machthabern immer suspekt und daher im
Fokus der Securitate.
Die Angst vor dem Wort ging
im rumänischen Staatsapparat um, besonders wenn es in einer der
Minderheitensprachen gesprochen wurde. Daher war es erklärtes Ziel, das literarische
Leben zu kontrollieren. Dies bekam auch der Lyriker Oskar Pastior zu spüren.
Nachdem seine Freundin Grete Loew wegen des Besitzes seiner frühen Gedichte
inhaftiert worden war, muss ihm klar geworden sein, dass er ebenfalls nicht
verschont würde. Wie Prof. h.c. Dr. Stefan Sienerth, Direktor des IKGS München,
der Pastiors Securitate-Akten untersucht hat, ausführte, muss sich Pastior in
zwei zermürbenden Jahren innerlich auf den Besuch der Securitate vorbereitet
haben. Warum er sich letztlich zum Mitarbeiter rekrutieren ließ, bleibt dennoch
der Spekulation überlassen. Ob es seine bedrückenden Erfahrungen der
Deportation nach Russland waren, der rauen Zeit danach als Hilfsarbeiter, oder
der Militärzeit, bleibt ungewiss. Die Vorstellung, das angenehmere
Lebensstadium aufgeben zu müssen, in dem er inzwischen angekommen war, und wie
die standhafte Grete Loew und viele andere ins Gefängnis zu gehen, muss ihm
unerträglich erschienen sein.
Wie unmenschlich Haft und Folter waren, deutete Werner
Knall, ein Teilnehmer der Tagung an, der dies 10 Jahre erdulden musste.
Spätestens als ein Schlagwerkzeug durch das Publikum gereicht wurden, mit dem,
so wie auch im Falle Knalls, die Bastonade durchgeführt wurde, hörte jegliche
(n)ostalgische Verklärung der Geschichte auf. Welche Handlungsspielräume hatten
diese Menschen? Wie viele hielten dem Druck der Securitate nicht stand und
begingen Selbstmord? Diesen Ausweg wählte so mancher Dissident in der DDR,
warum sollte es in Rumänien anders gewesen sein? Zahlen hierüber liegen im
Dunkeln, doch es gibt Bestrebungen, Fälle aus Rumänien zu sammeln und zu
dokumentieren, bei denen Gründe für den Freitod auf das Regime zurück zu führen
sein könnten. Denn der Zweifel war ein weiteres subtiles und probates Mittel
der Securiate, die Menschen in Angst zu halten.
Dass man im Rumänien der
späten 60er und 70er Jahre Mitglied in der KP und gleichzeitig Gegner des
Regimes sein konnte, führte Richard Wagner aus. Die Mitgliedschaft war meist
die notwendige Voraussetzung für berufliches Vorankommen. Der Eintritt in die
Partei war aber nicht zwangsläufig mit einer politischen Karriere und der
persönlichen Vorteilsnahme verbunden, sondern konnte als Türöffner für kritisches
Gedankengut dienen. Erhielt man zum Beispiel einen Posten in einer Redaktion,
konnte man ihn dazu nutzen, Autoren zu protegieren, kritische Texte zu
veröffentlichen und kulturelles Leben neben der staatstreuen Linie so weit wie
möglich zu unterstützen. Besonders plastisch waren die Schilderungen über
Parteifunktionäre, die ihren eigenen Interessen meist viel verbundener waren
als dem System, dem sie dienten, so dass es im Zweifelsfall einfach unterlaufen
wurde. Prof. Dr. Anton Sterbling, dem nach einem Gefängnisaufenthalt eigentlich
untersagt war, das Abitur abzulegen, kam dank eines politischen Würdenträgers
doch zu seinem Abschluss. Dieser nämlich, seines Zeichens ebenfalls Dichter,
hatte Sterblings schriftstellerisches Talent erkannt und ihn dazu auserkoren,
seine Lyrik zu übersetzen und zu veröffentlichen. So etwas war in Rumänien auch
möglich - der Willkür der Funktionäre sowie der Überwachung durch die
Securitate war man jedoch immer ausgesetzt.
Die Erinnerungen der in
welcher Form auch immer vom System Gequälten sind zu ihrer eigenen Geschichte
geworden, beruflich und privat, untrennbar, unauslöschbar eins geworden mit dem
eigenen Leben. Zu belastend waren die dauernden Gängeleien durch Vorgesetzte,
die Übergriffe, die Bespitzelungen, wie die Vortragenden auf mehr oder weniger
emotionale Weise eindrucksvoll darstellten. Das immer wieder Erstaunliche für
jemanden wie mich, der diese Zeiten nicht erlebt hat, ist, wie diese
Erinnerungen zur Triebfeder für unterschiedliche Arten von
„Vergangenheitsbewältigung“ werden. Eindrucksvoll sind jene Zeitzeugen, die zur
Versöhnung aufrufen, die ihre Erinnerungen schriftlich festhalten,
Leidensgenossen suchen, um das kollektiv erfahrene Leid akribisch zu
dokumentieren. Wie das zum großen Teil siebenbürgischstämmige Publikum
verdeutlichte, sind Bereitschaft und Bedarf enorm. Brisant ist die Aufarbeitung
auch deshalb, da seit zwei Jahren die Einsicht in die Securitate-Akten in
Bukarest möglich ist. Dadurch werden viele Erinnerungen ergänzt, das Gesamtbild
einer Lebensgeschichte möglicherweise erheblich verändert. Mancher muss nun im
Nachhinein feststellen, dass die vermeintlich gleich gesinnten Kollegen,
Wegbereiter und Vorgesetzten auch Spitzel der Securitate waren.
In diesem Punkt greifen
individuelle Erinnerung und Wissenschaft ineinander und zeigen eine
bemerkenswerte Eigenschaft der Tagung auf: Laien und Wissenschaftler waren hier
gleichermaßen Initiatoren, Referenten und Publikum. Gegenseitiges Interesse
prägte die Atmosphäre, kontroverse Diskussionen inklusive. Denn Aufgabe und
Absicht der Wissenschaft ist es, Erfahrungsberichte und Staatsakten mit ordnender
Distanz zu bearbeiten und in die historischen und literarischen Zusammenhänge
einzufügen. An der Universität Jena gibt es seit geraumer Zeit das
Graduiertenkolleg „Kulturelle
Orientierungen und gesellschaftliche Ordnungsstrukturen in Südosteuropa“ das
sich Themen, die auf der Tagung vorgestellt wurden, annimmt. Es ist zu wünschen,
dass weitere Forschungsanträge, wie zum Beispiel ein Vorhaben zur sprachlichen
Analyse der Securitate-Akten, bewilligt werden, damit auch dieser Aspekt
betrachtet werden kann.
Klar wurde bei der Tagung
indessen, dass in Rumänien, wie auch in anderen postdiktatorischen Gesellschaften,
die Gefahr besteht, dass trotz der Einsetzung eines Gremiums für die
Aufarbeitung der Securitate-Archive (CNSAS) am Ende die Opfer wieder schlechter
da stehen als die Täter. Katharina Lenski vom Jenaer Archiv für Zeitgeschichte
"Matthias Domaschk“, die über ihre ernüchternden Erfahrungen mit der Aufarbeitung
von Stasi-Akten der DDR referiert hatte, zog am Schluss der Tagung eine
Parallele zur Wendezeit: Man dürfe die Opfer nicht wieder aus dem Blick
verlieren, genauso wenig wie die Anstifter. Es reiche nicht, sich mit dem
„Mittelfeld“ der Täterschaft zu begnügen.
Der Grad zwischen Vergeben-
Vergessen- Aufarbeiten und Erinnern ist schmal, die Handlungsspielräume der
Betroffenen beschränkt, manchmal sogar paradox. Es bleibt zu hoffen, dass wissenschaftliche
Analysen und persönliche Erfahrungen der Nachwelt einen Weg bereiten, mit
diesem Vermächtnis umzugehen.
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