Erschienen in Ausgabe: No 58 (12/2010) | Letzte Änderung: 31.01.13 |
von Felix Ekardt
Der
Klimawandel ist das größte Problem des 21. Jahrhunderts. Zerstören wir die
klimatische Grundlage menschlicher Existenz, brauchen wir uns über Finanzkrisen
und Arbeitsplätze keine Gedanken mehr zu machen.[1] Trotzdem
steht in den Sternen, ob in nächster Zeit ein entschlossener globaler
Klimaschutz für die Zeit ab 2012 zwischen den Staaten vereinbart werden wird. Welches
Maß an Klimaschutz wäre aber optimal? Genau das möchte die Klimaökonomik in
Geld ausrechnen: Möglichst wenig Klimaschäden, aber bitte nur, wenn die dafür
nötige Klimapolitik nicht übermäßig viel kostet und möglichst noch andere
monetäre Vorteile hat (Wachstum). Das klingt plausibel. Eine solche in der
Ökonomik allgemein verbreitete Kosten-Nutzen-Analyse hat dennoch ein großes
Problem: Hinter ihren „klaren Zahlen“ verbergen sich komplexe Annahmen
hinsichtlich der Fakten und hinsichtlich bestimmter Wertungen. Sind diese
Annahmen falsch, ist auch das Ergebnis keineswegs so „objektiv und rational“,
wie Ökonomen oft vorgeben. Auch wenn klare Zahlen Politikern und Medien attraktiv
erscheinen, drohen uns Ökonomen deshalb eine zu lasche Klimapolitik zu empfehlen.
Natürlich hat
die berühmteste Kosten-Nutzen-Analyse, Nicholas Sterns Report von 2006[2], den ökonomischen
Nutzen der Klimapolitik zunächst unterstrichen: Energieeffizienz, erneuerbare
Energien und der Ausstieg aus Kohle und Öl können die Energieversorgung und stabile
Energiepreise dauerhaft sichern und die Abhängigkeit von schwindenden fossilen
Brennstoffen von Krisenregionen wie dem Nahen Osten beenden. Klimaschutz spart oft
schon kurzfristig Geld (Wärmedämmung) und sichert neue Märkte und
Arbeitsplätze. Er ist damit ökonomisch eine große Chance in Zeiten der
Finanzkrise – mehr als eine zweifelhafte Abwrackprämie. Erst recht wäre
langfristig ein Klimawandel mit Ernteausfällen, Stürmen, entvölkerten Landstrichen
und riesigen Migrationsströmen um ein Mehrfaches teurer als eine wirklich
einschneidende Klimapolitik.
Das erste große
Problem ist aber: Klimaökonomen unterschätzen trotzdem die drohenden
Klimaschäden. Der Klimawandel kommt schneller und drastischer als vermutet. Es geht
aus aktueller Sicht der Naturwissenschaftler für 2050 im Grunde um minus 95 %
Klimagase in den Industriestaaten und minus 80 % weltweit, will man
katastrophale Schäden vermeiden. Wer wie Nick Stern global nur 50 % will (oder
wie andere noch viel weniger[3]), droht
große Klimaschäden in Kauf zu nehmen. Ökonomen stützen damit gerade die aktuelle,
lasche Mainstream-Klimapolitik. Die bisher im Schnitt die Emissionen in
westlichen Ländern lediglich konstant hält, und zwar so, dass ein Deutscher
immer noch die dreifache Pro-Kopf-Emissionsmenge hat wie ein Chinese. Auch im
vermeintlichen Vorreiterland Deutschland verhelfen nur Rechentricks zu sinkenden
Emissionen: der Zusammenbruch der ostdeutschen Industrie 1990 und die
Abwanderung der Produktion unserer Wohlstandsgüter in die Schwellenländer – die
nunmehr für uns produzieren und dafür unsere Emissionen in ihre Bilanzen
geschrieben bekommen. Weltweit sind die Emissionen seit 1990 sogar um 40 % gestiegen.
Das zweite Problem der Klimaökonomik ist: Klimaökonomen möchten
Klimaschäden meist teilweise durch Wirtschaftswachstum ausgleichen. Dies ist
jedoch mit ernsthaftem Klimaschutz nicht dauerhaft vereinbar, auch wenn
Klimaschutz kurzfristig wirtschaftliche Belebung verspricht. Wächst man
ökonomisch immer weiter, frisst der Wohlstandszuwachs die technisch
realisierbarer Energieeffizienz- und
Erneuerbare-Energien-Treibhausgaseinsparungen mindestens teilweise auf.
Bildlich gesprochen: Wenn mein Auto zwar immer energieeffizienter läuft,
weltweit aber immer mehr Menschen ein Auto fahren (und ich selbst ein immer größeres
Auto), ist wenig gewonnen. Und genau so ist momentan die Tendenz. Dies erklärt,
warum die Emissionen z.B. in den Industriestaaten seit 1990 trotz vielfältiger
klimapolitischer Bemühungen stagnieren. Neben diesem „Rebound-Problem“ besteht
ein „Größen-Problem“: Will man den globalen Klimawandel auf ein
nicht-katastrophales Ausmaß begrenzen, sind drastische
Treibhausgasreduktionsziele zwingend nötig. Es geht ja nicht darum, den weltweiten
Wohlstand zu vermehren und durch mehr Effizienz die Treibhausgasemissionen
konstant zu halten oder leicht zu senken. Es geht vielmehr darum, sie global
(!) um etwa 80 % zu senken – und zugleich den Entwicklungsländern Spielräume
für die Armutsbekämpfung zu geben.
Und auch
unabhängig besteht schlicht das „physikalische Problem“: Wachstum stößt in
einer endlichen Welt irgendwann an Grenzen; es sei denn, man meint Wachstum an
Bildung, Klavierspielfertigkeit u.ä. Es kann nicht die gesamte Welt – also auch
alle Inder, Chinesen oder Indonesier, die sukzessive den okzidentalen Lebens-
und Wachstumsstil übernehmen – unendlich immer reicher werden. Auch wenn die
Menschheit von fossilen Brennstoffen auf Sonnenenergie umsteigt, bleiben die
sonstigen Rohstoffe dieser Welt endlich. Auch Windräder und Öko-Autos bestehen
aus Ressourcen. Und dass allein „neue Ideen“ dauerhaft wachsen und dadurch ohne
jeglichen Ressourcenverbrauch doch „ewiges Wachstum“ ermöglichen könnten, kann
man zwar hoffen, erscheint aber zumindest offen, so dass zweifelhaft ist, ob
man ernsthaft auf der Grundlage einer solchen Annahme seine klimapolitischen
Empfehlungen entwickeln sollte. Ganz generell führen „Ideen“ eben potenziell
auch dazu, dass auch wieder konkrete materielle Ressourcen verbraucht werden.
Man denke nur an das Internet und viele andere neue Technologien.
Vielleicht ist
endloses Wachstum ohnehin gar nicht erstrebenswert: Sind die im Schnitt viel
ärmeren Brasilianer wirklich im Schnitt unglücklicher als die Deutschen?
Freilich wäre ein verstärktes Nachdenken und Forschen über die Folgeprobleme
eines langfristigen „Endes des Wachstumsgedankens“ angezeigt, etwa für den
Sozialstaat. Historisch ist eine Wachstumsgesellschaft ohnehin ein Sonderfall,
gebunden an das Auftreten der fossilen Brennstoffe. Tendenziell hat die
Menschheit im fossilen Zeitalter jedenfalls ein technisches Wissen aufgebaut,
welches es ermöglichen dürfte, wesentliche Errungenschaften dieses Zeitalters
gleichwohl zu bewahren.
Das dritte Problem der Klimaökonomik ist: Wesentliche
Kosten und Nutzen des Klimawandels sind ökonomisch nicht abbildbar. Millionen
Tote und Ressourcenkriege um Wasser würden zwar auch ökonomische Kosten auslösen.
Es ist aber offenkundig, dass das eigentlich Fatale an solchen Entwicklungen
mit dem Hinweis auf Kriegs- und Krankenhauskosten nur zu einem Bruchteil
erfasst wird. Da hilft es auch nicht, wenn Ökonomen diese „weichen“ Faktoren oft
doch noch zu Geld machen, indem sie die hypothetische Zahlungsbereitschaft der
Menschen fürs stabile Klima und ihr eigenes Überleben in die
Kosten-Nutzen-Analyse einbeziehen. Denn das wäre fiktiv und irreal; es gibt
keinen Markt, der uns sagt, was ein Leben „kostet“. Überdies ist die
Zahlungsbereitschaft naturgemäß durch die Zahlungsfähigkeit beschränkt. Soll
etwa Bill Gates’ Leben 10 Milliarden Dollar zählen, das Leben eines Bangladeschis
dagegen nur 1 Dollar, weil er einfach nicht mehr Geld hat? Nur weil dessen
Leiden erst in einigen Jahrzehnten liegt, zählt es außerdem nicht weniger, auch
wenn Ökonomen das meist annehmen.
Das vierte Problem der Klimaökonomik ist: Wenn man
schon rechnet, sollte man wenigstens die wirklich monetären Kosten vollständig
anzugeben versuchen. Wo aber sind in ökonomischen Modellen die Kosten der
Ressourcenkriege, die bei einer zu zögerlichen Klimapolitik durch schwindende
Brennstoffe und Lebensgrundlagen drohen? Dabei sind Kriege um Öl und Wasser (schon
von den rein monetären Ausgaben her) so teuer, dass selbst die radikalste Klimapolitik
kaum mithält.
Man kann jetzt allerdings fragen: Warum überlassen
wir all dies nicht dem freien Belieben der Konsumenten? Wenn uns Urlaubsflüge
und Autofahrten nun einmal mehr Geld wert sind als Klimaschutzmaßnahmen, wie
man täglich sieht? Das Problem ist aber eben: Freiheit ist nicht nur die Freiheit zahlungskräftiger Konsumenten,
sondern auch die Freiheit der Bangladeschis und künftiger Generationen, die
beide heute am freien Markt mangels Kaufkraft kaum präsent sind. Das auszublenden,
wäre schlicht irrational und ideologisch – also genau das, was viele Ökonomen
gern allen anderen vorwerfen.
Man kann die richtige Klimapolitik also nur
teilweise „ausrechnen“. Wer vorgibt, mehr zu können, schadet auch der
Demokratie: Denn die scheinbar exakten klimaökonomischen Aussagen erwecken
leicht den Eindruck, die Politiker seien völlig irrational, wenn sie den Ökonomen
nicht folgen.
Statt Mainstream-Politik wie die Klima-Volkswirte favorisieren
Klima-Betriebswirte oft gar ein rein freiwilliges unternehmerisches Klima-Handeln.
Also Unternehmensethik und Druck der Konsumenten statt politischer Vorgaben. Das
ist sicher auch wichtig. Wie aber soll der zumeist eigennützige Mensch, den
gerade Ökonomen immer diagnostizieren, rein (!) freiwillig unsere Emissionen
fast auf Null senken? Es geht eben nicht einfach darum, etwas ökologischere
Produkte zu verkaufen und zu kaufen, dafür aber gleichzeitig immer mehr zu
kaufen und zu produzieren. Es geht vielmehr darum, Ressourcen und Klima nicht „pro
Produkt“, sondern absolut zu entlasten, und zwar massiv. Und zugleich den
Entwicklungsländern Spielräume für die Armutsbekämpfung einzuräumen. Klima-Volkswirte sagen zu recht: Das Klima
erscheint vordergründig „kostenlos“ und wird deshalb zu stark genutzt. Das
ändern wir nur, indem wir Politik machen.
Prof. Dr.
Felix Ekardt, LL.M., M.A., Jurist, Philosoph und Soziologe, Forschungsgruppe
Nachhaltigkeit und Klimapolitik, Könneritzstraße 41, 04229 Leipzig,
felix.ekardt@uni-rostock.de, www.sustainability-justice-climate.eu. Kürzlich erschien
bei Herder „Cool Down. 50 Irrtümer über unsere Klima-Zukunft – Klimaschutz neu
denken“.
[1] Zum
gesamten Text ausführlicher Ekardt, Climate Change and Social Distributive
Justice, 2010 (Download unter www.sustainability-justice-climate.eu) und
Ekardt, Cool Down: 50 Irrtümer über unsere Klima-Zukunft – Klimaschutz neu
denken, 2009 sowie in Kurzform Ekardt, SZ vom 17.11.2009, S. 18.
[2] Eine Aktualisierung bietet
Stern, A Blueprint for a Safer Planet, 2009.
[3] Siehe etwa Nordhaus, A Question of Balance, 2008.
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Warszawski 10.11.2010 18:33
Kritik der Kritik der Klimaökonomik von Felix Ekardt von Nathan Warszawski http://www.tabularasa-jena.de/artikel/artikel_2722/