Erschienen in Ausgabe: No 60 (2/2011) | Letzte Änderung: 14.02.13 |
Die Fortsetzung von Oliver Stones berühmtem Film „Wall Street“
von Bernd Villhauer
Es gibt Filme, die Zeitgeschichte widerspiegeln und es gibt
solche, die Zeitgeschichte schreiben. Oliver Stones „Wall Street“ aus dem Jahre
1987 tat beides. In diesem Finanzthriller wurden Arbeits- und
Lebensverhältnisse geschildert, die vorher nur wenige interessiert hatten.
Investmentbanker waren in den 80er vor „Wall Street“ für ein breiteres Publikum
ungefähr so interessant wie die Krawatten der lokalen Kreissparkassenleiter.
Stones Film änderte das…
Und er änderte das in ambivalenter Weise. Zum einen zeigte
er eine Gruppe von Menschen, die mit ihren Entscheidungen nicht nur die
Finanzmärkte beeinflussen, sondern die Realwirtschaft. Er wies auf die Macht
dieser Menschen hin und fragte, ob es Amerika und der Welt gut täte, dass sie
über die Lebens- und Arbeitsbedingungen von Millionen entscheiden und dabei
selbst Millionen verdienen. (Damals rechnete man noch mit der guten alten
Million, die heutzutage etwas aus der Mode gekommen zu sein scheint -da Verluste und Hilfsprogramme sind nunmehr
mindestens im zweistelligen Milliardenbereich bewegen müssen.)
Aber es war keine moralische Anklage, keine Entlarvung, die
säuberlich Gute von Bösen trennte. Und gerade die üble Hauptfigur, der
Börsenmagnat Gordon Gekko, wurde mit einem solchen Maß an Faszinationskraft
ausgestattet, das er zu einer Symbol- und Identifikationsfigur für eine ganze
Generation von Investmentbankern wurde.
Auch in dem Fortsetzungsfilm Stones, der wieder einen
Börsenkrimi präsentiert, verkörpert Michael Douglas Gekko – und das mit
gereifter und souveräner Schauspielkunst. Und wieder ist das mit dem Gut und
dem Böse alles andere als eindeutig. Gerade diese moralische Vielschichtigkeit
bemängeln viele Kritiker, zumal sie teilweise mit visueller Einfältigkeit
einher geht. Da steigen zum Beispiel in einer Schlüsselszene Seifenblasen in
den Himmel (BLASEN – got it?) – und auch ansonsten wird das feinsinnige
Publikum einiges zu meckern finden. Aber die Dynamik der Wall Street wird
ebenso wunderbar vermittelt wie die Selbstverständlichkeit, mit der Macht zum
Machtmissbrauch führt. Schauspielerische Glanzlichter (Michael Douglas
natürlich, aber auch Susan Sarandon, Eli Wallach und ein großartiger Frank
Lagella) erhöhen den Genuss, den man sich nicht durch zu viel kritische
Seitenblicke auf technische Börsendetails verderben sollte. So elegant und
intelligent geht es an den Finanzmärkten dann doch nicht zu. Aber mindestens so
gefährlich...
Über die Geschichte des jungen Börsenmaklers Jake Moore
(Shia LaBeouf) und seinen Versuch, den Tod seines Mentors Louis Zabel (Frank
Lagella) zu rächen, über den zurückgekehrten Gordon Gekko und seine Tochter
(Carey Mulligan), die ihm nicht mehr vertrauen will, sagt der Film einiges.
Aber „die Wahrheit“ über die Geschäftsbedingungen im Reich der Herren des
Geldes erfährt man in „Wall Street – Money never sleeps“ nicht durch
Informationen über Fonds oder die Hebelwirkung von Derivaten, sondern am
ehesten durch Blicke auf die Außenwelt der Innenwelt des Kapitals. Eine Welt
der Oberflächen und diplomatischen Kontakte, die gefährliche Wachheit und
hungrige Präsenz zeigt. Die Energy Drinks auf den Schreibtischen, die
Motorräder und die schnellen Blicke in den Verhandlungen – Zeichen der Welt, in
der das Geld niemals schläft. Nicht schlafen zu können, das ist ein uralter
Fluch in der Menschheitsgeschichte. Die Nichtschlafenden, die Untoten, die ewig
Wandernden, wir haben Mitleid mit ihnen und gleichzeitig wünschen wir, dass sie
endlich verschwinden mögen. Wann kommen sie zur Ruhe? Wird das Geld irgendwann
schlafen?
Aber die Jagd des Geldes, das symbolisieren sehr schön die
freundlich lächelnden chinesischen Anleger in einer Schlüsselszene, ist noch
lange nicht an ihr Ende gelangt. Die nächste Blase kommt bestimmt, so die
Botschaft des Filmes – zum Beispiel in den Umwelttechnologien oder auf dem
chinesischen Markt. Daher schafft der Film auch nicht die Illusion einer Lösung
(und sei es einer moralischen). Nun aber haben wir aber immerhin eine großartige
Momentaufnahme derjenigen, die das Geld an den Quellen fließen sehen. Oliver
Stone, dem schon so viel Filme missglückt sind, hat eines der langweiligsten
Filmformate, die Fortsetzung, zu einem Meisterstück genutzt. Zwischen
plüschigem Cineastenkino für die Toskana-Fraktion und Blockbuster-Albträumen
aus dem Rechner endlich ein Gegenwartsfilm!
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