Erschienen in Ausgabe: No. 19 (1/2003) | Letzte Änderung: 07.03.14 |
von Adolf Rami
Ich bin nur dadurch Ich, dass ich mich mache,
d.h. dass nicht ein Anderer Mich macht,
sondern Ich mein eigen Werk sein muß.
Max Stirner1
Wer die Frage nach der Freiheit stellt, stellt sich damit unweigerlich der Frage nach seiner eigenen Freiheit. Wer sich nach seiner Freiheit fragt, fragt nicht nur nach der Freiheit an-sich oder dem Begriff der Freiheit, sondern sieht sich mit einer ganzen Reihe von Fragen konfrontiert. Ich will einige dieser Frage, die mir wesentlich erscheinen, herausgreifen und im folgenden diskutieren. Dies werden im besonderen zwei meiner Ansicht maßgebende Fragen sein, auf die mein hauptsächliches Augenmerk gerichtet sein wird. Bevor ich auf diese beiden Fragen eingehen werde, möchte ich aber einiges Grundsätzliche zum Begriff der Freiheit sagen.
Gemeinhin werden sowohl
zwei Arten der Bestimmung der Freiheit, nämlich eine negative
und eine positive, als auch zwei Arten der Freiheit unterschieden.
Nach der negativen Bestimmung der Freiheit ist Freiheit das Fehlen
oder die Abwesendheit von Zwang, Beeinflussung oder Manipulation.
Nach der positiven Bestimmung ist Freiheit die Möglichkeit
zur autonomen Entscheidung und zum autonomen Handeln. Abgesehen
davon wird in der philosophischen Diskussion seit Hume gewöhnlich
zwischen Handlungsfreiheit und Willensfreiheit unterschieden.
Handlungsfreiheit ist die Freiheit zu tun (zu handeln), was (wie)
man will. Willensfreiheit ist die Freiheit zu wollen, was man
will. Anhand dieser vier kurzen Charakterisierungen der Freiheit
lässt sich nun zeigen, wo eine Diskussion des Begriffs der
Freiheit anzusetzen hat. Als erstes ist zu bemerken, dass, wie wir
anhand der Bestimmung von Willensfreiheit und Handlungsfreiheit
sehen, vor allem der Begriff des Willens eng mit dem Begriff der
Freiheit verknüpft ist. Was soviel bedeutet wie: Nur wenn wir
wissen, was es heißt einen Willen zu haben oder was der Wille
ist, können wir sagen, was es bedeutet, frei zu sein. Die
Klärung des Begriffs des Willens, und des freien Willens
im speziellen, bringt allerdings einige Probleme mit sich. Ist der
Wille ein Vermögen oder nur ein Phänomen oder Eindruck? Was
für eine Beziehung besteht zwischen Willen und Handlung? Gibt es
einen unfreien Willen? Doch vor allem wirft sich die Frage auf, was
es bedeutet, dass jemand will oder wollen kann, was er will. Ist es
denn möglich etwas zu wollen, was man nicht will? In anderer
Form kann man dieses Problem auch derart formulieren: Ist alles was
ich will, tatsächlich von mir selbst gewollt? Ich
werde später vor allem dieser Frage nachgehen. Der zweite
zentrale Begriff, vor allem in Zusammenhang mit Handlungsfreiheit,
neben dem Begriff des Willens ist naturgemäß der Begriff
der Handlung. Wenn man sich überlegt, was eine Handlung ist, so
stößt man ebenso, wie bei der Analyse des Begriffs des
Willens, auf grundlegende Probleme; z.B.: Ob jedes Handeln
grundsätzlich absichtliches Handeln ist oder ob es auch
unabsichtliche Handlungen gibt, die sich ohne eine vorausgehende
Absicht oder unwillentlich ereignen und dennoch als Handlungen einer
bestimmten Person ausgewiesen werden können? Was individuiert
eine Handlung? Diese Fragen verlangen nach einer eindeutigen
Abgrenzung des Begriffs der Handlung vom Begriff der Körperbewegung.
Überdies hinaus muss geklärt werden, wie das Verhältnis
von Handlungsabsicht, Willen und dem Vollzug einer Handlung
beschaffen ist. Wie sich noch herausstellen wird ist es sinnvoll eine
willentliche Körperbewegung2
einer Person, der eine Absicht vorausgehen kann, als eine
Handlung zu bezeichnen. Das bedeutet: Wenn jedes Handeln,
willentliches Handeln ist, dann kann nur ein Handeln, das auf dem
freien Willen einer Person basiert, als freies Handeln bezeichnet
werden. Damit erweist sich der Begriff des freien Willens als der
zentrale Begriff jeder angemessenen Analyse des Begriffs der
Freiheit. Dies bedeutet allerdings auch, dass es ohne freien Willen
weder Willensfreiheit noch Handlungsfreiheit3
gibt.
Werfen wir einen Blick auf
den Gebrauch des Wortes „Freiheit“ im Alltag. In bezug auf
welche Arten von Freiheit wird das Wort „Freiheit“ im
Alltag gewöhnlich angewendet? Wenn wir im Alltag von Freiheit
sprechen, so beziehen wir uns in den meisten Fällen damit auf
eine bestimmte Art der Bewegungsfreiheit, nämlich die
Möglichkeit sich von einem Ort nach eigenem Willen zu einem
anderen Ort zu bewegen. Eine gängige Art der Bestrafung basiert
drauf, jemanden hinsichtlich dieser Freiheit auf ein Minimum
einzuschränken. Als grundsätzlichste Form der
Bewegungsfreiheit ist allerdings jene Fähigkeit anzusehen, die
es jemandem ermöglichlicht seinen Körper nach seinem Willen
zu bewegen. Diese beiden Arten der Bewegungsfreiheit, örtliche
und körperliche Bewegungsfreiheit, sind als Unterarten der
Handlungsfreiheit anzusehen.
Demnach ist uns der
Begriff der Handlungsfreiheit im Alltag in gewisser Weise vertraut.
Dies sollte uns Anlass geben, uns kurz etwas genauer mit dem Begriff
der Handlung und des Handelns auseinanderzusetzen. Was macht eine
Handlung aus? Ist jedes Handeln absichtliches Handeln? Ein klarer
Fall einer Handlung mit einer vorausgehenden Absicht ist der
folgende. Eine Person bewegt sich auf eine Treppe zu, hat die Absicht
diese Treppe hinunterzugehen und setzt dies auch in die Tat um. In
diesem Fall liegt (a) eine Absicht, die Treppen hinunterzugehen, vor
und (b) der Wille diese Absicht in die Tat umzusetzen. Wenn es nun
gelingt diese Absicht in die Tat umzusetzen, so hat man eine
absichtliche Handlung, eine Handlung mit vorausgehender Absicht,
vollzogen. Eine Handlung scheint vor diesem Hintergrund ein Komplex
willentlicher Körperbewegungen zu sein, dem eine Absicht
vorausgeht, die durch die Körperbewegungen in gewissem Sinn
erfüllt wird. Ein Fall der demnach eindeutig keine Handlung
wäre, ist der Fall, wenn die angesprochene Person die Treppe
hinuntergestoßen wird. Was ist aber, wenn sie die Treppe
hinunterstolpert? Hier müssen wir genauer differenzieren.
Angenommen jemand hat die Absicht eine Treppe hinunterzugehen und
nach wenigen zurückgelegten Stufen stolpert er die restliche
Treppe hinunter. Würden wir in diesem Fall von einer Handlung
sprechen, einer Handlung, welche eine vorausgehende Absicht erfüllt?
Wenn wir etwas nur dann als Handlung anerkennen, wenn dadurch eine
vorausgehende Absicht strikt erfüllt wird, dann wäre es
nicht angebracht die eben skizzierte Bewältigung der Treppe eine
Handlung zu nennen. Ist das adäquat? Wenn wir den eben
beschriebenen Fall tatsächlich eine Handlung nenne wollen, dann
scheint zumindest das strikte Erfüllen der vorausgehenden
Absicht für eine Handlung nicht notwendig zu sein. Angenommen
die Absicht der betreffenden Person war es nicht die Treppe
hinunterzugehen, sondern die Treppe irgendwie zu bewältigen.
Diese Absicht würde auch dann erfüllt werden, wenn die
betreffende Person nach wenigen zurückgelegten Stufen die
restliche Treppe hinunterstolpert. Sollen wir in diesem Fall von
einer Handlung sprechen? Ein zusätzliches Problem bei dieser Art
der Treppenbewältigung besteht allerdings darin, dass der
Komplex der Körperbewegungen, durch den die Treppenbewältigung
erfolgt, aus einigen oder mehrheitlich aus Körperbewegungen
besteht, die nicht willentlich geschahen. Im wesentlichen wirft
dieses Treppenbewältigungs-Beispiel drei Fragen oder Probleme
auf: (a) Ist es notwendig, dass eine Handlung aus einem Komplex
ausschließlich willentlicher Körperbewegungen besteht? (b)
Ist es notwendig, dass eine Handlung eine vorausgehende Absicht hat
und dass diese Absicht auch strikt erfüllt wird? (c) Was
individuiert eine Handlung bzw. ab wann sollen wir anstatt von einer
Handlung von mehreren Handlungen sprechen? Wenn wir (a) in bezug auf
unser Beispiel mit „ja“ beantworten, dann wäre die
besprochene Treppenbewältigung mit Stolpern keine Handlung, da
jene Körperbewegungen, die das Stolpern konstituieren, keine
willentlichen Körperbewegungen sind. Intuitiv scheint die
Treppenbewältigung aber eine Handlung zu sein, auch wenn der
Handelnde kurzzeitig die Kontrolle über seinen Körper und
seine Schritte verloren hat. Auch in dem Fall, wo die der
Treppenbewältigung vorausgehende Absicht durch die
Treppenbewältigung nicht explizit erfüllt wird, scheint
intuitiv eine Handlung vorzuliegen. Eindeutig keine Handlung einer
Person liegt dann vor, wenn eine Person eine Treppe hinuntergestoßen
wird, diese Person aber keine Absicht hat, die Treppe
hinunterzugelangen. Auch dann, wenn jemand die Absicht hat eine
Treppe hinunterzugelangen und die Treppe hinuntergestoßen wird,
kann nicht von einer Handlung der betreffenden Person gesprochen
werden. Wir sehen, dass der Begriff der Handlung schwer exakt zu
fassen ist. Eine zusätzliche Schwierigkeit ergibt sich, wenn wir
jene Handlungen im Alltag einbeziehen, die zwar willentlich, aber
mehr oder weniger automatisch geschehen, also ohne explizite
vorausgehende Absicht. Sollen wir all die vielen, täglichen
automatisierten Körperbewegungen, wie die Hand heben, Schritte
machen, den Kopf drehen etc. Handlungen nennen? Im Gegensatz zu
Reflexen scheinen sie willentlich zu erfolgen. Und auch wenn ihnen
keine explizite Absicht vorausgeht, so geschehen sie doch auch nicht
unabsichtlich? Gibt es überhaupt unabsichtliches Handeln? Gibt
es ein Handeln ohne vorausgehende Absicht, das jedoch nicht
unabsichtliches Handeln ist? Man könnte sagen es gibt ein
Handeln, dem eine Absicht vorangeht, und ein Handeln, dem keine
Absicht voran geht, aber es gibt kein unwillentliches Handeln. Die
Körperbewegungen eines Gestoßenen oder Stolpernden sind
nicht willentlich. Wir sollten deshalb zwischen absichtlichen
Handlungen, Handlungen denen eine (explizite) Absicht vorangeht, und
willentlichen Handlungen, denen eine (explizite) Absicht vorausgehen
kann, unterscheiden. Unabsichtliches Handeln im Sinn von
unwillentlichem Handeln gibt es allerdings nicht. Es ist aber denkbar
eine Handlung eine unabsichtliche Handlung zu nennen, wenn diese
Handlung anders als beabsichtigt verläuft. Ich will es bei
diesen Hinweisen zur Klärung des Begriffs der Handlung belassen
und zur Frage nach der Freiheit im Alltag zurückkehren.
Neben den beiden erwähnten
Arten der Bewegungsfreiheit ist uns im Alltag der Begriff der
Meinungs- oder Redefreiheit geläufig. Hierbei handelt sich
ebenfalls um eine Unterart der Handlungsfreiheit, da jede Kundmachung
oder Artikulation von Meinung eine Handlung ist. Eine weitere,
entscheidende und oft im Alltag angesprochene Art der Freiheit ist
die Gedankenfreiheit, die darin besteht, dass man denken kann, was
man will. Es ist eindeutig, dass diese Art der Freiheit keine
Unterart der Willensfreiheit ist. Ist sie deshalb eine Unterart der
Handlungsfreiheit? Sollen wir Denken als Handeln auffassen? Wir haben
vorhin Handlungen mit Körperbewegungen, die willentlich
geschehen und denen eine Absicht vorausgehen kann, identifiziert.
Demgemäss kann Denken unmöglich als ein Handeln aufgefasst
werden. Sollen wir deshalb den Begriff des Handelns weiter fassen als
wir es taten oder sollen wir eine dritte Art der Freiheit neben der
Handlungsfreiheit und der Willensfreiheit postulieren? Es scheint mir
intuitiv unangebracht zu sein, Denken als ein Handeln aufzufassen.4
Eine angemessene Möglichkeit dieser Schwierigkeit zu entgegnen,
bestünde darin, grundsätzlich zwei neue Kategorie der
Freiheit einzuführen; nämlich bewusstseinsimmanente
(innere) und bewusstseinstranszendente (äußere) Freiheit.
Demnach würde sowohl die Gedankenfreiheit als auch die
Willensfreiheit unter innere Freiheit fallen und die
Handlungsfreiheit unter äußere Freiheit. Die Frage ist nur
was eine solche Unterscheidung leistet, und ob eine strikt
Unterscheidung zwischen Innen und Außen auch Sinn macht.
Wir haben zwei
verschiedene Bestimmungen der Freiheit angeführt, eine positive
und eine negative. Nun stellt sich auf dieser Grundlage natürlich
die Frage, ob sich diese beiden Bestimmungen zu einem Begriff der
Freiheit ergänzen oder ob sie zwei verschiedene Begriffe der
Freiheit repräsentieren? Es scheint mir so, als ob durch die
beiden angeführten Bestimmungen zwei verschiedene Begriffe der
Freiheit eingeführt werden. Die positive Bestimmung der Freiheit
scheint Freiheit als eine Fähigkeit zu charakterisieren, die
negative Bestimmung hingegen als einen Zustand. Meines Erachtens
macht eine solche Unterscheidung zwischen der Freiheit als
Fähigkeit und Freiheit als Zustand durchaus Sinn. Ich
werde im folgenden erörtern, inwiefern es adäquat ist,
sowohl eine Fähigkeit der Freiheit als auch einen Zustand der
Freiheit anzunehmen; wobei naturgemäß die Fähigkeit
Voraussetzung für das Erreichen oder das Bewahren eines Zustands
der Freiheit ist.
Wenden wir uns zuerst der
Fähigkeit der Freiheit zu. Was ist die Fähigkeit der
Freiheit? Grob gesprochen kann man sagen, jemand hat die Fähigkeit
der Freiheit, dann und nur dann, wenn er einen freien Willen hat. Was
ist aber ein freier Wille? Und wer hat einen freien Willen? Nach
unserer oben angeführten Charakterisierung der Willensfreiheit
hat jemand einen freien Willen dann und nur dann, wenn er wollen
kann, was er will. Was ist aber wiederum damit konkret gemeint? Es
soll besagen, dass jemand nur von sich aus, unabhängig
von irgendwelchen äußeren oder inneren Einflüssen,
von Zwängen, Motiven, Gründen oder Manipulation etwas
wollen kann. Jemand hat demnach einen freien Willen, wenn er autonom
und von sich aus etwas wollen kann; wenn nur der Wille selbst
Ursache des Wollens ist. Wie ist diese Selbstverursachung des
Willens, das von sich aus Wollen, zu verstehen? Ist nicht jede
Person durch gewisse Gründe, ihren Charakter, ihre Wünsche
und Motive, durch ihre mentale Biographie schlechthin in ihrem Wollen
determiniert? Was aber befähigt eine Person sich aller ihrer
Determinanten zu entheben und etwas davon losgelöst zu wollen?
Denn nur dann kann einer Person ein freier Wille und ein freies
Wollen zugeschrieben werden, wenn dieselbe von sich aus etwas wollen
kann, und von sich aus so viel heißt wie, dass die
Person unabhängig von ihren Determinanten (=Charakter, Wünsche,
Motive, Gründe, mentale Biographie, Gepflogenheiten, Erziehung,
Gene, etc.) etwas wollen kann und nur der Wille der Person selbst
Ursache des Wollens ist. Jemand hat einen freien Willen, wenn er,
obwohl ihn seine Determinanten stets auf ein ganz bestimmtes Wollen
festzulegen scheinen, auch anders wollen kann.
Es ist unbezweifelbar,
dass wir in unserem täglichen Tun und Wollen von Determinanten
bestimmt sind und werden, und dass wir im besonderen unter dem
Einfluss unserer mentalen Biographie und unserer Umwelt stehen. Ist
eine Person auf dieser Grundlage tatsächlich in der Lage sich
all ihrer Determinanten zu entheben und davon unabhängig etwas
zu wollen? Auch wenn eine Person gewöhnlich unter dem Einfluss
ihrer Determinanten steht und auf dieser Grundlage etwas will oder
handelt, so muss sie, wenn sie tatsächlich einen freien Willen
hat, grundsätzlich in der Lage sein zumindest in gewissen
Situationen etwas zu wollen oder zu tun, was entweder im Widerspruch
zu ihren Determinanten steht, beziehungsweise sich nicht auf diese
zurückführen lässt oder durch dieselben erklärt
werden kann. Diese Forderung bringt allerdings eine weitere
Schwierigkeit mit sich. Es stellt sich die Frage, wie sich die
Beziehung zwischen den Determinanten einer Person (=Charakter,
Wünsche, Motive, Gründe, mentale Biographie,
Gepflogenheiten, Erziehung, Gene, etc.) und dem tatsächlichen
Wollen oder Tun einer Person überhaupt beschreiben oder erklären
lässt. Welche Art von Beziehung besteht zwischen den
Determinanten einer Person und dem Tun und Wollen dieser Person? Eine
Kausalbeziehung? Können die Determinanten einer Person
tatsächlich das Wollen und Tun einer Person direkt verursachen?
Was ist, wenn Konflikte zwischen den einzelnen Determinanten
auftreten? Wodurch wird dann das Wollen oder Tun einer Person
gelenkt? Gibt es unterschiedliche Grade des Einflusses unter den
Determinanten? Und wodurch sind diese Grade wiederum bestimmt? Nur
wenn wir klar sagen können, wie und inwieweit die Determinanten
einer Person die Handlungen und den Willen einer Person bestimmen
oder verursachen, können wir auch sagen was es heißt, dass
eine Person unabhängig von diesen Determinanten etwas wollen
oder handeln kann.
Angenommen der Wille einer
Person wird in den meisten Situationen ihrer Existenz tatsächlich
von Determinanten bestimmt oder sogar verursacht. Inwieweit ist auf
diesem Hintergrund die Fähigkeit frei handeln oder wollen zu
können überhaupt von Relevanz? Handelt es sich bei der
Fähigkeit der Freiheit nur um eine partielle Fähigkeit? Ist
es möglich, dass eine Person in allen Situationen frei handelt
und sich stets auf der Grundlage ihres freien Willens entscheidet,
völlig unabhängig von ihren Determinanten? Es ist zwar
logisch möglich, aber ich will bezweifeln, dass es faktisch
möglich ist; und zwar aus folgenden Gründen: Abgesehen
davon, dass es grundsätzlich schwer vorstellbar ist, dass jemand
unabhängig von all seinen Determinanten handelt oder
etwas will, so ist die Vorstellung eines Menschen, der stets
unabhängig von all seinen Determinanten handelt und etwas
will, äußerst problematisch. Erstens scheinen auf dieser
Grundlage die Handlungen einer Person völlig unerklärbar
und unnachvollziehbar zu werden, für andere und den Handelnden
selbst. Und zweitens wäre es für einen solchen Menschen
nicht nur unmöglich in einem dem Menschen gewöhnlichen
Gemeinwesen zu leben und sich nach den Regeln, Gebräuchen und
Gepflogenheiten der Gemeinschaft zu richten, sondern er könnte
womöglich überhaupt nicht als Mensch existieren oder zum
Beispiel eine Sprache erwerben. Wenn der Mensch tatsächlich die
Fähigkeit der Freiheit, einen freien Willen, hat, dann scheint
diese Fähigkeit demzufolge eine für den Menschen
ausschließlich partiell anwendbare und einsetzbare Fähigkeit
zu sein. Wie sollen wir auf dieser Grundlage allerdings zu einem
tatsächlichen Zustand der Freiheit und damit zu eigentlicher
Freiheit gelangen oder uns einen solchen Zustand bewahren? Ist die
Fähigkeit der Freiheit, der freie Wille nur eine Scheinfreiheit?
So wie es eine Scheinfreiheit ist, wenn man sagt: Eine Person ist
frei, wenn sie sich nicht behindert, beeinflusst oder gezwungen
fühlt, selbst wenn dies der Fall ist. Die eigentliche Freiheit,
den Zustand der Freiheit, haben wir als einen Zustand der
Abwesendheit von Zwängen, Manipulation und Einflüssen
beschrieben: Jemand ist nur dann tatsächlich frei, wenn er auf
der Basis seiner Fähigkeit der Freiheit in einen Zustand der
Freiheit existiert. Die Frage nach der Freiheit ist für den
einzelnen Menschen hauptsächlich eine Frage nach einer Existenz
in Freiheit, einer Existenz im Zustand der Freiheit, der durch
Abwesendheit von Zwängen, Manipulation und Einflüssen
geprägt ist. Aber eine solche Existenz in Freiheit scheint auf
der Grundlage unserer nur partiell anwendbaren Fähigkeit der
Freiheit nicht möglich zu sein. Sollen wir demzufolge die Idee
der eigentlichen Freiheit, eines Zustands der Freiheit, einer
Existenz in Freiheit, verwerfen? Ich will diese, wie ich meine,
zentrale Schwierigkeit der Freiheit zum Anlass nehmen, um auf die
meiner Ansicht nach wesentliche Frage (1) überzuleiten:
Inwiefern ist der Verlauf der Existenz und die Existenz eines
Menschen durch Zwang und Manipulation bestimmt?
Ich werde im folgenden
zwei verschiedene, maßgebende Arten des Zwangs, von denen die
Existenz des einzelnen Menschen betroffen sein kann, diskutieren,
nämlich den immanenten Zwang der Existenz und den
grundsätzlichen Zwang zur Existenz. Es wird sich zeigen,
inwiefern die Existenz des einzelnen Menschen tatsächlich von
diesen beiden grundlegenden Arten des Zwangs betroffen ist.
Der immanente Zwang der
Existenz ist jenes Phänomen, das wir bereits teilweise
beleuchtet haben. Dieses Phänomen betrifft, unter anderem, die
angesprochene Tatsache, dass das Wollen und Handeln des einzelnen
Menschen unter dem beinahe ständigen Einfluss seiner
Determinanten steht. Dies scheint deshalb notwendig zu sein, da
andernfalls (a) die Handlungen und das Wollen eines Menschen für
andere Menschen und den betreffenden Menschen selbst unerklärbar
und unnachvollziehbar wären und (b) ein solcher Mensch unmöglich
in einem Gemeinwesen, wie es für Mensch üblich ist,
existieren könnte. Dieser zweite Grund ist deshalb maßgebend,
da sich die Existenz des einzelnen Menschen vor allem vor dem
Hintergrund eines Gemeinwesens vollzieht. Ein Neugeborenes ist
beispielsweise unfähig ohne die Eingebundenheit in eine
Gemeinschaft zu überleben. Der Menschen ist vor allem als ein
politisches Wesen zu charakterisieren, das durch die Ordnung und
Willensbildung eines Gemeinwesens bestimmt wird. Besonders durch
seine körperliche Manifestation in der Welt ist der Mensch der
Welt und ihren Kausalprozessen ausgesetzt. Einen der maßgebenden
Einflüsse auf den einzelnen Menschen stellen die anderen
Menschen dar. Die körperliche Manifestation des Menschen in der
Welt, seine Fähigkeit zu Handeln, und sein freier Wille erzeugen
ein Spannungsfeld zwischen dem einzelnen Menschen und den anderen
Menschen, das die Basis für den immanenten Zwang der Existenz
bildet. Die Existenz des einzelnen Menschen ist vor allem durch eine
Urangst vor der Freiheit der anderen Menschen geprägt. Diese
Angst ist im wesentlichen eine Angst vor der Kontrolle durch den
anderen und der Begrenzung und Bedrohung der eigenen Freiheit durch
die Freiheit des anderen. Die Reaktion auf diese Angst ist ein
zwischenmenschlicher immanenter Zwang zur Selbstkontrolle und
gegenseitigen Kontrolle, der in den Ordnungs- und Herrschaftszielen
und -verhältnissen der Menschheit seinen Ausdruck findet. Die
Existenz des einzelnen Menschen vollzieht sich unter dem immanenten
Zwang seine Freiheit im Hinblick auf die Existenz und Freiheit der
anderen Menschen einzuschränken. Der
einzelne Mensch steht unter dem immanenten Zwang seiner selbst und
anderer seine Freiheit in Hinblick auf die Ordnungs- und
Herrschaftsziele und -verhältnissen der Menschheit zu begrenzen.
Das Resultat dieses immanenten Zwangs der Existenz ist die
Manipulation des einzelnen Menschen zum Gemein-Menschen, der durch
die Willensbildung und Ordnung eines Gemeinwesens bestimmt ist. Die
menschlichen Ordnungs- und Herrschaftsziele sind die objektiven
Manifestationen der Transformation der Fähigkeit der Freiheit
des einzelnen Menschen in gemeinmenschliche Kontrolle und diese
werden durch folgende Faktoren bestimmt: (a) die Kausalprozesse in
der Welt auf die der Mensch (gegenwärtig oder grundsätzlich)
keinen (direkten) Einfluss hat und die das Wollen und Handeln des
Menschen begrenzen, (b) die Sterblichkeit oder die Zerstörbarkeit
des Menschen, die den Menschen selbst mit seiner Ausgrenzung bedroht
und (c) die anderen Menschen, die den einzelnen Mensch mit ihrer
Freiheit in seiner Freiheit bedrohen und begrenzen. Der immanente
Zwang der Existenz gewährleistet die Manipulation des
einzelnen Menschen zum Gemein-Menschen, der in seinem freien Willen
maximal begrenzt ist.5
Neben diesem immanentem
Zwang unter dem die Existenz des einzelnen Menschen steht,
scheint ebenso ein grundsätzlicher Zwang zur Existenz
postuliert werden zu können. Ich werde festzustellen versuchen
unter welchen Voraussetzungen ein solches Postulat Sinn macht. Das
Postulat des grundsätzlichen Zwangs zur Existenz kann wie
folgt formuliert werden: Die Existenz des einzelnen Menschen ist
durch einen grundsätzlichen Zwang zur Existenz bestimmt,
da der Mensch ungefragt existiert, da er sich vor seiner Zeugung oder
Geburt nicht für seine Existenz entscheiden konnte, sondern
zwangsweise in die Welt hineingeboren wurde. Wenn dieses Postulat
wahr ist, dann ist die Existenz des Menschen mit einem
Gefängnisaufenthalt vergleichbar; was natürlich jeden
Anspruch des Menschen auf (eigentliche) Freiheit in Frage stellt.
Metaphorisch kann man sich dieses Postulat auch wie folgt
veranschaulichen: Jemand wird betäubt, sein Gedächtnis
gelöscht, seine Fähigkeiten auf die eines Neugeborenen
reduziert und er wird in dieser Verfassung in eine Zelle gesperrt.
Wenn er zu sich kommt, versorgt man ihn mit Nahrung etc. und macht
ihm mit Fortdauer der (neuerlichen) Entwicklung seiner (mentalen und
körperlichen) Fähigkeiten klar, dass die Zelle, in der er
sich befindet, die Welt ist, in die er hineingeboren wurde und dass
er seine (weitere) Existenz in dieser Zelle zu verbringen hat.
Auf dieser Grundlage lässt sich nun leicht zeigen, dass dieses
Postulat eine entscheidende Voraussetzung hat. Dieses Postulat ist
dann und nur dann sinnvoll, wenn eine Person bereits vor ihrer
Zeugung oder Geburt in irgendeiner Form existiert, die es ihr
grundsätzlich möglich macht vor ihrer Zeugung oder Geburt
eine Wahl oder Entscheidung zu treffen; und die es ermöglicht
diese Person zu einer gewissen Form der Existenz zu zwingen. Wenn
jedoch der Wille und die Entscheidungsfähigkeit und -möglichkeit
einer Person nur auf ihre Existenz in unserer Welt beschränkt
ist, dann macht das angesprochene Postulat keinen Sinn. Es bleibt
dann nur sich die Frage zu stellen, ob es möglich ist das
Postulat so abzuändern, dass es unabhängig von der
Möglichkeit einer Entscheidungsfrage oder Existenzfrage
formuliert werden kann. Angenommen eine Person existiert vor ihrer
Zeugung oder Geburt nicht. Kann man auf dieser Grundlage von einem
Zwang zur Existenz sprechen, wenn diese Person sozusagen aus dem
Nichts in die Welt hineingeboren oder hineingezeugt wird. Es scheint
dies, wenn überhaupt, kein Zwang im herkömmlichen Sinn zu
sein, da von diesem Zwang nicht unmittelbar der Wille einer
bestimmten Person betroffen ist oder beeinflusst wird. Ist die
Tatsache, dass wir gezeugt und geboren werden und dass wir irgendwann
plötzlich zu existieren beginnen, ohne zu wissen, was uns
geschah, ein Zeichen von Unfreiheit? Wenn wir uns selbst aus dem
Nichts zeugen könnten, was immer das heißen mag, wäre
dies ein Art fundamentaler Freiheit? Dies sind schwer fassbare
Fragen. Intuitiv scheint mir jedoch etwas zwanghaftes an der Kreation
von Personen zu sein, das aber schwer erklärbar ist. Ich will es
hier bei dem Hinweis auf den sogenannten grundsätzlichen
Zwang zur Existenz belassen.
Wir haben zuvor die Frage
aufgeworfen, inwiefern die beschriebene Fähigkeit der Freiheit,
der freie Wille des Menschen, nur eine Scheinfreiheit ist? Ich will
die Diskussion dieser Frage mit der Diskussion einer weiteren mir
wesentlich scheinenden Frage (2) verbinden, und zwar lautet diese:
Inwiefern ist der Mensch frei?
Es ist meine Absicht der
Diskussion folgende Annahmen vorauszuschicken. [A] Menschen habe
die Fähigkeit der Freiheit, einen freien Willen, der es ihnen
erlaubt in bestimmten Situationen unabhängig von ihren
Determinanten etwas zu wollen oder zu handeln. Wenn Menschen
nicht die Fähigkeit der Freiheit, einen freien Willen, hätten,
dann wäre die Diskussion der Frage (2) obsolet. Denn ohne freien
Willen ist es unmöglich eigentliche Freiheit, einen Zustand der
Freiheit oder eine Existenz in Freiheit, zu erlangen oder zu
bewahren. Der freie Wille ist die Voraussetzung für jede Form
eigentlicher Freiheit. Die zweite Annahme lautet: Menschen ist
es aus den angeführten Gründen nicht möglich, in allen
oder den meisten Situationen auf der Basis ihres freien Willens
unabhängig von ihren Determinanten etwas zu wollen oder zu
handeln. Die Fähigkeit der Freiheit ist demnach nur partiell
anwendbar. Als dritte Annahme möchte ich voraussetzen: [C]
Jemand ist dann und nur dann tatsächlich frei, wenn er auf
der Grundlage seiner Fähigkeit der Freiheit in einen Zustand der
Freiheit existieren kann, der sich durch die Abwesendheit von Zwängen
und Manipulation auszeichnet. Nur vor diesem Hintergrund lässt
sich eine Existenz in eigentlicher Freiheit führen, eine
Existenz die nicht von Zwängen und Manipulation gekennzeichnet
ist.
Unter Voraussetzung dieser
Annahmen bekommt die Frage, inwiefern die menschliche Fähigkeit
der Freiheit nur eine Scheinfreiheit ist, einen konkreten
Hintergrund. Wie sollte es uns möglich sein auf der Basis einer
partiellen Fähigkeit der Freiheit einen Zustand tatsächlicher
Freiheit zu erreichen oder zu bewahren? Dadurch, dass wir eigentliche
Freiheit als Zustand bestimmt haben, gibt es naturgemäß
zwei mögliche Relationen zwischen einer Person und diesem
Zustand: entweder eine Person befindet sich im Zustand der Freiheit
oder nicht. Wenn man sich in diesem Zustand befindet, dann sollte die
Fähigkeit der Freiheit es ermöglichen diesen Zustand
bewahren zu können. Wenn man sich nicht im Zustand der Freiheit
befindet, dann sollte es einem die Fähigkeit der Freiheit
ermöglichen, diesen Zustand zu erreichen. Wir sollten deshalb
diese beiden Aspekte der Freiheitsbewahrung und
Selbstbefreiung in die Annahme [C] wie folgt einfließen
lassen: [C’] Jemand ist dann und nur dann tatsächlich
frei, wenn er auf der Grundlage seiner Fähigkeit der Freiheit
einen Zustand der Freiheit bewahren oder erreichen kann,
der sich durch die Abwesendheit von Zwängen und Manipulation
auszeichnet.
Diese Adaption macht auch
unsere Schwierigkeit etwas klarer: Können wir mittels unserer
partiell einsetzbaren Fähigkeit der Freiheit einen Zustand der
Freiheit bewahren oder einen solchen erreichen? In diesem
Zusammenhang ist es auch sinnvoll sich vor Augen zu führen, dass
die Determinanten einer Person in gewissem Sinn zwanghaft und
manipulativ sind. Somit lässt sich, auf das Phänomen der
Determinanten angewandt, die eben angeführte Frage auch wie
folgt formulieren: Können wir uns mittels unserer partiell
einsetzbaren Fähigkeit der Freiheit unserer Determinanten
nachhaltig entheben? Ziehen wird nun die in Abschnitt (B)
herausgearbeiteten Thesen über das Verhältnis von Existenz
und Zwang hinzu, dann zeigt sich das Problem der Freiheit in seinem
vollen Umfang. Diese Thesen lauteten: (T1) Die Existenz des
Menschen vollzieht sich auf der Basis des in (B) beschriebenen
immanenten Zwangs. (T2) Die Existenz des Menschen vollzieht
sich auf der Basis des in (B) beschriebenen grundsätzlichen
Zwangs.
Die Frage nach der
Freiheit wird auf der Grundlage von (T1) und (T2) vor allem zu einer
Frage der Selbstbefreiung oder der Frage: Wie kann man
einen Zustand der Freiheit erreichen? Nehmen wir an nicht nur die
Annahmen [A]-[C] bzw. [C’] seien wahr, sondern auch (T2), dann
scheint es nur eine Möglichkeit zu geben, Freiheit zu erlangen,
auch wenn diese Freiheit in gewisser Weise paradox ist. Die einzige
Möglichkeit zur Freiheit auf der Grundlage von (T2) wäre
die Befreiung von der Existenz selbst, ein Freitod auf der Basis
einer freien Willensentscheidung, der es ermöglicht sich
nachhaltig der Determinanten und der durch Zwang und Manipulation
bestimmten Existenz zu entziehen. Nur eine Freitod-Handlung, die auf
einer freien Willensentscheidung basiert, kann jemanden, wenn (T2)
zutrifft, zu tatsächlicher Freiheit führen.6
Wir haben allerdings gewisse Zweifel gegenüber der
Sinnhaftigkeit von (T2) vorgebracht, die wir nicht ausräumen
konnten. Im Gegensatz zu (T2) schien uns (T1) eine gut begründete
These zu sein. Wie lässt sich nun auf dieser Grundlage und unter
Voraussetzung von [A]-[C] bzw. [C’] ein Zustand der Freiheit
erreichen? Auf dem Hintergrund von (T2) schien eine Freitod-Handlung
dies vollbringen zu können. Ist durch eine Freitod-Handlung auf
der Grundlage von (T1) das Erreichen eines Zustands der Freiheit
ebenso möglich? Um diese Frage beantworten zu können,
müssen wir näher darauf eingehen was eine Freitod-Handlung,
eine Selbsttötung ausmacht. Eine wesentliche Komponente einer
Freitod-Handlung ist die vorausgehende Absicht, die durch die
Handlung erfüllt werden soll. Es scheint keine Freitod-Handlung
ohne vorausgehende Absicht zu geben.7
Die vorausgehende Absicht einer Freitod-Handlung ist grundsätzlich
nicht nur eine bloße Selbsttötungsabsicht, sondern eine
Selbsttötungsabsicht zu einem gewissen Zweck. Derjenige, der
einen Freitod begeht, tötet sich aus einem gewissen Grund zu
einem gewissen Zweck. Aber nicht jede Freitod-Handlung ist eine freie
Handlung, die auf einer freien Willensentscheidung basiert. Solche
Freitod-Handlungen, die unter Zwang oder Manipulation zustande kommen
und nicht auf dem freien Willen des einzelnen Menschen basieren,
können wir zur Abgrenzung von tatsächlichen
Freitod-Handlungen, die auf dem freien Willen des einzelnen Menschen
basieren, Selbstmord-Handlungen nennen. Es ist demzufolge sinnvoll
zwischen Freitod und Selbstmord zu unterscheiden. Die für unsere
Zwecke entscheidende Frage ist, ob es eine Freitod-Handlung auf der
Basis einer freien Willensentscheidung einer Person geben kann mit
der vorausgehenden Absicht, einen Zustand der Freiheit zu erreichen,
der sich durch Abwesendheit von Zwang und Manipulation auszeichnet
und die diese Absicht auch erfüllt. Wenn wir tatsächlich
einen freien Willen haben, dann sollte es möglich sein, eine
Freitod-Handlung auf dieser Basis zu vollziehen. Kann aber eine
Handlung, die auf einer freien Willensentscheidung basiert, überhaupt
eine vorausgehende Absicht haben? Wenn die Absicht selbst auf einer
freien Willensentscheidung basiert scheint dies kein Problem zu sein.
Eine Freitod-Handlung mit der beschriebenen vorausgehenden Absicht zu
vollziehen, scheint demnach möglich zu sein. Kann aber eine
Freitod-Handlung diese Absicht auch erfüllen? Eine
Freitod-Handlung ist gewöhnlich dann erfolgreich vollzogen, wenn
sie zum Tod des Handelnden führt. In welcher Weise wird aber
dadurch ein Zustand der Freiheit erreicht? Der Tod ist
sinnvollerweise nicht als Zustand anzusehen. Es ist überhaupt
fraglich als was der Tod anzusehen ist. Ob als Grenze zwischen
Existenz und Nicht-Existenz, und damit als etwas ohne tatsächlichen
ontischen Status? Ob als Ereignis oder Prozess? Als verbürgt
gilt, dass sich nach oder mit dem Tod eine bestehende Einheit
zwischen Person und Körper auflöst. Der Körper, die
Manifestation einer Person in der Welt ist nach dem Tod der Person
nur mehr bloße Manifestation seiner selbst, nur mehr ein Körper
an-sich. Mit dem Tod endet die Existenz einer Person in unsrer Welt,
soviel ist gewiss, was mit dieser Person darüber hinaus
geschieht ist unklar. Diese Tatsache hat die Konsequenz, dass sich
eine Person durch den Freitod selbstständig unserer Welt und
ihrer Existenz entziehen kann. Und so wie sich eine Person im Falle
der Wahrheit von (T2) durch den Freitod dem grundsätzlichen
Zwang zur Existenz entziehen kann, kann sich eine Person im Falle
der Wahrheit von (T1) durch den Freitod dem immanenten Zwang der
Existenz entziehen. Und selbst, wenn sich sowohl (T1) als auch
(T2) als falsch herausstellen sollten, befähigt einen der
Freitod in der beschriebenen Weise immer noch sich seiner
Determinanten nachhaltig zu entheben, wenn wir diese als zwanghaft
oder manipulierend erachten. Eine gelungene Freitod-Handlung ist
demnach ein Akt der Selbstbefreiung. Aber in welcher Weise führt
dieser Akt der Selbstbefreiung zu einem Zustand der Freiheit? Zwei
Antworten auf diese Frage sind denkbar: (I) Der Mensch ist auf der
Grundlage seiner partiell anwendbaren Fähigkeit der Freiheit
nicht in der Lage einen Zustand der Freiheit zu erreichen. Es
ist ihm aber möglich sich dem Zustand der Unfreiheit, den seine
Existenz darstellt, mittels Selbstbefreiung durch eine
Freitod-Handlung zu entheben. Die zweite denkbare Antwort lautet:
(II) Der Mensch ist durch eine Freitod-Handlung auf der Basis
seines freien Willens in der Lage einen Zustand der Freiheit zu
erreichen, der sich durch bloße Negativität, durch
Nicht-Existenz (in unserer Welt) und die damit verbundene
Abwesendheit von Zwang und Manipulation auszeichnet. Die zweite
Antwort basiert auf der Annahme, dass sich der Zustand in dem sich
eine Person nach ihrem Freitod befindet, wie immer dieser Zustand
aussehen mag, ob er sich durch Nicht-Existenz oder Fort-Existenz
auszeichnet, als ein grundsätzlich negativer Zustand in bezug
auf die vorangehende Existenz in unserer Welt auszeichnet, die durch
den Freitod verneint wurde. Für welche der beiden Antworten (I)
und (II) wir uns auch immer entscheiden, eines ist in beiden Fällen
in bezug auf das Gelingen der beschriebenen Freitod-Handlung zu
berücksichtigen. Für das Gelingen der beschriebenen
Freitod-Handlung ist es nötig, dass sich der einzelne Mensch
seiner Freiheit bewusst wird, seiner Fähigkeit der Freiheit, so
wie seiner Möglichkeit der Selbstbefreiung oder frei zu sein.
Nur wenn er auf der Grundlage seines freien Willens handelt und die
Absicht bildet, Freiheit durch eine Freitod-Handlung zu erlangen,
kann er durch eine Freitod-Handlung auch tatsächlich Freiheit
erlangen. Denn die Freiheit des Einzelnen ist der Freitod.
1
Der Einzige und sein Eigentum, Stuttgart: Reclam, 1972, S. 256.
2
Unterlassungen von Handlungen werden auf dieser Grundlage nicht als
Handlungen angesehen.
3
Manche Philosophen vertreten die These, dass es Handlungsfreiheit
auch ohne freien Willen geben kann. Diese These basiert vor allem
auf einer Unterscheidung zwischen inneren und äußeren
Zwängen; demnach handelt jemand dann und nur dann frei, wenn
sein Handeln nicht durch äußere Zwänge, d.h.
Behinderungen, etc. beeinträchtigt ist. Meiner Ansicht nach ist
die Unterscheidung zwischen äußeren und inneren Zwängen
unangemessen, da ein Zwang immer den Willen einer Person betrifft,
was für sogenannte äußere Zwänge nicht gilt.
Wenn wir Handlungsfreiheit durch die Abwesenheit äußerer
Zwänge definieren, dann müsste wir einen ferngesteuerten
Roboter, der in seinen Bewegungen durch keine Hindernisse oder
Beschränkung beeinträchtigt ist, als frei bezeichnen, was
aber absurd ist. Handlungsfreiheit ist mehr als die Abwesendheit
äußerer Hindernisse oder Beschränkungen.
4
Höchstens dann wenn wir auch Unterlassungen von Handlungen als
Handlungen auffassen und den Begriff der Denkbewegungen oder
mentaler Prozesse in unsere Betrachtungen einfliesen lassen.
5
Die Wirkungsweisen des immanenten Zwangs der Existenz müssten
im Detail noch ausgearbeitet werden.
6
Wenn die Existenz tatsächlich eine Existenz wie in der oben
beschriebenen Existenz-Haft ist, dann ist die einzige Möglichkeit
Freiheit zu erlangen, sich dieser Existenz zu entziehen. Der einzige
Weg zur Freiheit der einem auf dieser Grundlage bleibt, ist der Weg
der Selbstbefreiung durch Freitod.
7 Eine
Freitod-Handlung ohne vorausgehende Absicht ist keine
Freitod-Handlung.
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