Erschienen in Ausgabe: No 59 (1/2011) | Letzte Änderung: 14.02.13 |
von Lisz Hirn
“Ist Lieben eine Kunst? Wenn es das ist, dann wird von
dem, der diese Kunst beherrschen will, verlangt, daß er etwas weiß und daß er
keine Mühe scheut.”
Erich Fromm wird um 1900 in Frankfurt am Main geboren.
Sein Interesse gilt schon früh der Psychologie und der Philosophie,
insbesondere der praktischen Philosophie. In diesem Sinne schlägt er den Weg
der Frankfurter Schule ein, die unter der Schirmherrschaft der berühmten
Philosophen Theodor W. Adorno und Max Horkheimer steht und sich mit der
Innovation des marxistischen Gedankenguts auseinandersetzt. Wahrscheinlich
wurde Erich Fromm in diesem Kreis zu seinen sozial-philosophischen Konzepten
inspiriert.
“Wird die geistige Natur - die Kultur des inneren
Menschens - vernachlässigt, dann bleibt die Selbstsucht die überwiegende und
dominierende Kraft im Menschen, und auf eine derartige Ausrichtung paßt ein
System der Selbstsucht - wie das kapitalistische - besser als ein System der
Nächstenliebe.”
Wesentlich für Erich Fromm ist die Frage nach dem Sinn
des Lebens, die vor allem für den westlichen Menschen akut ist. Er stellt, wie
auch viele andere Denker, fest, dass sich ursprünglich die Religion mit dieser
Frage auseinadergesetzt hat und sie “löste”. In den (post-) modernen Zeiten hat die (traditionelle)
Religion, insbesondere die christliche, an Bedeutung eingebüßt. Fromm fragt
sich nun, was an die Stelle der Religion treten könnte und ob es eine
Alternative zur traditionellen Religion gibt.
“Der Mensch ist mit Vernunft ausgestattet; er ist Leben, das sich seiner
selbst bewusst ist. Er besitzt ein Bewußtsein seiner selbst, seiner
Mitmenschen, seiner Vergangenheit und der Möglichkeiten seiner Zukunft. Dieses
Bewußtsein seiner selbst als einer eigenständigen Größe, das Gewahrwerden
dessen, daß er eine kurze Lebensspanne vor sich hat, daß er ohne seinen Willen
geboren wurde und gegen seinen Willen sterben wird, daß er vor denen, die er
liebt, sterben wird (oder sie vor ihm), daß er allein und abgesondert und den
Kräften der Natur und der Gesellschaft hilflos ausgeliefert - [...]. Er würde
dem Wahnsinn verfallen, wenn er sich nicht aus diesem Gefängnis befreien könnte
- wenn er nicht in irgendeiner Form seine Hände nach anderen Menschen
ausstrecken könnte und sich mit der Welt außerhalb seiner selbst vereinigen
könnte.”
In gewisser Weise hat sich die psychoanalytische Bewegung
dieses Problems nach Sinn angenommen bzw. von den Priestern übernommen. Die
wichtige Erkenntnis der Psychoanalyse war die Verknüpfung von
geistig-seelischen Erkrankungen mit ethischen Problemen. Diese Verbindung
thematisieren auch Religion und kirchliche Institutionen. Die Frage ist nun:
Sind Psychoanalytiker und Priester Verbündete oder Feinde? Fromm meint, dass
Psychoanalyse und Religion weder unversöhnliche Gegensätze sind noch eine
Gleichheit der Interessen aufweisen können. Wirklich wichtig ist nicht die
Entscheidung, ob der Mensch an Gott glaubt, sondern ob der Mensch die Liebe
lebt und die Wahrheit denkt. Ihm geht es darum, dass die konstruktiven,
menschlichen Potentiale gefördert werden und schädliche Einflüsse auf den
Menschen abgewehrt werden können. Sowohl Religion als auch Psychoanalyse haben
positive wie auch negative Ausformungen. In seinem Buch Psychoanalyse und
Religion nimmt sich Erich Fromm dieses Themas an.
“Heute sind es nicht [E. Hirn: Götter
wie] Baal und Astarte, welche die kostbarsten geistig-seelischen Güter der
Menschen bedrohen; vielmehr sind diese durch Vergöttlichung des Staates und der
Macht in autoritären Ländern in unserer Kultur durch Vergötzung der Maschine
und des Erfolgs gefährdet.”
Anders ausgedrückt: Fromm interessiert,
welche Art von Religion gewählt wird, obgleich er den Begriff “Religion” sehr weit fasst. Religion beginnt mit einem
Objekt der Hingabe. Dieses Objekt kann sowohl ein Mensch, Wissenschaft, Gott
oder Geld etc. sein. Fromm beurteilt jede “religiöse” Ausformung nach ihrem positiven Einfluss auf
die Entwicklung des Menschen und auf die Vergrößerung der Vernunft und auf die
Verminderung des Leidens in der Welt. Der Denker weist darauf hin, dass der
;Mensch Orientierung im Leben sucht und braucht, genauso wie ein Objekt der
Hingabe und Ideale, nach denen er sich richten kann.
“Wenn religiöse Lehren zum seelischen
Wachstum, zur Stärke, Freiheit und Glücksfähigkeit ihrer Gläubigen beitragen,
erkennen wir die Früchte der Liebe. Wenn sie die Einengung menschlicher
Möglichkeiten, Unglücklichsein und Mangel an Produktivität zur Folge haben,
können sie nicht aus der Liebe geboren zu sein, gleichgültig, was das Dogma zu
vermitteln vorgibt.”
Die gegenwärtige Ausrichtung fokussiert “Götzenbilder” und “Trugbilder” wie Geld und unbegrenzte (wirtschaftliche)
Macht, die wegen ihrer Maßlosigkeit zu großer Inhumanität führen, die
(augenscheinlich) ein extremes Problem unserer Zeit ist. Aufgrund dieser
Problemstellung plädiert Fromm für einen “neuen” Humanismus und erstellt das Konzept einer
humanistischen Religion, die sich darauf konzentriert, die menschlichen Kräfte
zu fördern, inklusive die menschliche Vernunft, und vor allem das Prinzip des
Liebens, welches Fromm als grob vernachlässigt empfindet. Seine Diagnose: Akute
Liebesunfähigkeit. Seine Medikation: Die Thesen seines Buches Die Kunst des
Liebens, diesesist eines
der bekanntesten Werke von Erich Fromm.In ihm geht Fromm dem Phänomen
des Liebens und seiner Entartung in der (westlichen) Welt nach und versucht
sich gleichzeitig als Aufklärer und Lehrer.
Zu Lieben ist ein schwieriges
Unterfangen; kaum eines ist von so vielen Hoffnungen und Fehlschlägen
begleitet. Lieben ist ein Kunst wie Leben eine Kunst ist. Diese Kunst kann man
erlernen.
Lieben muss man lernen. Es ist ein aktives Tun, ein
aktiver Austausch des Seins, kein statisches Gebilde oder gar eine passive
Erwartungshaltung einem anderen Menschen gegenüber. Die eigene Liebesfähigkeit
muss ebenso reifen, wie die gesamte Persönlichkeit, noch dazu da es
verschiedene Formen des Liebens gibt - von der erotischen Liebe über die
Selbstliebe zur mütterlichen Liebe und vieles mehr.
“Wenn Liebe eine Fähigkeit des reifen, produktiven
Charakters ist, so folgt daraus, daß die Liebesfähigkeit eines in einer
bestimmten Kultur lebenden Menschen von dem Einfluß abhängt, den diese Kultur
auf den Charakter des Durchschnittbürgers ausübt.”
Das leitet uns zu Fromms Interesse für gesellschaftliche,
sprich soziale, Belange weiter. Diese behandelt er in dem Werk Haben oder Sein.
Der Sozialphilosoph geht davon aus, dass das Individuum, das notwendigerweise
in einer gesellschaftlichen Struktur lebt, in Wechselbeziehung mit dieser
steht. Das ist kein neuer Gedanke. Denker wie Marx, Freud und Nietzsche haben
(unter anderen) darauf hingewiesen, dass der Durchschnittsmensch ein “Herdentier”, das auf Konsum ausgerichtet und
dessen Bedürfnisse kontrolliert werden. Quasi: Was wir tun wollen, ist was wir
tun sollen. Fromm schreibt in Haben oder Sein:
“Wir sind, wofür wir uns hingeben undan was wir uns hingeben, das motiviert unser
Verhalten.”
Die Frage ist nun, wofür wir uns hingeben? Was sind
unsere Motive? Was unsere Bedürfnisse? Und wie sehr halten wir die von der
Gesellschaft geschürten Bedürfnisse für unsere wirklichen? Fördern diese die
menschlichen Potentiale der Vernunft, Wahrheit und Liebe?
Auffallend in unserer (westlichen) Gesellschaft ist der “Marketing-Charakter” jedes Individuums. Der Einzelne präsentiert sich als Ware auf dem
Tauschmarkt. Ziel ist es optimal zu funktionieren, um sich bestens zu
verkaufen. Diese optimale Funktionieren wird durch die natürliche, emotionale
Struktur des Menschen “gefährdet” beziehungsweise eingeschränkt. Die Unterdrückung/ Leugnung/
Verdrängungder Emotionen, um effektiver
“funktionieren” zu können, führt zur Verkümmerung des Gefühllebens und
somit zu einem Verlust der Liebesfähigkeit.
“Liebe und Ehrfurcht vor dem Leben in allen seinen
Manifestationen zu empfinden und sich bewusst zu sein, daß weder Dinge noch
Macht, noch alles Tote heilig sind, sondern das Leben und alles, was das
Wachstum fördert.” - das heißt, dass das Sein, dem
Haben vorzuziehen ist.
Um “gut-zu-leben” sind Vernunft- und Liebesfähigkeit die notwendigen
Voraussetzungen. Diese zu fördern ist, wie oben beschrieben, Fromms Absicht.
“Wir Menschen haben ein angeborenes, tief verwurzeltes
Verlangen zu sein: unseren Fähigkeiten Ausdruck zu geben, tätig zu sein, auf andere
bezogen zu sein, dem Kerker der Selbstsucht zu entfliehen.”
Was bleibt vom Schaffen Erich Fromms?
Zum einen ein festes Bekenntnis zu einemneuen Humanismus, zum anderem Werke wie Haben
oder Sein, Psychoanalyse und Religion, Die Kunst des Liebens, Die Furcht vor
der Freiheit, Psychoanlayse und Ethik und Der moderne Mensch und seine
Zukunft,die aufgrund ihrer
zeitlosen Thematik nichts an Aktualität verloren haben. Es gibt sogar eine
Erich-Fromm-Gesellschaft in Tübingen, Deutschland, die Fromms Gedankengut
fortführt. Fromm kommt nicht aus der Mode, weil er gegen die Mode ist. Für ihn
steht der Mensch und seine Zukunft im Zentrum, die er akut bedroht sieht -
einerseits von der gesellschaftlichen Situation, die das Individuum und seine
geistig-seelischen Fähigkeiten beschränkt, andererseits von der
technologisch-globalen Situation die die Existenz der gesamten Menschheit
gefährdet. Was könnte im Angesicht dieser Bedrohung helfen außer der Vernunft
und Liebe? Fromm ist kein weltfremder Utopist; er ist ein praxisbezogener
Denker, der verändern und nicht nur theoretisieren will.
Fazit: Erich Fromm kann mit gutem Gewissen als Pionier
eines (post-) modernen Humanismus gesehen werden. Und dieser ist zu unseren
Zeiten besonders notwendig. Dies soll die abschließende Textstellebezeugen:
“Die Liebe zu einer Idee oder zu einem Menschen, ist
still, nicht schrill;
sie ist ruhig, tief;
Sie wird jeden Augenblick
geboren, aber ist kein
Rausch.
Sie ist keine Trunkenheit,
Sie führt nicht zur
Selbstvergessenheit,
sondern erwächst aus der
Überwindung des Ego.”
Diese (Selbst-) Überwindung bleibt unsere lebenslange und
herausforderndste Aufgabe. Durch sie finden wir zum “guten”und vor allem zum “sinn- und wertvollem” Leben. Unsere Mitmenschensind nicht nur unsere Gegner, sondern auch
unsere Hoffnung auf unsere eigene Entwicklung.
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